TE Vfgh Erkenntnis 1982/12/17 V6/82

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Veröffentlicht am 17.12.1982
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8500 Straßen

Norm

B-VG Art139a
ABGB §1319a
Krnt StraßenG 1978 §9
WiederverlautbarungsG §9
Krnt Landes-WiederverlautbarungsG §1, §2

Beachte

vgl. Kundmachung LGBl. 16/1983 am 31. März 1983; s. Anlaßfall Beschl. v. 1. März 1983, G89, 91/80

Leitsatz

Kundmachung der Ktn. Landesregierung, LGBl. 33/1978, über die Wiederverlautbarung des Straßengesetzes 1971; Überschreitung der durch das Landes-Wiederverlautbarungsgesetz erteilten Ermächtigung durch Wiederverlautbarung des (durch §1319a ABGB derogierten) §9 Ktn. Straßengesetz 1971

Spruch

§9 der Anlage zur Kundmachung der Ktn. Landesregierung vom 22. November 1977, Z Verf-417/1/1977, LGBl. für Ktn. 33/1978, über die Wiederverlautbarung des Straßengesetzes 1971, LGBl. für Ktn. 48, in der durch die Gesetze LGBl. 15/1973 und 33/1977 geänderten Fassung, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die aufgehobene Bestimmung ist auch auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände nicht anzuwenden.

Der Landeshauptmann von Ktn. ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Das Landesgericht Klagenfurt beantragte gemäß Art89 Abs2 und Art140 Abs1 B-VG die Aufhebung des §9 des Ktn. Straßengesetzes 1978 (künftig: KStrG 1978), Anlage zur Kundmachung der Ktn. Landesregierung vom 22. November 1977, LGBl. für Ktn. 33/1978, über die Wiederverlautbarung des Straßengesetzes 1971 (künftig: StrG 1971), als verfassungswidrig.

1.2. Der als §9 KStrG 1978 wiederverlautbarte §9 StrG 1971 lautet:

"Die zur Erhaltung der in §2 Abs1 lita genannten öffentlichen Straßen Verpflichteten sind in Angelegenheiten der Verwaltung der Straßen - ausgenommen die unter die Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes fallenden Angelegenheiten der Hoheitsverwaltung - bei Verletzung oder Tötung von Personen oder Beschädigung von Sachen, die infolge des Zustandes einer Straße eingetreten sind, zum Schadenersatz nur dann verpflichtet, wenn Organe der Straßenverwaltung erwiesenermaßen das in §8 Abs1 festgesetzte Ausmaß der Erhaltung vorsätzlich oder in grob fahrlässiger Weise vernachlässigt haben. Unbeschadet der Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes haften für Schäden, die durch Glatteisbildung auf der Straße hervorgerufen werden, die Straßenerhaltungspflichtigen nicht."

Auch das StrG 1971 stellte sich als eine Wiederverlautbarung dar, und zwar als solche des Straßengesetzes 1966, LGBl. 23, idF der Gesetze LGBl. 10/1968, 57/1970 und 14/1971; das Straßengesetz 1966 war schließlich eine Wiederverlautbarung des Straßengesetzes LGBl. 24/1955. Der §9 KStrG 1978 entspricht den Bestimmungen des §9 des Straßengesetzes 1955.

1.3. Anlaß für die Gesetzesprüfungsanträge des Landesgerichtes Klagenfurt sind zwei bei diesem Gericht anhängige Berufungsverfahren.

1.3.1. Gegenstand eines beim antragstellenden Gericht zu AZ 2 R 427/80 anhängigen Rechtsstreites ist eine Schadenersatzforderung von S 23.000,- auf Grund eines Verkehrsunfalles, der sich am 24. November 1978 ereignete. Bei diesem Unfall erlitt der Kläger an seinem Fahrzeug einen Totalschaden dadurch, daß er im Bereich der von ihm geklagten Gemeinde auf einer vereisten Stelle der Fahrbahn einer Gemeindestraße über den Fahrbahnrand geraten und gegen einen Baum gestoßen war. Das Erstgericht wies die Klage ab, weil grobe Fahrlässigkeit der Organe der beklagten Gemeinde iS des §1319a ABGB nicht vorliege, ausgehend von der Rechtsansicht, daß dem §9 KStrG 1978 (gemeint ist wohl: StrG 1971) durch ArtIV (richtig ArtI) des Bundesgesetzes vom 3. Juli 1975, mit dem das ABGB durch die Regelung der Haftung für den Zustand eines Weges ergänzt wurde, BGBl. 416, materiellrechtlich derogiert worden sei. Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der gegen dieses erstgerichtliche Urteil erhobenen Berufung, weil nach §9 KStrG 1978 eine Haftung für den Schaden, der durch Glatteisbildung auf Straßen hervorgerufen wird, ausgeschlossen sei.

1.3.2. Gegenstand eines beim antragstellenden Gericht zu AZ 3 R 299/80 anhängigen Rechtsstreites ist eine Schadenersatzforderung von S 5.821,65, die vom Kläger gegen eine Gemeinde auf Grund eines Verkehrsunfalles geltend gemacht wurde, den er durch einen Zusammenstoß mit einem entgegenkommenden Fahrzeug am 28. Jänner 1980 dadurch erlitt, daß die vereiste Fahrbahn einer Straße nicht gestreut und infolge dessen sein Bremsmanöver unwirksam geblieben war; die beklagte Gemeinde treffe infolge Unterlassung der ihr obliegenden Streupflicht das Mitverschulden an diesem Verkehrsunfall. Gegen das abweisende Urteil erster Instanz, das sich auf §9 KStrG 1978 letzter Satz stützt, wonach für Schäden, die durch Glatteisbildung auf der Straße hervorgerufen werden, der Straßenerhaltungspflichtige nicht haftet, wendet sich die an das anfechtende Gericht erhobene Berufung.

1.4. Gegen die Verfassungsmäßigkeit des §9 KStrG 1978 werden vom Landesgericht Klagenfurt in beiden Anfechtungen folgende Bedenken erhoben:

"Zur Erlassung von Bestimmungen über die Regelung der Haftung für den Zustand einer öffentlichen Straße ist der Landesgesetzgeber nicht zuständig, weil es sich um Angelegenheiten des Zivilrechtswesens iS des Artikel 10 Abs1 Z6 B-VG handelt. Sonderregelungen der Haftung für Landes- und andere durch landesgesetzliche Straßenverwaltungsvorschriften geregelte öffentliche Straßen iS des Artikel 15 Abs9 B-VG sind nicht erforderlich, weshalb der Landesgesetzgeber zur Erlassung solcher Sondervorschriften nicht befugt ist. Dies hat der VfGH bereits in der Begründung seines Erk. vom 9. Dezember 1963, VfSlgNF 4605/1963 zum Ausdruck gebracht.

Zwar hat nach Artikel IV des Bundesgesetzes vom 3. Juli 1975, mit dem das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch durch die Regelung der Haftung für den Zustand eines Weges ergänzt wird, der §5 des Bundesstraßengesetzes 1971 mit dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes seine Wirksamkeit verloren, doch kann daraus entgegen der von Feil in 'Die Haftung für den Zustand von Wegen' Seite 22, vertretenen Auffassung, nicht gefolgert werden, daß infolge materiellrechtlicher Derogation damit auch die Haftungsbestimmungen des Ktn. Straßengesetzes 1978 ihre Wirksamkeit verlieren. Es darf nämlich nicht übersehen werden, daß sich dabei die Bestimmungen zweier voneinander verschiedener Gesetzgeber gegenüberstehen. Dazu kommt, daß sich die Bestimmung des §1319a ABGB mit einem Haftungsausschluß für durch Glatteisbildung auf einer Straße hervorgerufene Schäden gar nicht befaßt."

1.5. Beim VfGH ist die vom Landesgericht Klagenfurt aus Anlaß des Berufungsverfahrens 2 R 427/80 erhobene Anfechtung unter G89/80, die aus Anlaß des Berufungsverfahrens 3 R 299/80 erhobene Anfechtung unter G91/80 protokolliert. Der VfGH hat beide Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

2. Die Ktn. Landesregierung hat in der von ihr im Verfahren G89/80 erstatteten Äußerung die Verfassungsmäßigkeit des §9 KStrG 1978 verteidigt, wobei sie zusammenfassend vorbrachte, daß nach ihrer Auffassung nur der letzte Satz des §9 KStrG 1978 für das anfechtende Gericht in den dort anhängigen Berufungsverfahren präjudiziell, diese Bestimmung jedoch nicht verfassungswidrig sei; der übrige Inhalt der angefochtenen Bestimmung stelle sich als deklarative Wiedergabe bundesrechtlicher Bestimmungen dar und könne aus diesem Grunde nicht verfassungswidrig sein. Es werde daher der Antrag gestellt, §9 KStrG 1978 nicht als verfassungswidrig aufzuheben.

3.1. Der VfGH hat auf Grund nachfolgender, bei der Beratung über die Anfechtung entstandener Bedenken gemäß Art139a B-VG idF BGBl. 350/1981 ein Verfahren zur Prüfung der Frage, ob bei der Wiederverlautbarung des Straßengesetzes 1971, LGBl. für Ktn. 48, in der durch die Gesetze LGBl. 15/1973 und 33/1977 geänderten Fassung, als Straßengesetz 1978, Anlage der Kundmachung der Ktn. Landesregierung vom 22. November 1977, Z Verf-417/1/1977, LGBl. für Ktn. 33/1978, in Ansehung des §9 die Grenzen der durch das Landes-Wiederverlautbarungsgesetz vom 25. Mai 1948, LGBl. für Ktn. 24, erteilten Ermächtigung überschritten wurden, von Amts wegen eingeleitet.

3.1.1. Der VfGH ging davon aus, daß das anfechtende Gericht denkmöglich annehmen konnte, daß es die angefochtene Gesetzesstelle in den bei ihm anhängigen Berufungsverfahren anzuwenden habe und daß auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen.

3.1.2. Im Einleitungsbeschluß wird weiters dargelegt, daß sich bei der Beratung über die Gesetzesprüfungsanträge Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der Kundmachung der Ktn. Landesregierung vom 22. November 1977 insoweit ergeben haben, als in den wiederverlautbarten Text auch §9 des StrG 1971 als §9 KStrG 1978 aufgenommen worden ist. Ausgehend davon, daß einem Landesgesetz durch ein Bundesgesetz derogiert werden kann, nahm der VfGH vorläufig an, daß durch die mit Bundesgesetz vom 3. Juli 1975, BGBl. 416, erfolgte Einfügung des §1319a in das ABGB vom Bundesgesetzgeber eine Regelung getroffen wurde, durch die dem §9 StrG 1971 inhaltlich derogiert wurde. Damit ergab sich das Bedenken, daß die Aufnahme des §9 StrG in den als KStrG 1978 wiederverlautbarten Text gesetzwidrig erfolgt ist, da der durch §2 des Landes-Wiederverlautbarungsgesetzes vom 25. Mai 1948, LGBl. für Ktn. 24, konkretisierte Begriff der Wiederverlautbarung nicht die Ermächtigung enthält, durch inhaltliche Derogation untergegangene Vorschriften wiederzuverlautbaren und damit als Normen neu zu erlassen. Der VfGH hegte demnach Zweifel daran, daß durch die in Frage stehende Wiederverlautbarung die Grenzen der durch §2 des Landes-Wiederverlautbarungsgesetzes erteilten Ermächtigung eingehalten wurden.

3.2. Die Ktn. Landesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie auf die von ihr im Gesetzesprüfungsverfahren G89/80 bereits abgegebene Äußerung verweist.

4. Der VfGH hat erwogen:

4.1. Zur Zulässigkeit des Prüfungsverfahrens.

4.1.1. Die Ktn. Landesregierung tritt der Zulässigkeit des Verordnungsprüfungsverfahrens unter Hinweis auf ihre bereits im Gesetzesprüfungsverfahren vorgetragene Argumentation entgegen, daß nach ihrer Ansicht §9 KStrG 1978 in den den Gesetzesprüfungsanträgen zugrundeliegenden Gerichtsverfahren für das antragstellende Gericht mit Ausnahme des letzten Satzes der bekämpften Bestimmung nicht präjudiziell sei. Sie entgegnet der Annahme des VfGH im Einleitungsbeschluß, daß die Voraussetzungen für ein Verordnungsprüfungsverfahren vorliegen, weiters, daß es Sache des VfGH sei, selbst zu prüfen, ob ein in einem Normenprüfungsverfahren antragstellendes Gericht die von ihm bekämpfte Bestimmung im Anlaßverfahren anzuwenden habe.

4.1.2. Die Ktn. Landesregierung verkennt sowohl die Ausführungen des VfGH als auch die Rechtslage. Die Ktn. Landesregierung übersieht, daß der VfGH ausdrücklich darauf verwiesen hat, daß die vom antragstellenden Gericht vertretene Auffassung, §9 KStrG 1978 in den bei ihm anhängigen Verfahren anwenden zu müssen, denkmöglich ist. Der VfGH ist in dieser Aussage seiner ständigen Rechtsprechung (vgl. VfSlg. 7999/1977, 8197/1977) gefolgt, die eine Verneinung der Frage, ob die Vorschriften, deren Verfassungswidrigkeit von einem Gericht behauptet wird, für dessen Entscheidung präjudiziell sind, nur dann erlaubt, wenn die zur Prüfung beantragten Bestimmungen ganz offenbar und schon begrifflich überhaupt nicht als Voraussetzung des gerichtlichen Erk. in Betracht kommen können. Diese Rechtsprechung beruht auf der Überlegung, daß der VfGH andernfalls der dem antragstellenden Gericht obliegenden Entscheidung vorgreifen würde.

Entgegen der Meinung der Ktn. Landesregierung hatte das im Gesetzesprüfungsverfahren antragstellende Landesgericht Klagenfurt in den bei ihm anhängigen Berufungsverfahren nicht nur den letzten Satz des §9 KStrG 1978, sondern diese Bestimmung zur Gänze schon deshalb anzuwenden, weil in einem der erstinstanzlichen Urteile die Frage der Derogation dieser Norm durch §1319a ABGB ausdrücklich aufgeworfen wurde. Als Berufungsgericht konnte sich das antragstellende Gericht einer Auseinandersetzung mit der Frage, ob die bekämpfte Bestimmung dem Rechtsbestand noch angehöre, gar nicht entziehen, wobei angesichts der hiefür maßgeblichen Bestimmungen und Erwägungen (auch) von einer Untrennbarkeit der bekämpften Gesetzesregelung nicht abgesehen werden konnte. Schon hieraus ergibt sich, daß die Gesetzesprüfungsanträge zulässig waren und damit auch diese - mittelbare - Voraussetzung des Verordnungsprüfungsverfahrens vorliegt.

Da auch alle sonstigen Voraussetzungen des Art139a B-VG idF BGBl. 350/1981 für eine Verordnungsprüfung gegeben sind, ist das eingeleitete Verfahren zulässig.

4.2. Zur Sache selbst.

4.2.1. Die Wiederverlautbarung des §9 StrG 1971 als §9 KStrG 1978 stützt sich auf §1 des Landes-Wiederverlautbarungsgesetzes vom 25. Mai 1948, LGBl. für Ktn. 24. Danach war der Landesverfassungsgesetzgeber auf Grund des §9 des Bundesverfassungsgesetzes vom 12. Juni 1947, BGBl. 114 (Wiederverlautbarungsgesetz) berechtigt, die Landesregierung zu ermächtigen, österreichische Rechtsvorschriften, die Angelegenheiten betrafen, für die nach den Bestimmungen des Bundesverfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 dem Lande die Gesetzgebung zustand, in ihrer durch spätere Vorschriften ergänzten oder abgeänderten Fassung durch Kundmachung mit rechtsverbindlicher Wirkung neu zu verlautbaren. Das Bundesverfassungsgesetz vom 12. Juni 1947 (Wiederverlautbarungsgesetz), BGBl. 114, ist gemäß ArtII Abs1 der B-VG-Nov. vom 28. Juli 1981, BGBl. 350, am 1. August 1981 (vgl. ArtVI leg. cit.) außer Kraft getreten. Eine bundesverfassungsgesetzliche Neuregelung ist nur für Wiederverlautbarungsakte auf Bundesebene erfolgt; dies bewirkt, daß landesgesetzliche Bestimmungen über die Wiederverlautbarung ihre verfassungsgesetzliche Grundlage ab 1. August 1981 in den jeweiligen landesverfassungsgesetzlichen Regelungen finden (vgl. hiezu 427 BlgNR XV. GP S 13). Das Landes-Wiederverlautbarungsgesetz vom 25. Mai 1948, LGBl. für Ktn. 24, wurde als Landesverfassungsgesetz erlassen; es ist damit nach wie vor verfassungsgesetzliche Grundlage für Wiederverlautbarungsakte der Ktn. Landesregierung.

4.2.2. Die in §2 des Landes-Wiederverlautbarungsgesetzes der Landesregierung erteilte Ermächtigung, die Wiederverlautbarung von Rechtsvorschriften vorzunehmen, beschränkt sich jedoch hinsichtlich inhaltlich derogierter Bestimmungen darauf, sie als nicht mehr geltend festzustellen (Z4 leg. cit.); auch sonst sieht keine Bestimmung die Möglichkeit vor, inhaltlich derogierte Regelungen durch Wiederverlautbarung neuerlich in Kraft zu setzen. Auch die Ktn. Landesregierung geht offensichtlich von dieser Auffassung aus.

4.2.3. Die Ktn. Landesregierung tritt jedoch der vom VfGH im Einleitungsbeschluß geäußerten Annahme entgegen, daß dem §9 StrG 1971 durch §1319a ABGB inhaltlich derogiert wurde. Sie vermeint, der letzte Satz des §9 StrG 1971 sei als lex specialis zu werten, dem durch §1319a ABGB als lex generalis nicht derogiert worden sei, der übrige Inhalt des §9 stelle sich nur als deklarative Wiedergabe der zitierten bundesgesetzlichen Bestimmung dar.

4.2.4. Vorweg wird bemerkt, daß der Umstand, daß es sich bei §9 StrG 1971 und §1319a ABGB um Bestimmungen zweier von einander verschiedener Gesetzgeber handelt, einer Derogation nicht entgegensteht, da, wie der VfGH bereits zu VfSlg. 3153/1957 ausgesprochen hat, ein Landesgesetz einem Bundesgesetz - gleiches gilt auch umgekehrt - derogieren kann.

Der VfGH vermag auch den einer Derogation entgegengehaltenen Argumenten der Ktn. Landesregierung nicht beizupflichten. Die durch Punkt 6a des am 31. Juli 1975 kundgemachten Bundesgesetzes vom 3. Juli 1975, BGBl. 416, in das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch nach §1319 eingefügte Bestimmung lautet:

"1319a. Wird durch den mangelhaften Zustand eines Weges ein Mensch getötet, an seinem Körper oder an seiner Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt, so haftet derjenige für den Ersatz des Schadens, der für den ordnungsgemäßen Zustand des Weges als Halter verantwortlich ist, sofern er oder einer seiner Leute den Mangel vorsätzlich oder grob fahrlässig verschuldet hat. Ist der Schaden bei einer unerlaubten, besonders auch widmungswidrigen, Benützung des Weges entstanden und ist die Unerlaubtheit dem Benützer entweder nach der Art des Weges oder durch entsprechende Verbotszeichen, eine Abschrankung oder eine sonstige Absperrung des Weges erkennbar gewesen, so kann sich der Geschädigte auf den mangelhaften Zustand des Weges nicht berufen.

Ein Weg iS des Abs1 ist eine Landfläche, die von jedermann unter den gleichen Bedingungen für den Verkehr jeder Art oder für bestimmte Arten des Verkehres benützt werden darf, auch wenn sie nur für einen eingeschränkten Benützerkreis bestimmt ist; zu einem Weg gehören auch die in seinem Zug befindlichen und dem Verkehr dienenden Anlagen, wie besonders Brücken, Stützmauern, Futtermauern, Durchlässe, Gräben und Pflanzungen. Ob der Zustand eines Weges mangelhaft ist, richtet sich danach, was nach der Art des Weges, besonders nach seiner Widmung, für seine Anlage und Betreuung angemessen und zumutbar ist.

Ist der mangelhafte Zustand durch Leute des Haftpflichtigen verschuldet worden, so haften auch sie nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit."

Das Bundesgesetz vom 3. Juli 1975, BGBl. 416, trat mit 1. Jänner 1976 in Kraft (ArtII). Gemäß ArtIII ist es (nur) auf Schäden anzuwenden, die sich nach seinem Inkrafttreten ereignen. Gemäß ArtIV verlor mit dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes der §5 des Bundesstraßengesetzes 1971 für künftige Schäden seine Wirksamkeit.

§1319a knüpft, wie sich aus seinem ersten Absatz ergibt, die Haftung des Wegerhalters an den mangelhaften Zustand eines Weges, womit die Haftungsbestimmung nicht nur die etwaige Vernachlässigung einer Straßenerhaltungs-, sondern auch einer Straßenwartungspflicht (zB einer Streuverpflichtung bei Glatteis) erfaßt. Die im zweiten Absatz getroffene Definition eines Weges bewirkt einen lückenlosen Anwendungsbereich der Haftungsregelung für alle der Allgemeinheit benützbaren Verkehrsflächen. Die in das ABGB eingefügte Bestimmung hat somit schon nach dem Wortlaut eine umfassende - nicht nur die Beschaffenheit sondern auch den Zustand eines Weges erfassende - Regelung der Haftung des Wegerhalters sowohl für Bundes- als auch für Landes-, Gemeinde- und selbst für von jedermann benützbare Privatstraßen zum Ziel.

Dies ergibt sich ferner aus dem im Zuge der Beratungen über die Regierungsvorlage eines Bundesgesetzes betreffend die Regelung der Wegehaftung erstatteten Bericht des Ausschusses für Land- und Forstwirtschaft (1678 BlgNR XIII. GP), der, bezugnehmend auf die Wegehaftungsbestimmungen der Länder, unter denen §9 StrG 1971 ausdrücklich angeführt wird, darauf verweist, daß diese Bestimmungen infolge materiellrechtlicher Derogation ihre Wirksamkeit verlieren und von einer formellen Anordnung der Aufhebung nur Abstand genommen wurde, da hiedurch - wenn auch nur mit Wirksamkeit für die Vergangenheit - die als verfassungswidrig anzusehenden landesgesetzlichen Haftungsvorschriften als Bundesgesetz in Kraft gesetzt würden. Aus dem hieraus erkennbaren Verhalten des Gesetzgebers (vgl. VfSlg. 5788/1968) ergibt sich zwingend als Schlußfolgerung, daß in der Erlassung des §1319a ABGB eine erschöpfende Neuregelung zu erblicken ist; in einem solchen Fall wird jeder früheren Vorschrift, die denselben Gegenstand regelte, vorliegendenfalls §9 StrG 1971, derogiert (VfSlg. 3452/1958).

4.3. Hieraus ergibt sich, daß die der Ktn. Landesregierung durch das Landes-Wiederverlautbarungsgesetz erteilte Ermächtigung durch Wiederverlautbarung des §9 StrG 1971 als §9 KStrG 1978 überschritten wurde. §9 KStrG 1978 war somit gemäß Art139a B-VG idF BGBl. 350/1981 in sinngemäßer Anwendung des Art139 Abs3 B-VG als gesetzwidrig aufzuheben.

Im Hinblick darauf, daß durch die Wiederverlautbarung eine bereits aus dem Rechtsbestand ausgeschiedene Regelung als Wiederverlautbarungsakt kundgemacht wurde, war des weiteren in sinngemäßer Anwendung des Art139 Abs6 B-VG auszusprechen, daß §9 KStrG 1978 auch auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände nicht anzuwenden ist.

Die Kundmachungsverpflichtung des Landeshauptmannes gründet sich auf die sinngemäße Anwendung des Art139 Abs5 B-VG.

Zu bemerken ist, daß dem §1319a ABGB durch die Wiederverlautbarung des §9 StrG 1971 für den Bereich des Landes Ktn. nicht derogiert wurde, da einer Wiederverlautbarung als Verordnungsakt nicht die Rechtsmacht innewohnt, eine gesetzliche Bestimmung aufzuheben, sondern lediglich die Rechtswirksamkeit des §1319a ABGB bis zur nunmehrigen Aufhebung des §9 KStrG 1978 zurückgedrängt war, diese aber mit der Aufhebung wieder voll wirksam geworden ist (vgl. VfSlg. 2873/1955).

Schlagworte

Wiederverlautbarung, Derogation materielle, Straßenverwaltung, Zivilrecht, Wegehaftung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1982:V6.1982

Dokumentnummer

JFT_10178783_82V00006_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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