TE Vfgh Erkenntnis 1983/6/23 B501/78

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Veröffentlicht am 23.06.1983
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Index

44 Zivildienst
44/01 Zivildienst

Norm

ZivildienstG §2 Abs1

Leitsatz

Zivildienstgesetz; keine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer beantragte unter Bezugnahme auf §2 Abs1 des Zivildienstgesetzes, BGBl. 187/1974, (hier und im folgenden ist stets die Stammfassung dieses Gesetzes - gekürzt: ZDG - gemeint) seine Befreiung von der Wehrpflicht und brachte im wesentlichen folgendes vor:

Er lehne den Militärdienst bzw. das Militär grundsätzlich, und zwar vor allem wegen des extremen Widerspruchs zu seinem Beruf und wegen des extremen Widerspruchs zu seiner sozialen Einstellung, ab. Er sei Sozialarbeiter und habe das Diplom für Sozialarbeit an der Akademie für Sozialarbeit in Bregenz erworben. Seine Aufgabe sei es, Leuten, die aus physischen, psychischen und anderen Gründen Schwierigkeiten haben, sich aber der Gesellschaft nicht mehr anpassen können, zu helfen, sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Es liege nicht in seinem Interesse, Mitmenschen Leid anzutun, sie zu verstümmeln, sie zu töten, überhaupt mit Waffengewalt gegen sie vorzugehen. Er könne das nicht, wolle das nicht, lehne das mit aller Vehemenz ab. Der Militärdienst diene im Prinzip dazu, Menschen dazu abzurichten, andere Menschen zu töten, sie grausam umzubringen, deren Hab und Gut zu zerstören, sie untertänig zu machen. Dasselbe werde von der zivilen Gesellschaft mit lebenslänglicher Haft geahndet. Er finde Militärdienst und dessen Konsequenzen als Verstoß gegen jedes Menschenrecht, gegen jede Ethik, Moral und Gerechtigkeit, unmenschlich und vor allem sinnlos.

2. Die Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres (im folgenden: ZDK) führte Erhebungen über die Person des Beschwerdeführers durch. Sie ergaben seine strafrechtliche Unbescholtenheit, jedoch insgesamt elf Bestrafungen wegen Verwaltungsübertretungen nach dem KraftfahrG und der Straßenverkehrsordnung, darunter drei Zuwiderhandlungen gegen §20 Abs2 StVO; im übrigen kam Nachteiliges nicht hervor.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat 5 der ZDK am 29. Juni 1978 bezog sich der Beschwerdeführer auf seinen schriftlichen Antrag und brachte weiters vor:

Er habe Volks- und Mittelschule und sodann die Sozialakademie besucht und sei nun Sozialarbeiter. Sein Praktikum habe er in der Altenhilfe in Dornbirn gemacht; im dritten und vierten Semester habe er eine sozialschwache Familie betreut. Seinen (im Antrag ausgedrückten) Wunsch, so spät wie möglich Zivildienst zu leisten, erkläre er damit, in seinem Beruf eine gewisse Sicherung zu erlangen. Die Verkehrsübertretungen habe er mit dem Motorrad und später mit dem PKW begangen.

Mit Bescheid vom selben Tag wies die ZDK, Senat 5, den Antrag des Beschwerdeführers unter Berufung auf §2 Abs1 und 6 Abs1 ZDK ab. Sie begründete ihre Entscheidung nach einer zusammenfassenden Wiedergabe des Antragsvorbringens sowie des Vorbringens des Beschwerdeführers in der mündlichen Senatsverhandlung unter Bezugnahme auf den Wortlaut des §2 Abs1 ZDG folgendermaßen:

Gewissensgründe müßten nicht nur behauptet, sondern auch glaubhaft gemacht werden, weil die bloße Behauptung praktisch auf die Einführung eines nicht gewollten Alternativdienstes hinausliefe. Der erkennende Senat betrachte als Mittel der Glaubhaftmachung ein Mindestmaß an sozialer Aktivität. Es sei zwar schwierig, Gewissensgründe auch nur glaubhaft zu machen, doch vertrete der Gesetzgeber die Ansicht, daß man aus dem nach außen in Erscheinung getretenen Verhalten des Antragstellers einen entsprechenden Schluß ziehen könne. Der erkennende Senat erblicke eine soziale Aktivität insbesondere in der aktiven Mitarbeit in Jugendorganisationen, in sozialen Einrichtungen wie Rotes Kreuz, Feuerwehr und Bergrettung, anerkenne aber auch soziale Handlungen im privaten Bereich, wenn diese dem erkennenden Senat durch die Vorlage von Beweismitteln glaubhaft gemacht würden. Das durchgeführte Ermittlungsverfahren, insbesondere die Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem erkennenden Senat habe ergeben, daß außer jenen sozialen Arbeiten, die der Beschwerdeführer im Rahmen seines Praktikums zu absolvieren hatte, bei ihm keinerlei sonstiges nach außen in Erscheinung getretenes Verhalten vorliege, aus dem der erkennende Senat den Schluß ziehen könnte, daß er aus schwerwiegenden Gewissensgründen den Wehrdienst verweigere. Der erkennende Senat vertrete in ständiger Rechtsprechung auch die Ansicht, daß man den Angaben eines Zivildienstwerbers nur dann Glauben schenken könne, wenn er in seinem bisherigen Leben vor allem jene gesetzlichen Vorschriften beachtet habe, die dazu dienen, Gefahren für das menschliche Leben abzuwehren. Nun hätten die durchgeführten Erhebungen ergeben, daß der Beschwerdeführer zehnmal (richtig: elfmal) nach dem KFG und der StVO (darunter dreimal wegen Geschwindigkeitsüberschreitung) vorgemerkt sei. Überdies schienen die Angaben des Beschwerdeführers in seinem schriftlichen Antrag auch deswegen nicht geeignet, die angegebenen Gewissensgründe als glaubhaft zu betrachten, da er erklärt habe, so spät wie möglich Zivildienst leisten zu wollen. Der Beschwerdeführer habe zwar erklärt, den Wunsch habe er deswegen geäußert, weil er in seinem Beruf Sicherheit erreichen wolle; wäre es ihm aber wirklich ernst mit seinen Gewissensgründen, so wäre es sein Wunsch gewesen, so rasch wie möglich Zivildienst zu leisten, zumal seine berufliche Ausbildung schon abgeschlossen sei.

3. Gegen diesen Bescheid der ZDK richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den VfGH, in welcher der Beschwerdeführer eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung behauptet und die Bescheidaufhebung begehrt.

II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:

1. Eine Verletzung des in §2 Abs1 ZDG gewährleisteten Grundrechtes liegt dann vor, wenn die Behörde die in dieser Verfassungsbestimmung umschriebenen materiellrechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt hat, und weiters - da die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebliche Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) in den Schutzumfang des Grundrechtes einbezogen ist - dann, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen sind oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit genommen hat, das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen (zB VfSlg. 8787/1980).

2. Die belangte ZDK ging ersichtlich davon aus, daß die Behauptungen des Beschwerdeführers geeignet sind, darzutun, daß er es aus schwerwiegenden Gründen ablehne, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würde. Der VfGH folgt in dieser Hinsicht der ZDK. Die in der mündlichen Senatsverhandlung bekräftigten Ausführungen des Beschwerdeführers lassen nämlich sehr wohl erkennen, daß er nach seinen Behauptungen infolge seiner - allgemeinen, vorbehaltlosen (vgl. VfSlg. 8391/1978) - Ablehnung der Anwendung von Waffengewalt in schwere Gewissensnot geriete, wenn er Wehrdienst leisten müßte.

3. Voraussetzung für die Befreiung einer Person von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung ist dem §6 Abs2 ZDG zufolge nicht bloß die erwähnte (taugliche) Behauptung, sondern auch, daß der Antragsteller diese glaubhaft macht. Wenn die belangte ZDK annahm, daß dem Beschwerdeführer diese Bescheinigung nicht gelungen sei, so kann ihr der VfGH im Ergebnis nicht entgegentreten. Der VfGH hat wiederholt dargetan, daß es verfehlt ist, aus der Nichtzugehörigkeit eines Antragstellers zu einer Organisation mit pazifistischer Zielsetzung, zu Jugendorganisationen oder zu karitativen Vereinigungen die Glaubwürdigkeit der Gewissensgründe zu verneinen; es ist nämlich offenkundig, daß eine den materiellen Voraussetzungen des §2 Abs1 ZDG entsprechende Einstellung auch bei Personen vorliegen kann, die keine Neigung besitzen, ihre Auffassungen im Rahmen einer gleichgesinnten Personengemeinschaft zu bekunden (so zuletzt VfSlg. 9549/1982). Der Gerichtshof sieht sich nicht veranlaßt, von diesem Standpunkt, der entsprechend auch auf die anderen in der Begründung des angefochtenen Bescheides angeführten Organisationen zutrifft, abzurücken. Der ZDK ist auch nicht beizupflichten, wenn sie vom Beschwerdeführer den Nachweis "sozialer Aktivität" als Voraussetzung dafür fordert, daß das Vorliegen schwerwiegender Gewissensgründe bei Anwendung von Waffengewalt glaubhaft sei (s. auch dazu die angeführten Entscheidungen).

Dennoch ist für den Beschwerdeführer nichts zu gewinnen. Die ZDK leitete ihre Auffassung, ihm sei die Glaubhaftmachung nicht gelungen, wesentlich auch daraus ab, daß er gesetzliche Vorschriften nicht beachtet habe, die dazu dienen, Gefahren für das menschliche Leben abzuwehren; sie verwies dabei auf die häufigen Zuwiderhandlungen des Beschwerdeführers gegen Bestimmungen des KraftfahrG und der StVO, insbesondere auf drei Bestrafungen wegen Geschwindigkeitsüberschreitung.

Der Beschwerdeführer hält dieser Auffassung der belangten Behörde im wesentlichen entgegen, daß den meisten dieser Bestrafungen Ordnungsdelikte zugrunde lägen, daß - wie sich durch Einsichtnahme in die betreffenden Verwaltungsakten ergeben hätte - die Geschwindigkeitsüberschreitungen auf einer freien, offenen Landstraße stattgefunden hätten, ohne daß es zu einer Gefährdung von Personen gekommen sei, sowie daß diese Bestrafungen zwei bis drei Jahre zurücklägen und schließlich daß die österreichische Rechtsordnung Jugendliche und Heranwachsende weniger streng beurteile; Geschwindigkeitsüberschreitungen im Straßenverkehr seien bei Jugendlichen normalerweise nicht Ausdruck einer Menschenverachtung, sondern eher Ausdruck von etwas ungezügelter Vitalität.

Der VfGH hat im gegebenen Zusammenhang - wie sich aus dem oben Gesagten ergibt - nicht etwa zu prüfen, ob die in Rede stehende Schlußfolgerung der Behörde aus den verwaltungsrechtlichen Vorstrafen des Beschwerdeführers zutrifft, sondern bloß, ob ihr Gedankengang derart evident der Lebenserfahrung oder den logischen Denkgesetzen widerspricht, daß dies im Hinblick auf die der freien Beweiswürdigung (der Würdigung von Bescheinigungsmitteln) immanenten Prinzipien als schwerwiegender Verstoß im verfahrensrechtlichen Bereich zu werten wäre. Davon kann hier aber nicht die Rede sein.

Den Bestrafungen des Beschwerdeführers nach §20 Abs2 StVO liegt nicht etwa - wie darzutun versucht wird - eine Geschwindigkeitsüberschreitung im Kraftfahrverkehr "auf einer freien, offenen Landstraße", sondern die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet zugrunde, also das Zuwiderhandeln gegen eine Vorschrift, die (unter besonderer Bedachtnahme auf das verbaute und daher regelmäßig dichter bewohnte Gebiet) wesentlich dem Zweck dient, die körperliche Integrität von Personen zu schützen. Es ist nun zumindest nicht völlig verfehlt, aus einem wiederholten Verstoß dieser Art trotz des nicht sehr hohen Lebensalters des Beschwerdeführers zur Tatzeit von ungefähr 20 Jahren und des bis zur Bescheiderlassung verstrichenen Zeitraums von rund zwei bis drei Jahren den Schluß zu ziehen, daß eine die Gefährdung der körperlichen Sicherheit von Menschen unter allen Umständen ablehnende Einstellung beim Beschwerdeführer nicht vorliegt, und daraus weiter zu folgern, daß die von §2 Abs1 ZDG geforderte gefestigte Überzeugung, die Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen allgemein und vorbehaltlos abzulehnen, bei ihm nicht bescheinigt ist.

4. Zusammenfassend ist sohin festzuhalten, daß die vom Beschwerdeführer behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung nicht stattfand. Da das Beschwerdeverfahren auch keine Anhaltspunkte für eine Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder eine Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm ergab, war die Beschwerde abzuweisen.

Schlagworte

Zivildienst

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1983:B501.1978

Dokumentnummer

JFT_10169377_78B00501_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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