TE Vfgh Erkenntnis 1983/6/17 G25/83

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Veröffentlicht am 17.06.1983
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8225 Garagen

Norm

B-VG Art118 Abs2
B-VG Art118 Abs3 Z9
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
Nö GdO 1973 §32 Abs2 Z9
Nö GaragenO §10
Nö GaragenO §51 Abs1 lita
Nö GaragenO §55 Abs2

Beachte

vgl. Kundmachung LGBl. 8200/90-1 am 31. August 1983; s. Anlaßfall VfGH v. 10. Dezember 1983 B334/79

Leitsatz

NÖ Garagenordnung; §10, §55 Abs2 und das Wort "Garagen" in §51 Abs1 lita mangels Bezeichnung nach Art118 Abs2 letzter Satz B-VG verfassungswidrig

Spruch

§10, §55 Abs2 und das Wort "Garagen," in §51 Abs1 lita der NÖ Garagenordnung, Anlage zur Wiederverlautbarungskundmachung der NÖ Landesregierung vom 6. März 1979, LGBl. 8200/3-0, waren verfassungswidrig.

Der Landeshauptmann von NÖ ist verpflichtet, diesen Ausspruch unverzüglich im Landesgesetzblatt kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Gemeinderates der Marktgemeinde Perchtoldsdorf vom 12. März 1979, zugestellt am 15. März 1979, war dem Transportunternehmer L. R. die baubehördliche Bewilligung zur Errichtung einer Garage für vier dieselbetriebene LKW im Anschluß an ein Zweifamilienwohngebäude auf dem Grundstück Nr. 648/1, KG P., im Bauland-Wohngebiet erteilt worden. Der Bescheid war auf §66 Abs4 AVG 1950, §16 Abs1 Z1 NÖ Raumordnungsgesetz 1976, LGBl. 8000-0, sowie auf §11, §54 Abs1 lita und §58 Abs2 der als nö. Landesgesetz in Geltung gestandenen Verordnung über Garagen und Einstellplätze vom 17. Februar 1939, DRGBl. 1, 219, in Österreich eingeführt durch Verordnung vom 18. November 1939, DRGBl. I, 2305, GBlÖ 1447/1939, (RGarO) gestützt und enthielt zum Schutz der Anrainer vor unzumutbaren Belästigungen eine Reihe von Auflagen. Der gegen diesen Bescheid vom Anrainer Dkfm. E. M. bei der Nö. Landesregierung erhobenen Vorstellung gab diese mit Bescheid vom 25. Juni 1979 gemäß §61 Abs3 der NÖ Gemeindeordnung 1973, LGBl. 1000-2, statt, behob den Bescheid des Gemeinderates und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Behandlung und Entscheidung an den Gemeinderat. In der Begründung des Bescheides wurde ausgeführt, aus den Aktenunterlagen gehe hervor, daß bisher kein Gutachten eines Umweltschutztechnikers und eines Arztes über die zu erwartenden Auswirkungen des Bauvorhabens eingeholt worden sei. Daher sei es ungewiß, ob die Einhaltung der dem Bewilligungswerber erteilten Betriebsvorschriften möglich sei oder ob die Herabsetzung der Anzahl der einstellbaren Kraftfahrzeuge oder eine dem Schutzanspruch der Anrainer besser entsprechende bautechnische Ausführung des Vorhabens erforderlich wäre. Es fehle auch im Hinblick auf §11 RGarO eine Begrenzung des zulässigen Eigengewichtes der als zur Deckung von Bedürfnissen der Bevölkerung in diesem Gebiet erforderlich erachteten LKW mit 3,5 t. Die Beurteilung dieser Beschränkung als eine nicht beabsichtigte Härte erscheine unzutreffend.

2. In der gegen diesen Bescheid erhobenen, zu B334/79 protokollierten Beschwerde an den VfGH wurde ausgeführt, ausschließlicher Grund für die Aufhebung des mit Vorstellung bekämpften Bewilligungsbescheides sei die Auslegung des §11 RGarO. Der VfGH habe §11 der als stmk. Landesgesetz in Geltung gestandenen RGarO mit Erk. VfSlg. 8196/1977 als verfassungswidrig aufgehoben. Trotzdem habe die Nö. Landesregierung die RGarO wiederverlautbart und sich auf §11 derselben gestützt. Bei der Wiederverlautbarung als NÖ Garagenordnung, Anlage zur Kundmachung der Nö. Landesregierung vom 6. März 1979, LGBl. 8200/3-0, (NÖ GarO) habe §11 die Bezeichnung "§10" erhalten. Der Beschwerdeführer regte an, die Verfassungsmäßigkeit des §10 NÖ GarO zu prüfen.

3. Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte.

4. Bei der Beratung über die Beschwerde sind Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des §10, des §55 Abs2 und des Wortes "Garagen," in §51 Abs1 lita der NÖ GarO entstanden; der VfGH hat daher mit Beschluß vom 10. März 1983, B334/79-20, gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen das Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmungen eingeleitet.

In der Begründung dieses Beschlusses wurde, nach dem Hinweis, daß die in Prüfung gezogenen Gesetzesstellen der NÖ GarO für die Entscheidung des VfGH über die Beschwerde B334/79 präjudiziell zu sein scheinen, dargelegt, daß der eigene Wirkungsbereich einer Gemeinde im §32 der NÖ Gemeindeordnung, LGBl. 1000-2, im besonderen hinsichtlich der örtlichen Baupolizei im Abs2 Z9, entsprechend Art118 Abs3 Z9 B-VG abstrakt umschrieben ist. Im Zusammenhalt damit ergebe sich weiters, daß die durch ein Bundes- oder Landesgesetz geregelten Angelegenheiten gemäß Art118 Abs2 zweiter Satz B-VG von der Bundes- bzw. Landesgesetzgebung (Art115 Abs2 zweiter Satz B-VG) so weit ausdrücklich als zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde gehörend bezeichnet werden müssen, als die Vorschrift des §32 Abs2 der NÖ Gemeindeordnung zutreffe, wobei gesetzliche Regelungen, die früher als mit 31. Dezember 1965 in Kraft gesetzt worden seien, gemäß §5 Abs3 der Bundes-Verfassungsgesetznovelle 1962 (in der Fassung BGBl. 274/1968) bis spätestens 31. Dezember 1969 als Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinden zu bezeichnen gewesen seien. Der Nö. Landesgesetzgeber scheine dieser Vorschrift hinsichtlich der in NÖ als Landesgesetz bis 31. 12. 1981 in Geltung gestandenen NÖ GarO ungeachtet dessen, daß es sich um Bestimmungen des eigenen Wirkungsbereiches handle (VfSlg. 2977/1956) nicht nachgekommen zu sein. Zwar sei in §117 der NÖ Bauordnung, LGBl. 8200-0, angeordnet, daß die in den Abschnitten II, III, IV, V, VII, VIII und XI geregelten Aufgaben, mit Ausnahme der im §116 Abs5 genannten Fälle, von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich zu besorgen seien. Der VfGH gehe indes gleichwohl vorläufig davon aus, daß in §122 Abs4 Z6 der NÖ Bauordnung die in der Garagenordnung geregelten Angelegenheiten nicht als solche des eigenen Wirkungsbereiches iS des Art118 Abs2 zweiter Satz B-VG bezeichnet worden seien. Damit scheinen die oben bezeichneten, vom Gemeinderat und von der belangten Behörde angewendeten Vorschriften aus diesem Grunde verfassungswidrig zu sein.

Die Nö. Landesregierung hat im Verfahren eine Äußerung abgegeben, in der sie den Antrag stellt, das von Amts wegen eingeleitete Verfahren zur Prüfung des §10, des §55 Abs2 und des Wortes "Garagen," im §51 Abs1 lita der NÖ GarO, LGBl. 8200/3-0, einzustellen, weil nach ihrer Auffassung im vorliegenden Verfahren §11, §54 Abs1 lita und §58 Abs2 der als nö. Landesgesetz in Geltung gestandenen Verordnung über Garagen und Einstellplätze vom 16. Februar 1939, DRGBl. I, 219, in Österreich eingeführt durch Verordnung vom 18. November 1939, DRGBl. I, 2305, GBlÖ 1447/1939, als präjudiziell anzusehen seien.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Mit dem den Gegenstand des Anlaßbeschwerdeverfahrens des VfGH bildenden Bescheid der Nö. Landesregierung hob diese den Bescheid des Gemeinderates der Marktgemeinde Perchtoldsdorf vom 12. März 1979 auf, der sich unter anderem auch auf §11, §54 Abs1 lita und §58 Abs2 RGarO stützte. Bei der Prüfung der Gesetzmäßigkeit des Bescheides des Gemeindesrates iS des §61 Abs3 der NÖ Gemeindeordnung 1973, LGBl. 1000-2, hatte die Nö. Landesregierung diese Gesetzesstellen der RGarO auch anzuwenden. Weil aber die als nö. Landesgesetz in Geltung gestandene RGarO mit Kundmachung der Nö. Landesregierung vom 6. März 1979 wiederverlautbart worden war, diese Kundmachung am 23. März 1979 ausgegeben worden war und gemäß §6 des NÖ Wiederverlautbarungsgesetzes, LGBl. 0710-0, alle Gerichte und Verwaltungsbehörden von dem der Herausgabe der Wiederverlautbarung folgenden Tage an an den wiederverlautbarten Text der Rechtsvorschrift gebunden sind, hätte die Nö. Landesregierung die RGarO unter Bindung an den als NÖ GarO wiederverlautbarten Text anzuwenden gehabt. Dementsprechend wäre auch die Paragraphenbezeichnung der Wiederverlautbarung zu verwenden gewesen; die RGarO ist sohin auch vom VfGH unter Bindung an die Wiederverlautbarung anzuwenden. Der gegenteilige Standpunkt der Nö. Landesregierung läßt außer acht, daß RGarO und NÖ GarO keineswegs verschiedene Gesetze sind, sondern ein- und denselben - identischen - Normenkomplex bilden. Das Gesetzesprüfungsverfahren ist daher zulässig.

2. Die in Prüfung gezogenen Bestimmungen haben folgenden Wortlaut:

§10 NÖ GarO:

"(1) Einstellplätze, Garagen und ihre Nebenanlagen sind als Zubehör zur Wohnung, zum Arbeitsplatz und zum Betrieb grundsätzlich in allen Teilen des Baulandes zulässig; sie müssen jedoch so angeordnet und ausgeführt werden, daß ihre Benützung die Verkehrssicherheit und den Brandschutz nicht gefährdet, die Gesundheit nicht schädigt sowie das Arbeiten und Wohnen, die Ruhe und die Erholung in der Umgebung durch Lärm oder Gerüche nicht erheblich stört. Zu diesem Zweck kann die Baubewilligung für solche Anlagen namentlich in der Nähe von Erholungsstätten, Krankenhäusern, Heilanstalten, öffentlichen Gebäuden, Schulen und Kirchen u. dgl. versagt oder mit besonderen Auflagen verbunden werden.

(2) In den Gebieten, die nach den bestehenden Bauvorschriften einen besonderen Schutz gegen Störung genießen, wie zum Beispiel Wohngebiete, sind Einstellplätze und Garagen nur für Kraftfahrzeuge mit weniger als 3,5 Tonnen Eigengewicht zulässig, und nur soweit sie dem Bedürfnis der Bevölkerung in diesen Gebieten dienen. Mittel- und Großanlagen sollen von Wohngebäuden einen angemessenen Abstand haben."

§51 Abs1 lita NÖ GarO:

"(1) Einer Baubewilligung bedarf:

a) wer Garagen, Schutzdächer für Einstellplätze, bauliche Zubehöranlagen oder solche Zubehöranlagen, die die Erdoberfläche verändern, schaffen oder verändern will,"

§55 Abs2 NÖ GarO:

"(2) Von den zwingenden Vorschriften dieses Gesetzes, für die nach §50 die Baubehörde zuständig ist, kann Befreiung erteilt werden, wenn die öffentlichen Belange die Abweichung erfordern oder wenn die Durchführung der Vorschriften im Einzelfall zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde, die Abweichung mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist und keine wesentliche Beeinträchtigung der Belange Beteiligter mit sich bringt."

3. Gemäß Art118 Abs3 Z9 B-VG sind der Gemeinde zur Besorgung im eigenen Wirkungsbereich die behördlichen Angelegenheiten der örtlichen Bau- und Feuerpolizei sowie der örtlichen Raumplanung gewährleistet. Dementsprechend haben die Gemeinden gemäß §32 Abs2 Z9 der NÖ Gemeindeordnung 1973, LGBl. 1000-2, die Angelegenheiten der örtlichen Baupolizei, der örtlichen Feuerpolizei und der örtlichen Raumplanung zu besorgen. Daß in den in Prüfung gezogenen Bestimmungen der NÖ GarO Angelegenheiten dieser Art geregelt werden, bedarf keiner weiteren Begründung (vgl. in dieser Hinsicht VfSlg. 8196/1977).

Nach Art118 Abs2 letzter Satz B-VG haben die Gesetze die zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde gehörenden Angelegenheiten ausdrücklich als solche zu bezeichnen. Diese Bezeichnung muß sich auf den Inhalt konkreter gesetzlicher Regelungen beziehen und obliegt dem für die jeweilige Materie zuständigen Gesetzgeber (VfSlg. 5409/1966 und 5415/1966). Ziel dieser Bezeichnungspflicht ist es ua., zu einer - wenn auch in vielen Gesetzen verstreuten taxativen Bezeichnung der konkreten gesetzlichen Regelungen zu kommen, die im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zu vollziehen sind. Dabei ist es dem Materiengesetzgeber nicht verwehrt, die ihm obliegende Bezeichnungspflicht in anderem gesetzlichen Zusammenhang vorzunehmen, sofern er dabei nur das Erfordernis der Ausdrücklichkeit beachtet (VfSlg. 8719/1979). Das Unterbleiben der Bezeichnung hat auf vor dem 31. Dezember 1965 in Kraft getretene Gesetze zwar nicht die Wirkung, daß sie insoweit nicht (mehr) im eigenen Wirkungsbereich zu vollziehen wären, macht aber die betreffende gesetzliche Regelung verfassungswidrig (VfSlg. 6196/1970).

Die für die in Prüfung stehenden Bestimmungen der NÖ GarO erforderliche Bezeichnung als in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fallende Angelegenheiten ist unterblieben. Zwar war in §117 der NÖ Bauordnung, LGBl. 8200-0, angeordnet, daß die in den Abschnitten II, III, IV, V, VII, VIII und XI geregelten Aufgaben, mit Ausnahme der im §116 Abs5 genannten Fälle, von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich zu besorgen sind. Mit §122 Abs4 Z6 der NÖ Bauordnung, der zum Abschnitt XI des Gesetzes gehörte, war jedoch nur klargestellt, daß die RGarO durch das Inkrafttreten der NÖ Bauordnung unberührt blieb. Damit wurde nur ausgesagt, daß sich durch das Inkrafttreten der NÖ Bauordnung an der Geltung der RGarO nichts ändert. Keineswegs aber wurde damit die RGarO, nachmals NÖ GarO, zu einer Regelung des Abschnittes XI iS des §117 der NÖ Bauordnung. Die in Prüfung gezogenen Bestimmungen der NÖ GarO sind daher nicht als zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinden gehörig bezeichnet. Der VfGH hatte daher, weil die in Prüfung gezogenen Bestimmungen gemäß ArtII Abs1 der 1. Nov. zur NÖ Bauordnung, LGBl. 8200-1, mit 1. Jänner 1982 außer Kraft getreten waren, auszusprechen, daß sie verfassungswidrig waren.

4. Die Verpflichtung des Landeshauptmannes von NÖ zur Kundmachung der Feststellung der Verfassungswidrigkeit gründet sich auf Art140 Abs5 B-VG.

Schlagworte

VfGH / Prüfungsgegenstand, Wiederverlautbarung, Garagen, Gemeinderecht, Wirkungsbereich eigener, Baupolizei örtliche

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1983:G25.1983

Dokumentnummer

JFT_10169383_83G00025_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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