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66 SozialversicherungNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
ASVG; keine Bedenken gegen §4 Abs1 Z1 und Abs2; keine gleichheitswidrige AnwendungSpruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. a) Mit dem Bescheid der Wr. Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte vom 3. Juni 1977 wurde ausgesprochen, daß die Beschwerdeführerin "ab 13. 9. 1976 zu Dr. H. W., Rechtsanwalt, Wien VII., ... als Heimschreibkraft in keinem die Voll- (Kranken-, Unfall-, Pensions-) und Arbeitslosenversicherungspflicht gemäß §4 Abs1 Z1 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes und §1 Abs1 lita des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1958 begründenden Beschäftigungsverhältnis" stehe. Ferner wurde ausgesprochen, daß die Beschwerdeführerin in ihrer an mehreren Tagen des Monates Oktober 1976 "ausgeübten Beschäftigung in der Kanzlei des Dr. H. W. gemäß §5 Abs1 Z2 ASVG in der bis 31. 12. 1976 gültigen Fassung von der Vollversicherung (Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung) nach §4 Abs1 Z1 ASVG und der Arbeitslosenversicherung nach §1 Abs1 lita AlVG 1958 ausgenommen" sei.
In der Begründung des Bescheides wird ausgeführt, daß Dr. H. W. die Beschwerdeführerin ab 13. September 1976 als Heimschreibkraft zur Versicherung angemeldet habe. Zusammenfassend wird in der Begründung festgehalten, das Ermittlungsverfahren habe ergeben, daß die Beschwerdeführerin Heimschreibarbeiten für Dr. H. W. verrichte, auf die die für die Begründung der Versicherungspflicht erforderlichen Voraussetzungen nach §4 Abs2 ASVG nicht zuträfen.
b) Der gegen den Bescheid der Wr. Gebietskrankenkasse von der Beschwerdeführerin erhobene Einspruch wurde mit dem Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 19. Juni 1978 gemäß §66 Abs4 AVG 1950 unter Hinweis auf die §§413 und 414 iVm mit §355 ASVG als unbegründet abgewiesen.
In der Begründung des Bescheides wird im wesentlichen ausgeführt, daß die Tätigkeit der Beschwerdeführerin in der Übertragung von auf Tonbändern gesprochenen Diktaten in Reinschrift bestehe. Da diese Übertragung ausschließlich in ihrer Wohnung erfolge, sei eine Überprüfung der Arbeitszeit nicht möglich. In die Kanzlei des Dr. H. W. komme sie nur, um fertige Arbeiten auszufolgen und neue Tonbänder zu übernehmen. Die Bezahlung erfolge nach Seiteneinheiten. Für Dr. H. W. bestehe keine Möglichkeit, die Arbeitszeit der Beschwerdeführerin zu überprüfen; es könne im vorliegenden Fall weder von einer Eingliederung in den Betriebsorganismus noch von einer Bindung an eine bestimmte Arbeitszeit und Arbeitsfolge gesprochen werden. Dem Vorbringen, daß die Beschwerdeführerin in ihrer Tätigkeit an eine bestimmte Zeit und einen bestimmten Ort gebunden sei, weil sie ihre Arbeit zu bestimmten Terminen abzuliefern habe, werde entgegengehalten, daß nach glaubhafter Angabe des Dr. H. W. zu diesem Zweck wiederholt lediglich die Kinder der Beschwerdeführerin in die Kanzlei des Genannten gekommen seien.
c) Der gegen den Bescheid des Landeshauptmannes erhobenen Berufung hat der Bundesminister für soziale Verwaltung mit dem Bescheid vom 17. Oktober 1979 gemäß §66 Abs4 AVG 1950 keine Folge gegeben und den angefochtenen Bescheid "aus seinen zutreffenden Gründen" bestätigt.
Hinzu komme, daß zwar das Tonbandgerät und das Schreibmaterial vom Auftraggeber beigestellt würden, die Arbeiten aber - einen kurzen Zeitraum von 2 Wochen ausgenommen - auf einer im Besitz der Beschwerdeführerin stehenden Schreibmaschine verrichtet würden. Im vorliegenden Fall könne auch nicht auf die Entscheidung des VwGH vom 20. 3. 1975 Z 1665/74 Bezug genommen werden, weil dort eine vorher durch 12 Jahre im Justizdienst beschäftigte Stenotypistin als Vertragsbedienstete des Bundes die Aufgabe übernommen gehabt habe, im Gericht besprochene Tonbänder daheim zu übertragen. Auch beim Umfang der Tagesleistung, der von der Beschwerdeführerin im Verhältnis zum Arbeitspensum der angeführten Vertragsbediensteten erbracht werde, könne nicht gesagt werden, daß die Beschwerdeführerin auf längere Sicht die freie Verfügungsmacht über ihre Arbeitszeit verloren habe.
2. Gegen den Bescheid des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 17. Oktober 1979 richtet sich die unter Berufung auf Art144 B-VG erhobene Beschwerde.
Die Beschwerdeführerin behauptet, durch den angefochtenen Bescheid in ihrem "nach Art7 BVG, Art2 StGG sowie Art14 MRK gewährleisteten Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt" worden zu sein.
Sie beantragt "das Erk.: Durch den Bescheid der belangten Behörde vom 17. 10. 1979 ... ist die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Gleichheit der Staatsbürger nach Art7 BVG, Art2 StGG sowie Art6 MRK verletzt worden. Der angefochtene Bescheid wird daher wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben". Ferner wird der Ersatz der Prozeßkosten und für den Fall der Abweisung die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde nur dann verletzt werden, wenn dieser auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat (vgl. VfSlg. 8998/1980).
2. a) §4 Abs1 ASVG lautet (soweit für den Beschwerdefall von Bedeutung):
"§4. (1) In der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung sind auf Grund dieses Bundesgesetzes versichert (vollversichert), wenn die betreffende Beschäftigung weder gemäß den §§5 und 6 von der Vollversicherung ausgenommen ist, noch nach §7 nur eine Teilversicherung begründet:
1. die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigten Dienstnehmer;
...
7. die Heimarbeiter und die diesen nach den jeweiligen gesetzlichen Vorschriften über die Heimarbeit arbeitsrechtlich gleichgestellten Personen;
..."
Nach §4 Abs2 ASVG ist Dienstnehmer iS dieses Bundesgesetzes, wer in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt wird; hiezu gehören auch Personen, bei deren Beschäftigung die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber den Merkmalen selbständiger Ausübung der Erwerbstätigkeit überwiegen.
Nach §2 Abs1 lita des Heimarbeitsgesetzes 1960, BGBl. 105/1961, ist Heimarbeiter, wer, ohne Gewerbetreibender nach den Bestimmungen der Gewerbeordnung zu sein, in eigener Wohnung oder selbstgewählter Arbeitsstätte im Auftrag und für Rechnung von Personen, die Heimarbeit vergeben, mit der Herstellung, Bearbeitung, Verarbeitung oder Verpackung von Waren beschäftigt ist.
b) Nach den angeführten Vorschriften sind vollversichert die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigten Dienstnehmer, das sind Personen, auf die die in §4 Abs2 ASVG angeführten Kriterien zutreffen, und die Heimarbeiter.
Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, daß die von ihr ausgeübte, in der Begründung des zweitinstanzlichen Bescheides (Pkt. I.1.b) beschriebene Tätigkeit der Tätigkeit von Heimarbeitern gleichzusetzen sei und daß daher für Personen, die diese Tätigkeiten ausübten, in gleicher Weise die Pflichtversicherung vorgesehen werden müßte wie für Heimarbeiter. Da dies nicht der Fall sei, stehe das Gesetz mit dem Gleichheitsgebot in Widerspruch.
c) Bei der Sozialversicherung handelt es sich um eine Angelegenheit, die durch eine stete Fortentwicklung sowohl was den Kreis der Versicherten als auch den Gegenstand der Versicherung anlangt, gekennzeichnet ist (vgl. VfSlg. 3670/1960, 8419/1978).
Obgleich beim derzeitigen Stand der Sozialversicherungsgesetzgebung weitgehend für die einzelnen Berufsgruppen ein sozialversicherungsrechtlicher Schutz durch eine Pflichtversicherung geschaffen ist, steht es dem Gesetzgeber frei, im Rahmen der ihm zukommenden rechtspolitischen Gestaltungsfreiheit Grenzen für die Einbeziehung bestimmter Berufsgruppen in eine Sozialversicherungspflicht zu ziehen und zu entscheiden, welche bisher nicht versicherten Berufsgruppen in die Sozialversicherungspflicht einbezogen werden. Der Gesetzgeber hat zwar für Heimarbeiter, nicht aber für Personen, die nicht Heimarbeiter iS des Heimarbeitsgesetzes sind, aber in ihrer Wohnung Arbeiten für einen Auftraggeber verrichten, eine Pflichtversicherung in der Sozialversicherung vorgesehen; er hat den Bestand einer solchen Pflichtversicherung davon abhängig gemacht, daß die nach anderen sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften hiefür erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sein müssen (im Falle der Beschwerdeführerin die für die Dienstnehmereigenschaft nach §4 Abs2 ASVG erforderlichen Voraussetzungen). Wenn im Zuge der Fortentwicklung der Sozialversicherung eine sozialversicherungsrechtliche Regelung über den Bestand einer Sozialversicherungspflicht für den angeführten Personenkreis noch nicht geschaffen wurde, kann nicht davon gesprochen werden, daß bestehende sozialversicherungsrechtliche Regelungen über den Bestand der Sozialversicherungspflicht unsachlich wären oder daß der Gesetzgeber durch die Nichteinbeziehung des beschriebenen Personenkreises in eine Pflichtversicherung gegen das auch ihn bindende Gleichheitsgebot verstoßen hätte.
Gegen die Verfassungsmäßigkeit der angeführten und der sonstigen bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides angewendeten Rechtsvorschriften bestehen unter dem Gesichtspunkt des vorliegenden Beschwerdefalles keine Bedenken (vgl. auch VfSlg. 8416/1978).
3. Im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit der Regelung, nach der nur für Heimarbeiter iS des Heimarbeitsgesetzes, nicht aber für Personen, die eine Tätigkeit nach der Art der Beschäftigung der Beschwerdeführerin ausüben, eine Pflichtversicherung besteht, kann der belangten Behörde, wenn sie den Bestand einer Versicherungspflicht für die Beschwerdeführerin verneint hat, nicht zum Vorwurf gemacht werden, dem Gesetz einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt zu haben. Ebensowenig findet sich eine Begründung für den Vorwurf, daß die belangte Behörde durch ein willkürliches Vorgehen zur Verneinung des Bestandes der Versicherungspflicht für die Beschwerdeführerin nach §4 Abs1 Z1 ASVG gekommen wäre.
Ob bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides das Gesetz auch richtig angewendet wurde, hat nicht der VfGH, sondern der VwGH zu prüfen.
Die Beschwerdeführerin ist im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nicht verletzt worden.
4. Von der Beschwerdeführerin wird im Zusammenhang mit der behaupteten Gleichheitsverletzung auf Art14 MRK verwiesen.
Hiezu genügt der Hinweis, daß sich unter den nach Art14 MRK festgelegten Rechten nicht ein Recht auf Gleichheit aller vor dem Gesetz befindet (vgl. VfSlg. 8959/1980).
In dem Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Verletzung des Gleichheitsrechtes wird auf Art6 MRK verwiesen, ohne Gründe für eine Verletzung der in dieser Bestimmung der MRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte anzuführen. Sofern die Beschwerdeführerin der Auffassung sein sollte, daß durch den angefochtenen Bescheid über "zivile Rechte" iS des Art6 MRK abgesprochen worden sein sollte, läge die behauptete Verletzung dieser Bestimmung der MRK selbst dann nicht vor, wenn die Annahme der Beschwerdeführerin zuträfe, weil nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH durch die Möglichkeit, die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes anzurufen, dem Erfordernis des Art6 MRK Genüge getan ist (vgl. VfSlg. 8828/1980).
5. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat nicht stattgefunden. Im Verfahren vor dem VfGH ist nicht hervorgekommen, daß die Beschwerdeführerin in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, deren Verletzung von ihr nicht geltend gemacht wurde, verletzt worden wäre. Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides ist sie auch nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
Schlagworte
Sozialversicherung, HeimarbeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1982:B5.1980Dokumentnummer
JFT_10178875_80B00005_00