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10 VerfassungsrechtNorm
VfGG §33Leitsatz
Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags einer Gemeinde zur Beschwerdeführung gegen die Bestellung des damaligen Bürgermeisters zum Vertreter der Gemeinde in einem im Jahr 1960 eingeleiteten Regulierungsverfahren als verspätet; Wegfall des Hindernisses eines Irrtums spätestens anlässlich einer Besprechung nach bücherlicher Übertragung des Eigentums am Gemeindegrund an die Agrargemeinschaft; Zurückweisung der Beschwerde als verspätetSpruch
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird zurückgewiesen.
Die Beschwerde wird als verspätet zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
I. Mit Datum vom 23. Juni 1961 richtete die Tiroler Landesregierung unter dem Betreff "Gemeinde Mieders; Regulierung" zu Ib-Zl.-110/28 folgendes Schreiben an die Gemeinde Mieders:
"Herrn
A Z Bürgermeister
M i e d e r s/Stubai
Beim Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde 1. Instanz behängt ein Verfahren zur Regulierung des Gemeindewaldes von Mieders.
Gemäß §110 Abs1 litf des Flurverfassungslandesgesetzes, LGBl. Nr. 32/1952 werden Sie in diesem Verfahren zum Vertreter der Gemeinde Mieders bestellt.
Für die Landesregierung:
Dr. S"
Eine Abschrift ist der Agrarbehörde zu ZIIIb 1 . 679/1 vom 11. März 1961 zugegangen.
Mit dem vorliegenden Antrag begehrt die Gemeinde Mieders die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Erhebung der Beschwerde gegen dieses als Bescheid gewertete Schreiben und erhebt zugleich Beschwerde wegen Verletzung des der Gemeinde verfassungsgesetzlich zustehenden Rechts, ihre Organe selbst bestellen zu dürfen und dies durch Wahlen zu tun.
Wie der beigelegten Kopie eines Schriftsatzes der antragstellenden Gemeinde mit Rechtsmitteln und Anträgen an das Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde I. Instanz vom 8. Juni 2005 - über welche Anträge offenbar noch nicht entschieden wurde - zu entnehmen ist, wurde im Regulierungsverfahren nach einer Verhandlung am 20. Feber 1962, bei der ein Gemeindeanteil von 10 % an der Agrargemeinschaft in Aussicht genommen wurde, welchen - nachdem die Frage der Höhe des Gemeindeanteils in einer Gemeinderatssitzung vom 13. März 1962 (mit dem Beschluss "Wird vertagt. Wurde vom Gemeindevertreter geregelt") erledigt worden war - in einer weiteren Verhandlung am 13. April 1962 A Z als Gemeindevertreter "als verbindlich anerkannt" hatte, am 17. August 1962 eine Liste der Parteien mit dem Verzeichnis der Anteilsrechte ausgefertigt und schließlich am 9. Jänner 1963 ein Regulierungsplan für das Gemeindegut erlassen. Darin wird unter anderem festgestellt, im Einzelnen angeführte Grundstücke stellten das Gemeindegut dar und dieses stehe im Eigentum der Agrargemeinschaft Mieders.
Zu diesem Bescheid heißt es im genannten beigelegten Schriftsatz an die Agrarbehörde:
"Der Bescheid wurde durch Auflage in der Gemeindekanzlei Mieders in der Zeit zwischen 19.01.1963 und 02.02.1963 erlassen. Aus dem Zustellbogen ergibt sich, dass die Verständigung von der Auflage Herrn A Z als Vertreter der politischen Gemeinde Mieders in ihrer Eigenschaft als Eigentümerin von Stammsitzliegenschaften und an Herrn A Z persönlich (offenbar in dessen Eigenschaft als Eigentümer der Liegenschaft EZ 194) zugestellt wurde."
Der Wiedereinsetzungsantrag betreffend die Vertreterbestellung ist nach Schilderung der Verwaltungspraxis bei den Gemeindegutsregulierungen wie folgt begründet:
"Aufgrund des von der Landesregierung aus politischen Gründen vertretenen völlig unhaltbaren und rechtswidrigen Standpunktes wurden die Gemeinden durchwegs falsch aufgeklärt. Selbstverständlich wurden ihnen die höchstgerichtlichen Erkenntnisse verschwiegen, nach denen sie Anspruch darauf gehabt hätten, das Eigentum am Gemeindegut zu behalten. Nur durch diese falsche Aufklärung ist es erklärbar, dass es gelingen konnte, in derart vielen Fällen den Gemeinden in rechtswidriger Weise das Eigentum am Gemeindegut wegzunehmen und an bäuerliche Gemeinschaften zu übertragen, denen es nicht zustand.
Der gefertigte Vertreter hat seit Jahrzehnten sehr viel mit Gemeinden zu tun und zwar auch als Vertreter von Bauern, wobei die Gemeinden nicht selten von bäuerlichen Bürgermeistern vertreten wurden. Dabei konnte aber noch nie festgestellt werden, dass ein Bürgermeister bereit gewesen wäre, auch nur einen Quadratmeter aus dem Gemeindevermögen zu verschenken. Es ist daher davon auszugehen, dass die Bürgermeister der Gemeinden in keinem oder zumindest fast keinem Fall bereit gewesen wären, an einer Verschiebung des Eigentums am Gemeindevermögen auf wenige Bauern mitzuwirken, wenn ihnen die Unrechtmäßigkeit dieser Vorgangsweise bewusst gewesen wäre.
In der Rechtssprechung ist insofern ein Wandel eingetreten, als die ältere Rechtssprechung in einer unrichtigen Beurteilung der Rechtslage keinesfalls und sogar auch dann keinen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund erblickt hat, wenn dieser Irrtum durch eine unrichtige Rechtsauskunft eines behördlichen Organs veranlasst oder bestärkt wurde (Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 6.Auflage, E 17b zu §71 Abs1 AVG). In jüngerer Zeit hat die Rechtssprechung jedoch wiederholt die Auffassung vertreten, auch ein Rechtsirrtum könne als Wiedereinsetzungsgrund in Betracht kommen. Wenn ein solcher Irrtum als Wiedereinsetzungsgrund geltend gemacht werde, sei im Einzelfall die Verschuldensfrage zu prüfen (Hauer/Leukauf, aao, E 2b zu §71 Abs1 AVG).
Im konkreten Fall hat sich die Gemeinde Mieders in einem solchen Irrtum befunden. Es war ihr einerseits nicht bewusst, dass ihr und nicht der Agrargemeinschaft Mieders das Eigentum am Gemeindegut Mieders zugestanden wäre und es war ihr andererseits auch nicht klar, dass es noch möglich wäre, die seinerzeit ergangenen Bescheide zu bekämpfen. Aufgrund der öffentlichen Diskussion über die Auseinandersetzung zwischen der Gemeinde Neustift und der Agrargemeinschaft Neustift kamen der Gemeinde Mieders zwar allmählich Zweifel, ob nicht auch in ihrer Gemeinde die Übertragung des Eigentums an die Agrargemeinschaft Mieders unrechtmäßig gewesen sein könnte. Erst nachdem der gefertigte Rechtsanwalt am 1.6.2005 Einsicht in den Akt der Agrarbehörde genommen hat, hat sie jedoch erfahren, dass und mit welchen Bescheiden ihr in rechtswidriger Weise das Eigentum am Gemeindegut genommen wurde.
Der Antragstellerin ist durchaus bewusst, dass es vermutlich bisher noch nie da gewesen ist, dass nach so langer Zeit einem Wiedereinsetzungsantrag stattgegeben wurde. Andererseits haben sich die Gerichte - soweit ersichtlich - auch noch nie damit befassen müssen, dass sich praktisch alle zuständigen Sachbearbeiter einer ganze[n] Behörde in derart eklatanter Weise über die Gesetzeslage hinweggesetzt haben.
Wenn gemäß §71 Abs1 Zif.2 AVG schon eine fehlende oder unrichtige Rechtsmittelbelehrung einen Wiedereinsetzungsgrund bildet, muss es erst recht als Wiedereinsetzungsgrund geltend gemacht werden können, wenn aus politischen Gründen alle zuständigen Sachbearbeiter einer Behörde (und zwar nicht nur der Agrarbehörden sondern offenbar auch der Gemeindeaufsichtsabteilungen, die ja ansonsten die Gemeinden warnen und aufklären hätten müssen) eine Rechtsansicht vertreten, die im wesentlichen auf Erfindungen beruht, zahlreiche höchstgerichtliche Erkenntnisse ignoriert und den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen Inhalte zugeschrieben hat, die daraus auch bei äußerster Strapazierung des äußersten Wortsinnes nicht herausgelesen werden können. So etwas ist - soweit ersichtlich - noch nie da gewesen bzw. musste von den Gerichten noch nie beurteilt werden, weshalb die bisher ergangene Judikatur auch nur bedingt Auskunft darüber geben kann, ob eine derartige gezielte Aushebelung unseres Rechtsstaates noch dazu in einer so wichtigen Frage einen Wiedereinsetzungsgrund bildet.
Jedenfalls darf in diesem Zusammenhang daran erinnert werden, dass der Verfassungsgerichtshof in seiner jüngeren Judikatur die Auffassung vertreten hat, das rechtsstaatliche Prinzip gebiete, dass Rechtsschutzeinrichtungen ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz aufweisen müssten, woraus nach Meinung des gefertigten Rechtsanwaltes auch zu folgern wäre, dass ein derart eklatanter Verstoß gegen das Rechtsstaatlichkeitsprinzip auch noch nach sehr langer Zeit als Wiedereinsetzungsgrund zugelassen werden muss, da ansonsten - wie schon erwähnt - die Gemeinden derartigen Machenschaften völlig hilflos ausgesetzt wären.
Durch den Artikel in der TT vom 25.05.2005 haben sich die Bedenken der Gemeinde Mieders an der Rechtmäßigkeit der Regulierung ihres Gemeindegutes verstärkt. Anschließend hat sie den gefertigten Rechtsanwalt damit beauftragt, zu überprüfen, ob in ihrem Fall noch ein Rechtsmittel möglich sei. Die Beauftragung und Bevollmächtigung des gefertigten Rechtsanwaltes erfolgte am 03.06.2005. Der gefertigte Rechtsanwalt hat am 01.06.2005 (zunächst aufgrund eines mündlichen Auftrages) Akteneinsicht genommen. Erst ab diesem Zeitpunkt (1.6.2005) war der Gemeinde Mieders bekannt, welche Bescheide gegen sie erlassen wurden, dass diese rechtswidrig waren und dass gegen diese noch ein Rechtsmittel mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden kann. Die 14-tägige Wiedereinsetzungsfrist hat daher frühestes mit der Akteneinsicht am 01.06.2005 zu laufen begonnen."
Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs über einen gleichartigen Wiedereinsetzungsantrag der Gemeinde Neustift vom 4. März 2006, B334/05, nimmt die antragstellende Gemeinde zum Anlass eines ergänzenden Vorbringens, das an den in diesen Beschluss enthaltenen Satz "Dass eine rechtsunkundige Partei den Fehler der Behörde nicht erkennt und die Möglichkeit, einen Rechtsbehelf zu ergreifen, falsch einschätzt, rechtfertigt keine Wiedereinsetzung" wie folgt anknüpft:
"1. Gilt dies auch dann, wenn eine Partei den Fehler der Behörde nicht etwa zufällig oder aufgrund ihres eigenen Unvermögens sondern deshalb nicht erkannt hat, weil sie von der Behörde aktiv und vorsätzlich falsch informiert wurde?
2. Gilt dies auch dann, wenn Desinformation so geschickt erfolgte, dass es der Landesregierung sogar gelang, einen Teil der eigenen Beamtenschaft in Irrtum zu führen?"
und dazu ausführt:
"Erst nach der Verfassung des mit der zitierten Entscheidung abgewiesenen Wiedereinsetzungsantrages für die Gemeinde Neustift wurde dem gefertigten Vertreter bekannt, dass dieses Nichterkennen nicht bloß auf die Rechtsunkundigkeit (und womöglich Gleichgültigkeit) der damaligen Bürgermeister, sondern vor allem darauf zurückzuführen war, dass Hofrat Dr. A M, der damalige Leiter der Agrarbehörde I. Instanz ganz gezielt und aus politischen Gründen rechtsgeschichtliche Irrtümer verbreitet hatte (vgl. in diesem Zusammenhang auch Univ. Prof. Dr. Siegbert Morscher, der in ZfV Feber 1982, Seite 3 unten ausführt, die rechtshistorische Entwicklung des Gemeindegutes sei durch juristische Kunstgriffe zum Teil absichtlich verdunkelt worden).
So ist zum Beispiel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die im zitierten Aufsatz enthaltene Behauptung, Tirols Wälder seien 1847 nicht etwa den Gemeinden, sondern nur einer Handvoll alteingesessener Bauern übergeben worden, wider besseres Wissen erhoben wurde.
* Ein ausgebildeter Jurist kann nicht annehmen, mit der
in Zif. 6 des Waldzuweisungspatentes vom 06.02.1847
verwendeten Formulierung 'Seine Majestät geruhten,
.... anzubefehlen, dass ... alle übrigen Wälder Tirols
... den ... Gemeinden als solchen in das volle Eigentum zu
überlassen seien' seien nur einige wenige in den
Gemeinden seit altersher ansässige Bauern gemeint.
* Ein ausgebildeter Jurist kann nicht annehmen, die
politische Gemeinde habe 1847 noch gar nicht existiert, wo die Gemeinde doch schon in zahlreichen Paragraphen des am 01.01.1812 in Kraft getretenen ABGB zitiert und als juristische Person behandelt wurde (vgl. §§27, 286, 288, 290, 337, 529, 559, 867, 1454 und 1472 ABGB).
* Ebensowenig kann ein ausgebildeter Jurist annehmen,
die Gemeindeordnung bezeichne mit dem Begriff Gemeindegut nur Bibliotheken und Schottergruben, wo doch schon damals in der Gemeindeordnung vom Haus- und Gutsbedarf und von Holzbezugs- und Weidenutzungsrechten die Rede war (vgl. §78 Abs3 TGO 1949).
Nun könnte man natürlich fragen, warum etwa Hofrat Dr. A M nicht genauso einem Irrtum unterliegen habe können, wie beispielsweise Hofrat Dr. H A, der genau dies (nämlich einem Irrtum erlegen zu sein) gegenüber der Tiroler Tageszeitung behauptete. Der Unterschied zwischen Hofrat Dr. H A und Hofrat Dr. A M liegt jedoch darin, dass letzterer Vorträge hielt und das Manuskript seines Vortrages wie ein Skriptum verbreitete. Dadurch erweckte er den Anschein, er habe sich mit der Rechtsgeschichte des Gemeindegutes befasst und wisse daher Bescheid. Er muss das auch getan haben, sonst hätte er vom Waldzuweisungspatent des Jahres 1847, vom provisorischen Gemeindegesetz 1849, vom Reichsrahmengesetz 1862 und von der Tiroler Gemeindeordnung von 1866 ja gar nichts wissen können. Wer sich aber mit diesen Quellen befasste, konnte keinesfalls meinen, das Gemeindegut der Tiroler Gemeinden stehe nur im Eigentum einiger weniger Bauern.
Dazu kommt, dass Hofrat Dr. A M aus den Akten der Agrarbehörde ja zweifellos wusste, dass noch in der Zwischenkriegszeit auch die Tiroler Landesregierung davon ausging, dass das Gemeindegut im Eigentum der Gemeinde steht (vgl. Generalakt aus dem Jahre 1925 für die Agrargemeinschaft Imst-Oberstädter-Melkalpe, Bescheid der Tiroler Landesregierung betreffend die Genehmigung der Vereinigung der Fraktionen Imst-Unterstadt und Imst-Oberstadt; Erkenntnis des Landesagrarsenates Innsbruck vom 02.06.1933, Zahl 17-605/149).
Darüber hinaus hat sich aus der Literatur die Unrichtigkeit des von Hofrat Dr. A M publizierten Standpunktes ergeben (vgl. z.B. Stefan Falser, Wald und Weide im tirolischen Grundbuch, Innsbruck 1932, Seite 20 unten; Walter Schiff, Österreichs Agrarpolitik seit der Grundentlastung, Tübingen 1898, Seite 203 mit weiteren Nachweisen). Es ist kaum denkbar, dass jemand, der über die Geschichte des Gemeindeguts so viel recherchiert hat, dass er die Mitte des 19. Jahrhunderts von einigen Rustikalisten vertretene Falschmeinung aufgreifen konnte, das Gemeindeeigentum stünde nicht im Eigentum der Gemeinde als juristischer Person sondern im Eigentum der Gemeindemitglieder, nicht auch auf die Literatur gestoßen ist, in der die Unrichtigkeit dieser Behauptung dargelegt und bewiesen wurde.
Die im Aufsatz von Dr. A M verbreitete Rechtsansicht widersprach auch den einschlägigen Entscheidungen der Höchstgerichte (siehe die Entscheidung des Reichsverwaltungsgerichtes vom 23.09.1892, Slg. Budwinski, Nr.6762; Entscheidung des OGH vom 26.07.1905, Nr.12149; Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 17.03.1931, GZl. B41/30 = VfSlg. 1383; VwSlg. Nr. 3560/1954 Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 25.06.1962, B282/61 und Entscheidung des Obersten Agrarsenates GZl. 43-OAS/66). Auch dies war Hofrat Dr. M zweifellos bekannt, sonst hätte er nicht geschrieben, man müsse sich streng davor hüten, die (aufgrund seiner Publikation gewonnenen) historischen Erkenntnisse an den vielfach verfehlten Entscheidungen einer rein römisch rechtlich denkenden Jurisprudenz scheitern zu lassen.
Es spricht also alles dafür, dass die Tiroler Landesregierung aus verwerflichen politischen Gründen ganz gezielte Desinformation verbreitete.
Dieser Sachverhalt ist keineswegs mit dem Fall vergleichbar, in dem jemand - etwa aus Unkenntnis oder Gleichgültigkeit - einen Fehler eines Bescheides nicht erkennt, der einem um Gesetzmäßigkeit seines Bescheides bemühten Beamten unabsichtlich unterlaufen ist.
Die rechtsgrundlagenlosen Eigentumsfeststellungsbescheide einerseits und die gezielte Desinformation der Betroffenen andererseits bildeten untrennbare Bestandteile einer insgesamt sowohl aus politischer als auch aus rechtsstaatlicher Sicht höchst verwerflichen Vorgangsweise der Tiroler Landesregierung. Diese beiden - sich gegenseitig ergänzenden - Aktivitäten der Tiroler Landesregierung dürfen daher nicht isoliert betrachtet werden, weil die gezielte Desinformation die gezielte Schädigung der Allgemeinheit durch die gesetzwidrigen Eigentumsfeststellungsbescheide erst möglich machte.
Warum sollte ein derartiger Sachverhalt keinen Wiedereinsetzungsgrund bilden?
Das Institut der Rechtskraft soll Fehler sanieren, die trotz Bemühen um gesetzmäßige Entscheidungen unvermeidlich sind und nicht skrupellosen Gesetzesbrechern den Erfolg ihrer verwerflichen Bemühungen sichern.
Wenn das AVG eine strafbare Handlung als Grund für eine amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens anerkennt, warum sollte eine solche nicht auch einen Wiedereinsetzungsgrund bilden können?
Jedenfalls schränken weder das AVG noch die ZPO die Gründe für eine Wiedereinsetzung so ein, dass darunter nicht auch innere Tatsachen verstanden werden könnten.
Maßgeblich für die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag sollte daher nur sein, ob der Verfassungsgerichtshof glaubt, dass die damaligen Gemeindevertreter wirklich durch die Desinformation und den dadurch verursachten Irrtum davon abgehalten wurden, sich mit Rechtsmitteln zu wehren.
Aber warum sonst sollten fast alle Vertreter der Tiroler Gemeinden untätig zugesehen haben, wie die Tiroler Landesregierung den von ihnen vertretenden Gemeinden das Gemeindegut nimmt? Nimmt denn der Verfassungsgerichtshof an, die Gemeindevertreter hätten sich alle am geschehenen Unrecht beteiligen und die von ihnen zu vertretenden Gemeinden schädigen wollen?
Es mag wohl sein, dass beim einen oder anderen Gemeindevertreter auch dieses Motiv eine Rolle gespielt haben mag, aber doch nicht bei allen.
Es muss doch angenommen werden, dass der Großteil der Gemeindevertreter wirklich meinte, die Landesregierung berichtige mit den in Rede stehenden Bescheiden nur einen Irrtum, der den Grundbuchsführern unterlaufen sei. Warum sonst sollten sie sich nicht gegen die Bescheide gewehrt haben.
Bei der Entscheidung über die noch offenen Wiedereinsetzungsanträge sollte auch bedacht werden, dass nicht nur rechtlich ungebildete Bürgermeister dieser gezielten Desinformation zum Opfer gefallen sind, sondern auch hochkarätige Juristen. So erklärte zum Beispiel Hofrat Dr. H A, Agrarjurist, Landesamtsdirektor und Gemeindeverbandspräsident in einem Interview gegenüber der Tiroler Tageszeitung, er sei selbst - als junger Jurist - einem Rechtsirrtum erlegen. Erst nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes VfSlg 9336/1982 sei ihm die wahre Rechtslage klar geworden. Wenn aber selbst ausgebildete Juristen auf die gezielte Desinformation der Landesregierung hereingefallen sind, kann man dann einem Bürgermeister oder einem Gemeindevertreter einen Vorwurf machen, dass ihm dasselbe passierte?
Wenn man aber davon ausgeht, dass ein Gemeindevertreter die Fehlerhaftigkeit der im Regulierungsverfahren getroffenen Eigentumsfeststellung deshalb nicht erkannt hat, weil er Opfer einer gezielten Desinformation geworden ist, wann hätte sich dann dieser Sachverhalt geändert? Doch nicht schon dann, wenn der betreffende Gemeindevertreter von der Eigentumsfeststellung erfahren hat, die er ja aufgrund der von der Agrarbehörde verbreiteten Desinformation für richtig halten musste. Dieser Wiedereinsetzungsgrund wäre doch wohl frühestens dann weggefallen, wenn ein Gemeindeorgan erfahren hat, dass die seinerzeitigen Bescheide falsch waren. Nun mag man vielleicht meinen, dieser Zeitpunkt sei vielleicht 1982 gekommen, als der Verfassungsgerichtshof in VfSlg 9336 die wahre Rechtslage darlegte. Aber damals ist es der Tiroler Landesregierung sogar gelungen, den Landtag in Irrtum zu führen und zwar wiederum mit einer gezielten Desinformation und zwar auch die SPÖ, die durch diese unrechtmäßige Eigentumsverschiebung politisch geschädigt werden sollte. Kann man daher den Gemeindevertretern einen Vorwurf daraus machen, dass sie damals die wahre Rechtslage nicht erkannt haben? Wohl kaum. Dann ist aber das Hindernis im Sinne der Wiedereinsetzungsvorschriften durch die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes VfSlg 9336/1982 noch nicht weggefallen.
Allenfalls wird man sagen können, die Gemeindevertreter müssten ab der Medienberichterstattung über die von der Gemeinde Neustift angestrengten Verfahren im Laufe des Jahres 2005 erkannt haben, dass die seinerzeitigen Eigentumsfeststellungsbescheide fehlerhaft waren. Aber muss eine Gemeinde wirklich binnen 14 Tagen nach einem Bericht in der Zeitung oder im Fernsehen bereits einen Wiedereinsetzungsantrag machen. Sie muss ja mit dem Wiedereinsetzungsantrag die versäumten Rechtsmittel nachholen. Zu diesem Zweck muss erst einmal der Akt eingesehen und studiert werden etc.
Weiters ist zu bedenken, dass die Tiroler Landesregierung die Gemeinden ja heute noch über die Erfolgsaussichten allfälliger Rechtsmittel ganz bewusst falsch informiert. So behaupten jetzt Landesrätin Dr. H und Landesrat gegenüber der Tiroler Tageszeitung, der Verfassungsgerichtshof hätte mit seinem Erkenntnis vom 04.03.2006, B334/05-5, entschieden, das Eigentum am Gemeindegut der Tiroler Gemeinden stehe den Agrargemeinschaften zu, obwohl der Verfassungsgerichtshof zu dieser Frage bisher nur mit dem Erkenntnis VfSlg 9336/1982 Stellung genommen hat und zwar gegenteilig. Welchen Sinn sollte eine solche unrichtige Wiedergabe des zitierten Erkenntnisses vom 04.03.2006 haben, wenn nicht den, bei den Vertretern der Gemeinden falsche Vorstellungen über die Aussichten allfälliger rechtlicher Schritte zu erzeugen.
Es ist einzuräumen, dass all diese Argumente auf die bloße Bestellung eines Gemeindevertreters schlecht zu passen scheinen, weil die oben erwähnte Desinformation durch den damaligen Leiter der Agrarbehörde I. Instanz HR Dr. A M ja vor allem das Eigentum am Gemeindegut betroffen hat.
Allerdings war die Bestellung eines (durchwegs rechtlich nicht gebildeten und meist den Absichten der Behörden wohlgesonnenen) Gemeindevertreters oft ein ganz wesentlicher Beitrag, der die nachfolgende gesetzlose Enteignung der Gemeinden oft erst möglich gemacht haben dürfte.
Welche rechtlichen Wirkungen die Bestellung eines Gemeindevertreters im Sinne des §110 Abs1 litf) FLG 1952 hatte, dürfte den Bürgermeistern keineswegs so klar gewesen sein, wie dies der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 04.03.2006, B334/05-5, angenommen hat. Der Umfang der Vertretungsmacht des aufsichtsbehördlich bestellten Gemeindevertreters ergibt sich aus dem letzten Satz des §110 Abs6 FLG 1952 welcher lautet: 'Dieser Vertreter ist auch befugt, Übereinkommen und Vergleiche, an welchen diese Körperschaften teilzunehmen haben, in deren Namen rechtsgültig abzuschließen.' Da diese Bestimmung die Vertretungsmacht nicht vom Vorliegen der sonst in der Gemeindeordnung vorgesehenen Organbeschlüsse abhängig machte, dürften die Gemeinden wohl auch aus jenen Vertretungshandlungen verpflichtet worden sein, die der aufsichtsbehördlich bestellte Gemeindevertreter ohne Deckung durch einen Organbeschluss vorgenommen hat. Möglicherweise war auch die für den gewillkürten Vertreter geltende Bestimmung des §110 Abs5 hinsichtlich des Umfanges der Vertretungsmacht zumindest sinngemäß auf den Gemeindevertreter anzuwenden. Wenn ja, wäre dieser auch bevollmächtigt gewesen, 'Rechte unentgeltlich aufzugeben'. Dazu kommt schließlich, dass die Bestimmung des §110 Abs1 FLG 1952 von der Rechtssprechung so verstanden wurde, dass nur die in dieser Bestimmung genannten Personen berechtigt waren, die Ge-meinde zu vertreten (vgl. das beiliegende Erkenntnis des Tiroler Landesagrarsenates vom 16.9.1964 LAS-103/3). Es scheint daher, dass sich möglicherweise sogar der Verfassungsgerichtshof anlässlich seiner zu B334/05-5 am 04.03.2006 getroffenen Entscheidung über die vollständigen Folgen einer aufsichtsbehördlichen Bestellung eines Gemeindevertreters im Sinne des §110 FLG 1952 nicht im Klaren gewesen sein könnte, nämlich
* dass durch eine aufsichtsbehördliche
Vertreterbestellung der sonst nach der Gemeindeordnung zuständige - demokratisch gewählte - Bürgermeister in den das Gemeindegut betreffenden Angelegenheiten das Recht zur Vertretung der Gemeinde verlor,
* dass der obrigkeitlich bestellte Gemeindevertreter
(anders als etwa der Bürgermeister) nicht an Beschlüsse des Gemeinderates gebunden war, ja die von ihm vertretene Gemeinde sogar ohne oder gegen einen Beschluss des Gemeinderates rechtswirksam verpflichten konnte und
* dass der bestellte Gemeindevertreter womöglich sogar
bevollmächtigt war, Rechte der Gemeinde unentgeltlich aufzugeben.
Es zeigt sich also, dass schon die bloße Bestellung eines Gemeindevertreters gemäß §110 FLG 1952 das Gemeindegut praktisch vollständig der Disposition der demokratisch gewählten Gemeindeorgane entzog und somit eine ähnliche Wirkung entfaltete, wie die spätere gesetzlose Enteignung. Es wird daher der Sache nicht gerecht, die Bestellung des Gemeindevertreters völlig isoliert von der späteren gesetzlosen Enteignung zu betrachten."
II. Der Wiedereinsetzungsantrag ist verspätet.
Im Zeitpunkt seiner Bestellung zum Gemeindevertreter im Regulierungsverfahren war A Z Bürgermeister der Gemeinde Mieders. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die verantwortlichen Organe der Gemeinde zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen konnten, welche Folgen das Regulierungsverfahren haben würde, musste ihnen mit Erlassung des Regulierungsplanes vom 9. Jänner 1963 klar sein, dass die Eigentumslage geändert werden sollte. Spätestens mit der Übertragung des bücherlichen Eigentums von der Gemeinde auf die Agrargemeinschaft mussten sie erkennen, dass das Regulierungsverfahren zur überschießenden Rechtsfolge einer Eigentumsübertragung geführt hatte. Sie hätten die Möglichkeit des Ergreifens von Rechtsmitteln - in Verbindung mit einem Wiedereinsetzungsantrag und gegen die Vertreterbestellung - überlegen müssen und mangels Rechtskenntnis einen Fachmann zuziehen können. Dass eine rechtsunkundige Partei den Fehler der Behörde nicht erkennt und die Möglichkeit, ein Rechtsmittel zu ergreifen, falsch einschätzt, rechtfertigt auch dann keine Wiedereinsetzung, wenn zu diesem Zeitpunkt eine irrige Rechtsansicht verbreitet war oder wurde. Die These, die Gemeinde sei gleichsam nur Treuhänderin einer Realgemeinde und ihr bisheriges bücherliches Eigentum nuda proprietas gewesen, hätte nämlich ungeachtet ihrer Verbreitung in Zweifel gezogen werden können (und wäre nach den eigenen Ausführungen der antragstellenden Gemeinde von beigezogenen Fach-leuten auch unschwer als zumindest zweifelhaft erkannt worden). Über die Möglichkeit, Rechtsbehelfe zu ergreifen, war die Gemeinde nicht in Irrtum geführt worden.
Im Übrigen hat der Verfassungsgerichtshof schon im genannten Beschluss vom 4. März 2006 die Bestellung des Gemeindevertreters nicht etwa "isoliert von der späteren Enteignung" betrachtet. Als den Zeitpunkt, zu dem das behauptete Hindernis weggefallen ist, das der Erhebung einer Verfassungsgerichtshofbeschwerde allenfalls im Wege stand, hat er vielmehr unter den gegebenen besonderen Verhältnissen - wie im vorliegenden Fall - ohnehin den Zeitpunkt der Kenntnis der eingetretenen Folgen angesehen.
Wiedereinsetzungsantrag und Beschwerde sind daher als verspätet zurückzuweisen.
Dies kann in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden (§33 zweiter Satz VfGG und §19 Abs3 Z2 litb VfGG).
Schlagworte
VfGH / Wiedereinsetzung, FlurverfassungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2006:B619.2005Dokumentnummer
JFT_09939392_05B00619_00