TE Vfgh Erkenntnis 1983/6/17 B329/78

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Veröffentlicht am 17.06.1983
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art10 Abs1 Z10
B-VG Art10 Abs1 Z9
B-VG Art11 Abs1 Z4
B-VG Art18 Abs1
StGG Art5
StVO 1960 §91 Abs1

Leitsatz

StVO 1960; denkunmögliche Anwendung des §91 Abs1

Spruch

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Oö. Landesregierung hat mit dem an die "Republik Österreich zu Handen der Generaldirektion der Österr. Bundesforste" gerichteten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 19. Mai 1978 die Republik Österreich (richtig: den Bund) als Eigentümer des Grundstückes Nr. 151/14 der KG Langwies, EZ 1023 der OÖ Landtafel gemäß §91 Abs1 Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) verpflichtet, "die in der Verhandlungsschrift vom 11. Mai 1978, die einen wesentlichen Bestandteil dieses Bescheides bildet, näher bezeichneten Bäume" (die sich auf dem erwähnten Grundstück befinden, bereits abgestorben sind und die nach der Annahme der Behörde im Falle ihres Absturzes eine erhebliche Gefahr für den gesamten Verkehr auf der Bundesstraße 145 im Bereich des Straßenkilometers 51,00 bedeuten) "spätestens bis 30. Juni 1978 zu entfernen".

2. Gegen diesen Bescheid erheben die Österreichischen Bundesforste (s. §1 des Bundesgesetzes vom 17. November 1977, BGBl. 610, über den Wirtschaftskörper "Österreichische Bundesforste") gemäß Art144 B-VG Beschwerde an den VfGH. Darin wird die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und beantragt, den angefochtenen Bescheid aufzuheben, hilfsweise die Beschwerde dem VwGH abzutreten.

3. Die Oö. Landesregierung als belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. §91 StVO findet sich in deren XI. Abschnitt "Verkehrserschwernisse". Er steht unter der Überschrift "Bäume und Einfriedungen neben der Straße". Seine Abs1 und 2 lauten:

"(1) Die Behörde hat die Grundeigentümer aufzufordern, Bäume, Sträucher, Hecken und dergleichen, welche die Verkehrssicherheit, insbesondere die freie Sicht über den Straßenverlauf oder auf die Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs, oder welche die Benützbarkeit der Straße einschließlich der auf oder über ihr befindlichen, dem Straßenverkehr dienenden Anlagen zB Oberleitungs- und Beleuchtungsanlagen, beeinträchtigen, auszuästen oder zu entfernen.

(2) Ein Anspruch auf Entschädigung für die Ausästung oder Beseitigung (Abs1) besteht nur bei Obstbäumen, die nicht in den Luftraum über der Straße hineinragen. Über die Entschädigung entscheidet die Behörde nach den Bestimmungen des Eisenbahnenteignungsgesetzes 1954."

2. Die belangte Behörde geht im angefochtenen Bescheid von dem anläßlich des am 11. Mai 1978 durchgeführten Lokalaugenscheines erstatteten Befund und Gutachten des forsttechnischen Amtssachverständigen aus. Darin lautet es auszugsweise:

"Die Parzelle 151/14 KG. Langwies, Eigentümer Republik Österreich (Österr. Bundesforste) liegt oberhalb der Salzkammergutbundesstraße und weist im Gefährdungsbereich eine Hangneigung von 45 bis teilweise 60 Grad auf. Das Grundstück ist nach Südosten exponiert und ist locker mit einem Buchen-, Lärchen-, Fichtenbestand bestockt. Der Hang ist von zahlreichen Felspartien durchzogen und neigt stark zur Vergrasung.

Zwischen der Salzkammergutbundesstraße und der Bundesforstparzelle 151/14 befindet sich die Grundparzelle 156/13 Eigentümer Österr. Salinen, auf der die Soleleitung geführt wird.

Die Längsausdehnung des Gefährdungsbereiches ist begrenzt durch den sogenannten Goffgraben bei Straßenkilometer 50,8 und reicht bis zum sogenannten Heuzuggraben bei Straßenkilometer 51,180. Höhenmäßig wurde der Gefahrenbereich am heutigen Tage zwischen ca. 100 bis 60 Höhenmeter abgegrenzt, das entspricht ca. 150 bis 100 Meter Breitenausdehnung von der B 145. Diese Linie verläuft schräg vom Aneisgraben, bei dem die größte Breitenausdehnung von ca. 150 m gegeben ist, bis zum Ausgangspunkt entlang einer schwachen Geländekante bis zum Ausgangspunkt bei km 50,80, bei der eine Breitenausdehnung von ca. 100 m gegeben ist. Oberhalb dieser festgelegten Abgrenzung ist die Bestockung zunehmend. Der heutige Lokalaugenschein hat ergeben, daß aus diesem Bereich eine akute Gefährdung für die Bundesstraße gegeben ist, wobei allerdings nicht auszuschließen ist, daß auch aus den oberhalb liegenden Hangpartien bei extremer Witterungslage abgestorbene Stämme bei Abrutschen den Verkehr auf der Salzkammergutbundesstraße gefährden können.

In eingangs bezeichneten Gefährdungsbereich wurden ca. 20 Bäume festgestellt, die bereits abgestorben sind und derzeit eine akute Gefährdung darstellen."

Im angefochtenen Bescheid wird festgestellt, daß die in Rede stehenden Bäume absturzgefährdet seien und für den Fall des Absturzes die Sicherheit des Straßenverkehrs beeinträchtigt sei. Die Behörde sei daher nach §91 Abs1 StVO verpflichtet, den Grundeigentümer aufzufordern, die Entfernung jener Bäume anzuordnen, die die Verkehrssicherheit beeinträchtigen. Eine Ausästung komme im gegenständlichen Fall nicht in Frage.

§91 Abs1 enthalte keine Entfernungsangabe, weshalb dann, wenn die Verkehrssicherheit beeinträchtigt werde, auch die Beseitigung von Bäumen angeordnet werden könne, die sich bis zu 200 m von der Straße entfernt befinden.

Zum Einwand der Österreichischen Bundesforste, den Straßenerbauer und -erhalter treffe nach §7 des Bundesstraßengesetzes 1971 (BStG) die Verpflichtung, Bundesstraßen derart zu bauen und zu erhalten, daß diese allen Straßenbenützern unter Bedachtnahme auf die durch die Witterungsverhältnisse und durch Elementarereignisse bedingten Umstände ohne Gefahr benützbar sind, wird im angefochtenen Bescheid darauf hingewiesen, daß daraus für die Österreichischen Bundesforste nichts zu gewinnen sei, da es zum Absturz der in Frage stehenden Bäume entsprechend dem Gutachten des forsttechnischen Amtssachverständigen nicht erst eines Elementarereignisses oder ungünstiger Witterungsverhältnisse bedürfe, sondern der Absturz auch ohne diese Begleiterscheinungen zu befürchten sei.

Ob und gegebenenfalls wem für die Entfernung der Bäume Kosten zu ersetzen seien, sei nicht im gegenständlichen Verfahren zu entscheiden.

3. Die Österreichischen Bundesforste (künftig: der Beschwerdeführer) behaupten, im Eigentumsrecht dadurch verletzt worden zu sein, daß §91 im Abs2 StVO lediglich einen Entschädigungsanspruch bei Obstbäumen vorsehe, nicht aber auch bei Waldbäumen (deren Entfernung hier durch den angefochtenen Bescheid aufgetragen wurde).

Aus dem gleichen Grund sei auch - wie der Beschwerdeführer meint - das Gleichheitsrecht verletzt worden. Die Kosten der Entfernung verkehrsgefährdender Waldbäume betrügen häufig ein Vielfaches des Wertes des Baumes. Es bestünden sachlich keine Gründe dafür, nur die Eigentümer von Obstbäumen zu entschädigen, nicht aber auch jene von Waldbäumen. Eine weitere Ungleichheit bestehe auch im Verhältnis zu den übrigen Straßenbenützern; der Eigentümer von Waldbäumen müsse erhebliche Kosten tragen, unabhängig davon, ob ihm die Entfernung der Bäume auch als Verkehrsinteressent zugute komme.

Schließlich macht der Beschwerdeführer geltend, daß der Grundsatz der inhaltlichen Bestimmtheit von Gesetzen (Art18 B-VG) verletzt worden sei, weil aus §91 StVO eine Entfernungsangabe nicht ableitbar sei. Der Beschwerdeführer meint, daß Sicherungsmaßnahmen nach dieser Gesetzesstelle auf den unmittelbaren Straßenbereich zu beschränken seien, da darüber hinausgehende Maßnahmen bereits unter §7 des Bundesstraßengesetzes 1971 fielen. Erst in einem Elementarfall könnte im übrigen eine tatsächliche Gefährdung der Bundesstraße durch die Bäume, deren Beseitigung aufgetragen wurde, eintreten.

4. a) Der angefochtene Bescheid greift in das Eigentumsrecht ein. Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des VfGH (zB VfSlg. 8776/1980, 9014/1981) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.

b) Die Behörde hat auf Grund des oben wiedergegebenen Befundes und Gutachtens des forsttechnischen Amtssachverständigen angenommen, daß die - wenngleich zum Teil abgestorbenen und zum Teil mehr als 100 m von der Bundesstraße entfernt stehenden - Waldbäume wegen der Hangneigung von 45 bis 60 Grad eine akute Gefährdung für die Straße darstellen. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen diese Sachverhaltsfeststellung nur insofern, als er meint, eine Gefährdung könnte nur bei Elemementarereignissen eintreten. Auch wenn dies der Fall sein sollte, wäre damit für den Beschwerdeführer verfassungsrechtlich nichts gewonnen, da es nicht denkunmöglich ist, anzunehmen, daß es sich bei einem Sicherungsauftrag nach §91 Abs1 StVO um eine vorbeugende Maßnahme handelt und daß daher eine Anordnung nach dieser Vorschrift auch getroffen werden darf, um eine Gefährdung der Verkehrssicherheit von vornherein zu vermeiden (vgl. VwSlg. 6198A/1964).

Im übrigen aber ist der Beschwerdeführer im Ergebnis im Recht:

Zwar hat der VfGH nicht das Bedenken, daß §91 Abs1 StVO gegen das den Gesetzgeber bindende Determinierungsgebot verstößt. Wortlaut, systematischer Zusammenhang und Sinn dieser Bestimmung ermöglichen der Verwaltungsbehörde, aber auch den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes, diese Vorschrift auszulegen und ihren Inhalt zu erkennen.

Es ist aber ausgeschlossen, daß diese Auslegung zu dem von der Behörde angenommenen Ergebnis führt: Wenngleich §91 Abs1 StVO ganz allgemein von einer Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit spricht und die Aufzählung jener Umstände, die hiezu führen können, bloß eine demonstrative ist (arg. "insbesondere") und wenngleich als Ursachen für die Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit und der Benützbarkeit der Straße "Bäume, Sträucher, Hecken" nur beispielsweise (arg. "und dergleichen") aufgezählt sind, ergibt sich doch schon aus dem Wortlaut und dem systematischen Zusammenhang, in dem §91 Abs1 StVO steht, daß diese Bestimmung die Behörde nur dazu ermächtigt, den Auftrag zu erteilen, solche Bäume usw. auszuästen und zu entfernen, die durch ihre unmittelbare Situierung neben der Straße einen negativen Einfluß auf den sich auf der Straße abwickelnden Verkehr haben; nicht Bau und Bestand der Straße an sich sollen durch diese Vorschrift gesichert werden, sondern der aktuelle Betrieb und die laufende Benützbarkeit der Straße.

Dennoch mögliche Zweifel über den Inhalt des §91 Abs1 StVO werden dadurch beseitigt, daß bei einer extensiven Auslegung - etwa jener, die die belangte Behörde gewählt hat - das Gesetz als verfassungswidrig erscheinen würde. Das Gesetz würde nämlich - hätte es diesen weiten Inhalt - nicht eine Angelegenheit der Straßenpolizei (Art11 Abs1 Z4 B-VG) regeln, sondern eine solche des Baues und der Erhaltung von Bundesstraßen (Art10 Abs1 Z9 B-VG), allenfalls auch des Forstwesens (Art10 Abs1 Z10 B-VG).

Die Behörde hat also dem Gesetz fälschlicherweise einen - wegen Verstoßes gegen die Kompetenzbestimmungen - verfassungswidrigen Inhalt unterstellt und sohin das Gesetz denkunmöglich angewendet (vgl. VfSlg. 9004/1981).

Der Bescheid war daher wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Eigentumsrechtes als verfassungswidrig aufzuheben.

Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen.

Schlagworte

Straßenpolizei, Verkehrserschwernisse, Kompetenz Bund - Länder Straßenpolizei, Auslegung verfassungskonforme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1983:B329.1978

Dokumentnummer

JFT_10169383_78B00329_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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