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22 Zivilprozeß, außerstreitiges VerfahrenNorm
B-VG Art94Beachte
vgl. Kundmachung BGBl. 124/1983 am 2. März 1983Leitsatz
ZPO; §57 Abs3 zweiter Satz mit Art94 B-VG nicht vereinbarSpruch
Der zweite Satz im §57 Abs3 der Zivilprozeßordnung, RGBl. Nr. 113/1895, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.
Der Bundeskanzler ist verpflichtet, diese Aufhebung unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der OGH stellt aus Anlaß einer von ihm zu treffenden Rechtsmittelentscheidung über die Sicherheitsleistung für Prozeßkosten in einem Zivilrechtsstreit unter Berufung auf Art140 Abs1 B-VG den Antrag, den letzten (zweiten) Satz im §57 Abs3 ZPO als verfassungswidrig aufzuheben.
Dieser Paragraph lautet - soweit seine Wiedergabe im gegebenen Zusammenhang erforderlich ist - folgendermaßen:
§57. (1) Wenn Ausländer vor einem im Geltungsbereiche dieses Gesetzes gelegenen Gerichte als Kläger auftreten, haben sie dem Beklagten auf dessen Verlangen für die Prozeßkosten Sicherheit zu leisten, sofern nicht durch Staatsverträge etwas anderes festgesetzt ist.
(2) Eine solche Verpflichtung zur Sicherheitsleistung tritt jedoch nicht ein:
1. wenn nach den Gesetzen des Staates, dem der Kläger angehört, österreichische Staatsangehörige im gleichen Falle zur Sicherheitsleistung für Prozeßkosten nicht verpflichtet sind;
...
(3) Sofern sich ein Zweifel über die Gesetzgebung, die Einrichtungen oder das Verhalten des Staates ergibt, welchem der Kläger angehört, ist hierüber eine Erklärung des Bundesministers für Justiz einzuholen. Dieselbe ist für das Gericht bindend.
2. Die Bundesregierung sah von einer Äußerung zum Antrag des OGH ab.
II. 1. Zum Anlaßverfahren ist - der Darstellung des OGH folgend - im wesentlichen festzuhalten:
Das Erstgericht wies den Antrag des beklagten österreichischen Importgroßhändlers ab, der Klägerin, einer Handelsgesellschaft mit dem Sitz in Taipei, Taiwan, Republik China, die Leistung einer Sicherheit für die Prozeßkosten aufzutragen. Es schloß aus der vom Bundesminister für Justiz auf das Ersuchen um eine Erklärung gemäß §57 Abs3 ZPO "zur Kenntnisnahme" übermittelten Abschrift einer Auskunft des österreichischen Generalkonsuls in Hongkong und einer Übersetzung darin zitierter Bestimmungen des Chinesischen Zivilprozeßgesetzbuches, daß die Gegenseitigkeit iS des §57 Abs2 Z1 ZPO gewährleistet sei. Das von der beklagten Partei angerufene Rekursgericht zog aus der Mitteilung des Bundesministers für Justiz hingegen den Schluß, daß der eben erwähnte Befreiungstatbestand nicht gegeben sei, und trug der Klägerin zur Sicherung der Prozeßkosten den Erlag eines festgesetzten Betrages auf. Diese Entscheidung des Rekursgerichtes wird von der Klägerin mit dem an den OGH erhobenen Revisionsrekurs bekämpft.
2. Es kamen keine Umstände hervor, die gegen die Auffassung des OGH sprächen, daß er die angefochtene Gesetzesstelle bei seiner Entscheidung über den Revisionsrekurs anzuwenden hätte. Der vorliegende Gesetzesprüfungsantrag erweist sich, da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, als zulässig.
III. 1. Die verfassungsrechtlichen Bedenken des OGH schließen sich an den Standpunkt an, den der VfGH im Erk. VfSlg. 6278/1970 einnahm, mit dem die gleichfalls eine Bindung des Zivilgerichtes an eine Erklärung des Bundesministers für Justiz festlegende Vorschrift des ArtIX Abs3 EGJN insoweit als verfassungswidrig aufgehoben wurde. Nach der bestehenden Gesetzeslage sei der Bundesminister für Justiz eine dem Gericht zwar nicht organisatorisch, aber entscheidungsmäßig vorgesetzte Behörde, die in der Form einer autoritativen Feststellung der Rechtslage in jenem Staat, dem der vor einem österreichischen Gericht klagende Ausländer angehört, in Beziehung auf die Verpflichtung österreichischer Staatsangehöriger zur Sicherheitsleistung für Prozeßkosten dem anfragenden Gericht auftrage, in einer individuell bestimmten Prozeßsache die dieser bindenden Mitteilung entsprechende Entscheidung zu treffen. Diese Norm (§57 Abs3 letzter Satz ZPO) lasse sich unter keine der österreichischen Rechtsordnung bekannten Verwaltungsformen einreihen. Zur Entscheidung ein und derselben Rechtssache würden Verwaltungsbehörde und Gericht zu einer Gesamtheit verflochten. Art94 B-VG, demzufolge die Justiz von der Verwaltung in allen Instanzen getrennt ist, lasse es jedoch nicht zu, daß über dieselbe Sache Gerichte und Verwaltungsbehörden - nebeneinander oder nacheinander - entscheiden. Der Fall gleiche völlig dem unter VfSlg. 6278/1970 abgehandelten. Der OGH belegt seine Auffassung schließlich mit denselben Literaturstellen, die in der (zustimmenden) Besprechung dieser Entscheidung von Klecatsky, JBl. 1972 S 38 f., bezüglich der Verfassungswidrigkeit der damals geprüften Gesetzesvorschrift angeführt werden (Satter JBl. 1931, S 473 ff., Antoniolli, Allgemeines Verwaltungsrecht S 26, Walter, Verfassung und Gerichtsbarkeit, S 72 ff., 120, "Gesamtreform der Justiz",
S 122 ff.).
2. Die Bedenken des OGH sind begründet.
Zur vergleichbaren Regelung im ArtIX Abs3 EGJN bemerkte der VfGH im Erk. VfSlg. 6278/1970, die geprüfte Gesetzesvorschrift habe nicht die Bedeutung, eine Sachgrundlage für die gerichtliche Entscheidung zu schaffen, die Erklärung des Justizministers habe vielmehr die Wirkung, daß durch sie der Bereich der inländischen Gerichtsbarkeit abgegrenzt werde. Grundsätzlich das gleiche gilt für die im vorliegenden Fall zu prüfende Bestimmung. Sie hat ebenfalls nicht die Bedeutung, eine Sachgrundlage für die gerichtliche Entscheidung zu schaffen, sondern nimmt nach Maßgabe von Umfang und Inhalt der vom Bundesminister für Justiz abgegebenen Erklärung dem Zivilgericht die Entscheidungsbefugnis in der sonst ausschließlich von ihm zu beantwortenden Frage nach der Gegenseitigkeit im Bereich der aktorischen Kaution. Auch im übrigen treffen die im Erk. VfSlg. 6278/1970 dargelegten Erwägungen sinngemäß für die gegenwärtige Gesetzesprüfung zu. Hervorzuheben sind aus ihnen die auch in diesem Fall gegebenen Umstände, daß der normative Akt des Justizministers nicht als Bescheid gewertet werden kann, da sich der in ihm enthaltene Befehl unmittelbar an das Gericht richtet, ferner daß sich die Erklärung auch nicht dem Begriff einer Verordnung zuordnen läßt, weil die sogenannte Verwaltungsverordnung - da an unterstellte Verwaltungsbehörden gerichtet - von vornherein ausscheidet und bezüglich einer Rechtsverordnung die Kundmachung als deren essentielles Merkmal fehlt. Die bindende Erklärung des Justizministers hat den Auftrag an das anfragende Gericht zum Inhalt, in einer individuell bestimmten Prozeßsache die ihr entsprechende Entscheidung zu treffen; eine solche Norm ist - ebenso wie die mit dem Erk. VfSlg. 6278/1970 geprüfte - mit dem durch Art94 B-VG festgelegten Grundsatz der Trennung der Justiz von der Verwaltung nicht vereinbar.
3. Der letzte (zweite) Satz im §57 Abs3 ZPO war sohin als verfassungswidrig aufzuheben.
Der Ausspruch, daß frühere Gesetzesbestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG, jener über die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt auf Abs5 erster Satz dieses Artikels.
Schlagworte
Gerichtsbarkeit Trennung von der Verwaltung, Zivilprozeß, Ausländer, Sicherheitsleistung (für Prozeßkosten), ProzeßkostenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1982:G74.1982Dokumentnummer
JFT_10178786_82G00074_00