TE Vfgh Erkenntnis 1983/7/1 V96/82, V97/82, V98/82, V99/82, V103/82, V9/83, V10/83, V26/83

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Veröffentlicht am 01.07.1983
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs3 erster Satz
DSt 1872 §5 Abs2
GO des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Wien. Niederösterreich und Burgenland vom 21.05.57 §6 Abs2

Beachte

vgl. Kundmachung BGBl. 441/1983 am 1. Juli 1983; s. Anlaßfall VfGH 30. 9. 1983, B398/80

Leitsatz

Geschäftsordnung für den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und Bgld; §6 Abs2 wegen Verstoßes gegen §5 Abs2 Disziplinarstatut gesetzwidrig

Spruch

1. §6 Abs2 der Geschäftsordnung des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und Bgld. (beschlossen von der Vollversammlung der Rechtsanwaltskammer am 21. Mai 1957, genehmigt mit Erlaß des Bundesministers für Justiz vom 2. Oktober 1957, Z 12665-2/57, kundgemacht im Nachrichtenblatt der Österreichischen Rechtsanwaltschaft, 19. Jahrgang, Heft 5, 1957, S 55 ff.) war gesetzwidrig.

Der Bundesminister für Justiz ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

2. Das Verfahren zu V103/82 wird eingestellt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim VfGH ist zur Zahl B398/80 eine Beschwerde gegen einen Bescheid der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OBDK - §55a des Gesetzes vom 1. April 1872, RGBl. 40, betreffend die Handhabung der Disziplinargewalt über Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. 140/1980, im folgenden DSt) anhängig, mit dem über eine Berufung gegen einen Bescheid des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und Bgld. (im folgenden Disziplinarrat) entschieden wurde. Mit diesem Bescheid hatte der Disziplinarrat über den Beschwerdeführer eine Disziplinarstrafe (§12 DSt) verhängt.

Aus Anlaß dieses Beschwerdeverfahrens hat der VfGH beschlossen, von Amts wegen gemäß Art139 Abs1 B-VG ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des §6 Abs2 der Geschäftsordnung des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und Bgld. (beschlossen von der Vollversammlung der Rechtsanwaltskammer am 21. Mai 1957, genehmigt mit Erlaß des Bundesministers für Justiz vom 2. Oktober 1957, Z 12665-2/57, kundgemacht im Nachrichtenblatt der Österreichischen Rechtsanwaltschaft, 19. Jahrgang, Heft 5, 1957, S 55 ff.) einzuleiten (Beschluß B398/80-8 vom 4. 10. 1982). Das eingeleitete Verordnungsprüfungsverfahren ist unter V96/82 protokolliert.

Der VfGH hat ferner in den Beschwerdefällen B337/79 (V97/82), B512/79 (V98/82), B370/81 (V99/82), B242/80 (V103/82), B655/81 (V9/83), B268/82 (V10/83) und B490/80 (V26/83) von Amts wegen Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der angeführten Bestimmung der Geschäftsordnung des Disziplinarrates eingeleitet.

Gegenstand auch dieser Beschwerdeverfahren sind Bescheide der OBDK, mit denen über Berufungen gegen Bescheide des Disziplinarrates zu entscheiden war. Mit diesen (erstinstanzlichen) Bescheiden war über die Beschwerdeführer eine Disziplinarstrafe verhängt worden, in dem dem Beschwerdeverfahren zu B242/80 (V103/82) zugrundeliegenden erstinstanzlichen Bescheid war über eine einstweilige Maßnahme nach §17 DSt beschlossen worden.

Der durch die Geschäftsordnung des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und Bgld. vom 14. Dezember 1982 (genehmigt mit Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 14. März 1983, kundgemacht im Österreichischen Anwaltsblatt, 45. Jahrgang, Heft 5, 1983, S 244 ff.) aufgehobene §6 Abs2 hat gelautet:

"(2) Bei mündlichen Verhandlungen hat der erkennende Senat aus dem Vorsitzenden (§4) und 6 Mitgliedern (Ersatzmännern) des Disziplinarrates zu bestehen. Die Zusammensetzung des erkennenden Senates erfolgt durch den Präsidenten oder dessen Stellvertreter."

3. Der Bundesminister für Justiz hat von der Erstattung einer Äußerung im Verordnungsprüfungsverfahren abgesehen.

Im Verfahren zu V103/82 hat die Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und Bgld. eine Äußerung erstattet. Sie hat geltend gemacht, daß die in Prüfung gezogene Bestimmung im Anlaßbeschwerdeverfahren nicht präjudiziell sei.

II. Der VfGH hat die Verordnungsprüfungsverfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und erwogen:

1. Der dem Beschwerdeverfahren zu B242/80 (V103/82) zugrundeliegende erstinstanzliche Bescheid ist auf Grund eines Beschlusses des Disziplinarrates in der Zusammensetzung nach §6 Abs1 der Geschäftsordnung erlassen worden.

Der in Prüfung gezogene §6 Abs2 der Geschäftsordnung ist daher in diesem Verfahren nicht präjudiziell, sodaß das Verfahren V103/82 einzustellen war.

2. In den übrigen Verfahren hat der VfGH nach §6 Abs2 der Geschäftsordnung die Zusammensetzung des Disziplinarrates bei der Beschlußfassung über die Erlassung der in I.1. angeführten Entscheidungen zu beurteilen. Diese Bestimmung ist insoweit bei der Entscheidung über die bei ihm anhängigen Beschwerdeverfahren präjudiziell.

Die Verordnungsprüfungsverfahren sind, da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, zulässig.

3. a) Bei der Darlegung seiner Bedenken ging der VfGH davon aus, daß der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und Bgld. gemäß §5 Abs2 DSt mit Einschluß des Präsidenten aus 30 Mitgliedern besteht. Der aus dieser Anzahl von Mitgliedern bestehende Disziplinarrat ist - wie vom VfGH im Erk. VfSlg. 8711/1979 ausgeführt - die zur Behandlung der Disziplinarangelegenheiten zuständige Behörde. Diese Zusammensetzung ist vom Gesetzgeber als Regel für die Fällung der dieser Kollegialbehörde obliegenden Entscheidungen vorgesehen. Dies wird durch die Bestimmungen des §25 Abs1 und 2 DSt. über das Zustandekommen eines gültigen Beschlusses - nach den angeführten Bestimmungen müssen im vorliegenden Fall bei der mündlichen Verhandlung und bei der Verkündung des Erk. nebst dem Präsidenten oder dessen Stellvertreter wenigstens 6 Mitglieder anwesend sein - nicht berührt.

Im angeführten Erk. heißt es sodann:

"Eine Regelung, nach der an der Beschlußfassung des DiszR nur die für das Zustandekommen eines gültigen Beschlusses erforderliche Mindestzahl von stimmberechtigten Personen teilnehmen darf und sohin eine Beschlußfassung durch das aus der Gesamtzahl der Mitglieder bestehende Kollegium ausgeschlossen wird, steht mit dem Gesetz in Widerspruch."

b) Nach dem Inhalt der in Prüfung gezogenen Bestimmung des §6 Abs2 der Geschäftsordnung ist die Teilnahme an der Beschlußfassung des Disziplinarrates auf die für das Zustandekommen eines gültigen Beschlusses erforderliche Mindestzahl von stimmberechtigten Personen beschränkt und sohin eine Beschlußfassung durch das aus der Gesamtzahl der Mitglieder bestehende Kollegium ausgeschlossen. Diese Bestimmung steht - wie vom VfGH im Einleitungsbeschluß angenommen - aus den im Erk. VfSlg. 8711/1979 angeführten Gründen mit dem Gesetz in Widerspruch.

Da diese Bestimmung im Zeitpunkt der Fällung des Erk. des VfGH bereits außer Kraft getreten war, hatte der VfGH gemäß Art139 Abs4 B-VG auszusprechen, daß diese Bestimmung gesetzwidrig war.

Ob die in Prüfung gezogene Bestimmung auch aus anderen Gründen gesetzwidrig wäre (vgl. VfSlg. 2473/1953), hat der VfGH, der im Prüfungsverfahren auf die Beurteilung der im Einleitungsbeschluß geltend gemachten Bedenken beschränkt ist, nicht zu prüfen.

4. Die Verpflichtung zur unverzüglichen Kundmachung des Ausspruches über die Gesetzwidrikeit der in Prüfung gezogenen Bestimmung ergibt sich aus Art139 Abs5 B-VG.

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, Disziplinarrecht (Rechtsanwälte), Rechtsanwälte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1983:V96.1982

Zuletzt aktualisiert am

22.08.2008
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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