TE Vfgh Erkenntnis 1982/11/25 B188/82

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Veröffentlicht am 25.11.1982
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
B-VG Art144 Abs1 / Gerichtsakt
StGG Art5
StGG Art8

Leitsatz

Art144 Abs1 B-VG; Verhaftung in Vollziehung eines richterlichen Haftbefehles; keine Zuständigkeit des VfGH StGG; Abnahme eines Geldbetrages ohne Rechtsgrundlage; Verletzung des Eigentumsrechtes

Spruch

1. Der Beschwerdeführer ist dadurch, daß ihm am 3. Feber 1982 von Organen der Bundespolizeidirektion Wien - Bezirkspolizeikommissariat Leopoldstadt ein Geldbetrag von S 1.440,- abgenommen wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden;

2. Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen die Anhaltung des Beschwerdeführers richtet, zurückgewiesen.

Kosten werden nicht zugesprochen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. a) In der vorliegenden, an den VfGH gerichteten Beschwerde wird folgender Sachverhalt geschildert:

Die Bundespolizeidirektion Wien - Bezirkspolizeikommissariat Leopoldstadt habe gegen den Beschwerdeführer unter der Z Pst 15872-L/81 eine, mit 19. Jänner 1982 datierte Strafverfügung erlassen, mit der gegen ihn wegen einer am 15. Oktober 1981 begangenen Übertretung der StVO 1960 eine Geldstrafe in der Höhe von S 2.000,- und eine Ersatzarreststrafe im Ausmaß von 72 Stunden Arrest verhängt wurde. Gegen diese Strafverfügung habe er am 2. Feber 1982 fristgerecht schriftlich Einspruch erhoben.

Am 3. Feber 1982 sei er im Zuge einer anderen Angelegenheit dem Bezirkspolizeikommissariat Leopoldstadt vorgeführt worden. Bei dieser Gelegenheit sei ihm "in Vollzug der noch nicht rechtskräftigen Strafverfügung" der Betrag von S 1.440,-, den er zufällig bei sich hatte, abgenommen worden. Auf der Einzahlungsbestätigung sei als Einzahlungsgrund ausdrücklich die vorhin erwähnte Aktenzahl angeführt.

Anschließend sei hinsichtlich des "nichtgedeckten Teiles" der Geldstrafe, nämlich des Betrages von S 560,-, sofort die Ersatzarreststrafe im Ausmaß von 20 Stunden vollzogen worden.

b) Gegen die Abnahme des Geldbetrages und die Anhaltung wendet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unversehrtheit des Eigentums und auf persönliche Freiheit behauptet wird.

Der Beschwerdeführer beantragt, dies kostenpflichtig festzustellen.

2. a) Die Bundespolizeidirektion Wien als belangte Behörde, vertreten durch die Finanzprokuratur, hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie - zusammengefaßt - folgenden Sachverhalt schildert:

Gegen den Beschwerdeführer habe der Verdacht bestanden, daß er als Lenker des PKW W ... am 1. November 1981 in Wien 2, vor dem Hause Odeongasse 9 einen Verkehrsunfall mit leichtem Personenschaden verschuldet habe.

Da sich in der Folge die Zulassungsbesitzerin dieses PKW überhaupt der Aussage entzogen und der Beschwerdeführer auf die gestellten Fragen stets nur ausweichende Antworten gegeben habe, sohin erkennbar gewesen sei, daß beide Personen versuchten, die Ermittlung der Wahrheit zu erschweren, habe die Bundespolizeidirektion Wien - Bezirkspolizeikommissariat Leopoldstadt am 2. Feber 1982 gegen den Beschwerdeführer und die Zulassungsbesitzerin des PKW einen telefonischen Haftbefehl gemäß §175 Abs1 Z3 StPO des Journaldienst versehenden Untersuchungsrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien Dr. K. erwirkt.

Auf Grund dieses gerichtlichen Haftbefehles sei der Beschwerdeführer am 2. Feber 1982 um etwa 15.20 Uhr von Organen des zuständigen Gendarmeriepostenkommandos unter Assistenz von Organen der Bundespolizeidirektion Wien in Großmugl, Niederfellabrunn 92-93/Bezirk Korneuburg festgenommen, sodann zum Bezirkspolizeikommissariat Leopoldstadt gebracht und dort angehalten worden. Der Beschwerdeführer sei niederschriftlich einvernommen worden; es seien auch noch weitere Einvernahmen und Erhebungen über die Person des Beschwerdeführers durchgeführt worden. Sobald der die Amtshandlung führende rechtskundige Beamte dieser Polizeidienststelle am 3. Feber 1982 den Sachverhalt für geklärt und Verdunkelungsgefahr für nicht mehr gegeben erachtete, habe er sich mit dem Untersuchungsrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien in Verbindung gesetzt, der an diesem Tag gegen 11.20 Uhr den Haftbefehl aufgehoben habe. Der Beschwerdeführer sei sodann sofort aus der Haft entlassen worden. In der Folge sei gegen den Beschwerdeführer zu Z Pst 16577-L/81 ein Verwaltungsstrafverfahren wegen des Vorfalles vom 1. November 1981 eingeleitet worden.

Im Zuge der Erhebungen sei festgestellt worden, daß gegen den Beschwerdeführer zu Z Pst 15872-L/81 ein weiteres Verwaltungsstrafverfahren beim Bezirkspolizeikommissariat Leopoldstadt anhängig gewesen sei: Mit Strafverfügung vom 19. Jänner 1982 sei über ihn wegen einer am 15. Oktober 1981 begangenen Übertretung der StVO 1960 eine Geldstrafe von S 2.000,-, ersatzweise 72 Stunden Arrest, verhängt worden. Diese Strafverfügung sei dem Beschwerdeführer am 26. Jänner 1982 zugestellt worden. Er habe dagegen einen mit 26. Jänner 1982 datierten, am 2. Feber 1982 zur Post gegebenen Einspruch erhoben. Der Einspruch sei sohin fristgerecht eingebracht worden. Er sei zwar am 3. Feber 1982 beim Bezirkspolizeikommissariat Leopoldstadt eingelangt, sei aber erst längere Zeit danach dem Akt angeschlossen worden.

"Durch eine weitere Fehlleistung der Vollzugsabteilung des Bezirkspolizeikommissariates Leopoldstadt" sei am 3. Feber 1982, als sich der Beschwerdeführer auf Grund des erwähnten richterlichen Haftbefehles in Verwahrungshaft befand, übersehen worden, daß hinsichtlich der Strafverfügung vom 19. Jänner 1982 die Frist des §49 Abs1 VStG 1950 noch nicht abgelaufen war. Der Leiter der Vollzugsabteilung habe von dem offenbar bereits per Post eingegangenen Einspruch keine Kenntnis gehabt. Als der Vollzugsbeamte vom rechtskundigen Beamten erfahren hatte, daß der richterliche Haftbefehl aufgehoben worden sei, habe er die gesamte Verwahrungshaft auf die mit Strafverfügung vom 19. Jänner 1982, Pst 15872-L/81 verhängte Strafe angerechnet (20 Stunden = S 560,-) und habe den verbleibenden Rest der Geldstrafe (S 1.440,-) dem Arrestantendeposit, also jenem Geldbetrag, den der Beschwerdeführer bei seiner Einlieferung bei sich hatte, entnommen.

b) Die belangte Behörde ist der Meinung, daß die Anhaltung auf Grund eines richterlichen Haftbefehles erfolgt sei; sie beantragt daher, die Beschwerde insoweit zurückzuweisen. In Ansehung der Abnahme des Geldbetrages stellt die belangte Behörde die Verletzung des Eigentumsrechtes nicht in Abrede.

II. Der VfGH hat Einsicht genommen in die Verwaltungsstrafakten der Bundespolizeidirektion Wien - Bezirkspolizeikommissariat Leopoldstadt, Z Pst 15.872-L/81 und Z Pst 16.577-L/81 sowie in den Akt des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, AZ 7a E Vr 2228/82, Hv 113/82. Er hat weiters eine Stellungnahme des Richters Dr. K. (des am 2. Feber 1982 Journaldienst versehenden Untersuchungsrichters) eingeholt.

Auf Grund dieser Unterlagen ergibt sich, daß die belangte Behörde den Sachverhalt zutreffend geschildert hat. Der VfGH geht daher von diesem Sachverhalt aus.

Insbesondere steht fest, daß der Untersuchungsrichter Dr. K. am 2. Feber 1982 gegen den Beschwerdeführer wegen Verabredungsgefahr einen Haftbefehl erlassen hat und daß dieser Haftbefehl am folgenden Tag widerrufen wurde. Daran ändert nichts, daß in dem am 2. Feber 1982 zwischen dem Polizeibeamten und dem Untersuchungsrichter geführten Telefongespräch der Name des zu Verhaftenden mit "I. B.", statt richtig mit "I. B." bezeichnet wurde. Diese unrichtige Namensbezeichnung des türkischen Staatsangehörigen beruhte auf Verständigungsschwierigkeiten, die schon in der Kommunikation zwischen der Polizei und den von ihr vernommenen Personen entstanden waren. Der Wille des Richters war offenkundig auch damals darauf gerichtet, eben den Beschwerdeführer verhaften zu lassen.

III. Der VfGH hat erwogen:

1. Die Verhaftung und die folgende Anhaltung erfolgten sohin auf Grund eines richterlichen Haftbefehles. Daß die Verwaltungsbehörde den ihr erteilten richterlichen Auftrag überschritten hätte, ist nicht hervorgekommen.

Die Verhaftung und die Anhaltung sind sohin zur Gänze dem Gericht zuzurechnen.

Weder Art144 B-VG noch eine andere Rechtsvorschrift räumt dem VfGH die Befugnis ein, Akte der Gerichtsbarkeit zu überprüfen (vgl. zB VfSlg. 8732/1980).

Die Beschwerde war sohin, soweit sie sich gegen die Verhaftung und die folgende Anhaltung wendet, wegen Nichtzuständigkeit des VfGH zurückzuweisen.

2. a) Die Abnahme des Geldbetrages greift in das "Eigentum" in der Bedeutung des Art5 StGG ein. Dieser Eingriff wäre dann verfassungswidrig, wenn er auf verfassungswidrigen generellen Normen beruhte, oder wenn die Behörde bei ihrer Amtshandlung eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall der nur dann zuträfe, wenn ihr dabei ein so schwerer Fehler zur Last fiele, daß er mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist (vgl. zB VfSlg. 9316/1982).

b) Ein derartiges gesetzloses Vorgehen liegt - wie die belangte Behörde selbst einräumt - hier vor. Es gab keinerlei Rechtsgrundlage, dem Beschwerdeführer den Betrag von S 1.440,- abzunehmen. Insbesondere bot die Strafverfügung vom 19. Jänner 1982, Z Pst 15872-L/81, hiefür keine taugliche Rechtsgrundlage, da die Bestrafung am 3. Feber 1982 noch nicht rechtskräftig und damit noch nicht vollstreckbar war.

Der Beschwerdeführer ist sohin durch die Abnahme des Geldbetrages im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Eigentumsrecht verletzt worden.

c) Diese Feststellung konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden, da die zu klärenden Rechtsfragen durch die bisherige Judikatur des VfGH bereits genügend klargestellt sind.

3. Da beide Seiten teils obsiegt haben, teils unterlegen sind, waren die Kosten in sinngemäßer Anwendung des §43 Abs1 ZPO (vgl. §35 Abs1 VerfGG) gegeneinander aufzuheben.

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Festnehmung, VfGH / Zuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1982:B188.1982

Dokumentnummer

JFT_10178875_82B00188_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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