TE Vfgh Erkenntnis 1982/12/3 B543/78

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Veröffentlicht am 03.12.1982
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art119a Abs5
StGG Art5
Nö GdO 1973 §61 Abs3

Leitsatz

Art119a Abs5 B-VG; Befugnisse der Vorstellungsbehörde, kassatorische Entscheidung, maßgebliche Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des gemeindebehördlichen Bescheides; Verletzung des Eigentumsrechtes

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den abweisenden Teil des angefochtenen Bescheides, d. i. soweit damit die Vorstellung hinsichtlich des Grundstückes Nr. 1549 KG Himberg abgewiesen wird, in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.

Der angefochtene Bescheid wird in diesem Umfang aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Stadt Wien wurde auf ihr Ansuchen mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde Himberg (Verwaltungsbezirk Wien Umgebung) vom 15. Feber 1977 gemäß §92 Nö. Bauordnung 1976 die Baubewilligung für die Errichtung einer Transportleitung und der damit zusammenhängenden Baulichkeiten in der KG Himberg auf 49 Parzellen, darunter den Parzellen Nr. 1551 und 1549, unter der Voraussetzung erteilt, daß eine Reihe von (insgesamt 17) "Bedingungen" sowie der Projektsplan und die einschlägigen Bestimmungen der Nö. Bauordnung 1976 genauestens eingehalten werden.

Aus den vorgelegten Akten ist bezüglich der genannten Parzellen zu entnehmen: Bis zum Jahre 1974 standen das Grundstück Nr. 1549 KG Himberg im Eigentum der Marktgemeinde Himberg, das Grundstück Nr. 1551 im Eigentum von R. B. Die Grundeigentümer haben mit Servitutsverträgen vom 11. November 1974 bzw. 20. Mai 1974 für sich und ihre Rechtsnachfolger im Eigentum der Stadt Wien eine Wasserleitungsservitut eingeräumt. Das Grundstück Nr. 1549 ist auf R. B. übertragen worden. Beide Grundstücke gingen nach dem Ableben R. B. im Jahre 1976 auf die Beschwerdeführerin über.

In der gegen den Bescheid vom 15. Feber 1977 erhobenen Berufung bezieht sich die Beschwerdeführerin auf "§4 Z13 und 15" des Grundbuchgesetzes und weist darauf hin, sie habe keine Kenntnis davon gehabt, daß über ihre Grundstücke eine Wasserleitung führen solle. Sie könne keine Zustimmung geben ohne eine bindende Abmachung zwischen ihr und der Bauwerberin.

Der Gemeinderat der Marktgemeinde Himberg hat diese Berufung mit Beschluß vom 30. Juni 1977 (Bescheid vom 11. Juli 1977, Z 153-9/1977) abgewiesen.

Auch in der gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung wird geltend gemacht, daß die Beschwerdeführerin keine Rechtsverbindlichkeit gegenüber der Bauwerberin hätte und sie auch keine Zustimmung erteile.

Die Nö. Landesregierung als Vorstellungsbehörde hat mit - nicht datiertem - Bescheid Z II/2-757/5-1978, dem bevollmächtigten Rechtsanwalt der Beschwerdeführerin zugestellt am 25. September 1978, dahin entschieden, daß gemäß §61 Abs3 Nö. Gemeindeordnung 1973 die Vorstellung hinsichtlich des Grundstückes Nr. 1549 abgewiesen werde, der Vorstellung hinsichtlich des Grundstückes Nr. 1551 jedoch stattgegeben, der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Behandlung und Entscheidung an den Gemeinderat der Marktgemeinde Himberg verwiesen werde.

In der Begründung wird ausgeführt:

Die Übertragung der auf seiten der vorherigen Grundeigentümer gegenüber der Stadt Wien durch Servitutsverträge entstandenen Duldungspflichten auf die Beschwerdeführerin als derzeitige Grundeigentümerin sei strittig. In der Bauverhandlung habe die Beschwerdeführerin sowohl ihre Zustimmung versagt als auch ihre Verpflichtung zur Duldung des Bauvorhabens bestritten.

Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH dürfe die Baubehörde einem Bauwerber die Bewilligung für ein Vorhaben auf fremdem Grund nur erteilen, wenn der Grundeigentümer ausdrücklich zugestimmt habe oder seine Verpflichtung zur Duldung des Bauvorhabens mit einer vollstreckbaren (bisher immer gerichtlichen) Entscheidung verfügt worden sei. Da hinsichtlich des Grundstückes Nr. 1551 beide auf seiten der Eigentümerin in Betracht kommenden Voraussetzungen fehlten, sei durch die Bestätigung der Baubewilligung für die Rohr- und Kabelverlegung auf diesem Grundstück das laut ständiger Rechtsprechung auch von der Baubehörde zu wahrende Eigentumsrecht der Vorstellungswerberin (d. i. der Beschwerdeführerin) verletzt worden.

Hingegen sei die Beschwerdeführerin mit Bescheid des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft vom 29. August 1978, Z 15626/13-I-5/78, welcher ihr am 30. August 1978 zugestellt worden sei, gemäß §122 Abs3 des Wasserrechtsgesetzes 1959 zur Duldung der gegenständlichen Wasserleitungsrohr- und Fernmeldeleitung auf dem Grundstück Nr. 1549 verpflichtet. Gegen diesen Bescheid sei kein ordentliches Rechtsmittel zulässig, daher sei er mit der Zustellung vollstreckbar geworden. Er ersetze die von der Beschwerdeführerin verweigerte Zustimmung zur gegenständlichen Bauführung auf dem Grundstück Nr. 1551 (richtig wohl 1549). Eine Auslegung des §96 Abs1 Z2 der Nö. Bauordnung 1976, welche nur gerichtliche Urteile als Ersatz für die Zustimmung des Grundeigentümers zu einem Bauvorhaben anerkenne, gehe am Bestand und Zweck zahlreicher Gesetzesbestimmungen vorbei, welche Verwaltungsbehörden zur Einräumung sofort vollstreckbarer Zwangsservitute (das seien Verpflichtungen von Grundeigentümern zur Duldung von Vorhaben) ermächtige - insbesondere die einstweilige Verfügung gemäß §122 Abs3 des Wasserrechtsgesetzes 1959 -, erscheine daher denkunmöglich, ebenso eine Auslegung der im Spruch angeführten Gesetzesbestimmung des §61 Abs3 der Nö. Gemeindeordnung 1973, welche in einem solchen Fall nur die Rechtslage zur Zeit der angefochtenen Entscheidung, nicht jedoch die spätere Verpflichtung des Grundeigentümers zur Duldung des umstrittenen Vorhabens berücksichtige. In dieser Hinsicht müsse die Pflicht der Baubehörde zur Bedachtnahme auf das Eigentumsrecht des Grundeigentümers einer Verfahrensvorschrift gleichgehalten werden, deren Mißachtung laut ständiger Rechtsprechung des VwGH dann keinen Anlaß für die Aufhebung einer Entscheidung durch die Aufsichtsbehörde bilden solle, wenn ihre Beachtung im fortgesetzten Verfahren keine im Spruch anders lautende als die angefochtene Entscheidung zur Folge haben könne.

Somit sei der Vorstellung hinsichtlich des Grundstückes Nr. 1549 nicht, wohl aber hinsichtlich des Grundstückes Nr. 1551 stattzugeben gewesen.

2. Gegen diesen Vorstellungsbescheid richtet sich die Beschwerde an den VfGH, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums geltend gemacht und der Antrag gestellt wird, der VfGH wolle den Bescheid beheben "und der belangten Behörde einen neuerlichen Bescheid iS der Stattgebung der Vorstellung auch in Hinsicht des Grundstückes Nr. 1549 KG Himberg auftragen". Für den Fall der Abweisung der Beschwerde wird deren Abtretung an den VwGH beantragt.

Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie den Antrag stellt, die Beschwerde abzuweisen.

II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Die Beschwerdeführerin erachtet sich nur durch den das Grundstück Nr. 1549 betreffenden abweisenden Teil des angefochtenen Bescheides beschwert. Die Beschwerde ist als nur gegen diesen abweisenden Teil des Bescheides gerichtet anzusehen.

In der Begründung der Beschwerde ist - bezüglich des das Grundstück Nr. 1549 betreffenden abweisenden Teiles des angefochtenen Bescheides - ausgeführt, die Behörde stelle sich entgegen der herrschenden Meinung, daß die Zustimmung der Grundeigentümerin zur Bauführung gemäß §96 Abs1 Z2 der Nö. Bauordnung 1976, LGBl. 8200-0, nur auf dem ordentlichen Rechtswege erzwungen werden könne, auf den Standpunkt, auch die öffentlich-rechtliche Maßnahme der einstweiligen Verfügung durch das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft ersetze den verweigerten Konsens. Diese Ansicht widerspreche dem Grundsatz der Unverletzlichkeit des Eigentums. Im übrigen sei, entgegen der Ansicht des angefochtenen Bescheides, welcher immerhin erst nach einem Jahr nach Einbringung der Vorstellung ergangen sei, die rechtliche Situation im Zeitpunkt des Erlassens des Bescheides zweiter Instanz maßgeblich und nicht allenfalls zwischenzeitig eingetretene Neuerungen. Der angefochtene Bescheid stehe daher mit den Verfassungsgesetzen nicht im Einklang, er stelle gleicherweise wie die gesondert bekämpfte (mit Beschwerde zu B542/78) einstweilige Verfügung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft einen Eingriff in das Eigentumsrecht der Beschwerdeführerin dar.

2. Die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums hätte stattgefunden, wenn der angefochtene Bescheid auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß diese mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre (vgl. zB VfSlg. 8405/1978, 9500/1982 mit Hinweisen auf Vorjudikatur).

3. Der angefochtene Vorstellungsbescheid stützt sich auf §61 Abs3 der Nö. Gemeindeordnung 1973 (Nö. GO 1973), LGBl. 1000-2 (idF vor der 2, Nov. LGBl. 1000-3, 73/1981), wonach - in Entsprechung des Art119a Abs5 B-VG - die Aufsichtsbehörde im Vorstellungsverfahren den letztinstanzlichen Gemeindebescheid, wenn durch ihn Rechte des Einschreiters verletzt werden, aufzuheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde zu verweisen hat.

Die Befugnisse der Vorstellungsbehörde im Vorstellungsverfahren sind dadurch gekennzeichnet, daß die Behörde nicht in der Sache selbst - reformatorisch - entscheidet, sondern nur befugt ist, bei Verletzung von Rechten des Einschreiters den angefochtenen Bescheid aufzuheben, also eine kassatorische Entscheidung zu treffen (vgl. VfGH 6. 10. 1966 B160/66, VwGH 9. 11. 1977 Z 2382/77). Aufgabe der eine Vorstellungsentscheidung treffenden Gemeindeaufsichtsbehörde ist es dabei, den bei ihr angefochtenen gemeindebehördlichen Bescheid an der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung dieses gemeindebehördlichen Bescheides zu messen (vgl. VfSlg. 8557/1979, VfGH 23. 6. 1982 B445/79; VwSlg. 7806 A/1970, VwGH 26. 2. 1981 Z 06/2593/80).

Mit dem angefochtenen Bescheid wird eine Vorstellung der Beschwerdeführerin gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Gemeinderates der Marktgemeinde Himberg, mit dem im Ergebnis der Stadt Wien eine Baubewilligung erteilt wurde, hinsichtlich des Grundstückes Nr. 1549 KG Himberg abgewiesen, hinsichtlich des Grundstückes Nr. 1551 KG Himberg wird der Vorstellung stattgegeben. Die dem angefochtenen Bescheid angelastete Verfassungswidrigkeit betrifft den abweisenden Teil des Bescheides.

Der bei der belangten Behörde angefochtene letztinstanzliche Gemeindebescheid ist bezüglich beider Grundstücke der Beschwerdeführerin vom Vorliegen einer ausdrücklichen Zustimmung zur Bauführung durch die Stadt Wien, die von den Rechtsvorgängern der Beschwerdeführerin im Eigentum in Form der Einräumung einer Servitut erteilt worden sei und die nun der Beschwerdeführerin zuzurechnen sei, ausgegangen. Die belangte Behörde hat (im aufhebenden Teil des Vorstellungsbescheides) bezüglich des Grundstückes Nr. 1551 das Vorliegen einer ausdrücklichen Zustimmung oder einer sie ersetzenden gerichtlichen Entscheidung verneint. Bezüglich des Grundstückes Nr. 1549 geht die belangte Behörde (im abweisenden Teil des Vorstellungsbescheides) davon aus, daß die für die Erteilung einer Baubewilligung, wenn der Bewilligungswerber nicht Grundeigentümer ist, gemäß §96 Abs1 Z2 der Nö. Bauordnung 1976, LGBl. 8200-0, erforderliche Zustimmung des Grundeigentümers durch eine verwaltungsbehördlich eingeräumte Zwangsservitut - hier durch die einstweilige Verfügung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft vom 29. August 1978 - ersetzt wird.

Die belangte Behörde ist sich des Umstandes bewußt, daß die genannte einstweilige Verfügung erst nach Erlassung des bei ihr angefochtenen gemeindebehördlichen Bescheides vom 11. Juli 1977 getroffen worden ist. Sie meint jedoch, daß die Pflicht der Baubehörde zur Bedachtnahme auf das Eigentumsrecht des Grundeigentümers einer Verfahrensvorschrift gleichgehalten werden müsse, deren Mißachtung laut der Rechtsprechung des VwGH dann keinen Anlaß für die Aufhebung einer Entscheidung bilden solle, wenn ihre Beachtung im fortgesetzten Verfahren keine im Spruch anders lautende als die angefochtene Entscheidung zur Folge haben könne.

Die bezogene, zur Regelung des §42 VwGG 1965, BGBl. 2/1965, ergangene Rechtsprechung des VwGH vermag jedoch die Rechtsauffassung der belangten Behörde nicht zu stützen. Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde den bei ihr angefochtenen gemeindebehördlichen Bescheid nicht an der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung dieses Bescheides geprüft, sondern einen erst später erlassenen Bescheid einer anderen Behörde zur Grundlage für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des gemeindebehördlichen Bescheides genommen. Dies kann einer Verletzung von Verfahrensvorschriften iS des §42 Abs2 VwGG 1965 nicht gleichgehalten werden.

Die von der belangten Vorstellungsbehörde vertretene Rechtsauffassung, sie habe den bei ihr angefochtenen gemeindebehördlichen Bescheid nicht an der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Erlassung zu messen, sondern sie habe nach Art einer Berufungsbehörde in der Sache selbst zu entscheiden (vgl. VfSlg. 7459/1974 und die seitherige Rechtsprechung zB VfSlg. 7972/1976, 8411/1978), leidet im Hinblick auf die landes(verfassungs)gesetzliche Bestimmung des §61 Abs3 (§99) Nö. GO 1973, LGBl. 1000-0 (übereinstimmend mit Art119a Abs5 B-VG) an einem in die Verfassungssphäre reichenden schweren Fehler.

Da die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid eine Vorstellung gegen einen Bescheid abweist, mit dem einem Dritten eine Baubewilligung auf einem im Eigentum der Beschwerdeführerin stehenden Grundstück erteilt wurde und der daher in das Eigentum der Beschwerdeführerin eingreift, bewirkt der der belangten Behörde anzulastende qualifizierte Fehler eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums.

4. Der angefochtene Bescheid war daher im Umfang seiner Anfechtung wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums aufzuheben.

Schlagworte

Gemeinderecht, Vorstellung, Bescheiderlassung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1982:B543.1978

Dokumentnummer

JFT_10178797_78B00543_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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