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44 ZivildienstNorm
ZivildienstG §2 Abs1Leitsatz
Zivildienstgesetz; keine Verletzung des durch §2 Abs1 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks ZivildienstleistungSpruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer beantragte mit Eingabe an das Militärkommando Stmk. vom 25. 8. 1976 unter Bezugnahme auf §2 Abs1 des Zivildienstgesetzes-ZDG, BGBl. 187/1974, seine Befreiung von der Wehrpflicht und führte darin folgendes aus: Er sehe in der Ausbildung mit der Waffe und auch der Arbeit in einer - wenn auch unbewaffneten - dem Militär angegliederten Organisation eine prinzipiell aggressive Grundhaltung, die auf die Zerstörung menschlichen Lebens hinziele. Diese Form von langfristig geplantem Mord könne er mit seiner Lebenshaltung nicht vereinbaren und müsse daher eine Verwendung im Militärdienst mit allen Mitteln ablehnen. Um seiner Verpflichtung als Staatsbürger nachzukommen, sei er gerne bereit, in jeglicher Form von konstruktivem Zivildienst, der zur Erhaltung und Verbesserung menschlichen Daseins führe, zu dienen.
Die Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres (im folgenden: ZDK), an welche die Eingabe weitergeleitet worden war, führte sodann Erhebungen über die Person des Beschwerdeführers durch. Diese ergaben, daß er in den Jahren 1974 und 1975 insgesamt fünfzehnmal wegen Verwaltungsübertretungen nach der StVO bestraft worden war; im übrigen kam Nachteiliges nicht hervor. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat der ZDK am 20. 1. 1977 bezog sich der Beschwerdeführer auf den Inhalt seines Antrages und gab - laut Verhandlungsschrift - ergänzend an: Er sei 1968 gemustert worden. Damals habe er keinen Antrag auf Befreiung vom Dienst mit der Waffe gestellt, sondern sich als Einjährig-Freiwilliger gemeldet. Dann sei er bis 1973 in Amerika gewesen. Nach seiner Rückkehr habe er einen Einberufungsbefehl zugestellt erhalten. Er habe einen Aufschiebungsantrag gestellt, weil er damals an der Hochschule für Welthandel studiert habe; der Aufschub sei ihm auch bewilligt worden und sei glaublich im Oktober 1976 ausgelaufen. In der Folge habe er auf Grund der in der Zwischenzeit gewonnenen Erkenntnisse nach Erhalt des Einberufungsbefehls vom 20. 8. 1976 den Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht gestellt. Zum Inhalt des Antrages gebe er nur noch an, daß er seine Einstellung insbesondere aus Diskussionen in Amerika über den Ostasienkrieg gewonnen habe.
2. Mit Bescheid vom 20. 1. 1977 wies die ZDK den Antrag des Beschwerdeführers unter Berufung auf §74 Abs1 ZDG mit der Begründung zurück, daß er die Antragsfrist versäumt habe. Diesen Bescheid hob die ZDK mit einem weiteren Bescheid vom 22. 12. 1977 in Handhabung des §68 Abs2 AVG auf. Das gegen den Bescheid vom 20. 1. 1977 vom Beschwerdeführer vor dem VfGH angestrengte Beschwerdeverfahren (zu B164/77) wurde daraufhin eingestellt.
3. Die ZDK führte sodann am 26. 1. 1978 eine weitere Verhandlung über den Antrag des Beschwerdeführers durch. In dieser bezog er sich auf den Inhalt seines Antrages, auf seine Angaben in der Verhandlung vom 20. 1. 1977 und ergänzte diese - laut Verhandlungsschrift - folgendermaßen: Er habe sich seinerzeit bei der Musterung im Jahr 1968 nicht zu einer kämpfenden Truppe, sondern "aus romantischen Gründen" - er habe an Brückenbauen und an Katastropheneinsatz gedacht - zu den Pionieren gemeldet. Nach der Matura sei er nach Amerika gefahren, habe dort in Universitätsheimen mit Leuten zusammengelebt, die nach Vietnam gehen mußten. Er habe damals in einem objektiven Fernsehen Berichte über Vietnam gehört und habe an Diskussionen mit amerikanischen Studenten teilgenommen, die gegen den Vietnamkrieg und gegen jede gewaltsame Auseinandersetzung gewesen seien. Durch all diese Erlebnisse sei seine Meinung so gebildet worden, wie sie sich heute darstelle und er sie vorbringe. Außerdem habe damals eine starke Reifung seiner Persönlichkeit stattgefunden. Er habe nach seiner Rückkehr nach Österreich keinen Antrag auf Befreiung vom Dienst mit der Waffe gestellt, sondern lediglich einen Antrag auf Aufschub wegen seines Studiums. Dies habe er deswegen getan, weil er sich den "Kampf, Zivildienst leisten zu dürfen" für später habe aufheben wollen und zunächst nur danach getrachtet habe, in dieser Angelegenheit Zeit zu gewinnen. Daß er dadurch unter Umständen eine Frist versäumen würde, sei ihm nicht klar gewesen. Er habe sein Studium der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften bereits abgeschlossen und betreibe derzeit eine Wohnungsverbesserungsfirma. Er habe seine Meinung in Gesprächen im Bekanntenkreis immer geäußert. Als Jugendlicher sei er einmal in einer Jugendorganisation gewesen, damals sei er aber in seiner Meinung noch nicht gefestigt gewesen. Im Rahmen dieser Jugendgruppe seien Krankenbesuche gemacht worden. In Amerika habe er zusammen mit anderen Studenten Kinder betreut.
Mit Bescheid vom selben Tag wies die ZDK den Antrag des Beschwerdeführers unter Berufung auf §2 Abs1 iVm §6 Abs1 ZDG ab. Sie begründete ihre Entscheidung unter Bezugnahme auf das Vorbringen des Beschwerdeführers folgendermaßen: Zu den Antragsangaben und mündlichen Ausführungen sei zu bemerken, daß sie das Vorliegen von schwerwiegenden Gewissensgründen nicht glaubhaft machten. Sie erschöpften sich in einseitigen Erörterungen und Behauptungen, ohne konkrete Umstände darzulegen, die dem Beschwerdeführer persönlich sozusagen aus innerem Zwang die Erfüllung der Wehrpflicht unmöglich machten und ihn andernfalls in einen schweren Gewissenskonflikt bringen würden. Das gesamte Auftreten des Beschwerdeführers vor der Kommission habe ziemlich deutlich erkennen lassen, daß er - nach Beendigung seines Studiums und Wegfall der Aufschubsmöglichkeiten nach dem Wehrgesetz - den Zivildienst als die weniger lästige Alternative für den Wehrdienst ansehe, und daß er sich aus diesem Grund und nicht aus Gewissensgründen um eine Anerkennung als Zivildienstpflichtiger bemühe. Obwohl er vor der ZDK diesbezüglich eingehend befragt worden sei, habe er keine Umstände dartun können, aus denen auf das Vorliegen von Gewissensgründen hätte glaubhaft geschlossen werden können. Es habe sich vielmehr seinen allgemein gehaltenen Ausführungen entnehmen lassen, daß er sich mit den Notwendigkeiten und Problemen der Landesverteidigung sichtlich nur wenig auseinandergesetzt habe, sodaß schon mangels entsprechender gedanklicher Befassung mit der Materie die Voraussetzungen für eine Gewissensentscheidung fehlten. Auf Grund aller dieser Umstände sei die ZDK, auch in Würdigung der Tatsache, daß der Beschwerdeführer in den Jahren 1974 und 1975 insgesamt fünfzehnmal nach der Straßenverkehrsordnung bestraft wurde (wegen Nichtbeachtung von Verkehrsmarkierungen, Haltetafeln und Parkverboten), was auf seine Einstellung zu ihm nicht genehmen Anordnungen des Gesetzgebers schließen lasse, in Würdigung aller Erhebungsergebnisse und auf Grund des von ihm gewonnenen persönlichen Eindrucks zur Auffassung gelangt, daß ihm die zur Anerkennung als Zivildienstpflichtiger erforderliche Glaubhaftmachung von Gewissensgründen nicht gelungen sei.
4. Gegen den Bescheid vom 26. 1. 1978 richtet sich die vorliegende Verfassungsgerichtshofbeschwerde, in welcher der Beschwerdeführer eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung geltend macht und die Bescheidaufhebung begehrt.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Eine Verletzung des in §2 Abs1 Zivildienstgesetz gewährleisteten Grundrechtes liegt dann vor, wenn die Behörde die im §2 Abs1 Zivildienstgesetz umschriebenen materiellrechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt hat, und weiters - da die für den Nachweis der Voraussetzung maßgebliche Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) in den Schutzumfang des Grundrechtes einbezogen ist - dann, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen sind oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit genommen hat, das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen (vgl. zB VfSlg. 8787/1980, VfGH 16. 10. 1982 B501/81).
2. Der VfGH vermag der belangten ZDK nicht zuzustimmen, wenn sie das Vorliegen von Umständen fordert, welche aus "innerem Zwang" die Anwendung von Waffengewalt unmöglich machen. In ständiger Rechtsprechung hat der VfGH den Standpunkt eingenommen, der Tatbestand des §2 Abs1 ZDG erfordere nicht nur, daß der Wehrpflichtige in der hier umschriebenen Weise die Anwendung von Waffengewalt aus einem Gewissensgrund ablehnt, sondern darüber hinaus, daß der Gewissensgrund im Falle der Wehrdienstleistung die Ursache schwerer Gewissensnot bildete. Der VfGH hat die in der Begründung eines (in einem anderen Beschwerdeverfahren angefochtenen) Bescheides ausgedrückte Auffassung, dem Wehrpflichtigen müsse "gleichsam aus innerem Zwang die Anwendung von Waffengewalt unmöglich" sein, abgelehnt. Eine schwere Gewissensnot (also ein schwerwiegender Konflikt zwischen der Pflicht zur Wehrdienstleistung wegen der damit notwendig verbundenen Verpflichtung zu einem allenfalls erforderlichen militärischen Waffengebrauch einerseits und der Gewissensüberzeugung andererseits, daß der Waffengebrauch gegen Menschen unzulässig ist) besteht - wie der VfGH in VfSlg. 8456/1978 ausgesprochen und in späteren Entscheidungen wie zB VfGH 13. 12. 1982 B21/78 bekräftigt hat - vielmehr ganz offenkundig auch dann, wenn die gefestigte Überzeugung, Waffengewalt gegen Menschen nicht anzuwenden, nicht diese außergewöhnliche, einem unwiderstehlichen Zwang gleichzuhaltende Intensität erreicht. An dieser Ansicht hält der VfGH auch im vorliegenden Beschwerdefall fest.
3. Dennoch ist für den Beschwerdeführer im Ergebnis nichts zu gewinnen.
Die gesamten Ausführungen des Beschwerdeführers in seinem Antrag wie auch in beiden mündlichen Verhandlungen tun nur dar, weshalb er Krieg und militärischen Waffengebrauch überhaupt ablehnt. Der Beschwerdeführer legte für seine Person jedoch nicht dar, weshalb er im Falle der Anwendung von Waffengewalt tatsächlich in eine schwere Gewissensnot geraten würde. Bei einer solchen Sachlage ist die Zivildienstkommission gemäß der ständigen Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg. 8787/1980, VfGH 21. 10. 1981 B312/77) schon auf dem Boden der Behauptungen des Antragstellers gehalten, die von ihm begehrte Befreiung von der Wehrpflicht mangels Erfüllung der materiellen Voraussetzungen des §2 Abs1 ZDG zu verweigern.
Der Beschwerdeführer behauptet allerdings Mängel bei der Durchführung der ersten Verhandlung und weiters, daß seine Ausführungen in der zweiten Verhandlung nicht in zureichender Weise in der Verhandlungsschrift festgehalten (und insoweit nicht berücksichtigt) worden seien. In der Verhandlung vom 26. 1. 1978 habe er nämlich - nach seiner Erinnerung sinngemäß -
"dargelegt, daß ich mich nach meiner Mittelschulzeit zunächst zum Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger bei den Pionieren gemeldet habe, um Reserveoffizier zu werden, mich aber dann, um mein Hochschulstudium in den USA zu absolvieren, zurückstellen ließ. Ich führte aus, daß sich meine Einstellung zu militärischen Belangen vor allem unter dem Eindruck meiner Erlebnisse im Lande eines der kriegführenden Teile des Vietnamkrieges gewandelt hat. War ich zunächst auf Grund meiner Erziehung und meines Herkommens zu militärischen Dingen überaus positiv eingestellt, so hat sich während meines Aufenthaltes in den USA während der Jahre 1968 - 1973 meine Einstellung zur Frage des Soldatentums und zur Pflicht der Anwendung von Waffengewalt gegen andere Menschen allmählich aber grundlegend geändert. Gerade in den USA ist es mir zu Beginn der 70er-Jahre klar geworden, wie im Laufe der Entwicklung der Kriegsereignisse die Bewertung des Krieges in Ostasien in der öffentlichen Meinung und in der Regierungspolitik sich änderte. Das ursprünglich so wichtig militärische Engagement der USA, welches enorme Material- und Menschenopfer auf beiden Seiten forderte, stellte sich zuletzt als bedauerliche politische Fehlleistung dar. Vor allem amerikanische Freunde von mir, die im Vietnamkrieg gekämpft, getötet und zum Teil auch schwere Verletzungen erlitten haben, waren für mich der unmittelbare Anlaß, meine eigene Position in bezug auf den Wehrdienst und allfällige Kampfhandlungen zu überdenken."
Es kann nun auf sich beruhen, ob diese behaupteten Verfahrensmängel tatsächlich vorliegen. Ob bei der Durchführung der ersten Verhandlung Mängel unterliefen, ist ohne Belang, weil der Beschwerdeführer selbst nicht behauptet, in der zweiten Verhandlung gehindert gewesen zu sein, alles zur Untermauerung seines Antrags Dienliche vorzubringen. Der VfGH braucht sich aber auch mit der Behauptung des Beschwerdeführers nicht weiter auseinanderzusetzen, daß sein Vorbringen in der Verhandlung vom 26. 1. 1978 unvollständig festgehalten worden sei. Selbst wenn man nämlich die eben wiedergegebenen (behaupteten) Ausführungen des Beschwerdeführers an den Erfordernissen des §2 Abs1 ZDG mißt, tun sie ebenfalls nicht dar, weshalb der Beschwerdeführer im Falle der Anwendung von Waffengewalt tatsächlich in eine schwere Gewissensnot geraten würde.
Ist aber - wie der VfGH ebenfalls schon mehrmals (s. auch dazu die schon angeführten Entscheidungen) ausgesprochen hat - die Befreiung von der Wehrpflicht schon in Ansehung des eigenen Standpunkts des Antragstellers wegen des Fehlens der materiellen Voraussetzungen des §2 Abs1 ZDG abzulehnen, so ist es auch unerheblich, ob die belangte ZDK ihren Bescheid etwa unrichtig begründet hat; aus demselben Grund war auch nicht zu untersuchen, ob ihr irgendwelche (sonstige) Verfahrensfehler unterlaufen sind.
4. Im Beschwerdeverfahren kam schließlich auch keine Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Rechtsnorm hervor.
Die Beschwerde war sohin abzuweisen.
Schlagworte
ZivildienstEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1983:B308.1978Dokumentnummer
JFT_10169690_78B00308_00