TE Vfgh Erkenntnis 1982/11/26 A2/81

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Veröffentlicht am 26.11.1982
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art137 / sonstige Klagen
B-VG Art137 / sonstige zulässige Klagen
AVG §23 Abs7
AVG §24 Abs2
AVG §24 Abs3
AVG §31

Leitsatz

Art137 B-VG; Klage auf Rückerstattung von Geldstrafen, die auf Grund nicht wirksam zugestellter Straferkenntnisse eingehoben wurden

Spruch

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei einen Betrag von S 2.291,50 sowie die mit S 1.922,18 bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Mit der auf Art137 B-VG gestützten Klage begehrt die Klägerin vom Bund die Zahlung eines Betrages von S 2.291,50. Zur Begründung bringt sie vor, sie sei am 4. Juni 1981 von dem für ihren Wohnsitz zuständigen Bezirkspolizeikommissariat davon in Kenntnis gesetzt worden, daß dieses Geldstrafen samt Nebenspesen im Betrage von insgesamt S 2.291,50 bei ihr einzuheben habe. Die Klägerin habe sofort darauf verwiesen, daß die in Frage stehenden Straferkenntnisse der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Innere Stadt Wien, vom 28. Dezember 1979, Pst. 14.653-S/79 und Pst. 15.055-S/79, ihr nicht rechtsgültig zugestellt worden seien. Gleiches habe sie schon vorher der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkskommissariat Innere Stadt Wien, schriftlich mit dem Hinweis mitgeteilt, daß sie zum Zeitpunkt der Zustellung der genannten Straferkenntnisse von Wien ortsabwesend gewesen sei. Über Aufforderung des genannten Bezirkspolizeikommissariates habe sie eine Bestätigung übermittelt, daß sie sich bis 4. Jänner 1980 zwecks Entbindung in der Universitäts-Frauenklinik Graz befunden habe.

Da trotz Hinweis auf diesen Sachverhalt der Beamte der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Landstraße, unter Androhung ihrer sonstigen Festnahme auf Bezahlung bestanden habe, habe sie mit ausdrücklichem Vorbehalt Zahlung geleistet.

Da die hiedurch bewirkte Vermögensverschiebung auf einem öffentlich-rechtlichen Titel beruhe, sei die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte nicht gegeben; der Rückforderungsanspruch sei auch nicht durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen, sodaß über den klagsweise geltend gemachten Anspruch der VfGH abzusprechen habe.

2. Die beklagte Partei hat die bezughabenden Verwaltungsstrafakten mit dem Bemerken vorgelegt, daß im Hinblick auf die eindeutige Sachlage von der Erstattung einer formellen Gegenschrift Abstand genommen werde. Wie sich aus den Akten erweise, seien die bezüglichen Straferkenntnisse am 31. Jänner 1980 durch Hinterlegung rechtswirksam zugestellt worden. Es werde daher die Abweisung der Beschwerde begehrt.

3. Aus dem vorgelegten Verwaltungsstrafakt ergibt sich, daß die Staferkenntnisse der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Innere Stadt, vom 28. Dezember 1979, Pst. 14.653-S/79 und vom 28. Dezember 1979, Pst. 15.055-S/79 am 31. Jänner 1981 beim Postamt hinterlegt wurden.

4. Bei der am 11. Juni 1982 über die Klage abgeführte Verhandlung ergänzte die Klägerin ihr Vorbringen dahin, daß sie im Zeitpunkte der Hinterlegung von Wien ortsabwesend gewesen sei und sich nach ihrer Entbindung bis Anfang Februar 1981 in Kärnten aufgehalten habe.

Auf Grund dieser Parteibehauptung wurde Beweis erhoben durch Einvernahme der von der Klägerin beantragten Zeugen Dr. F. K., S. K. und Dr. P. Sch. sowie der Klägerin als Partei und durch Anfrage beim Meldeamt der Stadtgemeinde St. Veit an der Glan, ob die Klägerin in dem von ihr behaupteten Zeitraum in dieser Stadtgemeinde polizeilich gemeldet gewesen sei.

Auf Grund der inhaltlich übereinstimmenden Beweisergebnisse sieht der VfGH als erwiesen an, daß sich die Klägerin ab ihrer Entlassung aus der Universitäts-Frauenklinik Graz am 4. Jänner 1980 bis 2. Feber 1980 ununterbrochen in St. Veit an der Glan aufgehalten hat.

Hiefür spricht nicht nur der Umstand, daß alle vernommenen Zeugen und die Klägerin selbst diesen Sachverhalt bestätigen, sondern insbesondere auch, daß deren Aussagen durch postamtliche Vermerke auf der Rückseite der RSa-Briefe, mit denen die Zustellung der Straferkenntnisse vom 28. Dezember 1979 vorerst am 3. Jänner 1980 an die Klägerin unter deren Wiener Anschrift versucht wurde, gestützt werden; der Postbeamte vermerkte nämlich schon damals: "Empf. bis Ende Jänner verreist nach Graz. 3. 1. 80". Der Gerichtshof ist daher entgegen dem von der beklagten Partei geäußerten Verdacht nicht der Ansicht, daß die Aussagen der vernommenen Zeugen Schutzbehauptungen sind.

Im Hinblick auf den durch zusammenschauende Betrachtung der Beweisergebnisse somit geklärten Sachverhalt war von weiteren Beweisaufnahmen wegen Unerheblichkeit Abstand zu nehmen.

5. Der VfGH hat erwogen:

5.1. Nach Art137 B-VG erkennt der VfGH ua. über vermögensrechtliche Ansprüche an den Bund, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind.

Mit der vorliegenden Klage wird die Rückerstattung von Beträgen begehrt, die bei der Klägerin auf Grund von Straferkenntnissen eingehoben wurden, die nach Behauptung der Klägerin nicht rechtswirksam zugestellt worden seien. Die klagsweise geltend gemachten Rückforderungen werden demnach aus einem Titel erhoben, dessen Rechtsgrund im öffentlichen Recht liegt.

Da zur klagsweisen Geltendmachung dieses Anspruches weder eine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte noch einer Verwaltungsbehörde besteht, ist die Klagsführung vor dem VfGH zulässig (vgl. VfSlg. 8666/1979, 8812/1980).

5.2. Die Rückforderung betrifft Beträge, die auf Grund der bereits näher bezeichneten Straferkenntnisse eingehoben wurden. Die Behauptung der Klägerin, daß diese Straferkenntnisse in einem Zeitpunkte hinterlegt wurden, in dem sie von Wien ortsabwesend war, hat sich als richtig erwiesen. War aber die Klägerin im Zeitpunkte der Hinterlegung von ihrem gewöhnlichen Aufenthaltsort abwesend, so waren die Voraussetzungen für eine Zustellung der Straferkenntnisse an sie nach §24 Abs2 AVG 1950 iS des §24 Abs3 und des §23 Abs7 AVG 1950 nicht gegeben; eine Heilung der Zustellmängel nach §31 AVG 1950 vor dem 4. Juni 1981 hat nicht stattgefunden. Die am 31. Jänner 1981 erfolgte Hinterlegung der Straferkenntnisse vom 28. Dezember 1979 war demnach unwirksam (Mannlicher - Quell, Das Verwaltungsverfahren, 8. Auflage, Wien 1975 7) zu §24 Abs2, S 218, und 6) zu §23 Abs7, S 216. vgl. auch Hellbling, Kommentar zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen, I. Band, S 191).

Mangels einer wirksam gewordenen Zustellung sind die Straferkenntnisse vom 28. Dezember 1979 somit nicht erlassen worden (vgl. VfSlg. 8666/1979, 9181/1981). Für die Vermögensverschiebung, die durch die Hereinbringung der mit den Straferkenntnissen vom 28. Dezember 1979 verhängten Geldstrafen samt Nebengebühren im Gesamtbetrage von S 2.291,50 bewirkt wurde, fehlt somit die rechtliche Deckung. Die Klägerin ist daher zu deren Rückforderung berechtigt (vgl. VfSlg. 8812/1980 sowie die dort zitierte Vorjudikatur).

5.3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §41 VerfGG; in den zugesprochenen Kosten sind S 112,38 Umsatzsteuer enthalten. Kosten für die Verhandlung vom 11. 6. 1982 waren nicht zuzusprechen, da dieser Mehraufwand auf das verspätete Vorbringen der Klägerin zurückzuführen ist; Kosten für die Äußerung vom 27. 10. 1982 standen ebenfalls nicht zu, da die Äußerung nicht aufgetragen war.

Schlagworte

VfGH / Klagen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1982:A2.1981

Dokumentnummer

JFT_10178874_81A00002_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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