TE Vfgh Erkenntnis 1983/6/27 B275/82

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Veröffentlicht am 27.06.1983
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Allg
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
StGG Art8
StVO 1960 §43 Abs1 litb Z1
FahrverbotsV des Bürgermeisters der Gemeinde Wolfurt vom 06.05.81

Leitsatz

Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Wolfurt vom 6. Mai 1981 betreffend ein Fahrverbot auf den Riedstraßen in Wolfurt; keine Bedenken hinsichtlich einer gesetzlichen Deckung in §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960 Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; in §§35 und 36 VStG 1950 gedeckte Festnahme

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Auf Grund des in den hier wesentlichen Belangen übereinstimmenden Parteienvorbringens und des Verwaltungsstrafaktes der Bezirkshauptmannschaft Bregenz Z X 150-3170/82 steht fest:

Der Beschwerdeführer fuhr am 3. April 1982 gegen 15,30 Uhr mit seinem PKW auf einer Riedstraße, vom Modellflugplatz kommend, durch das Gemeindegebiet Wolfurt, obgleich für diese Gemeindestraße ein "Allgemeines Fahrverbot" mit der Zusatztafel "ausgenommen Radfahrer und landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge" bestand.

Der Beamte des Gendarmeriepostens Wolfurt GI G. hielt das Fahrzeug an und belehrte den Beschwerdeführer, daß er verbotswidrig fahre. Der Beschwerdeführer meinte, daß er berechtigt sei, die Straße zu befahren; er sei nämlich Mitglied des Vereines "Modellbauclub Brigantium", der ein an der Straße gelegenes Grundstück gepachtet habe, auf dem der Verein einen Modellflugplatz errichtet habe.

Der Beamte drohte dem Beschwerdeführer für den Fall der Wiederholung der Tat die Festnahme an. Dennoch wendete der Beschwerdeführer sein Fahrzeug, um zum Modellflugplatz zurückzufahren. Der Gendarmeriebeamte nahm darauf den Beschwerdeführer fest und eskortierte ihn zum Gendarmerieposten Wolfurt, wo er bis 16,20 Uhr angehalten wurde.

2. Gegen diese Festnahme und die darauf folgende Anhaltung wendet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf persönliche Freiheit behauptet und beantragt wird, diese Rechtsverletzung kostenpflichtig festzustellen.

Die Beschwerde wird ausschließlich damit begründet, daß die Verordnung, mit der das Fahrverbot verfügt wurde, gesetzwidrig sei.

3. Die Bezirkshauptmannschaft Bregenz als belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie begehrt, die Beschwerde zurückzuweisen. Dem Beschwerdeführer fehle die Antragslegitimation, da er nicht die Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes, sondern ausschließlich die Gesetzwidrigkeit der Fahrverbots-Verordnung behaupte.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Die behauptete Festnahme und die Anhaltung sind in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen den Beschwerdeführer ergangene Verwaltungsakte, die nach Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG beim VfGH bekämpft werden können (vgl. zB VfSlg. 9368/1982). Diese Verwaltungsakte waren gegen den Beschwerdeführer gerichtet.

An der somit gegebenen Beschwerdelegitimation ändert nichts, daß der Beschwerdeführer die Behauptung, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden zu sein, ausschließlich damit begründet, die die bekämpften Verwaltungsakte vornehmlich tragende Fahrverbots-Verordnung sei gesetzwidrig. Ob diese Behauptung zutrifft, ist eine Frage des Meritums, nicht aber eine Frage der Zulässigkeit.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.

2. Der Beschwerdeführer begründet - wie erwähnt - die Beschwerde damit, daß die Fahrverbots-Verordnung gesetzwidrig sei. Sie finde im §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960 keine Deckung.

a) aa) Der Bürgermeister der Gemeinde Wolfurt hat am 6. Mai 1981 unter der Z 144/81 folgende Verordnung betreffend Fahrverbot auf den Riedstraßen in Wolfurt erlassen:

"Gemäß §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960 in der derzeit geltenden Fassung wird für die Riedstraßen in Wolfurt, wie in der Planbeilage ersichtlich, ein allgemeines Fahrverbot erlassen.

Die Verbotszeichen gemäß §52 lita Z1 (Fahrverbot) sind an allen in der erwähnten Planbeilage angeführten Stellen, gut sichtbar, anzubringen.

Unter den beiden Fahrverbotszeichen ist eine Zusatztafel (§54 StVO 1960) mit dem Wortlaut 'ausgenommen Radfahrer und landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge' zu montieren."

Diese Verordnung wurde gemäß §44 Abs1 StVO 1960 am 25. Mai 1981 durch Anbringen der entsprechenden Verkehrszeichen samt Zusatztafeln kundgemacht.

bb) Dem §94b litb StVO 1960 zufolge ist zur Erlassung derartiger Verordnungen grundsätzlich die Bezirksverwaltungsbehörde zuständig. Gemäß §94c Abs1 StVO 1960 hat jedoch die Landesregierung durch Verordnung die von der Bezirksverwaltungsbehörde zu besorgenden, nur das Gebiet einer Gemeinde betreffenden Angelegenheiten, wenn und insoweit dies im Interesse der Zweckmäßigkeit, Raschheit und Einfachheit gelegen ist, dieser Gemeinde zu übertragen, die in diesem Falle an die Stelle der Bezirksverwaltungsbehörde tritt.

Nach §1 Abs1 der auf §94c StVO 1960 gestützten Verordnung der Vbg. Landesregierung LGBl. 20/1970, über den übertragenen Wirkungsbereich der Gemeinde in Angelegenheiten der Straßenpolizei, sind unter anderem die im §94b litb StVO 1960 bezeichneten Angelegenheiten (dazu gehört unter anderem die Erlassung von Fahrverboten) von der Gemeinde im übertragenen Wirkungsbereich zu besorgen, sofern die Akte der Vollziehung a) nur für das Gebiet einer Gemeinde wirksam werden und

b) sich auf Gemeindestraßen (die Riedstraßen in Wolfurt sind Gemeindestraßen), Genossenschaftsstraßen und öffentliche Privatstraßen beziehen.

Nach Art119 Abs2 B-VG und (dem damit übereinstimmenden) §61 Abs1 des Vbg. Gemeindegesetzes, LGBl. 45/1965, sind die Angelegenheiten des übertragenen Wirkungsbereiches der Gemeinde vom Bürgermeister zu besorgen.

b) Die Festnahme des Beschwerdeführers erfolgte, weil er das erwähnte Fahrverbot verletzt und hernach in der Fortsetzung dieser strafbaren Handlung verharrt hatte. Der VfGH hat daher bei Entscheidung über die vorliegende Beschwerde unter anderem die dieses Fahrverbot verfügende Verordnung anzuwenden. Da die Verordnung demnach hier präjudiziell ist, hat der VfGH zu untersuchen, ob sie gesetzmäßig ist. Wie erwähnt, bestreitet dies der Beschwerdeführer.

aa) Aus den oben unter II.2.a) bb) wiedergegebenen Rechtsvorschriften geht hervor, daß der Bürgermeister der Gemeinde Wolfurt die zur Verordnungserlassung zuständige Behörde war.

bb) Die Verordnung wird auf §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960 gestützt.

Nach dieser Gesetzesbestimmung hat die Behörde für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung dann, wenn und insoweit es die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit der Straße oder die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes erfordert, dauernde oder vorübergehende Verkehrsverbote oder Verkehrsbeschränkungen zu erlassen.

Die belangte Behörde führt in ihrer Gegenschrift aus, daß die durchschnittliche Breite der Straße 2,5 bis 2,7 m, im unteren Bereich vor dem Modellflugplatz sogar nur 2,2 m betrage. Die Tragfähigkeit sei insbesondere am unteren Ende deutlich reduziert. Die Straße sei daher nur für einen minimalen Verkehr mit PKW und landwirtschaftlichen Fahrzeugen geeignet. Es gelte auch zu bedenken, daß das Wolfurter Ried mit dem sogenannten Lauteracher Ried eine Einheit bilde. Die Trennung erfolge praktisch nur durch die Gemeindegrenze; das Gebiet sei jedoch einem einheitlichen Erholungsgebiet zuzuordnen. Dieses Gebiet diene der Naherholung im Ballungszentrum des Vbg. Rheintales.

Der die Verordnung erlassende Bürgermeister der Gemeinde Wolfurt hat in der zur hg. Z V23/82 erstatteten Stellungnahme vom 16. Juli 1982 das verfügte Fahrverbot wie folgt gerechtfertigt:

"Die erlassene Verordnung des Bürgermeisters stützt sich auf §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960. Die Beschränkung in der Benützung der Straße erfolgte auf Grund der Beschaffenheit der Straße. Eine Überprüfung des Zustandes der Straße am 24. 3. 1982 durch einen verkehrstechnischen und straßenbautechnischen Sachverständigen hat ergeben, daß die in Rede stehende Riedstraße nur minimalen Anforderungen gerecht zu werden vermag. Auf der gesamten Länge von rund 1.200 m ist, mit Ausnahme im Bereich der Autobahnunterführung, bei dieser einspurigen Straße keine Ausweiche vorhanden. Der Zustand der Straße ist als typisch landwirtschaftlicher Fahrweg mit schlechtem Unterbau zu bezeichnen. Ein größeres Verkehrsaufkommen auf dieser Straße wäre dieser sehr abträglich. Die Straße reichte noch, wie eh und je, um die landwirtschaftlichen Grundstücke, zu denen in der Regel mit Traktoren zu- und abgefahren wird, zu bewirtschaften. Durch die Erlassung des Fahrverbotes wollte der Bürgermeister zum Ausdruck bringen, daß diese Straße in erster Linie für Radfahrer, aber auch für Spaziergänger und sonstige Erholungssuchende, und überdies wie bisher, die Funktion als Landwirtschaftsweg zu erfüllen hat. Das Radwegnetz, zu dem auch diese Straße zu zählen ist, wurde nicht nur im Wolfurter Ried, sondern in vielen Gemeinden des Vbg. Rheintales in den letzten Jahren großzügig erweitert, um den aufkommenden, gesundheitsfördernden Trend: Fitbleiben und Erholung durch Radwanderung Rechnung zu tragen."

Der VfGH findet keinen Anlaß, daran zu zweifeln, daß der Sachverhalt von den Behörden richtig dargestellt wurde, zumal er durch die vorgelegte Niederschrift der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 24. März 1982, Z I-201-40, über den Lokalaugenschein vom selben Tag untermauert wird.

Der beigezogene straßenbautechnische Sachverständige kam zum Ergebnis, "daß die Straße für einen minimalen Verkehr mit PKW und landwirtschaftlichen Fahrzeugen, wie es die Nutzung der Grundstücke erfordert, ausreichend" sei. Der straßenverkehrstechnische Sachverständige kam insbesondere im Hinblick auf die geringe Breite der Straße, zum Ergebnis, daß "auf dieser Straße aus Gründen der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit ein stärkerer Kfz-Verkehr nicht vertretbar" sei.

Ausgehend von diesen Sachverständigengutachten ergibt sich, daß sowohl die Sicherheit des Verkehrs (insbesondere jene der Radfahrer) als auch die Beschaffenheit der Straße das verfügte Fahrverbot nach §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960 rechtfertigen.

Der VfGH hat daher unter dem Gesichtspunkt dieses Beschwerdefalles gegen die erwähnte Verordnung nicht das Bedenken, daß sie im Gesetz keine Deckung findet.

c) Der VfGH hat auch gegen die anderen Rechtsvorschriften, die Grundlage der angefochtenen Verwaltungsakte waren, keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Der Beschwerdeführer ist nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

3. a) Die Festnahme und die folgende - bloß 50 Minuten dauernde - Anhaltung waren (was im übrigen auch der Beschwerdeführer nicht bestreitet) durch die §§35 und 36 VStG 1950 gedeckt. Der Beschwerdeführer ist daher nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden (vgl. zB VfGH 17. 3. 1982 B558/80).

b) Da das Verfahren auch nicht die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes ergeben hat, war die Beschwerde abzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Legitimation, VfGH / Präjudizialität, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Festnehmung, Straßenpolizei, Fahrverbot

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1983:B275.1982

Dokumentnummer

JFT_10169373_82B00275_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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