TE Vfgh Erkenntnis 1983/6/22 B334/81

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Veröffentlicht am 22.06.1983
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
StGG Art8
EGVG ArtIX Abs1 Z2 idF BGBl 232/1977
PersFrSchG §4
VStG §35

Leitsatz

Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; unvertretbare Annahme eines Festnehmungsgrundes nach §35 VStG 1950; kein ungestümes Benehmen iS des ArtIX Abs1 Z2 EGVG 1950

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist dadurch, daß sie am 2. Juni 1981 um ca. 15.00 Uhr nachmittags in Lambach in der Bahnhofstraße nächst dem Hause Nr. 9 durch einen Beamten des Gendarmeriepostens Lambach festgenommen wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. In der auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wird im wesentlichen vorgebracht:

Die Beschwerdeführerin sei am 2. Juni 1981 mit ihrem PKW am frühen Nachmittag nach Lambach gefahren, wo sie ihr Fahrzeug in der Bahnhofstraße 9 vor einem Geschäft, in dem sie Ware umtauschen habe wollen, abgestellt habe. Als sie gegen 14.15 Uhr wieder wegfahren habe wollen, habe ein Gendarmeriebeamter namens K. dies verhindert, indem er sich mit seinem Dienstmotorrad vor die Motorhaube ihres PKWs stellte. K. habe ihre Fahrzeugpapiere kontrolliert und sie gefragt, ob sie Österreicherin sei und warum sie einen italienischen Namen trage, worauf sie ersteres bejaht, im übrigen aber erklärt habe, daß dies mit der Sache wohl nichts zu tun hätte. Die Fahrzeugpapiere seien ihr hierauf wieder zurückgegeben worden. Sodann habe K. ihr vorgeworfen, daß sie am Schutzweg vor dem Bahnhof Lambach einen Lieferwagen vorschriftswidrig überholt hätte und an sie die Aufforderung gerichtet, eine Organstrafe von S 100,- zu bezahlen. Da sie sich einen Verstoß gegen die StVO nicht zu Schulden habe kommen lassen, habe sie dieses Begehren jedoch höflich abgelehnt und K. ersucht, eine Anzeige zu erstatten, falls er der Auffassung sei, daß sie gegen Verkehrsvorschriften verstoßen hätte. Daraufhin habe K. die KFZ-Papiere neuerlich verlangt und sodann ihre Festnahme ausgesprochen. Zur Begründung habe er angeführt, daß sie zu erregt sei, um den PKW gefahrlos in Betrieb zu nehmen.

In der Folge habe sie K. klarzulegen versucht, daß sie nicht erregt sei, worauf dieser die Vermutung äußerte, daß sie dann alkoholisiert sein oder unter Drogeneinfluß stehen müsse. Sie habe daraufhin die Vorführung vor einen Amtsarzt begehrt, was jedoch abgelehnt worden sei. Sie sei dann ausgestiegen und habe am Auto lehnend einige Zigaretten geraucht, wobei sie K. klarzumachen versucht habe, daß sie dringend zu ihrer Firma weiterfahren müsse. Da sie weiterhin nicht wegfahren habe dürfen, habe sie sich wieder ins Auto gesetzt, sei aber nach ca. 15 Minuten neuerlich ausgestiegen und habe K. gefragt, warum er eigentlich so schlechter Laune sei und warum sie wirklich festgehalten werde. K. habe darauf nur gesagt, daß sie das nichts anginge, er könne sie auch 10 Stunden festhalten, wenn er nur wolle. Daraufhin habe sie sich neuerlich in ihr Auto gesetzt und mit der im PKW installierten Funkanlage ihre Firma verständigt, daß ihr Rechtsanwalt und eine Person aus der Firma umgehend nach Lambach kommen sollten. Als K. dies hörte, habe er ihr sofort die KFZ-Papiere zurückgeben wollen und erklärt, sie könne nunmehr wegfahren. Als sie die Annahme verweigerte, habe er die Papiere in den Wagen geworfen und sei weggefahren. Bis dahin sei es ca. 15.15 bis 15.30 Uhr geworden.

Die Beschwerdeführerin habe sich dann auf den Gendarmerieposten Lambach begeben, um sich dort über die geschilderte Vorgangsweise zu beschweren. Dort habe sie angeboten, die Sache zu vergessen, wenn K. sich bei ihr entschuldige; auch die anwesenden Beamten hätten ihrem - ebenfalls anwesenden - Kollegen gesagt, daß er sich mit ihr einigen solle. Wegen der von ihr beabsichtigten Beschwerde sei ihr die Belehrung erteilt worden, daß sie diese beim Bezirksgendarmeriekommandanten in Wels-Thalheim erheben könne, was sie auch ca. 14 Tage später getan habe.

Die Beschwerdeführerin bestreitet, zu irgendeinem Zeitpunkte der Auseinandersetzung mit K. ein ungestümes Verhalten an den Tag gelegt zu haben.

Sie beantragt, kostenpflichtig festzustellen, daß sie durch die Festnahme vom 2. Juni 1981 im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden sei.

2. Die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land als belangte Behörde schildert den Sachverhalt völlig anders. Die Amtshandlung habe erst um ca. 15.00 Uhr begonnen. Die Beschwerdeführerin habe sich trotz Abmahnung ungestüm benommen und sei trotz wiederholter Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt. Ihre Festnahme sei demnach durch §35 litc VStG gedeckt.

Die belangte Behörde verweist darauf, daß die Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall nicht erstmals negativ in Erscheinung getreten sei. Sie sei nämlich schon vom Kreisgericht Wels mit Urteil vom 30. 6. 1980 nach §269 Abs1 StGB und weiters von der Bundespolizeidirektion Wels zu Geldstrafen verurteilt worden.

Die belangte Behörde beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

II. 1. Der VfGH hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Gendarmeriebeamten K. G., A. W. und R. K., weiters durch Einvernahme der Beschwerdeführerin als Partei, all dies im Rechtshilfeweg, und durch Einsichtnahme in die Akten der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land, Sich-185-1981, betreffend ein Verwaltungsstrafverfahren gegen die Beschwerdeführerin, wegen Übertretung nach ArtIX Abs1 Z2 EGVG, und des Kreisgerichtes Wels, GZ 11 E HV 147/80, betreffend die Verurteilung der Beschwerdeführerin nach §269 Abs1 StGB.

2. Auf Grund der durchgeführten Beweise stellt der VfGH folgenden Sachverhalt fest:

Die Beschwerdeführerin, die am 2. Juni 1981 in den frühen Nachmittagsstunden ihren PKW in Lambach in der Bahnhofstraße 9 geparkt hatte, wurde, als sie sich anschickte wegzufahren, von Gendarmerieinspektor K. unter Berufung auf seine eigene dienstliche Wahrnehmung beanstandet, weil sie vor dem Bahnhof Lambach einen LKW überholt habe, obwohl sich dort ein durch Hinweiszeichen gemäß §53 Z2a StVO 1960 und durch gut sichtbare Bodenmarkierungen gekennzeichneter Schutzweg befinde. Die Beschwerdeführerin stellte das angelastete verkehrswidrige Verhalten in Abrede und erklärte, daß K. sie anzeigen möge, sie werde die Angelegenheit "dem Rechtsschutz übergeben". K., der laut Aussage des Zeugen W. "nicht nachgibt und seinen Dienst voll versieht", war nicht bereit dies hinzunehmen und eröffnete der Beschwerdeführerin, daß er gegen sie eine Anzeige wegen verkehrswidrigen Verhaltens erstatten werde. Die Beschwerdeführerin beantwortete dies mit den Worten "Sie sind im Unrecht, ich habe genug Routine dies abzuschätzen, das übergebe ich dem Rechtsschutz". Sie kündigte weiters an, einen Rechtsanwalt zuzuziehen, damit sie zu ihrem Recht komme. K. verlangte hierauf die Kraftfahrzeugpapiere und befragte die Beschwerdeführerin, als er ihren Namen feststellte, ob sie Österreicherin sei, was sie bejahte. Auf die anschließende Frage, wieso sie einen italienischen Namen habe, reagierte die Beschwerdeführerin mit der Bemerkung, daß dies nicht zur Sache gehöre. Auf die hierauf an sie gerichtete Aufforderung des Beamten, ihr ungestümes Benehmen einzustellen, äußerte sie: "Pflanzen Sie einen anderen, wir sind in keinem Willkürstaat." Daraufhin mahnte K. die Beschwerdeführerin neuerlich ab und erklärte ihr, daß sie wegen ungestümen Benehmens angezeigt werde. Die Beschwerdeführerin stellte hierauf an ihn die Frage, weshalb er so schlecht aufgelegt sei und fügte hinzu, sie müsse wohl "ausfressen", daß er mit seiner Frau gestritten habe. K. erklärte daraufhin die Beschwerdeführerin vorläufig für festgenommen und erklärte weiters, daß der Beschwerdeführerin auch der Führerschein wegen des außergewöhnlichen Erregungszustandes vorläufig abgenommen sei. Die Beschwerdeführerin sagte hierauf: "Wenn Sie annehmen, daß ich nervös bin, glauben Sie dann, daß ich ruhiger werde, wenn Sie mich festnehmen und ich nicht weiß, weshalb ich festgenommen werde und wie lange?" Zusätzlich verlangte sie einem Amtsarzt vorgeführt zu werden, was K. jedoch ignorierte.

Erst jetzt, also nach der Festnahme, stieg die Beschwerdeführerin aus dem PKW aus und versuchte durch Handbewegungen andere Fahrzeuge zum Anhalten zu veranlassen, um sich für das Geschehen auf einen Zeugen berufen zu können, was allerdings zu keinem Erfolg führte. Über Aufforderung gab K. der Beschwerdeführerin in der Folge eine Visitenkarte mit seiner Dienstnummer. Die Beschwerdeführerin rauchte sodann an ihrem Auto lehnend einige Zigaretten, verwies K. darauf, daß sie in ihre Firma zurückkehren müsse und setzte sich nach einiger Zeit wieder in ihren Wagen, rief über das im Fahrzeug installierte Funkgerät ihre Firma an und begehrte die Verständigung eines Anwaltes. Hierauf folgte K. der Beschwerdeführerin die Kraftfahrzeugpapiere wieder aus und erklärte sie für freigelassen. Die Beschwerdeführerin fuhr nachfolgend auf den Gendarmerieposten Lambach, um sich dort zu beschweren, wurde aber an den Bezirksgendarmeriekommandanten in Wels-Thalheim verwiesen.

Zur Beweiswürdigung ist eingangs festzuhalten, daß die Zeugenaussage K., die Festnahme der Beschwerdeführerin sei deswegen erfolgt, weil sie sich durch Gestikulieren ungestüm benommen habe, im Widerspruch zu den Ausführungen in der von ihm mitunterfertigten Anzeige an die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land vom 3. 6. 1981 steht. In dieser wird nämlich der Sachverhalt völlig anders dargestellt. Dort wird dargelegt: "Nachdem der Beamte die Festnahme ausgesprochen hatte, gestikulierte M. mit den Händen." Diese Darstellung entspricht der Aussage der Beschwerdeführerin, die darauf verweist, daß sie erst nach der Festnahme aus dem Auto ausgestiegen sei und dann durch Armschwenken ein Auto zum Anhalten bringen habe wollen. Als weiterer entscheidender Widerspruch ist festzuhalten, daß K., als Zeuge vernommen, dezidiert erklärte, daß die Festnehmung nur 3 bis 4 Minuten aufrecht erhalten worden sei, wohingegen in der schriftlichen Anzeigedargelegt wird, daß nach der Festnehmung der Beschwerdeführerin noch eine Steigerung ihres Erregungszustandes eingetreten sei, sodaß ihr erst nach etwa 15 Minuten der Führerschein wieder ausgefolgt hätte werden können. Wenn aber, wie K. in seiner Zeugenaussage behauptet, die Festnehmung überhaupt nur 3 bis 4 Minuten aufrecht erhalten wurde, kann der Erregungszustand der Beschwerdeführerin keineswegs so groß gewesen sein, wie dies in der schriftlichen Anzeige zum Ausdruck kommt. Unter diesen Umständen erscheint auch die Behauptung K., die Beschwerdeführerin habe ihn angeschrieen, unglaubwürdig. K. wirft der Beschwerdeführerin in der schriftlichen Anzeige vor, gegenüber den bestehenden (Straßenverkehrs-)Vorschriften äußerst uneinsichtig gewesen zu sein, womit offensichtlich auf die hartnäckigen Erklärungen der Beschwerdeführerin, daß sie "die Angelegenheit dem Rechtsschutz übergeben" werde, Bezug genommen wird. Dessen ungeachtet aber wird in der schriftlichen Anzeige an die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land das verkehrswidrige Verhalten der Beschwerdeführerin nur als Anlaß für das amtliche Einschreiten geschildert, und lediglich der Verdacht einer Übertretung des ArtIX Abs1 Z2 EGVG 1950 gegen die Beschwerdeführerin zur Anzeige gebracht. All dies führt den Gerichtshof zu der Überzeugung, daß K. die Amtshandlung nicht auf den Anlaß seines Einschreitens beschränkte, sondern sich auf eine angebliche Diskussion mit der Beschwerdeführerin einließ. Abgesehen von den aufgezeigten Widersprüchen kann aber auch nicht übersehen werden, daß K., als Zeuge vernommen, sich an einen bestimmten Wortlaut seiner Auseinandersetzung mit der Beschwerdeführerin nicht mehr erinnern konnte, vorerst in Abrede stellte, die Beschwerdeführerin abgemahnt zu haben und sich nachfolgend korrigierte, daß er Abmahnungen lediglich in bezug auf ein Vergehen nach der StVO verneint habe.

Wenn die belangte Behörde zur Stützung der Darstellung des Zeugen K. schließlich darauf verweist, daß die Beschwerdeführerin bereits einmal wegen ähnlicher Verhaltensweisen gerichtlich und im Verwaltungsweg zu Geldstrafen verurteilt worden sei, fällt dies keineswegs so entscheidend ins Gewicht, daß der Beschwerdeführerin die Glaubwürdigkeit schon deshalb zu versagen wäre.

All dies trifft letztlich damit zusammen, daß den vorgelegten Verwaltungsakten entsprechend gegen die Beschwerdeführerin wegen des eigentlichen Grundes ihrer Beanstandung, nämlich des ihr von K. angelasteten verkehrswidrigen Verhaltens, ein Verwaltungsstrafverfahren gar nicht eingeleitet wurde.

Der VfGH sah sich auf Grund dieser Erwägungen veranlaßt, der Darstellung der Beschwerdeführerin, daß sie sich vor ihrer Festnahme gegenüber K. weder schreiend noch gestikulierend verhalten habe, Glauben zu schenken.

III. Ausgehend von den getroffenen Sachverhaltsdarstellungen hat der VfGH erwogen:

1. Die Festnehmung der Beschwerdeführerin ist ein in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen sie ergangener Verwaltungsakt iS des Art144 Abs1 B-VG (VfSlg. 8960/1980). Die dagegen erhobene Beschwerde ist, da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, zulässig.

Der bekämpfte Verwaltungsakt wurde von einem Gendarmeriebeamten des Gendarmeriepostenkommandos Lambach gesetzt. Der Verwaltungsakt ist jener Behörde zuzurechnen, deren Vollziehungsgewalt der Gendarmeriebeamte gehandhabt hat (vgl. zB. VfSlg. 8815/1980), also hier der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land. Die Festnehmung erfolgte nämlich wegen angeblichen Verharrens in einem nach ArtIX Abs1 Z2 EGVG 1950 strafbaren Verhalten, zu dessen Bestrafung örtlich und sachlich die genannte Behörde zuständig war.

2. Nach §4 des Gesetzes zum Schutze der persönlichen Freiheit vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, dürfen die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen. Solche Fälle regelt auch die Bestimmung des §35 VStG 1950, auf die sich die belangte Behörde beruft. Da ein anderer Festnehmungsgrund nicht vorliegt, ist nur zu klären, ob ein Anwendungsfall des §35 VStG 1950 gegeben ist.

Voraussetzung für die Zulässigkeit der Festnehmung einer Person ist in allen von §35 VStG 1950 erfaßten Fällen, daß das einschreitende Organ der öffentlichen Aufsicht (ein solches ist auch ein Gendarmeriebeamter) die Person bei der Begehung einer Verwaltungsübertretung auf frischer Tat betritt. Es reicht hin, wenn das einschreitende Organ wenigstens vertretbarerweise annehmen kann, daß eine verwaltungsstrafrechtlich zu ahndende Handlung vorliegt.

An dieser Voraussetzung hat es aber hier gefehlt:

Nach ArtIX Abs1 Z2 EGVG 1950 - ein Verstoß gegen diesen Tatbestand wird der Beschwerdeführerin zum Vorwurf gemacht - begeht eine Verwaltungsübertretung, wer sich ungeachtet vorangegangener Abmahnung gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht, während sich dieses in rechtmäßiger Ausübung des Amtes oder Dienstes befindet, ungestüm benimmt.

Wie der VfGH in ständiger Judikatur (zuletzt VfSlg. 9229/1981) - in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des VwGH (zB VwSlg. 2263 A/1951; VwGH 14. 5. 1968 Z 1759/67 und 1. 3. 1979 Z 873/78) - dargetan hat, ist unter "ungestümem Benehmen" ein sowohl in der Sprache als auch in der Bewegung der gebotenen Ruhe entbehrendes, mit ungewöhnlicher Heftigkeit verbundenes Verhalten anzusehen (vgl. VfSlg. 7464/1974). Das Vertreten eines Rechtsstandpunktes, mag dies auch in entschiedener Weise geschehen, stellt eine angemessene Reaktion, nicht aber ein ungestümes Benehmen dar (vgl. VfSlg. 2906/1955, 9229/1981; VwGH 28. 11. 1967 Z 836/67 und 20. 12. 1977 Z 2064/77). Auch ungehörige oder allenfalls beleidigende Äußerungen tragen keineswegs in jedem Falle das Merkmal des ungestümen Benehmens in sich (vgl. VwGH 13. 12. 1954 Z 3024/53, 2. 12. 1953 Z 3036/52, 14. 4. 1958 Z 979/980/57 und VwSlg. 6987 A/1966).

Der VfGH hat in VfSlg. 7987/1977 weiters ausgesprochen, daß die Strafbarkeit eines Verhaltens iS des ArtIX Abs1 Z2 EGVG (vor der Nov. BGBl. 232/1977: ArtVIII Abs1 litb) selbst dann nicht ausgeschlossen ist, wenn sich ein Verhalten nur als Reaktion auf die Art des Einschreitens eines behördlichen Organs darstellt. Unter ungestümem Benehmen ist nach dem zitierten Erk. ein Verhalten zu verstehen, durch das die jedermann gegen das Einschreiten eines behördlichen Organs zuzubilligende Abwehr vermeintlichen Unrechts derart überschritten wird, daß diese Abwehr zufolge des Tones des Vorbringens, der zur Schau gestellten Gestik oder durch beides zusammen als aggressives Verhalten gedeutet werden muß (vgl. auch die hiemit im Einklang stehende Judikatur des VwGH, insbesondere Erk. v. 2. 4. 1974 Z 991/73 und die dort zitierte Vorjudikatur). Der Gerichtshof hält an dieser Ansicht fest, fügt jedoch bei, daß für die Frage, wann ein Benehmen als ungestüm zu werten ist, das Verhalten des einschreitenden Beamten nicht völlig unbeachtlich sein kann. Nur eine unverhältnismäßige Reaktion auf dessen Verhalten kann nämlich als ungebührliches Benehmen iS des ArtIX Abs1 Z2 EGVG qualifiziert werden; nur in diesem Fall ist daher eine Festnehmung unter Berufung auf diesen Verwaltungsstrafbestand zulässig.

Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage ist es ausgeschlossen, daß Gendarmerieinspektor K. annehmen durfte, die Beschwerdeführerin habe die Bestimmung des ArtIX Abs1 Z2 EGVG verletzt. Der Beschwerdeführerin ist wohl der Vorwurf zu machen, ihren Standpunkt gegenüber K. keineswegs sachlich vertreten, und durchaus ungehörige Äußerungen gemacht zu haben. Es darf aber nicht übersehen werden, daß K. sich schon bei den Fragen zur Person nicht auf die für die Amtshandlung erforderlichen Fragestellungen beschränkte und durch dieses Verhalten selbst zu einer Entsachlichung des Gesprächs beigetragen hat. Die Äußerungen der Beschwerdeführerin, auf Grund derer K. die Festnehmung aussprach, waren um nichts weniger unangebracht als die Fragen K. Für eine Einstufung des Verhaltens der Beschwerdeführerin als ungestümes Benehmen kommen aber nur diese Äußerungen in Frage. Der Beamte mag über das uneinsichtige und möglicherweise als anmaßend empfundene Benehmen der Beschwerdeführerin verärgert gewesen sein; unter den gegebenen Umständen war es aber objektiv unvertretbar, dieses Benehmen als ungestüm zu qualifizieren (vgl. hiezu VfSlg. 7464/1974).

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, daß der einschreitende Gendarmeriebeamte vertretbarerweise nicht annehmen konnte, daß die Beschwerdeführerin sich der Verwaltungsübertretung des ungestümen Benehmens schuldig gemacht habe. Es war daher keine gesetzliche Grundlage für ihre Festnehmung gegeben.

Die Beschwerdeführerin ist sohin durch die bekämpfte Amtshandlung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.

Schlagworte

Benehmen ungestümes, Festnehmung, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1983:B334.1981

Dokumentnummer

JFT_10169378_81B00334_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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