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L6 Land- und ForstwirtschaftNorm
EMRK Art6 Abs1 / VerfahrensgarantienLeitsatz
Verletzung im Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem unparteiischen Tribunal bei Versagung der grundverkehrsbehördlichen Genehmigung eines Liegenschaftserwerbs wegen Widerspruchs zum Interesse an der Stärkung eines leistungsfähigen BauernstandesSpruch
Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem unparteiischen Tribunal im Sinne des Art6 EMRK verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Niederösterreich ist schuldig, der Beschwerdeführerin die mit € 2.340,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Beschwerdeführerin erwarb mit Kaufvertrag vom 18.3.2004 das Grundstück Nr. 998 des Grundbuches der Katastralgemeinde 21005 Dietmanns im Katastralausmaß von 0,8738 ha.
Die Grundverkehrs-Bezirkskommission für den Wirkungsbereich der Bezirksbauernkammer Waidhofen an der Thaya am Sitz der Bezirkshauptmannschaft Waidhofen an der Thaya versagte mit Bescheid vom 21.6.2004 diesem Rechtserwerb die grundverkehrsbehördliche Zustimmung.
Die gegen diesen Bescheid von der Käuferin eingebrachte Berufung wurde von der Grundverkehrs-Landeskommission beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung unter Hinweis auf die gebotene Abwägung und Gewichtung der Auswirkungen des Grunderwerbs zwischen den Interessenten letztlich abgewiesen; dies auch im Wesentlichen mit folgender Begründung:
"Entgegen der Ansicht der Berufungswerberin erfordert die Beurteilung der Stärkung des Bauernstandes eine Prognoseentscheidung und nicht eine ex-post-Betrachtung. Nach dieser Prognose überwiegen die Stärkungseffekte im Interessenten R. eindeutig jene im Betrieb H. Primäre Zielsetzung des NÖ Grundverkehrsgesetzes ist nicht so sehr die Erhaltung oder Schaffung lebensfähiger landwirtschaftlicher Betriebe, sondern deren Stärkung. Die Stärkung und nicht die Erhaltung bäuerlicher Familienbetriebe hat oberste Priorität. Demnach ist die Stärkung lebensfähiger Betriebe gegenüber der Erhaltung oder Schaffung eines Bauernstandes vorrangig."
2. Gegen diesen Bescheid der Grundverkehrs-Landeskommission richtet sich die von der Käuferin erhobene, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, mit der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Freiheit des Liegenschaftserwerbes, auf Unverletzlichkeit des Eigentums, auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf eine mündliche Verhandlung vor einem unparteiischen Tribunal im Sinne des Art6 EMRK sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.
In der Beschwerde wird unter anderem behauptet, dass die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Durchführung einer (volks)öffentlichen mündlichen Verhandlung nach Art6 EMRK verletzt worden sei, da die belangte Behörde ohne vorherige Durchführung einer solchen, den angefochtenen Bescheid erlassen habe, wiewohl in der Berufung nicht bloß eine Rechtsfrage sondern auch Fragen zum Sachverhalt aufgeworfen worden seien. Ferner habe sie ausdrücklich in ihrer Berufung eine mündliche Verhandlung beantragt.
3. Die Grundverkehrs-Landeskommission als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie dem Beschwerdevorbringen entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Zur behaupteten Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Durchführung einer (volks)öffentlichen mündlichen Verhandlung iSd Art6 EMRK wurde in der Gegenschrift ins Treffen geführt, dass die Entscheidung über die Durchführung einer (volks)öffentlichen mündlichen Verhandlung nicht im Ermessen der belangten Behörde liege und es ihr auf Grund der derzeitigen Gesetzeslage auch nicht ermöglicht werde, eine solche durchzuführen.
Angesichts des Umstandes, dass der Sachverhalt nach der Aktenlage und nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin klar, unbestritten und somit auch spruchreif sowie die Lösung des Falles eine ausschließliche Rechtsfrage (arg. "ob ein Erwerber Landwirt im Sinne des NÖ Grundverkehrsgesetzes sei") gewesen sei, habe für die belangte Behörde kein Grund bestanden, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes steht außer Zweifel, dass Entscheidungen respektive Verfahren betreffend die grundverkehrsbehördliche Genehmigung von Rechtsgeschäften die "civil rights" in ihrem Kernbereich berühren (VfSlg. 16.402/2001). Das gilt auch für den mit vorliegender Beschwerde bekämpften Bescheid der NÖ Grundverkehrs-Landeskommission.
2. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) hat in seiner Judikatur wiederholt ausgesprochen, dass in einem den Anforderungen des Art6 EMRK unterliegenden Verfahren vor einem in erster und letzter Instanz entscheidenden Gericht das Recht auf eine "öffentliche Anhörung" ein Recht auf eine mündliche Verhandlung zur Folge hat, es sei denn, dass besondere Umstände ein Absehen von einer solchen Verhandlung rechtfertigen (vgl. EGMR 19.2.1998, ÖJZ 1998, 935 - Allan Jacobsson gegen Schweden; 22.1.2004, ÖJZ 2004, 477 - Alge gegen Österreich mwH).
Solche besonderen Umstände können unter anderem darin bestehen, dass der Sachverhalt unbestritten ist und ein Tribunal nur aufgerufen ist, über Rechtsfragen von nicht besonderer Komplexität zu entscheiden (EGMR 5.9.2002, ÖJZ 2003, 117 - Speil gegen Österreich; weiters EGMR 20.11.2003, ÖJZ 2004, 437 - Faugel gegen Österreich, sowie EGMR 24.3.2005, 54645/00 - Osinger gegen Österreich, mwN).
Weiters kann von einer Verhandlung abgesehen werden, wenn eine Partei unmissverständlich darauf verzichtet und wenn keine Fragen von öffentlichem Interesse eine Verhandlung notwendig machen (EGMR 20.11.2003, ÖJZ 2004, 437 - Faugel gegen Österreich; 6.12.2001, ÖJZ 2003, 114 - Petersen gegen Deutschland).
3. Im vorliegenden Fall ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin ausdrücklich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat.
Der Behauptung der Grundverkehrs-Landeskommission, es sei ihr nach der momentanen Gesetzeslage nicht möglich, eine mündliche Verhandlung abzuhalten, ist entgegen zu halten, dass zwar das NÖ Grundverkehrsgesetz 1989, LGBl. 6800 in der Fassung LGBl. 6800-3, (im Folgenden: NÖ GVG 1989) keine Bestimmungen bezüglich der Durchführung einer mündlichen Verhandlung enthält, wohl aber das nach ArtII Abs2 Z17 EGVG im grundverkehrsbehördlichen Verfahren anzuwendende AVG (vgl. §39 Abs2 und §§40 ff AVG). Der Verfassungsgerichtshof ging bisher davon aus, dass das AVG (abgesehen von §67d AVG) für die mündlichen Verhandlungen (nur) Parteiöffentlichkeit, aber keine (volks)öffentlichen Verhandlungen vorsehe (VfSlg. 6808/1972). Das AVG enthält aber auch keine Bestimmung, die es verbietet, in den von Art6 EMRK geforderten Fällen eine (volks)öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen (vgl. sinngemäß VfSlg. 16.894/2003).
Wenn die Grundverkehrs-Landeskommission vermeint, der Sachverhalt sei klar und unstrittig gewesen und das Vorbringen der Beschwerdeführerin sei rein rechtlich, sodass es keinen Grund für die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung gegeben habe, kann ihr ebenso nicht beigetreten werden.
Die Grundverkehrs-Landeskommission nahm als unstrittig an, dass die Beschwerdeführerin Landwirtin iSd NÖ GVG 1989 sei und gründete ihre Entscheidung, dass dem Rechtserwerb die grundverkehrsbehördliche Zustimmung zu versagen sei, im Kern auf ihre Prognoseentscheidung, wonach einem Rechtserwerb des in Rede stehenden Grundstückes durch den Interessenten gegenüber jenem durch die Beschwerdeführerin der Vorzug zu geben sei, weil mit dem Rechtserwerb des Interessenten dem - gegenüber dem Interesse an der Erhaltung bzw. Stärkung des landwirtschaftlichen Grundbesitzes überwiegenden - Interesse an der Stärkung eines leistungsfähigen Bauernstandes iSd §3 Abs1 NÖ GVG 1989 entsprochen werden würde.
Indem aber die Grundverkehrs-Landeskommission im angefochtenen Bescheid ausgesprochen hat, dass dem Rechtserwerb durch den Interessenten Stärkungseffekte für einen leistungsfähigen Bauernstand beigemessen werden, hat sie bereits ein mögliches Ergebnis einer etwaigen Erörterung des Verhandlungsgegenstandes vorweggenommen. Die mündliche Verhandlung soll nämlich dazu dienen, den Prozessstoff hinsichtlich des Sachverhaltes als auch der Rechtsfragen zu sammeln und mit den Parteien zu erörtern, um dann die Entscheidung treffen zu können.
Die Grundverkehrs-Landeskommission konnte somit nicht von einem ohnehin unstrittigen und nicht weiter erörterungsbedürftigen Sachverhalt ausgehen, der nur noch die Beantwortung einfacher Rechtsfragen offen ließ; sie konnte sich sohin auf keine Besonderheiten berufen, auf Grund derer trotz entsprechender Antragstellung ausnahmsweise keine mündliche Verhandlung stattfinden musste.
Da es die Grundverkehrs-Landeskommission unterlassen hat, eine (volks)öffentliche Verhandlung durchzuführen, liegt eine Verletzung des Art6 Abs1 EMRK vor. Der angefochtene Bescheid war daher allein schon aus diesem Grund wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf eine mündliche Verhandlung vor einem unparteiischen Tribunal aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.
4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Verfahrenskosten sind € 360,-- an Umsatzsteuer sowie der Ersatz der gemäß §17a VfGG zu entrichtenden Gebühr von € 180,-- enthalten.
III. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Grundverkehrsrecht, Verwaltungsverfahren, Ermittlungsverfahren, Verhandlung mündliche, ÖffentlichkeitsprinzipEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2006:B260.2005Dokumentnummer
JFT_09939388_05B00260_2_00