TE Vfgh Beschluss 1982/12/13 B619/80

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Veröffentlicht am 13.12.1982
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
B-VG Art144 Abs1 / Gerichtsakt
B-VG Art144 Abs1 / Hausdurchsuchung

Leitsatz

Art144 Abs1 B-VG; Personsdurchsuchung als Teil einer richterlich angeordneten Hausdurchsuchung; keine Zuständigkeit des VfGH

Spruch

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1. a) In der auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wird vorgebracht, am 21. Oktober 1980 hätten fünf Beamte des Finanzamtes für den XII., XIII., XIV. und XXIII. Bezirk in Wien und ein Beamter der Bundespolizeidirektion Wien (Wirtschaftspolizei) bei der Arbeitsgemeinschaft K. - bei welcher der Beschwerdeführer als Chauffeur beschäftigt sei - auf Grund eines richterlichen Hausdurchsuchungsbefehles eine Hausdurchsuchung durchgeführt. Als der Beschwerdeführer während der Hausdurchsuchung das Büro seiner Firma in der Sch.-Allee 34 verlassen habe wollen, sei ihm von den Beamten erklärt worden, daß er nicht weggehen könne, bevor er durchsucht sei. Daraufhin seien seine sämtlichen Taschen durchsucht worden. Ein Beamter habe weiters seine Brieftasche durchwühlt und von den darin befindlichen Aufzeichnungen Fotokopien angefertigt. In Anbetracht der Äußerungen der Beamten habe der Beschwerdeführer Angst gehabt, im Falle einer Weigerung verhaftet zu werden.

Ein richterlicher Befehl zu einer Personsdurchsuchung sei nicht vorgelegen. Die Behörden hätten daher bei Durchführung des richterlichen Hausdurchsuchungsbefehles ihre Ermächtigung überschritten. Der Beschwerdeführer sei durch diese Vorgangsweise im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden. Da die belangten Behörden auch willkürlich gehandelt hätten, sei auch der Gleichheitsgrundsatz verletzt.

Der Beschwerdeführer beantragt, der VfGH wolle feststellen, daß die belangten Behörden dadurch, daß bei der Hausdurchsuchung am 21. Oktober 1980 in den Räumen der Arbeitsgemeinschaft K. der Beschwerdeführer durchsucht wurde, er in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt wurde, und möge die Bundespolizeidirektion Wien und das Finanzamt für den XII., XIII., XIV., u. XXIII. Bezirk schuldig erkennen, dem Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens zu ersetzen oder in eventu die Beschwerde an den VwGH abtreten.

In der mündlichen Verhandlung vor dem VfGH brachte der Beschwerdeführer überdies vor, die bekämpfte Amtshandlung verstoße (auch) gegen Art8 MRK, Art2 des Vierten Zusatzprotokolls zur MRK sowie gegen Art4 Abs1 StGG.

b) Die Bundespolizeidirektion Wien (vertreten durch die Finanzprokuratur) hat eine Gegenschrift erstattet, in welcher die Zurückweisung der Beschwerde mit der Begründung beantragt wird, das Einschreiten sämtlicher an der Amtshandlung beteiligter Beamter sei auf Grund der im Hausdurchsuchungsbefehl enthaltenen richterlichen Anordnung erfolgt. In eventu sei das Verfahren über diese Beschwerde ausschließlich mit dem Finanzamt zu führen, da von keinem Organ der Bundespolizeidirektion Wien eine verwaltungsbehördliche Befehls- oder Zwangsgewalt gegen den Beschwerdeführer ausgeübt worden sei.

c) Das Finanzamt für den XII., XIII., XIV. u. XXIII. Bezirk in Wien hat ebenfalls eine Gegenschrift erstattet, in welcher ausgeführt wurde, der Beschwerdeführer habe die in seinen Taschen befindlichen Gegenstände freiwillig herausgegeben; eine Personsdurchsuchung sei daher "nicht erforderlich" gewesen. Da die Beamten im Rahmen des gerichtlichen Hausdurchsuchungsbefehls gehandelt hätten, werde die Zurückweisung der Beschwerde beantragt. Sollte der VfGH jedoch zur Ansicht gelangen, daß eine Personsdurchsuchung vorliegt, wolle die Beschwerde als unbegründet abgewiesen werden, da keine verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte verletzt worden seien.

2. Der VfGH hat Beweis erhoben durch die Einvernahme der Zeugen ... sowie des Beschwerdeführers als Partei im Rechtshilfewege.

Der VfGH nimmt auf Grund dieser Beweismittel - soweit dies für die rechtliche Beurteilung von Belang ist - folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

Am 20. Oktober 1980 erließ das Landesgericht für Strafsachen Wien zu 23d Vr 3710/80 an das Finanzamt für den XII., XIII., XIV. und XXIII. Bezirk als Finanzstrafbehörde erster Instanz den Befehl auf Durchsuchung der Räumlichkeiten des Dipl.-Ing. A. R. in 1120 Wien, Sch.-Allee 32, Sch.-Allee 34 und W-straße 30 im Zusammenwirken mit der Wirtschaftspolizei, und zwar zum Zweck der Auffindung und Beschlagnahme von Unterlagen, die auf die Veranlagung von insgesamt 40 Mio. Schilling durch eine bestimmte dritte Person unter dem Namen des Dipl.-Ing. A. R. oder unter anderen eventuellen Decknamen hinweisen.

Die Hausdurchsuchung wurde am 21. Oktober 1980 an den im Hausdurchsuchungsbefehl genannten Orten von Beamten des Finanzamtes und einem Beamten der Bundespolizeidirektion Wien (Wirtschaftspolizei) durchgeführt. Der Beamte der Bundespolizeidirektion Wien beteiligte sich jedoch an der Durchsuchung der Büroräumlichkeiten in Sch.-Allee 34, in denen sich der Beschwerdeführer aufhielt, nicht; die Amtshandlung wurde dort ausschließlich von den Beamten des Finanzamtes abgewickelt.

Während der Durchsuchung der Räumlichkeiten in Sch.-Allee 34 erklärte der Beschwerdeführer dem Finanzbeamten M., er müsse jetzt wegfahren. Daraufhin forderte der Beamte den Beschwerdeführer auf, ihm vor dem Verlassen der Büroräume den Inhalt seiner Taschen vorzuweisen. Der Beschwerdeführer kam dieser Aufforderung nach. Die Gegenstände wurden dem Beschwerdeführer nach Anfertigung verschiedener Kopien seitens der Finanzbeamten wieder ausgefolgt.

Von den vernommenen Zeugen haben nur Dr. K., der Finanzbeamte Sch. und die Zeugin S. persönliche Wahrnehmungen von dem in Beschwerde gezogenen Vorfall zwischen dem Beschwerdeführer und dem Finanzbeamten M. gemacht. Alle Aussagen stimmen dahin überein, daß der Beschwerdeführer der Aufforderung des Zeugen M. ihm vor Verlassen des Hauses den Inhalt seiner Taschen zu zeigen, nachgekommen ist.

Es steht fest, daß der Beschwerdeführer dem Finanzbeamten den Inhalt seiner Taschen keineswegs freiwillig vorgewiesen hat. Wenngleich die Beamten in ihren Aussagen betonen, der Beschwerdeführer sei der Aufforderung "sofort" nachgekommen und hätte "überhaupt keine Einwände" dagegen gehabt, besteht kein Zweifel daran, daß der Beschwerdeführer in der damaligen Situation mit Recht davon ausgehen mußte, daß die Beamten eine Ablehnung ihrer Aufforderung nicht sanktionslos hinnehmen würden. Das ergibt sich auch aus der Aussage des Zeugen M., daß es überhaupt nicht notwendig gewesen sei, dem Beschwerdeführer "mit irgendetwas zu drohen (einer Verhaftung etwa)", weil ein "gutes Klima" geherrscht habe und dies nicht erforderlich gewesen sei; er habe den Beschwerdeführer "nicht echt" am Verlassen des Hauses hindern müssen.

3. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich zunächst, daß der bekämpfte Verwaltungsakt von einem Organ des Finanzamtes für den XII., XIII., XIV. und XXIII. Bezirk gesetzt worden ist. Die in Beschwerde gezogene Amtshandlung ist aber im Hinblick auf die im nachfolgenden Punkt 4. angestellten Erwägungen auch nicht dem genannten Finanzamt zuzurechnen.

4. Der VfGH wertet den festgestellten Sachverhalt rechtlich wie folgt:

In Anbetracht der oben angeführten Umstände, stellt sich der bekämpfte Verwaltungsakt als Akt verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt iS des Art144 Abs1 B-VG dar; insoweit sind also die Voraussetzungen zur Erhebung einer Beschwerde nach dieser Verfassungsbestimmung gegeben.

Der VfGH hat im Erk. VfSlg. 2861/1955 ausgesprochen, daß es zur ordnungsgemäßen Vornahme einer Hausdurchsuchung gehört, alles zu verhindern, was geeignet wäre, den Zweck der Durchsuchung zu vereiteln, insbesondere zu verhindern, daß Gegenstände beiseite geschafft werden, auf deren Zustandebringung die Durchsuchung gerichtet ist.

Zweck der Hausdurchsuchung war die Beschaffung schriftlicher Unterlagen über angebliche finanzielle Transaktionen. In den durchsuchten Büroräumen hielt sich eine größere Anzahl von Angestellten auf, deren Verhalten für die Beamten nicht jederzeit überblickbar war. Die bekämpfte Amtshandlung, deren Zweck es unbestrittenermaßen war, zu kontrollieren, ob der Beschwerdeführer nicht einen für die Durchsuchung wesentlichen Gegenstand außer Haus bringen will, stellt daher einen Teil der Vornahme der richterlich angeordneten Hausdurchsuchung dar. Ob hiebei im einzelnen richtig vorgegangen wurde, hat der VfGH nicht zu prüfen.

Daraus folgt, daß die in Beschwerde gezogene Amtshandlung zwar in Ausübung behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erfolgte, aber keine Überschreitung der Ermächtigung bei Durchführung des richterlichen Hausdurchsuchungsbefehls vorliegt. Nur in einem solchen Fall wäre aber die Zuständigkeit des VfGH iS des Art144 B-VG gegeben (vgl. VfSlg. 5012/1965, 7203/1973).

5. Die Beschwerde ist daher wegen Nichtzuständigkeit des VfGH zurückzuweisen.

Schlagworte

Hausrecht, Hausdurchsuchung, Gerichtsakt, Personsdurchsuchung, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, VfGH / Zuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1982:B619.1980

Dokumentnummer

JFT_10178787_80B00619_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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