Index
41 Innere AngelegenheitenNorm
B-VG Art18 Abs1Leitsatz
Paßgesetz; keine Bedenken gegen §25 im Hinblick auf Art18 B-VG; kein Entzug des gesetzlichen RichtersSpruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. a) Die mj. Beschwerdeführer S. U. (geboren 13. Dezember 1968) und Ö. U. (geboren 17. September 1964) (Erst- und Zweitbeschwerdeführer) sind ebenso wie ihre Mutter F. U. (die Drittbeschwerdeführerin) und ihr Vater N. U. türkische Staatsangehörige. N. U. hält sich seit dem Jahre 1971 als Gastarbeiter ständig in Österreich (Dornbirn) auf.
F. U. reiste am 18. August 1979 mit ihrem mj. Kind S. sichtvermerksfrei von der Türkei nach Österreich ein; beide nahmen bei N. U. in Dornbirn Aufenthalt. Bereits am 27. Juli 1979 war der mj. Ö. U. nach Österreich gezogen; auch seine Einreise erfolgte sichtvermerksfrei.
b) Am 19. März 1980 stellten die drei Beschwerdeführer S., Ö. und F.
U. bei der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn Anträge auf Erteilung von Aufenthaltsberechtigungen.
Die Behörde wertete diese Eingabe als Antrag auf Erteilung von Wiedereinreisesichtvermerken und wies den Antrag mit Bescheid vom 28. April 1980 gemäß §25 des Paßgesetzes, BGBl. 422/1969 (PaßG), ab.
Sie begründete ihre Entscheidung im wesentlichen wie folgt:
Die Beschwerdeführer seien sichtvermerksfrei nach Österreich eingereist. Da sie aber von vornherein beabsichtigt hätten, länger als drei Monate in Österreich zu bleiben, wären sie nach dem österreichisch-türkischen Sichtvermerksabkommen, BGBl. 194/1955, verpflichtet gewesen, sich bereits vor der Einreise bei der österreichischen Vertretungsbehörde in ihrem Heimatland die erforderlichen Sichtvermerke zu beschaffen. Die zuständigen inländischen Behörden könnten einem Fremden, der sichtvermerksfrei in das Bundesgebiet eingereist ist, über Antrag die Aufenthaltsberechtigung erteilen, sofern kein Versagungsgrund vorliege. Die Behörde habe aber bei der Ausübung des ihr in §25 PaßG eingeräumten freien Ermessens auf die persönlichen Verhältnisse des Sichtvermerkswerbers und auf die öffentlichen Interessen Bedacht zu nehmen. Der hohe Anteil von im Bundesland Vbg. lebenden Fremden rechtfertige nicht mehr die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung an neu zugezogene Familienangehörige ausländischer Arbeitnehmer.
Wörtlich lautet es sodann im Bescheid:
"Vbg. kann eine zunehmende Belastung der Infrastruktur, im besonderen auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie im Schulwesen und sozialen Bereich auf Dauer nicht mehr ertragen und durch eine weitere Erhöhung des Ausländerstandes werden in volkswirtschaftlicher Hinsicht für das betroffene Land nachteilige Auswirkungen eintreten. Außerdem werden durch die Hereinnahme von Familienangehörigen auf weitere Sicht hinaus Arbeitskräfte freigestellt, die jedoch nicht mehr in den Arbeitsprozeß eingegliedert werden können.
Weiters wird bemerkt, daß F. U. und ihre Kinder S. und Ö. den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen weiterhin in ihrem Heimatland haben, was sich auf Grund der engeren persönlichen Beziehung, wie Geburt, Sprache, Staatsangehörigkeit und andere Lebensgewohnheiten, ergibt.
Durch den Aufenthalt der Fremden im Bundesland Vbg. werden demnach zweifellos öffentliche Interessen beeinträchtigt und es war daher spruchgemäß zu entscheiden."
2. Gegen den Bescheid vom 28. April 1980 wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Beschwerdeführer behaupten, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie in ihren Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung und eines verfassungswidrigen Gesetzes verletzt worden zu sein. Sie beantragen, den bekämpften Bescheid kostenpflichtig aufzuheben; hilfsweise begehren sie, die Beschwerde dem VwGH abzutreten.
3. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Verfassungsmäßigkeit des angefochtenen Bescheides verteidigt. Darauf haben die Beschwerdeführer repliziert und ihre Anträge aufrecht erhalten.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Gemäß §28 PaßG ist gegen die Versagung eines Sichtvermerkes eine Berufung nicht zulässig. Der administrative Instanzenzug ist daher erschöpft.
Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.
2. a) Die Beschwerdeführer begründen ihre Behauptung, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein damit, daß an der angefochtenen Entscheidung Vertreter der Interessenvertretungen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber, Vertreter anderer Bezirkshauptmannschaften Vbg. sowie der Sicherheitsdirektion für Vbg. mitgewirkt hätten. Die Einschaltung dieser Stellen am internen Willensbildungsprozeß habe nicht nur der Beratung der zuständigen Behörde gedient; vielmehr seien sie in den Willensbildungsprozß integriert worden.
b) Die belangte Behörde hat hiezu in der Gegenschrift folgendes mitgeteilt:
"Es entspricht den Tatsachen, daß in Vbg. jeden Monat eine Kommission, die sich aus den Vertretern der einzelnen Bezirksverwaltungsbehörden des Landes und dem Stellvertreter des Herrn Sicherheitsdirektors von Vbg. zusammensetzt, einberufen wird. Diese Kommission tritt jedoch nicht zusammen, um über die einzelnen Anträge auf Familienzusammenführung zu entscheiden, sondern um über die einzelnen Anträge zu beraten und die Vertreter der anderen Bezirksverwaltungsbehörden über bereits erlassene Entscheidungen gegenseitig zu informieren. Die Kommission gibt zwar unverbindliche Empfehlungen ab, sie entscheidet jedoch nicht über die einzelnen Anträge. Die monatlichen Besprechungen der einzelnen Vertreter der Bezirksverwaltungsbehörden dienen in erster Linie einem Informationsaustausch, um im Bundesland Vbg. eine einheitliche Spruchpraxis zu gewährleisten. Ähnlich gelagerte Fälle sollen bei den vier bestehenden Bezirksverwaltungsbehörden des Landes in gleicher Weise entschieden werden, womit eine unterschiedliche Behandlung von Gastarbeitern in den verschiedenen Bezirken weitestgehend ausgeschlossen werden soll. Die Entscheidung über die Erteilung bzw. Versagung eines Sichtvermerkes fällt jedoch trotz eventueller Empfehlungen der Kommission ausschließlich die zuständige Bezirksverwaltungsbehörde im Rahmen des ihr gemäß §25 Abs2 Paßgesetz 1969 eingeräumten freien Ermessens nach Abwägung der persönlichen Interessen des Antragstellers sowie der öffentlichen Interessen. ..."
c) Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (vgl. zB VfSlg. 8828/1980).
Hier ist die gemäß §29 Abs1 lita PaßG iVm §3 litc AVG 1950 sachlich und örtlich zuständige Bezirksverwaltungsbehörde, nämlich die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn, in erster und letzter (§28 PaßG) Instanz eingeschritten. Sie hat eine Sachentscheidung gefällt.
Wenn die Behörde vor ihrer Entscheidung sich durch Anhörung anderer Stellen Informationen (insbesondere über die allgemeine Sachlage) beschafft hat, ändert dies nichts daran, daß die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn es war, auf deren Willen der angefochtene Bescheid beruht; diese Behörde ist es, die den Bescheid zu verantworten hat.
Die Beschwerdeführer sind daher nicht im erwähnten Grundrecht verletzt worden.
3. a) Die Beschwerdeführer begründen ihre Behauptung, durch Anwendung einer rechtswidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt worden zu sein, damit, daß dem Vernehmen nach Erlässe des Bundesministeriums für Inneres vorlägen, die bindend das Verhalten der Behörde auch für ihren Fall regelten.
b) Der Bundesminister für Inneres hat über Aufforderung des VfGH, die in Betracht kommenden Erlässe vorzulegen, seine an alle Sicherheitsdirektionen und alle Bundespolizeibehörden gerichteten Rundschreiben vom 31. Oktober 1975, Z 82.060/6-II/14/75, und vom 12. Dezember 1980, Z 82.253/40-II/14/80, vorgelegt.
Auf das zuletzt zitierte Rundschreiben vom 12. Dezember 1980 ist nicht weiter einzugehen, weil es erst nach Erlassung des angefochtenen Bescheides erging und allein schon deshalb hier nicht präjudiziell sein kann.
Das ersterwähnte Rundschreiben vom 31. Oktober 1975 hat die "fremdenpolizeiliche Behandlung der ausländischen Arbeitnehmer" zum Inhalt. Es könnte für diesen Fall überhaupt nur insoweit von Bedeutung sein, als es sich auf bereits nach Österreich eingereiste Familienangehörige von Gastarbeitern bezieht. In dieser Hinsicht verweist das Rundschreiben aber bloß auf das Gesetz und hat somit keinen normativen Inhalt. Zumindest diesem Teil des Rundschreibens ermangelt daher der Verordnungscharakter, weshalb eine Prüfung nach Art139 Abs1 B-VG ausgeschlossen ist (vgl. zB VfSlg. 8255/1978; VfGH 11. 6. 1982 B123/78).
4. a) Ihre Behauptung, wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden zu sein, begründen die Beschwerdeführer damit, daß §25 PaßG gegen das Determinierungsgebot des Art18 B-VG verstoße.
b) Der VfGH teilt diese Bedenken unter dem Gesichtspunkt des vorliegenden Beschwerdefalles nicht: Die einzelnen Versagungstatbestände des §25 Abs3 PaßG sind durchaus einer Auslegung zugänglich. §25 Abs2 umschreibt mit hinreichender Deutlichkeit, in welchem Sinn das der Behörde nach §25 Abs1 eingeräumte Ermessen zu handhaben ist (vgl. zB VwGH 18. 4. 1979 1592/77, 8. 5. 1979 401 - 404/79).
5. a) Das Verfahren hat nicht ergeben, daß die Beschwerdeführer in anderen, von ihnen nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurden (vgl. zur Frage, ob der Aufenthalt eines Ausländers in Österreich verfassungsgesetzlich geschützt ist zB VfSlg. 9028/1981).
b) Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen (s.o. II.4.) ist es auch ausgeschlossen, daß die Beschwerdeführer in ihren Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurden.
c) Die Beschwerde war daher abzuweisen.
Schlagworte
PaßwesenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1983:B270.1980Dokumentnummer
JFT_10169774_80B00270_00