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L6 Land- und ForstwirtschaftNorm
B-VG Art144 Abs1 / AnlaßfallBeachte
Anlaßfall zu VfSlg. 9336/1982Leitsatz
Tir. Flurverfassungslandesgesetz 1978; Verletzung des Eigentumsrechtes in denkunmöglicher Anwendung des §32 Abs2 lita und im Anlaßfall nach Aufhebung des §33 Abs2 litc als gleichheitswidrigSpruch
Der Bescheid wird aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der VfGH verweist zunächst darauf, daß er das dieser Beschwerdesache zugrundeliegende Verwaltungsgeschehen bereits in seinem das Gesetzesprüfungsverfahren G83, 84/81 abschließenden Erk. vom 1. März 1982 wie folgt dargestellt hat:
"Mit Bescheid vom 6. Feber 1967 stellte das Amt der Tir. Landesregierung als Agrarbehörde L Instanz fest, daß das im Eigentum der Stadtgemeinde Innsbruck (als Rechtsnachfolgerin der Gemeinde Arzl) stehende Gebiet des sogenannten 'Arzler Eggenwaldes', Grundparzellen 2096/1 (richtig: 2069/1) und 2097/1, EZ 192 II KG Arzl, als Gemeindegut ein agrargemeinschaftliches Grundstück iS des §36 Abs2 litd des TFlVG 1952 darstelle. Die Begründung dieses Bescheides geht davon aus, daß 80 Parteien, die Nutzungsrechte am Arzler Eggenwald behaupten, die Einleitung eines Regulierungsverfahrens beantragt haben. Bei der Instruierungsverhandlung sei zutage getreten, daß Eigentümer von Arzler Stammsitzliegenschaften im Eggenwald seit eh und je Nutzungsrechte ausübten; früher unverteilter Gemeindewald sei in einen nutzungsgeteilten Wald überführt worden. Jeder Stammsitzliegenschaft seien grundsätzlich zwei Waldteile mit dem ausschließlichen Holz- und Streubezug zugewiesen; die Weide sei gemeinsam von allen Viehhaltern mit dem gesamten Viehstand der Stammsitzliegenschaften ausgeübt worden. Nach §36 Abs2 litd TFlVG 1952 sei das einer gemeinschaftlichen Benutzung nach den Bestimmungen der Gemeindeordnung unterliegende Gemeindegut agrargemeinschaftlicher Grund; die Qualifikation des Eggenwaldes als Gemeindegut sei vom Gemeindevertreter anerkannt worden.
Gegen diesen Bescheid erhoben Nutzungsberechtigte und die Stadtgemeinde Innsbruck Berufungen, über die - nachdem in früheren Rechtsgängen gefällte Entscheidungen des Landesagrarsenates beim Amt der Tir. Landesregierung und des Obersten Agrarsenates aufgehoben worden waren - der Landesagrarsenat mit Bescheid vom 16. Dezember 1976 entschied. Er gab der Berufung der Nutzungsberechtigten Folge und sprach aus, daß der Arzler Eggenwald ein agrargemeinschaftliches Grundstück iS des §32 Abs2 lita TFlVG 1969 darstelle, wies die Berufung der Stadtgemeinde Innsbruck ab und traf anläßlich deren Rechtsmittels dieselbe Feststellung. Der Landesagrarsenat hob in der Begründung seines Bescheides hervor, daß die - folgendermaßen umschriebenen - Tatbestandsmerkmale des §32 Abs2 lita TFlVG 1969 vorlägen: '1. Die Grundstücke müssen früher einer gemeinschaftlichen Benutzung unterlegen sein, 2. sie müssen heute infolge physischer Teilung in Einzelbesitz übergegangen sein, 3. die Teilung darf in den öffentlichen Büchern noch nicht durchgeführt worden sein, und 4. es darf noch keine Ersitzung vollendet worden sein.' Im Eggenwald sei bis zum Jahre 1880 die Holz- und Streunutzung (nach ideellen Anteilen) gemeinschaftlich erfolgt; daß die Viehweide auch heute noch gemeinschaftlich ausgeübt werde, stehe der Anwendung des §32 Abs2 lita nicht entgegen, weil es sich hiebei um eine Nebennutzung handle. Hinsichtlich der physischen Teilung und des Überganges in Einzelbesitz sei festzuhalten, daß der Eggenwald in den Jahren 1880 bis 1883 für die Holz- und Streunutzungen in Nutzungsflächen (Teilflächen) aufgeteilt worden sei. Diese Teilflächen seien vermessen und vermarkt und den einzelnen Stammsitzliegenschaften zur Deckung ihres Haus- und Gutsbedarfs im Wege der ausschließlichen Holz- und Streunutzung zugeteilt worden; sie stünden seitdem im Einzelbesitz der jeweiligen Eigentümer dieser Stammsitzliegenschaften. Die seinerzeitige Teilung sei in den öffentlichen Büchern nicht durchgeführt worden.
Die Stadtgemeinde Innsbruck erhob auch gegen diesen Bescheid Berufung, welche der Oberste Agrarsenat mit Bescheid vom 5. Juli 1978 abwies. Er pflichtete dem Berufungsvorbringen bloß insoweit bei, als die Gemeinde Arzl bereits seit dem Jahre 1496 Eigentümerin des Eggenwaldes und damit Eigentümerin der zu diesem Wald gehörenden heutigen Grundparzellen 2069/1 und 2097/1 sei. Im übrigen folgte der Oberste Agrarsenat jedoch mit einer bestimmte Einzelheiten sowie den geschichtlichen Hintergrund umfassender darstellenden Begründung dem Standpunkt des Landesagrarsenates. Aus dieser Begründung ist hervorzuheben, daß die Grundstücke nach Ansicht des Obersten Agrarsenates vor der in der Natur erfolgten Teilung und in der Zeit vor dem Inkrafttreten der neuen Gemeindeverfassung einer gemeinschaftlichen Benutzung durch Gemeindemitglieder kraft deren mit einem Besitz verbundenen Mitgliedschaft unterlegen seien; diese Grundstücke seien somit im Zeitpunkt der Teilung ein Gemeindegut iS des §63 der Tir. Gemeindeordnung 1866 gewesen. Was die physische Teilung der Grundstücke anlange, bestehe auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens kein Zweifel daran, daß die Grundstücke in den Jahren 1880 bis 1882 unter die einzelnen nutzungsberechtigten Gemeindeangehörigen zur Deckung des Haus- und Gutsbedarfs der Stammsitzliegenschaften im Wege der Bildung von vermessenen und vermarkten Nutzungsflächen mit ausschließlicher Holz- und Streunutzung verteilt worden seien. Für die Beurteilung von Grundstücken als agrargemeinschaftliche Grundstücke iS des §32 Abs2 lita TFlVG 1969 sei es nicht erforderlich, daß für die in der Natur durchgeführte Teilung eine forstbehördliche Bewilligung vorliege. Der Übergang der vermessenen und vermarkten Nutzungsflächen in Einzelbesitz sei nicht von einer forstbehördlichen Bewilligung abhängig. Das weitere Tatbestandserfordernis, daß die Teilung in den öffentlichen Büchern nicht durchgeführt wurde, sei gleichfalls gegeben. Auch eine vollendete Ersitzung des Eigentumsrechtes an den Grundstücken oder Teilflächen derselben durch die Nutzungsberechtigten liege nicht vor, zumal diese die von ihnen genutzten Flächen unbestritten stets als Eigentum der Gemeinde betrachtet und behandelt hätten."
2. Der Bescheid des Obersten Agrarsenates vom 5. Juli 1978 ist Gegenstand der vorliegenden Verfassungsgerichtshofbeschwerde der Stadtgemeinde Innsbruck, in der sie insbesondere eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrthit des Eigentums geltend macht und die Bescheidaufhebung begehrt.
3. Aus Anlaß dieser Beschwerdesache leitete der VfGH gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen das schon erwähnte Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §15 Abs2 litd des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes 1951, BGBl. 103, und des §33 Abs2 litc des Tir. Flurverfassungslandesgesetzes 1978, LGBl. 54, ein und hob diese Bestimmungen mit dem Erk. G35, 36, 83, 84/81 vom 1. März 1982 als verfassungswidrig auf.
II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:
1. §32 TFlVG 1969 (nunmehr: §33 des Tir. Flurverfassungslandesgesetzes 1978, LGBl. 54 - TFlVG 1978) umschreibt im Abs2 lita die in Betracht zu ziehenden agrargemeinschaftlichen Grundstücke als "Grundstücke, die einer gemeinschaftlichen Benutzung (Abs1) früher unterlagen, inzwischen aber infolge physischer Teilung in Einzelbesitz übergegangen sind, wenn die Teilung in den öffentlichen Büchern noch nicht durchgeführt worden ist".
Der eben wiedergegebene Wortlaut dieser Bestimmung zeigt deutlich, daß die Ausdrücke "physische Teilung" und "Einzelbesitz" begrifflich aufeinander angelegt sind; die physische, dh. in der Natur vorgenommene Teilung erfolgt, um Einzelbesitz, mit einem anderen Wort: Alleinbesitz, herbeizuführen und es setzt dieser die Teilung notwendig voraus. Es fehlt nun einerseits jeder Anhaltspunkt dafür, daß unter der physischen Teilung von Grundstücken auch eine solche zu verstehen wäre, die bloß wegen bestimmter Nutzungen vorgenommen wird; insbesondere ist dem Gesetzeswortlaut keine in diese Richtung weisende Einschränkung zu entnehmen. Andererseits bietet das Gesetz auch keine Handhabe für die Annahme, daß unter dem Alleinbesitz an einem durch Teilung geschaffenen Grundstück (auch) bloß der Rechtsbesitz hinsichtlich bestimmter Nutzungsrechte im Gegensatz zum (umfassenden) Sachbesitz am Grundstück gemeint sein könnte. Zusammengefaßt führen diese Erwägungen zwingend zum Ergebnis, daß unter dem Einzelbesitz an dem durch Teilung geschaffenen Grundstück nur die durch eine nicht eingeschränkte Nutzungsbefugnis charakterisierte Lage verstanden werden kann. Dieses Ergebnis wird noch dadurch unterstrichen, daß die in Erörterung stehende Gesetzesstelle auf die (nicht stattgehabte) bücherliche Durchführung der "Teilung" abstellt, also unzweifelhaft auf den Eigentumserwerb an dem durch Teilung geschaffenen Grundstück und nicht etwa auf den Erwerb bloßer Nutzungsrechte daran.
Im Hinblick auf diese Gesetzeslage erweist sich die von der belangten Behörde vorgenommene Unterstellung des festgestellten Sachverhaltes, nämlich die "Teilung" des Grundkomplexes bloß zur ausschließlichen Holz- und Streunutzung bei Aufrechterhaltung der gemeinsamen Weidenutzung, unter den Tatbestand des §32 Abs2 lita TFlVG 1969 als schlechthin ausgeschlossen, maW als eine denkunmögliche Gesetzesanwendung. Da ferner aus Art140 Abs7 zweiter Satz B-VG die Unanwendbarkeit des im Gesetzesprüfungsverfahren als verfassungswidrig aufgehobenen §33 Abs2 litc TFlVG 1978 (§32 Abs2 litd TFlVG 1969) in diesem Anlaßbeschwerdefall folgt, ist zusammenfassend festzuhalten, daß keine gesetzliche Grundlage für die Feststellung besteht, der sogenannte Arzler Eggenwald sei agrargemeinschaftliches Grundstück.
2. Der angefochtene Bescheid verletzt die Beschwerdeführerin iS der ständigen Rechtsprechung des VfGH im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums (s. zB VfSlg. 8993/1980) und war daher aufzuheben.
Bei diesem Ergebnis war es entbehrlich, auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen.
Schlagworte
Bodenreform, Flurverfassung, VfGH / AnlaßfallEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1982:B591.1978Dokumentnummer
JFT_10178993_78B00591_00