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40 VerwaltungsverfahrenNorm
MRK Art11Leitsatz
VStG 1950; Erteilung einer Ermahnung nach §21 wegen Verwaltungsübertretungen nach der StVO 1960; kein Eingriff in die VersammlungsfreiheitSpruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Villach vom 15. März 1979 wurde ausgesprochen, daß der Beschwerdeführer dadurch, daß er am 4. Juli 1978 gegen 9 Uhr 15 als Lenker eines Lastkraftwagenzuges diesen auf einer näher umschriebenen Stelle der Bundesstraße 83, "also außerhalb eines gewidmeten Parkplatzes
1. quer über die Fahrbahn statt am Rand einer Fahrbahn und parallel zum Fahrbahnrand abgestellt hat und daß
2. durch den abgestellten Kraftwagenzug auf einer Fahrbahn mit Gegenverkehr nicht mindestens zwei Fahrbahnstreifen frei geblieben sind,
Verwaltungsübertretungen
zu 1. nach §23 Abs2 StVO 1960 und
zu 2. nach §24 Abs3 litd StVO 1960
begangen" habe, wofür ihm gemäß §21 VStG 1950 eine Ermahnung erteilt wurde.
Der gegen diesen Bescheid vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung hat die Ktn. Landesregierung mit Bescheid vom 19. November 1979 keine Folge gegeben.
2. Gegen diesen Bescheid der Ktn. Landesregierung richtet sich die unter Berufung auf Art144 B-VG erhobene Beschwerde. Diese wird "wegen Verletzung des Streikrechtes als verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht, abgeleitet insbesondere vom Koalitionsrecht, erhoben".
Es wird die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, für den Fall der Abweisung die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, Verwaltungsübertretungen nach §23 Abs2 und §24 Abs3 litd StVO 1960 begangen zu haben. Von der Verhängung einer Strafe über den Beschwerdeführer wegen dieser begangenen Verwaltungsübertretung hat die belangte Behörde abgesehen; er wurde iS des §21 VStG 1950 ermahnt. Demnach bestreitet der Beschwerdeführer auch nicht das Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen für die Erlassung des angefochtenen Bescheides, ist aber der Auffassung, daß er "gerechtfertigt" sei, weil er die Verwaltungsübertretung im Rahmen des "LKW-Streiks gesetzt" habe. Dieser Streik sei ein "Streik der "LKW-Fahrer und Transportunternehmer" gewesen und habe "sich gegen die Einführung des Straßenverkehrsbeitrages mit Bundesgesetz vom 29. Juni 1978 über den Straßenverkehrsbeitrag, BGBl. 302/78," gerichtet.
Sodann wird im wesentlichen ausgeführt, daß die österreichische Rechtsordnung zwar keine ausdrückliche Regelung über den Streik kenne, "die Rechtfertigung des Streiks und die Verankerung des Streiks als verfassungsgesetzlich gewährleistetes Grundrecht" lasse "sich jedoch aus dem Staatsgrundgesetz (StGG) RGBl. 142/1867, aus der MRK und dem (1.) Zusatzprotokoll zur MRK ableiten".
Art12 StGG räume den österreichischen Staatsbürgern das Recht ein, sich zu versammeln und Vereine zu bilden, Art11 MRK räume allen Menschen das Recht ein, sich friedlich zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen. Die Europäische Sozialcharta, BGBl. 460/1969, sage in ihrer Präambel ausdrücklich, sie sei in der Erwägung abgeschlossen worden, den Völkern der Vertragsstaaten die in der MRK angeführten bürgerlichen und politischen Rechte und Freiheiten zu sichern.
In Art6 der Europäischen Sozialcharta verpflichteten sich die Vertragsparteien, um die wirksame Ausübung des Rechtes auf Kollektivverhandlungen zu gewährleisten, "das Recht der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streikrechtes" (Abs4) anzuerkennen.
2. a) Der Beschwerdeführer ist mit seinen Ausführungen nicht im Recht. Entgegen seiner Annahme enthält nämlich die österreichische Grundrechtsordnung keine Bestimmung, die das vom Beschwerdeführer gesetzte Verhalten unter verfassungsgesetzlich gewährleisteten Schutz stellen und damit den dieses Verhalten verpönenden Bescheid mit Verfassungswidrigkeit belasten würde.
b) Im einzelnen vertritt der Beschwerdeführer die Auffassung, daß das unter Pkt. I.1. beschriebene Verhalten, das den Anlaß zu der im angefochtenen Bescheid ausgesprochenen Erteilung einer Ermahnung iS des §21 VStG 1950 gebildet hat, in einem aus Art12 StGG (Art11 MRK) und aus Art6 Abs4 der Europäischen Sozialcharta abgeleiteten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gedeckt sei.
Zur letztgenannten Bestimmung genügt es darauf hinzuweisen, daß die Republik Österreich nach der gemäß Art20 Abs2 der Sozialcharta abgegebenen Erklärung von Art6 nur die Abs1, 2 und 3, nicht aber Abs4 für verbindlich ansieht (vgl. VfSlg. 8252/1978).
Aber auch die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Versammlungsfreiheit hat nicht stattgefunden:
Der VfGH hat in ständiger Rechtsprechung zum Ausdruck gebracht, daß das Recht der Versammlungsfreiheit, welches durch Art12 StGG unmittelbar gewährleistet ist, erst durch das Versammlungsgesetz eine nähere Ausführung erhalten hat, weshalb jede Verletzung des Versammlungsgesetzes, die in die Versammlungsfreiheit eingreift, einen unmittelbaren Eingriff in das durch Art12 StGG verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht bedeutet. Hieraus hat der VfGH weiters abgeleitet, daß die Beantwortung der Frage der richtigen Anwendung des Versammlungsgesetzes 1953 in die ausschließliche Zuständigkeit des VfGH fällt (vgl. VfSlg. 8685/1979 und die angeführte Vorjudikatur).
Mit dem Erk. VfSlg. 8685/1979 hat der VfGH zum Ausdruck gebracht, daß das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nicht nur dadurch verletzt werden kann, daß die Behörde die grundrechtlich gestattete Handlung unmöglich macht, sondern auch dadurch, daß sie eine solche Handlung zum Anlaß für die Verhängung einer Strafe nimmt. Im konkreten Fall wurde aber durch den angefochtenen Bescheid eben nicht die Teilnahme des Beschwerdeführers an einer Versammlung zum Anknüpfungspunkt für die Erteilung der Ermahnung gemacht. Er wurde vielmehr wegen einer Verletzung der StVO, somit wegen einer nicht als eine durch das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Versammlungsfreiheit iS der Rechtsprechung des VfGH zu qualifizierenden Tätigkeit ermahnt. Er hat ein Fahrzeug auf einer öffentlichen Straße entgegen den Bestimmungen der StVO 1960 (zum Zweck der Blockade dieser Straße) abgestellt. Demnach bildet das Zuwiderhandeln des Beschwerdeführers gegen die Bestimmungen der StVO 1960 den Anknüpfungspunkt für die Erteilung der Ermahnung an den Beschwerdeführer nach §21 VStG 1950. Daß ein solcher Bescheid in die verfassungsgesetzlich gewährleistete Versammlungsfreiheit eingreifen könnte, ist schon im Hinblick auf §11 VersammlungsG ausgeschlossen.
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid daher auch in keinem aus Art12 StGG (Art11 MRK) ableitbaren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden.
3. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.
Das Verfahren hat nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Rechtsnorm in seinen Rechten verletzt wurde.
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
Schlagworte
Versammlungsrecht, VfGH / Kosten, Sozialcharta europäische, VerwaltungsstrafrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1983:B57.1980Dokumentnummer
JFT_10169699_80B00057_00