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90 Straßenverkehrsrecht, KraftfahrrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
StVO 1960; keine Bedenken gegen §96 Abs2Spruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Wr. Landesregierung vom 5. Jänner 1982 schuldig erkannt, dadurch eine Verwaltungsübertretung nach §99 Abs3 lita iVm §24 Abs1 lita StVO 1960 begangen zu haben, daß er am 25. Feber 1980 gegen
18.40 Uhr in Wien 2, Rembrandtstraße 1 den PKW mit dem polizeilichen Kennzeichen W ... "in einem deutlich sichtbaren Halteverbot (Behindertenzone) gehalten" habe. Gegen den Beschwerdeführer wurden eine Geldstrafe und eine Ersatzarreststrafe verhängt.
2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der ausschließlich behauptet wird, wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung (nämlich eines gesetzwidrigen Halteverbotes) in seinen Rechten verletzt worden zu sein. Der Beschwerdeführer regt an, von Amts wegen ein Verordnungsprüfungsverfahren einzuleiten und beantragt, den angefochtenen Bescheid aufzuheben.
3. Die belangte Behörde hat die den angefochtenen Bescheid betreffenden Akten sowie die auf die Erlassung des Halteverbotes vor dem Haus Wien 2, Rembrandtstraße 1 bezughabenden Verordnungsakten vorgelegt. Sie begehrt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Der Beschwerdeführer begründet seine Behauptung, wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden zu sein, damit, daß das Halteverbot zum Zeitpunkt der Begehung der Tat nicht mehr gesetzmäßig gewesen sei. Die Personen, zu deren Gunsten die Behindertenzone (§43 Abs1 litd StVO 1960) verfügt worden sei, hätten zum Zeitpunkt der Tat nicht mehr in der näheren Umgebung dieser Zone gewohnt. Es habe somit kein Bedarf nach dieser Behindertenzone mehr bestanden. Die Verordnung sei durch Änderung der tatsächlichen Verhältnisse gesetzwidrig geworden.
2. a) Dem §43 Abs1 litd StVO 1960 zufolge hat die Behörde (das ist gemäß §94d Z4 StVO 1960 iVm §105 Abs2 der Wr. Stadtverfassung, LGBl. 28/1968, in Wien der Magistrat) für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung "für dauernd stark gehbehinderte Personen, die wegen ihrer Behinderung darauf angewiesen sind, das von ihnen selbst gelenkte Kraftfahrzeug in unmittelbarer Nähe ihrer Wohnung oder ihrer Arbeitsstätte oder in unmittelbarer Nähe von Gebäuden, die von solchen Personen in der Regel häufig besucht werden, wie etwa Invalidenämter, bestimmte Krankenhäuser oder Ambulatorien, Sozialversicherungseinrichtungen udgl., oder in unmittelbarer Nähe einer Fußgängerzone abstellen zu können, Straßenstellen für die unbedingt notwendige Zeit und Strecke zum Abstellen der betreffenden Kraftfahrzeuge durch Halteverbot freizuhalten".
b) Aus den vorgelegten Verordnungsakten des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 46, Zlen. V 2-78/79, V 2-120/80, V 2-121/80 und V 2-132/80 ergibt sich folgendes:
Am 12. Juli 1979 ersuchten zwei im Haus Wien 2, Rembrandtstraße 1 wohnhafte Personen den Magistrat der Stadt Wien, zwei "Invalidenparkplätze" vor diesem Haus zu schaffen. Nach den Feststellungen der Behörde erfüllten diese Personen die im §43 Abs1 litd StVO 1960 angeführten Voraussetzungen. Die Behörde erließ daher nach Durchführung einer Ortsverhandlung vom 12. September 1979 am selben Tag folgende Verordnung:
"In Wien 2, Rembrandtstraße ist vor dem Haus ONr. 1 von der Hausgrenze ONr. 1/3 in Richtung Obere Donaustraße in einer Länge von 10 m das Halten mit Fahrzeugen aller Art verboten. Ausgenommen davon sind Fahrzeuge dauernd stark gehbehinderter Personen."
Diese Verordnung wurde laut Aktenvermerk (§44 Abs1 StVO 1960) am 12. Dezember 1979 durch Aufstellen von Straßenverkehrszeichen nach §52 Z13b StVO ("Halten und Parken verboten") mit der Zusatztafel "Ausgenommen" und dem Behindertensymbol kundgemacht.
Mit zwei Schreiben vom 1. September 1980 teilten die beiden gehbehinderten Personen, die die Schaffung der Behindertenzone angeregt hatten, mit, sie seien an eine andere Adresse verzogen; sie ersuchten daher um "Verlegung" der "Invalidenzone". Am 2. Oktober 1980 suchte eine dritte Person, die damals im Haus Rembrandtstraße 1 wohnte und gleichfalls dauernd stark gehbehindert war, um "Genehmigung eines Behindertenparkplatzes" an. Nach Durchführung einer Ortsverhandlung vom 31. Oktober 1980 erließ der Magistrat der Stadt Wien eine Verordnung, derzufolge die bis dahin bestehende Behindertenzone von 10 auf 5 m verkleinert wurde. Die Straßenverkehrszeichen wurden am 23. Jänner 1981 versetzt.
c) Als am 12. Dezember 1979 die Behindertenzone (erstmals) eingerichtet wurde, lagen die Voraussetzungen des §43 Abs1 litd StVO 1960 vor. Dies bestreitet im übrigen auch der Beschwerdeführer nicht. Maßgeblich ist hier jedoch, ob die - bei Erlassung des angefochtenen Bescheides angewendete - Verordnung zur Tatzeit (25. Feber 1980) gesetzmäßig war.
Dem Beschwerdeführer ist insofern beizupflichten, als eine Verordnung, die im Zeitpunkt ihrer Erlassung gesetzmäßig war, durch Änderung des Sachverhaltes gesetzwidrig werden kann.
Die Anpassung eines Gesetzes oder einer Verordnung an den geänderten Lebenssachverhalt muß jedoch nicht unverzüglich erfolgen; vielmehr ist dem Normsetzer hiefür eine gewisse Verzögerung zugebilligt. Die Verzögerung ist im allgemeinen nur so lange tolerabel, bis der Normsetzer von der Änderung des Sachverhaltes Kenntnis erlangte oder erlangen mußte, und als es ihm sodann zumutbar ist, die Anpassung der Norm vorzunehmen.
Dafür, daß sich hier der Verordnungsgeber von einer möglichen Änderung des Sachverhaltes innerhalb angemessener Zeiträume informiert, sorgt §96 Abs2 StVO 1960. Danach hat die Behörde alle zwei Jahre unter Beiziehung des Straßenerhalters alle angebrachten Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs daraufhin zu überprüfen, ob sie noch erforderlich sind; nicht mehr erforderliche Einrichtungen dieser Art sind zu entfernen. Daraus ergibt sich einerseits die Verpflichtung der Behörde, alle zwei Jahre von Amts wegen (auch ohne daß besondere Hinweise vorliegen) zu überprüfen, ob die seinerzeit für die Erlassung etwa eines Halteverbotes gegebenen Voraussetzungen weiterhin vorliegen; andererseits aber, daß eine derartige Verordnung zwei Jahre hindurch (ab ihrer Erlassung oder ihrer letzten Überprüfung) vom Gesetz regelmäßig auch dann gedeckt ist, wenn die zum Zeitpunkt ihrer Erlassung gegebenen Voraussetzungen in der Folge wegfallen; es sei denn, daß der Behörde früher auf Grund besonderer Umstände bekannt war oder bekannt sein mußte, der der Verordnung zugrundeliegende Sachverhalt habe sich geändert; so etwa dann, wenn solche Umstände der Behörde angezeigt oder gemeldet werden oder wenn bereits bei Verordnungserlassung die zeitliche Limitierung vorhersehbar war.
Der VfGH hat unter dem Gesichtspunkt des vorliegenden Beschwerdefalles keine Bedenken, daß bei diesem Gesetzesinhalt die StVO 1960 - insbesondere wegen Widerspruches zum Gleichheitsgrundsatz und des darin enthaltenen Sachlichkeitsgebotes - verfassungswidrig ist. Die Regelung ist aus verwaltungsökonomischen Gründen sachlich gerechtfertigt. Vor allem ist die erwähnte Zweijahresfrist angemessen; eine Verpflichtung, Verkehrsverbote in jedem Fall laufend (also in ganz kurzen Zeitabständen) zu überprüfen, würde einen unvertretbaren Verwaltungsaufwand erfordern.
Im vorliegenden Fall bestand für den Verordnungsgeber kein Anlaß daran zu zweifeln, daß die beiden erstgenannten gehbehinderten Personen zur Tatzeit noch immer im Haus Rembrandtstraße 1 gewohnt haben. Der Behörde wurde erst durch die am 3. September 1980 bei ihr eingelangten Schreiben vom 1. September 1980 dieser beiden Personen bekannt, daß sie verzogen seien. Erst ab diesem Zeitpunkt hatte sie Veranlassung, nachzuprüfen, ob die Behindertenzone dennoch nach wie vor gerechtfertigt war. Dieser Verpflichtung ist sie nachgekommen; sie hat auch die entsprechenden Konsequenzen gezogen.
Daraus folgt, daß die Behindertenzone vor dem Haus Rembrandtstraße 1 auch zur Tatzeit (25. Feber 1980) gesetzmäßig war.
d) Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Bedenken gegen das Halteverbot vor dem Haus Rembrandtstraße 1 treffen daher nicht zu. Der VfGH hat auch sonst gegen die den angefochtenen Bescheid tragenden Rechtsvorschriften unter dem Gesichtspunkt dieses Beschwerdefalles keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Der Beschwerdeführer ist sohin nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde war daher abzuweisen. Da der Beschwerdeführer nur die Verletzung von Rechten wegen Anwendung einer generellen Norm behauptet hat, war nicht daraufeinzugehen, ob die Verletzung eines anderen (verfassungsgesetzlich gewährleisteten) Rechtes vorliegt (vgl. zB VfSlg. 8792/1980).
Schlagworte
Straßenpolizei, Halte(Park-)Verbot, Straßenverkehrszeichen, Invalidation, VfGH / PrüfungsmaßstabEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1982:B154.1982Dokumentnummer
JFT_10178786_82B00154_00