TE Vfgh Erkenntnis 1983/6/10 B367/82

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Veröffentlicht am 10.06.1983
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

StGG Art8
EGVG ArtIX Abs1 Z2 idF BGBl 282/1977
VStG §35 litc
VStG §36 Abs1

Leitsatz

Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; rechtmäßige Festnahme nach §35 litc VStG 1950 iZm ArtIX Abs1 Z2 EGVG 1950 und Freilassung nach §36 Abs1 VStG 1950

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. In der auf Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG gestützten Beschwerde wird im wesentlichen vorgebracht:

Der Beschwerdeführer sei am 30. Mai 1982 um etwa 02.00 Uhr nachts in den Räumen des Gendarmeriepostens M. i. O. von Beamten dieser Gendarmeriedienststelle festgenommen worden. Ihm sei kurz zuvor von Gendarmeriebeamten sein Führerschein abgenommen worden. Anlaß der Festnahme sei gewesen, daß er sich geweigert habe, die Bestätigung über die Führerscheinabnahme zu unterfertigen.

Er sei dann am Gendarmerieposten bis etwa 09.00 Uhr vormittags angehalten worden.

Der Beschwerdeführer bestreitet, daß ein gesetzlicher Festnahmegrund gegeben gewesen sei. Zumindest aber habe die Anhaltung übermäßig lange gedauert. Er beantragt, kostenpflichtig festzustellen, daß er durch die Festnahme und die Anhaltung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden sei.

2. Die Bezirkshauptmannschaft Lienz als belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie im wesentlichen vorbringt, der Beschwerdeführer habe sich den Gendarmeriebeamten gegenüber ungestüm benommen. Da er trotz wiederholter Abmahnung in der Fortsetzung dieser strafbaren Handlung verharrt habe, sei er am 30. Mai 1982 um 02.05 Uhr gemäß §35 litc VStG 1950 festgenommen worden. Da er weiter aktiven und passiven Widerstand geleistet habe, habe er durch Anwendung von Körperkraft in das Arrestlokal des Gendarmeriepostenkommandos M. i. O. gebracht werden müssen, wo er bis zu seiner Entlassung um 07.40 Uhr verwahrt worden sei. Da sich der Beschwerdeführer bei einer Kontrolle des Arrestes um 05.00 Uhr noch immer aggressiv verhalten habe, habe er nicht früher entlassen werden können. Erst um 07.40 Uhr habe er - nach neuerlicher Abmahnung - sein ungestümes Benehmen eingestellt.

Die Festnahme und Anhaltung sei sohin durch §35 litc VStG 1950 gedeckt gewesen. Die Anhaltung habe nicht übermäßig lange gedauert.

Die belangte Behörde stellt daher den Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

3. Darauf hat der Beschwerdeführer repliziert.

II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. a) Der VfGH hat Beweis erhoben durch die im Rechtshilfeweg erfolgte Einvernahme der Gendarmeriebeamten RI P. O., RI S. P. und RI K. H. U. als Zeugen sowie des Beschwerdeführers als Partei.

Ferner hat der VfGH in folgende Akten Einsicht genommen:

aa) In den Akt des Bezirksgerichtes M. i. O. U 116/82 (betreffend Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach §89 StGB, begangen durch Lenken eines PKW im alkoholisierten Zustand am 30. Mai 1982; die Strafverfügung vom 13. August 1982, mit der eine Geldstrafe von 18.000,- S verhängt wurde, ist nicht rechtskräftig);

bb) in den Akt der Bezirkshauptmannschaft Lienz M-138/82-4 (betreffend Verwaltungsstrafverfahren gegen den Beschwerdeführer wegen mehrerer Übertretungen der StVO, begangen durch Lenken eines PKW am 30. Mai 1982; das Straferkenntnis vom 22. Juni 1982, mit dem über den Beschwerdeführer Geldstrafen von insgesamt S 18.000,- nicht, wie in der Beschwerde ausgeführt wird, von S 10.000,- verhängt wurden, ist rechtskräftig geworden);

cc) in den Akt der Bezirkshauptmannschaft Lienz M-183/82-S (betreffend ein gegen den Beschwerdeführer geführtes Verwaltungsstrafverfahren wegen der Übertretung des ungestümen Benehmens nach ArtIX Abs1 Z2 EGVG 1950; das Verwaltungsstrafverfahren ist noch nicht rechtskräftig abgeschlossen);

dd) in den Akt des Landesgendarmeriekommandos für Tirol-Abteilungskommando K. GZ 3035/4/82 (betreffend dienstbehördliche Erhebungen wegen Anwendung von Körperkraft gegen den Beschwerdeführer; dienstrechtliche Maßnahmen gegen die Gendarmeriebeamten wurden nicht ergriffen).

b) Auf Grund dieser Beweise nimmt der VfGH folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

1. Der Beschwerdeführer lenkte am 30. Mai 1982 gegen 01.30 Uhr seinen PKW durch M. i. O. Wegen seiner andere Verkehrsteilnehmer gefährdenden Fahrweise verfolgten ihn die Gendarmeriebeamten RI O. und RI P. mit einem Dienstwagen, konnten ihn aber nicht anhalten. Schließlich gelang es den beiden Beamten, den aus einem PKW entstiegenen und zu Fuß flüchtenden Beschwerdeführer einzuholen. Sie nahmen beim Beschwerdeführer einen Alkotest vor, der positiv verlief. Er lehnte es ab, sich einem im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden Arzt zwecks Feststellung des Grades der Alokoholeinwirkung vorführen zu lassen. Daraufhin nahm ihm der Beamte den Führerschein ab. Da er kein Formular für die Ausstellung der Bestätigung über diese Führerscheinabnahme bei sich hatte, forderte er den Beschwerdeführer auf, mit ihm zum nahe gelegenen Gendarmerieposten zu kommen. Dieser Einladung kam der Beschwerdeführer nach.

In den Räumen dieser Gendarmeriedienststelle forderte der Beschwerdeführer wiederholt in lautem Tonfall die Rückgabe seines Führerscheins und lehnte die Übernahme der Empfangsbestätigung ab. Der Beschwerdeführer beruhigte sich trotz wiederholter Abmahnung durch die Gendarmeriebeamten P. und U. nicht. Der Beschwerdeführer schrie weiterhin und drohte mit den Fäusten, es solle ja keiner wagen, ihn anzugreifen. Er schlug mit den geballten Händen blindlings um sich und rief, er werde so lange randalieren, bis er den Führerschein wieder bekommen würde. Er stellte dieses Verhalten auch nicht ein, als ihm RI U. die Festnahme androhte. Dieser Beamte sprach daraufhin um 02.05 Uhr die Festnahme aus.

Es gelang den drei Gendarmeriebeamten erst unter Anwendung von Körperkraft, den Beschwerdeführer in das Arrestlokal des Gendarmeriepostens zu bringen.

Als um 05.00 Uhr RI U. um den Arrest zu kontrollieren, durch das Sehloch blickte, schrie der Beschwerdeführer, wer immer draußen sei, möge verschwinden.

Um 7.40 Uhr wurde der Beschwerdeführer, nachdem er sich beruhigt hatte, aus der Haft entlassen.

c) Zu den getroffenen Sachverhaltsfeststellungen ist festzuhalten, daß die übereinstimmenden Angaben der Beamten glaubwürdig erscheinen. Der Beschwerdeführer - vom Rechtshilfegericht als Partei vernommen - gibt zu, die Beamten "in einem etwas lauteren Ton immer wieder aufgefordert zu haben, ihm den Führerschein auszuhändigen". Er werde es wohl 30mal wiederholt haben, daß man ihm den Führerschein aushändigen möge. Zu den anderen, hier wesentlichen Umständen, daß er sich trotz Abmahnung den Gendarmeriebeamten gegenüber ungestüm benommen habe, gab der Beschwerdeführer lediglich an, sich daran nicht mehr erinnern zu können.

2. Der VfGH beurteilt den festgestellten Sachverhalt unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf persönliche Freiheit wie folgt:

a) Nach §4 des Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit, dürfen die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt (dazu gehören die Gendarmeriebeamten) in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen. Hiezu zählt auch §35 VStG 1950, auf den sich die belangte Behörde beruft. Der Beschwerdeführer wäre sohin durch die Festnahme in dem durch Art8 StGG und Art5 Abs1 MRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit nur verletzt worden, wenn die Festnahme nicht in dieser Gesetzesvorschrift begründet wäre (vgl. zB VfSlg. 7857/1976 und 8082/1977; VfGH 26. 11. 1981 B372/79 und 17. 3. 1982 B558/80).

Die Festnahme einer Person durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gemäß §35 VStG 1950 setzt voraus, daß die Person "auf frischer Tat betreten wird". Das Sicherheitsorgan muß also selbst ein Verhalten unmittelbar wahrnehmen, das es zumindest vertretbarerweise als eine als Verwaltungsübertretung strafbare Tat qualifizieren kann (vgl. auch hiezu VfGH 17. 3. 1982 B558/80). Die einschreitenden Gendarmeriebeamten haben die Tat, deren sie den Beschwerdeführer beschuldigten, selbst wahrgenommen. Sie konnten zumindest vertretbarerweise annehmen, daß sich der Beschwerdeführer ihnen gegenüber ungeachtet vorangegangener Abmahnung, während sie sich in rechtmäßiger Ausübung ihres Amtes befanden, ungestüm benommen hatte (ArtIX Abs1 Z2 EGVG 1950).

Bei dieser Sachlage war - da der Beschwerdeführer trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrte - der Festnahmegrund der litc des §35 VStG 1950 gegeben.

b) Die im Anschluß an die - im Gesetz gedeckte - Festnahme des Beschwerdeführers erfolgte Anhaltung war ebenfalls rechtmäßig: Gemäß §36 Abs1 VStG 1950 ist der Festgenommene, wenn der Grund der Festnahme schon vor Übergabe an die sachlich zuständige Behörde entfällt, freizulassen. Wie sich aus der vorstehenden Sachverhaltsschilderung ergibt, wurde hier nicht vor dem Zeitpunkt der tatsächlich erfolgten Entlassung augenfällig, daß der Beschwerdeführer im Falle der Enthaftung das strafbare Verhalten nicht wieder aufnehmen werde (vgl. VfGH 17. 3. 1982 B558/80).

Wenn der Beschwerdeführer nicht der zuständigen Behörde (der Bezirkshauptmannschaft M. i. O.) vorgeführt, sondern sofort nach Wegfall des Haftgrundes entlassen wurde, ist darin keinesfalls - wie der Beschwerdeführer in seiner Replik meint eine Verletzung der §§35 und 36 VStG 1950 zu erblicken.

c) Die Voraussetzungen für die Festnahme und die nachfolgende Anhaltung des Beschwerdeführes nach §35 litc VStG 1950 waren sohin gegeben. Der Beschwerdeführer ist demnach durch diese Maßnahme in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit nicht verletzt worden.

Da die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes gleichfalls nicht stattgefunden hat und auch kein Anhaltspunkt dafür besteht, daß der Beschwerdeführer infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde, war die Beschwerde abzuweisen.

Schlagworte

Polizeirecht, Benehmen ungestümes, Festnehmung, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1983:B367.1982

Dokumentnummer

JFT_10169390_82B00367_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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