Index
10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art15 Abs1Beachte
vgl. Kundmachung BGBl. 29/1983 am 21. Jänner 1983Leitsatz
Art138 Abs2 B-VG; Entwurf eines Gesetzes über die Briefwahl bei Landtagswahlen; keine Befugnis des VfGH nach Art138 Abs2 B-VG zu einer Prüfung der inhaltlichen VerfassungskonformitätSpruch
I. Die Erlassung des von der Sbg. Landesregierung im Entwurf vorgelegten Gesetzes, mit dem das Landes-Verfassungsgesetz und die Landtags-Wahlordnung geändert werden, fällt in die Zuständigkeit der Länder.
II. Rechtssatz:
Regelungen über die Art der Stimmabgabe bei Wahlen zu den Landtagen fallen in die Zuständigkeit der Länder.
III. Der Bundeskanzler ist verpflichtet, diesen Rechtssatz unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Sbg. Landesregierung stellt auf Grund ihres Beschlusses vom 20. Oktober 1980 den Antrag, der VfGH wolle gemäß Art138 Abs2 B-VG feststellen, ob die Erlassung eines Gesetzes, das dem beiliegenden Entwurf entspricht, in die Zuständigkeit des Bundes oder der Länder fällt.
Der Entwurf hat folgenden Wortlaut:
"Gesetz
vom ..., mit dem das Landes-Verfassungsgesetz 1945 und die Sbg. Landtagswahlordnung 1978 geändert werden
Der Sbg. Landtag hat beschlossen:
Artikel I
(Verfassungsbestimmung)
Das Sbg. Landes-Verfassungsgesetz 1945, LGBl. Nr. 1/1947, zuletzt geändert durch das Landesverfassungsgesetz LGBl. Nr. 26/1980, wird dahin gehend geändert, daß im Art8 Abs1 angefügt wird: "Es kann vor der Wahlbehörde oder brieflich ausgeübt werden."
Artikel II
Die Sbg. Landtagswahlordnung 1978, LGBl. Nr. 82, wird geändert wie folgt:
1. In der Überschrift vor §35 wird das Wort "Wahlkarten" durch das Wort "Briefwahlunterlagen" ersetzt.
2. Im §35 hat Abs2 zu lauten:
"(2) Wahlberechtigte, die im Besitz von Briefwahlunterlagen sind, können ihr Wahlrecht durch Übersendung des Wahlbriefes (§66 Abs2) an die zuständige Bezirkswahlbehörde ausüben."
3. Im §35 Abs3 wird das Wort "Wahlkartenwähler" durch das Wort "Briefwähler" ersetzt.
4. Die §§36 bis 38 werden durch folgende Bestimmungen ersetzt:
"5. Abschnitt
Briefwahlunterlagen
Anspruch auf Ausstellung der Briefwahlunterlagen
§36
(1) Wähler, die sich voraussichtlich am Wahltag an einem anderen Orte als dem ihrer Eintragung in das Wählerverzeichnis aufhalten werden und deshalb ihr Wahlrecht nicht ausüben könnten, haben Anspruch auf Ausstellung von Briefwahlunterlagen.
(2) Anspruch auf Ausstellung von Briefwahlunterlagen haben ferner Wähler, die voraussichtlich am Wahltage infolge Krankheit, hohen Alters oder eines körperlichen Gebrechens das Wahllokal nicht oder nur unter nicht zumutbaren Schwierigkeiten aufsuchen könnten.
Anmeldung des Anspruches
§37
(1) Die Ausstellung der Briefwahlunterlagen ist bei der Gemeinde, in dem Wählerverzeichnis der Wahlberechtigte eingetragen ist, spätestens am zwölften Tag vor dem Wahltage mündlich oder schriftlich zu beantragen. Beim mündlichen Antrag ist ein Identitätsdokument vorzulegen, beim schriftlichen Antrag kann die Identität auch auf andere Weise glaubhaft gemacht werden.
(2) Der Antragsteller hat glaubhaft zu machen, daß er sich voraussichtlich am Wahltag an einem anderen Orte als dem seiner Eintragung in das Wählerverzeichnis aufhalten wird oder aus einem der in §36 Abs2 angeführten Gründe das Wahllokal nicht oder nur unter nicht zumutbaren Schwierigkeiten wird aufsuchen können.
Ausstellung der Briefwahlunterlagen
§38
(1) Die Gemeinde hat die Anträge auf Ausstellung von Briefwahlunterlagen nach Abschluß des Wählerverzeichnisses (§34) unverzüglich zu erledigen und bei Vorliegen der Voraussetzungen gemäß den §§36 und 37 die Briefwahlunterlagen auszustellen. Erfüllt ein Antragsteller die Voraussetzungen für die Ausstellung von Briefwahlunterlagen nicht, so ist ihm dies von der Gemeinde unter Angabe des Grundes sogleich mitzuteilen.
(2) Die Briefwahlunterlagen bestehen aus:
a) dem amtlichen Stimmzettel;
b) dem Wahlkuvert;
c) der Briefwahlkarte;
d) dem amtlichen Postkuvert mit der aufgedruckten Anschrift der zuständigen Bezirkswahlbehörde sowie
e) der Siegelmarke zum Verschließen des Postkuverts.
(3) Die Ausstellung der Briefwahlunterlagen ist im Wählerverzeichnis in der Rubrik 'Anmerkung' bei dem betreffenden Wähler mit dem Worte 'Briefwahl' in auffälliger Weise (zB mittels Buntstift) zu vermerken.
(4) Duplikate für abhanden gekommene oder unbrauchbar gewordene amtliche Stimmzettel, Kuverts oder Briefwahlkarten dürfen von der Gemeinde nicht ausgefolgt werden."
5. Im §48 Abs1 wird angefügt: "Wahlbriefe gelten als in jenem Sprengel aufgegeben, in dem der Wahlberechtigte in das Wählerverzeichnis eingetragen ist."
6. Im §48 entfällt Abs4.
7. §52 entfällt.
8. Im §56 entfallen die beiden letzten Sätze und wird angefügt: "Bei der brieflichen Stimmabgabe gelten die rechtzeitig (§84a Abs2) bei der Bezirkswahlbehörde eingelangten Wahlbriefe als am Wahltag innerhalb der Wahlzeit abgegebenen Stimmen."
9. Im §57 entfällt Abs2.
10. Im §58 Abs1 entfällt der Nebensatz "im Fall des §69 den besonderen Wahlbehörden".
11. Im §59 Abs3 entfallen der zweite und dritte Satz und werden im ersten Satz vor den Worten "ihre Stimme abgeben" die Worte "sofern sie im Wählerverzeichnis eingetragen sind" eingefügt.
12. Im §60 Abs1 entfällt der zweite Satz.
13. Im §62 Abs1 werden vor den Worten "grundsätzlich persönlich" die Worte "vor der Wahlbehörde" eingefügt.
14. Im §62 Abs5 entfällt der zweite Satz.
15. Im §64 Abs1 entfällt der nach dem zweiten Satz folgende Wortlaut.
16. Im §64 Abs2 entfällt der nach dem dritten Satz folgende Wortlaut.
17. §66 hat zu lauten:
"Wahlvorgang bei Briefwählern:
§66
(1) Wähler, denen Briefwahlunterlagen ausgestellt wurden, üben das Wahlrecht persönlich durch Übersendung des mit der Siegelmarke verschlossenen Wahlbriefes an die zuständige Gemeindewahlbehörde aus. Der Wahlbrief besteht aus dem amtlichen Postkuvert mit den im Abs2 angeführten Briefwahlunterlagen.
(2) Der Briefwähler hat den von ihm ausgefüllten amtlichen Stimmzettel im Wahlkuvert zu verschließen. Auf der Briefwahlkarte hat er eidesstattlich zu erklären, daß er den Stimmzettel persönlich und unbeobachtet ausgefüllt, ins Wahlkuvert gegeben und dieses verschlossen hat. Das Wahlkuvert und die Briefwahlkarte sind sodann in das Postkuvert einzulegen. Das Postkuvert ist wie üblich sowie mit der Siegelmarke zu verschließen. Der Wahlbrief ist im Postwege tunlichst eingeschrieben an die Bezirkswahlbehörde zu übersenden.
(3) Die Aufgabe des Wahlbriefes hat so rechtzeitig zu erfolgen, daß der Wahlbrief spätestens zu dem im §84a Abs2 genannten Zeitpunkt bei der Bezirkswahlbehörde vorliegt.
(4) Der Briefwähler sowie jede sonstige Person haben dafür Sorge zu tragen, daß bei Ausübung des Wahlrechtes mittels Wahlbriefes das Wahlgeheimnis gewahrt ist. Verstöße hiegegen sind nach §269 StGB zu ahnden.
(5) Erscheint ein Briefwähler vor der nach seiner Eintragung im Wählerverzeichnis zuständigen Wahlbehörde, so kann er auch hier unter Beobachtung der übrigen Bestimmungen dieses Gesetzes seine Stimme abgeben, nachdem er seine Briefwahlunterlagen der Wahlbehörde vollständig übergeben hat."
18. Die §§68 und 69 einschließlich der Abschnittsüberschrift entfallen.
19. Im §79 entfallen die Abs2 und 5.
20. Im §79 Abs4 entfallen der erste bis dritte Satz.
21. Im §81 Abs2 entfallen litf und j, Abs3 litc und h sowie Abs7.
22. Im §82 Abs3 entfällt der dritte Satz.
23. §83 Abs2 hat zu lauten:
"(2) Die Gemeindewahlbehörden, die ihre Wahlakten nicht mehr am Wahltag der Bezirkswahlbehörde übermitteln können, haben den Wahlakt bis zur Weitergabe unter Verschluß zu legen und sicher zu verwahren."
24. Nach §84 wird eingefügt:
"Aufbewahrung der Wahlbriefe
§84a
(1) Die Wahlbriefe sind durch die Bezirkswahlbehörde bis zum Ende der Wahlzeit amtlich unter Verschluß zu verwahren.
(2) Wahlbriefe, die am Wahltage spätestens bis 13 Uhr einlangen, hat die Bezirkswahlbehörde in das Ermittlungsverfahren einzubeziehen. Die Bezirkswahlbehörde hat dafür Sorge zu tragen, daß die beim zuständigen Postamt eingelangten Wahlbriefe am Wahltag rechtzeitig zugestellt oder von ihr abgeholt werden können. Verspätet eingelangte Wahlbriefe sind ungeöffnet dem Wahlakt der Bezirkswahlbehörde anzuschließen."
25. §85 hat zu lauten:
"Feststellung der Zahl der Wahlbriefe und des Wahlbriefergebnisses
§85
(1) Jede Bezirkswahlbehörde hat zunächst die rechtzeitig eingelangten Wahlbriefe auf ihre Unversehrtheit zu prüfen. Wahlbriefe, bei denen das Postkuvert unverschlossen ist oder die Siegelmarke eine Beschädigung aufweist, die auf eine Verfälschung des Wählerwillens schließen läßt, sind nicht in das weitere Ermittlungsverfahren einzubeziehen und gelten als nicht eingebracht. Die übrigen Wahlbriefe sind zu öffnen (Postkuvert) und die Stimmkarten sowie die Wahlkuverts zu entnehmen. Wahlbriefe, in denen sich keine Briefwahlkarte befindet oder eine Briefwahlkarte, auf der die eidesstattliche Erklärung nicht ordnungsgemäß abgegeben ist sowie Wahlbriefe, in denen sich kein Wahlkuvert befindet, sind wie verspätet eingelangte Wahlbriefe zu behandeln. Die Wahlkuverts aus den übrigen Wahlbriefen sind zu zählen und in die Briefwahlkarten der Wahlbriefe gesammelt dem Wahlakt anzuschließen.
(2) Die Bezirkswahlbehörde hat nach der Ermittlung der Gesamtzahl der in das weitere Ermittlungsverfahren einzubeziehenden Wahlkuverts die in der Wahlurne befindlichen Wahlkuverts gründlich zu mischen und die Wahlurnen zu entleeren. Hierauf hat sie in sinngemäßer Anwendung des §79 Abs6 und 7 sowie der §§80 und 81 das Wahlbriefergebnis für den Wahlbezirk festzustellen und niederschriftlich festzuhalten."
26. §86 Abs1 hat zu lauten:
"(1) Die Bezirkswahlbehörde hat hierauf auf Grund des von ihr festgestellten Wahlbriefergebnisses sowie der ihr von den Gemeindewahlbehörden gemäß den §§79 Abs7 und 82 Abs1 erstatteten Bericht das vorläufige Wahlergebnis im gesamten Bezirk zu ermitteln."
27. §87 entfällt.
28. Im §89 Abs1 entfallen im ersten Satz die Worte "und der Wahlkartenwähler in anderen Wahlbezirken" sowie die Worte "und von den anderen Bezirkswahlbehörden gemäß §87 Abs2".
29. §89 Abs2 entfällt.
30. Im §89 Abs3 entfallen im ersten Satz die Worte "einschließlich der in anderen Bezirken für diesen abgegebene Stimmen der Wahlkartenwähler".
31. Im §90 Abs2 werden die Worte "der ihr gemäß §87 Abs3 übermittelten Stimmzettel" durch die Worte "ihrer Feststellung des Wahlbriefergebnisses" ersetzt."
Der Antrag ist folgendermaßen begründet:
"Gesetzgebungszuständigkeit:
Die Sbg. Landesregierung ist der Auffassung, daß sowohl zu ArtI wie auch zu ArtII des Gesetzentwurfes die Zuständigkeit des Landesgesetzgebers gegeben ist. Art10 Abs1 Z1 B-VG begründet die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes in Angelegenheit der Wahlen zum Nationalrat, Art26 Abs1 B-VG bestimmt, daß die näheren Bestimmungen über das Wahlverfahren und über eine (ausnahmsweise auf Grund der ausdrücklichen Aussage in dieser Bundesverfassungsbestimmung durch Landesgesetz festzulegenden) Wahlpflicht durch Bundesgesetz zu treffen sind und die Art26 Abs2 und 95 Abs1 B-VG handeln von diesem Gesetz als von der 'Wahlordnung' bzw. 'Wahlordnung zum Nationalrat'. Was die Wahl der Landtage betrifft, fehlt eine Verfassungsbestimmung, die die Zuständigkeit des Bundes zur Gesetzgebung begründet, im Gegenteil haben nach Art95 Abs1 und 2 'Landtagswahlordnungen' zu bestehen und besagt Art99 Abs1 komplementär zu Art10 Abs1 Z1, der aus der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für die Materie 'Bundesverfassung' insbesondere die Gesetzgebungszuständigkeit für die Wahlen zum Nationalrat herleitet, die Gesetzgebungszuständigkeit des Landesgesetzgebers für die Materie 'Landesverfassung', in der in gleicher Weise die Gesetzgebungszuständigkeit insbesondere zur Erlassung von 'Landtagswahlordnungen' erfaßt und ausgesagt ist.
Somit erscheint zum gegenständlichen Gesetzesvorhaben die Gesetzgebungszuständigkeit des Landes sowohl zur verfassungsgesetzlichen Regelung in ArtI wie auch in deren Ausführung zur landtagswahlrechtlichen einfachgesetzlichen Regelung des ArtII gegeben.
Prüfung der Verfassungsmäßigkeit
Vom VfGH wurde wiederholt ausgesprochen, daß im sich auf die Gesetzgebungskompetenz beziehenden Verfahren nach Art138 Abs2 B-VG ausschließlich zu untersuchen sei, ob ein Akt der Gesetzgebung der Kompetenzverteilung der Bundesverfassung zufolge in die Zuständigkeiten des Bundes oder der Länder fällt und daß in einem solchen Verfahren nicht zu prüfen sei, ob die vorgesehene gesetzliche Regelung ihrem Inhalt nach verfassungsmäßig ist (vgl. VfGHErk. Slg. 8035/1977 (I), 7959/1976 (II) ua.). Fallweise wurde jedoch in Verfahren zur Gesetzgebungskompetenzfeststellung nach Art138 Abs2 B-VG eine inhaltliche Prüfung auf die Verfassungsmäßigkeit der vorgesehenen Regelung hin vorgenommen. So wurde im Verfahren zum VfGHErk. Slg. 7168/1973 geprüft, ob eine im Gesetzentwurf vorgesehene Maßnahme überhaupt vom Gesetzgeber getroffen werden kann. Da dies für die beabsichtigte Regelung auf dem Gebiete der Gerichtorganisation zu verneinen war, weil die Maßnahme im Widerspruch zu §5 Abs2 litd des Übergangsgesetzes vom 1. Oktober 1920 idF des BGBl. Nr. 368 vom Jahre 1925 (ÜG) gestanden hätte, wurde die - ansonsten für alle die Gerichtsverfassung und die Zuständigkeit der Gerichte betreffenden Regelungen festgestellte - Kompetenz des Bundes (Art83 Abs1 B-VG) hiefür verneint.
Die angeführte Bestimmung des ÜG 1920 ist keine Kompetenznorm. Es wurde hier somit eine Prüfung auf die materielle Verfassungsmäßigkeit einer entwurfsgemäßen Gesetzesregelung vorgenommen und war das Ergebnis dieser Beurteilung für das Erk. ausschlaggebend.
Berührung bundesverfassungsrechtlicher Bestimmungen:
Die in ArtI des Gesetzentwurfes vorgesehene landesverfassungsgesetzliche Aussage bezieht sich auf den bundesverfassungsgesetzlich in Art95 Abs1 B-VG für die Landtagswahl vorgesehenen Grundatz des persönlichen Wahlrechtes.
Art99 Abs1 B-VG bestimmt, daß die Landesverfassung durch Landesverfassungsgesetz abgeändert werden kann, 'insoweit dadurch die Bundesverfassung nicht berührt wird'. Diese Bestimmung erscheint als Einschränkung der Befugnis des Landesverfassungsgesetzgebers zur Regelung der Landesverfassung. Für Bestimmungen, durch die die Bundesverfassung berührt wird, fehlt dem Landesverfassungsgesetzgeber die Zuständigkeit. Im VfGHErk. Slg. 2168/1951 wurde zu einer landesverfassungsgesetzlich begründeten Ermächtigung zur Erlassung gesetzesvertretender Verordnungen in diesem Sinn festgestellt, daß solches nicht durch Landesverfassungsgesetz, sondern nur durch Bundesverfassungsgesetz erfolgen könne, und es wird die betreffende landesverfassungsrechtliche Bestimmung als daher auch im Widerspruch zu Kompetenznormen stehend für verfassungswidrig befunden.
Ganz besonders aussagekräftig erscheint hiezu jedoch das Kompetenzfeststellungsergebnis des VfGH Slg. 2674/1954: Im dazu führenden Verfahren hat sich für die Entscheidung des VfGH die Frage gestellt, ob der den Gegenstand des Kompetenzfeststellungsverfahrens bildende Gesetzentwurf dem §8 Abs5 litf ÜG 1920 widerspricht. Diese Verfassungsbestimmung lautet:
'f) Änderungen in den die Rechtsverhältnisse der Ortsgemeinden sowie der allgemeinen und besonderen autonomen Bezirksverwaltungen regelnden Gesetzen können bis zu dem eingangs bezeichneten Zeitpunkt durch die Landesgesetzgebung nur insoweit vorgenommen werden, als hiedurch die in ArtI Abs1, IV, V, VI, XIII, XIV, XVI, XXIII und XXV des Gesetzes vom 5. März 1862, RGBl. Nr. 18, enthaltenen grundsätzlichen Bestimmungen zur Regelung des Gemeindewesens nicht berührt werden. Neueinrichtungen auf dem durch diese Artikel geregelten Gebiete sind nur durch Bundesverfassungsgesetz möglich.'
Da der zweite Satz dieser Bestimmung nur die Bedeutung hat, die Stufe der Bundesgesetzgebung festzulegen, auf der einschlägige Neuregelungen vorgenommen werden können, liegt die Kompetenzaussage dieser Bestimmung ausschließlich im ersten Satz. Hienach dürfen Regelungen des Sachbereiches durch die Landesgesetzgebung nur insoweit getroffen werden, als die durch diese Verfassungsbestimmung abgesicherten grundsätzlichen Bestimmungen zur Regelung des Gemeindewesens nicht berührt werden. In dieser Hinsicht und sogar im Wortlaut stimmt §8 Abs5 litf ÜG mit Art99 Abs1 B-VG überein. Dadurch, daß auch hier durch landesverfassungsrechtliche Vorschriften die Bundesverfassung nicht berührt werden darf, erscheint für die landesverfassungsrechtliche Regelung eine inhaltlich gleich bestimmte Kompetenzgrenze gesetzt. Die Verteilung der vorbehaltenen Gesetzgebung zwischen dem einfachen und dem Bundesverfassungsgesetzgeber, wie sie im letzten Satz der oben zitierten Bestimmung des ÜG 1920 aufscheint, erübrigt sich im Art99 Abs1 B-VG, da hier nur die Abgrenzung zwischen Verfassungsgesetzgebern gezogen wird und die einfache Bundesgesetzgebung daher von vornherein nicht in Betracht kommen kann.
Der Begriff 'Landesverfassung' in Art99 Abs1 B-VG hat materiellrechtlichen Gehalt, wie bereits weiter oben ausgeführt wurde (vgl. R. Walter, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, S. 573 f). Nur für Bestimmungen, die dem materiellen Landesverfassungsrecht zuzurechnen sind, enthält diese Verfassungsbestimmung somit eine Kompetenzaussage. Daß die in ArtI des Gesetzentwurfes vorgesehene Regelung dem materiellen Landesverfassungsrecht zurechenbar ist, kann wohl nicht in Zweifel gezogen werden (vgl. R. Walter, Der Aufbau der Rechtsordnung, S. 30, 36, derselbe, Österreichisches Verfassungsrecht, S. 9 ff, 69, F. Koja, Das Verfassungsrecht der österreichischen Bundesländer, S. 23 f, 32, 132, 180). Somit enthält für diese Regelung Art99 Abs1 B-VG eine Kompetenzgrenze und ist diese nur bei (Bundes-)Verfassungsmäßigkeit des Inhaltes der Regelung der Landesverfassung nicht überschritten.
Verfassungsmäßigkeit des Gesetzentwurfes
Die Verfassungsmäßigkeit der in ArtI des Gesetzentwurfes vorgesehenen und in ArtII ausgeführten Möglichkeit der brieflichen Stimmabgabe bei Landtagswahlen wurde insbesondere in der Tagespolitik wiederholt angezweifelt.
Die Sbg. Landesregierung besteht hiezu keine einhellige Auffassung. Da das Land Sbg. in Vorbereitung der Klärung dieser Verfassungsmäßigkeit ein Rechtsgutachten erstellen ließ, darf zu dieser Frage auf diesen, nämlich auf das als Band 34 der Schriftreihe des Landespressebüros 'Sbg. Dokumentation' veröffentlichte Rechtsgutachten Schäffer, Die Briefwahl, 1979, Bezug genommen werden. Ebenfalls zum Ergebnis der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Briefwahl kommt W. Pesendorfer, Briefwahl und Verfassungsrecht, in Der Staatsbürger (Beilage der Sbg. Nachrichten), Jg. 1978, Folgen 19, 20 und 22.) R. Walter, Österreichisches Verfassungsrecht, S. 237, hält die Briefwahl bei der Wahl des Nationalrates für ausgeschlossen, da der Grundsatz des persönlichen Wahlrechtes bedeute, daß die Abstimmung durch persönliche Anwesenheit und durch persönliche Stimmabgabe des Wahlberechtigten zu geschehen habe. Als Begründung für diese Auffassung wird aber lediglich auf Werner - Klecatsky, Das österreichische Bundesverfassungsrecht, 1961, S. 132, verwiesen, wo zum Wort 'persönlich' in Art26 Abs1 B-VG nur festgestellt ist, daß persönliches Wahlrecht dann vorliege, wenn die Abstimmung 'durch persönliches Erscheinen der Wahlberechtigten selbst zu geschehen hat (Ausschluß der Wahl durch Stellvertreter oder durch briefliche Stimmzetteleinsendung)', ohne daß hiefür eine weitere Begründung gegeben wird. Bemerkenswert ist aber zu dieser Lehrmeinung, daß der letztgenannte Autor in der folgenden Ausgabe des Kommentarwerkes aus dem Jahre 1973, S. 225, von dieser Auffassung abgegangen ist und zur genannten Verfassungsstelle nur mehr ausführt: 'Persönliches Wahlrecht liegt dann vor, wenn die Abstimmung durch persönliches Erscheinen des Wahlberechtigten selbst zu geschehen hat (Ausschluß der Wahl durch Stellvertreter). Pfeifer (JBl. 1970, 456) hält auch die Briefwahl als persönliche Ausübung des Wahlrechtes.'"
2. Der von der antragstellenden Sbg. Landesregierung vorgelegte Gesetzesentwurf beinhaltet eine Nov. zum Sbg.
Landes-Verfassungsgesetz 1945, LGBl. 1/1974 sowie eine Nov. zur Sbg. Landtags-Wahlordnung 1978, LGBl. 82. Der Gesetzesentwurf umfaßt Regelungen, durch welche die Ausübung des Stimmrechts bei Wahlen zum Sbg. Landtag unter bestimmten Voraussetzungen auch brieflich zugelassen wird.
Die Tir., Vbg., Oö., Nö. und die Stmk. Landesregierung haben Äußerungen erstattet, in welchen sie insgesamt die Rechtsauffassung der antragstellenden Sbg. Landesregierung teilen.
Die Bundesregierung, die Ktn. und die Wr. Landesregierung äußern Bedenken in der Richtung, daß im Rahmen eines Kompetenzfeststellungsverfahrens nach Art138 Abs2 B-VG die inhaltliche Verfassungsmäßigkeit des vorgelegten Gesetzesentwurfes nicht zu prüfen sei und daß im übrigen die Einführung der Briefwahl dem Art95 Abs1 B-VG widersprechen würde.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Der Antrag enthält einen - dem §54 VerfGG entsprechenden - Gesetzesentwurf, der geeignet ist, den Gegenstand der Beschlußfassung durch den Sbg. Landtag zu bilden. Die Absicht der antragstellenden Landesregierung, den VfGH zu einer Aussage über die inhaltliche Verfassungskonformität des Gesetzesentwurfes zu veranlassen (wozu der VfGH in einem Kompetenzfeststellungsverfahren nicht berufen ist, s. unten unter Pkt. 3.), würde die Stellung eines Antrages gemäß Art138 Abs2 B-VG nicht unzulässig machen (s. VfSlg. 7959/1976, S 475).
Der Antrag ist somit zulässig.
2. Der vorgelegte Gesetzesentwurf enthält ausschließlich Regelungen über die Wahl zum Sbg. Landtag. Im B-VG findet sich keine Bestimmung, welche die Regelung der Wahlen zum Landtag dem Bund zuordnet. Es handelt sich hiebei daher gemäß Art15 Abs1 B-VG um eine Angelegenheit, die in Gesetzgebung (und übrigens auch in Vollziehung) in die Zuständigkeit der Länder fällt, worauf auch Art95 Abs1 und Art10 Abs1 Z1 B-VG hindeuten. Daran wurden auch im vorliegenden Verfahren weder von der Bundesregierung noch von einer der Landesregierungen irgendwelche Zweifel geäußert.
3. a) Die Sbg. Landesregierung meint aber, daß im vorliegenden Fall andere Verfassungsbestimmungen mit in die Betrachtung einzubeziehen sind. Diese Auffassung versucht die Sbg. Landesregierung mit dem Argument zu untermauern, der VfGH habe ungeachtet seiner ständigen Rechtsprechung (vgl. zuletzt das Erk. VfSlg. 8830/1980), wonach er in einem Verfahren nach Art138 Abs2 B-VG ausschließlich Fragen der Kompetenz zu untersuchen und nicht zu prüfen habe, ob die vorgesehene gesetzliche Regelung inhaltlich verfassungsgemäß ist, in Kompetenzfeststellungsverfahren fallweise eine inhaltliche Prüfung auf die Verfassungsmäßigkeit der vorgesehenen Regelung hin vorgenommen. Die antragstellende Landesregierung meint, aus einigen Erk. des VfGH (s. oben unter Pkt. I.1.) auch folgern zu können, daß dem Art99 Abs1 B-VG kompetenzrechtlicher Charakter zukomme und das Land somit dann keine Kompetenz zur Erlassung einer landesverfassungsgesetzlichen Bestimmung über die Briefwahl habe, wenn diese Bestimmung in Widerspruch zur bundesverfassungsgesetzlichen Regelung des Art95 Abs1 B-VG stehen würde. Der VfGH habe daher im Rahmen der kompetenzrechtlichen Beurteilung des vorgelegten Gesetzesentwurfes auch eine inhaltliche Prüfung auf dessen Übereinstimmung mit der Bundesverfassung vorzunehmen.
b) Diese Auffassung trifft nicht zu. Sie läßt sich auch weder durch jene Erk. des VfGH, auf welche sich die Sbg. Landesregierung stützt, noch durch andere Erk. des VfGH, auf welche von einzelnen Landesregierungen verwiesen wird (s. unten), ernstlich untermauern.
Der VfGH hat auch in jenen Erk., auf die sich die antragstellende und andere Landesregierungen stützen zu können vermeinen, regelmäßig auf seine - bereits oben wiedergegebene - ständige Rechtsprechung hingewiesen, daß er in einem Verfahren nach Art138 Abs2 B-VG nicht zu prüfen hat, ob die vorgesehene gesetzliche Regelung inhaltlich verfassungsgemäß ist. Die diese Erk. tragenden Entscheidungsgründe sind daher grundsätzlich unter kompetenzrechtlichen Aspekten zu sehen.
Der VfGH hat, falls eine Verfassungsbestimmung Beschränkungen sowohl kompetenzrechtlicher als auch inhaltlicher Art enthält - wobei die Abgrenzung zwischen kompetenzrechtlicher und inhaltlicher Beschränkung im Einzelfall fließend sein kann -, bei Vornahme einer Beurteilung iS des Art138 Abs2 B-VG nur die kompetenzrechtliche Seite zu berücksichtigen.
Zu den einzelnen im vorliegenden Verfahren argumentativ herangezogenen Erk. des VfGH ist - unbeschadet des Umstandes, daß hier nicht zu prüfen ist, ob die Abgrenzung zwischen kompetenzrechtlicher und inhaltlicher Betrachtung in dem einen oder anderen Fall nicht auch anders hätte vorgenommen werden können - folgendes zu bemerken:
In den Erk. VfSlg. 5977/1969 und 7168/1973, in welchen der VfGH die Kompetenz an Hand von Regelungen in §8 Abs5 ÜG 1920 beurteilt hat, ist der VfGH vom kompetenzrechtlichen Charakter dieser von ihm in beiden Erk. ausdrücklich als "Sonderregelungen" bezeichneten Bestimmungen ausgegangen. Gleiches gilt für das Erk. VfSlg. 2674/1954, in welchem der VfGH die Kompetenzfrage an Hand der "Spezialbestimmung" des §8 Abs5 litf ÜG 1920 einer Beurteilung unterzogen hat.
In diesem Zusammenhang ist zu der von der Sbg. Landesregierung vorgenommenen Auslegung des Art99 Abs1 B-VG folgendes festzustellen:
Im Vergleich zum Erk. VfSlg. 2674/1954, in welchem der VfGH die Frage zu entscheiden hatte, ob bestimmte Regelungen nach §8 Abs5 litf ÜG 1920 von Bund oder Land getroffen werden konnten, ist die Ausgangslage bei Art99 Abs1 B-VG eine völlig andere: Es ist auf jeden Fall das Land zur Erlassung von Landesverfassungsgesetzen zuständig, dem Bund kommt keine Kompetenz in diesem Bereich zu. Der Umstand, daß die Landesverfassung nicht gegen Bundesverfassungsrecht verstoßen darf, stellt (lediglich) eine materielle Einschränkung der inhaltlichen Möglichkeiten des Landesverfassungsgesetzgebers dar. Diesem Teil des Art99 Abs1 B-VG kommt - entgegen der Auffassung der Sbg. Landesregierung - kein kompetenzrechtlicher Charakter zu.
Der VfGH pflichtet der Ansicht der Bundesregierung bei, daß diese Verfassungsbestimmung eine Bekräftigung der auch aus anderen Bestimmungen des B-VG zu erschließenden Bindung des Landes-Verfassungsrechtes an die Bundesverfassung darstellt (vgl. Koja, Das Verfassungsrecht der Österreichischen Bundesländer, S 20, ähnlich auch Walter - Mayer, Grundriß des Österreichischen Bundesverfassungsrechts, 4. Auflage, Wien 1982, S 228). Der VfGH hat in diesem Zusammenhang im Erk. VfSlg. 5676/1968 unter Hinweis auf einschlägige Vorjudikatur ausgesprochen, daß die Landesverfassungsgesetze an die im B-VG niedergelegten Grundzüge gebunden sind. Sie dürften nichts enthalten, was mit dem B-VG nicht vereinbar ist und unterlägen deshalb auch der Prüfung gemäß Art140 B-VG in bezug auf ihre Übereinstimmung mit der Bundesverfassung. Auch aus diesem Erk. geht somit deutlich hervor, daß Art99 Abs1 B-VG in seinem hier argumentativ herangezogenen Teil keine kompetenzrechtliche Regelung enthält.
Im Erk. VfSlg. 5859/1968 hat der VfGH lediglich geprüft, ob, gemessen am Finanz-Verfassungsgesetz 1948, der Bundesgesetzgeber oder der Landesgesetzgeber zur Erlassung eines bestimmten Abgabengesetzes zuständig ist; er hat keineswegs die in dem Entwurf eines Abgabengesetzes enthaltenen Bestimmungen inhaltlich am Finanz-Verfassungsgesetz 1948 gemessen.
Das von der Oö. Landesregierung herangezogene Erk. VfSlg. 7959/1976 kann ebenfalls nur iS der ständigen Rechtsprechung des VfGH verstanden werden (auf welche in dem Erk. ausdrücklich hingewiesen und hinzugefügt wird, daß die Regelungszuständigkeit des Landes auch dann gegeben sein könnte, wenn ein inhaltlicher Widerspruch zur Bundesverfassung vorläge). Im übrigen hat sich der VfGH in diesem Erk. auf die Bestimmung des Art115 Abs2 erster Satz B-VG gestützt, welcher zweifellos kompetenzrechtlicher Charakter zukommt.
Zu den Erk. VfSlg. 299/1924 und 2168/1951 genügt der Hinweis, daß diese nicht in einem Verfahren nach Art138 Abs2, sondern in einem solchen nach Art140 Abs1 B-VG ergangen sind.
Es ist einzuräumen, daß der VfGH in dem - im vorliegenden Verfahren bisher nicht erwähnten - Kompetenzfeststellungserkenntnis VfSlg. 2670/1954 im Zusammenhang mit Beschränkungen des häuslichen Musikunterrichtes eine Aussage über den Inhalt des Art17 StGG getroffen hat. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob sich der VfGH zu dieser Aussage deshalb gezwungen sah, um zu einer kompetenzrechtlichen Feststellung über die Erlassung derartiger Beschränkungen zu gelangen. Jedenfalls ändert diese vereinzelt gebliebene Vorgangsweise des VfGH nichts an seiner bereits mehrfach erwähnten ständigen Rechtsprechung, daß er in einem Verfahren nach Art138 Abs2 B-VG nicht zu prüfen hat, ob die vorgesehene gesetzliche Regelung inhaltlich verfassungsgemäß ist.
4. Der VfGH kann daher im vorliegenden Verfahren auf die Frage der inhaltlichen Vereinbarkeit des vorgelegten Gesetzesentwurfes mit Art95 Abs1 B-VG nicht eingehen und hat sich auf Grund dessen auf die Feststellung zu beschränken, daß die Erlassung eines Gesetzes entsprechend dem vorgelegten Entwurf in die Zuständigkeit der Länder fällt.
5. Gemäß §56 Abs4 VerfGG hatte der VfGH seine Feststellungen in den im Spruch formulierten Rechtssatz zusammenzufassen. Aus derselben Gesetzesbestimmung ergibt sich die Verpflichtung des Bundeskanzlers, diesen Rechtssatz unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen.
Schlagworte
Wahlen, Briefwahl, VfGH / KompetenzfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1982:KII1.1980Dokumentnummer
JFT_10178985_80KII001_00