TE Vfgh Erkenntnis 1983/3/3 G31/81

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Veröffentlicht am 03.03.1983
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Index

50 Gewerberecht
50/05 Kammern der gewerblichen Wirtschaft

Norm

B-VG Art20 Abs2
MRK Art10
HandelskammerG §66

Beachte

vgl. Kundmachung BGBl. 289/1983 am 31. März 1983

Leitsatz

Handelskammergesetz; Verfassungswidrigkeit der Worte "und das gesamte Personal" in §66 aus den in VfSlg. 6288/1970 angeführten Gründen

Spruch

Die im ersten Satz des §66 des Handelskammergesetzes - HKG, BGBl. 182/1946 - enthaltenen Worte "und das gesamte Personal" werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 1983 in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim OGH sind Verfahren über einen Revisionsrekurs und über eine Revision anhängig, in denen er über die Rechtmäßigkeit einer auf §66 des Handelskammergesetzes, HKG, BGBl. 182/1946, gestützten Aussageverweigerung von Zeugen zu entscheiden hat.

Der Oberste Gerichtshof nimmt an, daß er bei dieser Entscheidung §66 HKG anzuwenden hat, und stellt aus Anlaß dieser Verfahren an den VfGH den Antrag, die im ersten Satz der angeführten Gesetzesstelle enthaltenen Worte "und das gesamte Personal" als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Die Bundesregierung hat von der Erstattung einer Äußerung abgesehen, für den Fall der Aufhebung jedoch den Antrag gestellt, für das Außerkrafttreten gemäß Art140 Abs3 B-VG eine Frist von 6 Monaten zu bestimmen.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. §66 HKG lautet:

"Verschwiegenheitspflicht

Alle Funktionäre und das gesamte Personal der nach diesem Gesetz gebildeten Körperschaften sind, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, zur Verschwiegenheit über alle ihnen aus ihrer amtlichen Tätigkeit bekanntgewordenen Tatsachen verpflichtet. Von dieser Verpflichtung kann über Verlangen eines Gerichtes oder einer Behörde der zuständige Vorgesetzte entbinden."

2. Der VfGH kann der Annahme nicht entgegentreten, daß der OGH in den bei ihm anhängigen Verfahren §66 HKG anzuwenden hat, und daß damit die zur Aufhebung beantragten Worte dieser Bestimmung präjudiziell sind.

Der Gesetzesprüfungsantrag ist zulässig.

3. Der OGH begründet die Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des §66 HKG wie folgt:

"Mit dieser Regelung erstreckt der einfache Bundesgesetzgeber die Verschwiegenheitspflicht nicht nur in Ansehung des Kreises der verpflichteten Personen, sondern auch in Ansehung des Umfanges über die durch Art20 Abs3 B-VG gezogenen Grenzen und verletzt insoweit das nach Art10 MRK geschützte Grundrecht der freien Meinungsäußerung. Gleichartige Erwägungen führten im Rahmen der Präjudizialität des Anlaßfalles bereits zur Aufhebung der Bestimmung des §38 ÄrzteG. durch das Erk. des VfGH vom 16. Oktober 1970, G5/70, VfSlg. 6288.

Aus diesen Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der im anhängigen Rechtsstreit anzuwendenden Bestimmung des §66 HKG. in Ansehung eines Angestellten der Handelskammer Niederösterreich erachtet sich der Oberste Gerichtshof gemäß Art89 Abs2 (Art140 Abs1) B-VG verpflichtet, beim VfGH den Antrag auf Aufhebung der in der genannten Gesetzesstelle im ersten Satz enthaltenen Worte 'und das gesamte Personal' als verfassungswidrig zu stellen."

4. Die Bestimmung des §66 HKG gleicht in den wesentlichen Aspekten der Bestimmung des §38 des Ärztegesetzes, BGBl. 92/1949 idF der Ärztegesetz-Nov. 1964, BGBl. 50/1964. Mit dem Erk. VfSlg. 6288/1970 hat der VfGH die in dieser Bestimmung enthaltenen Worte "Die Organe und" als verfassungswidrig aufgehoben.

Der normative Zusammenhang, in dem die im angeführten Erk. aufgehobenen Worte zu der Bestimmung des §38 Ärztegesetz gestanden sind und in dem die zur Aufhebung beantragten Worte "und das gesamte Personal" zu der Bestimmung des §66 HKG stehen, ist in den wesentlichen Punkten der gleiche.

Die Worte "und das gesamte Personal" in §66 HKG sind daher aus den im Erk. VfSlg. 6288/1970 angeführten Gründen als verfassungswidrig aufzuheben.

5. Der VfGH hat für das Inkrafttreten der Aufhebung eine Frist bis 31. Dezember 1983 bestimmt, um dem Gesetzgeber die Möglichkeit einer Neuregelung der Verschwiegenheitspflicht im Bereich des Handelskammergesetzes zu geben.

Der Auspruch, daß frühere gesetzliche Regelungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art140 Abs6 B-VG, der Ausspruch über die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung stützt sich auf Art140 Abs5 B-VG.

Schlagworte

Handelskammern, Amtsverschwiegenheit, Meinungsäußerungsfreiheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1983:G31.1981

Dokumentnummer

JFT_10169697_81G00031_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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