Index
L3 FinanzrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzBeachte
vgl. Kundmachung LGBl. 48/1983 am 27. Juli 1983; s. Anlaßfälle VfSlg. 9749/1983 und VfGH v. 1. 12. 1983, B283/80Leitsatz
Tir. Landesabgabenordnung; §153 Abs2 und 3 idF vor Inkrafttreten der Nov. LGBl. 2/1981 gleichheitswidrigSpruch
§153 Abs2 und 3 der Tir. Landesabgabenordnung, LGBl. 7/1963, idF vor Inkrafttreten der Nov. vom 22. Oktober 1980, LGBl. 2/1981, waren verfassungswidrig.
Die Gesetzesstellen sind nicht mehr anzuwenden.
Der Landeshauptmann von Tirol ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Beim VfGH ist zu B379/78 das Verfahren über eine Beschwerde gegen einen Bescheid der Tir. Landesregierung vom 18. Mai 1978 anhängig, der einer Vorstellung gegen den im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Gemeinderates von Ellmau keine Folge gibt, womit dem Beschwerdeführer eine Nachforderung an Getränkesteuer samt Säumniszuschlag vorgeschrieben wurde, weil er die Abgabe selbst unrichtig bemessen hatte.
Ferner ist zu B283/80 über die Beschwerde gegen einen Bescheid der Tir. Landesregierung vom 16. Mai 1980 zu entscheiden, der einer Vorstellung gegen den im Devolutionsweg ergangenen Berufungsbescheid des Gemeinderates von St. Johann in Tirol Folge gibt und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeindevorstand verweist; in diesem Verfahren geht es gleichfalls um eine Getränkesteuernachforderung samt Säumniszuschlägen wegen unrichtiger Selbstbemessung.
Aus Anlaß dieser Beschwerden sind beim VfGH Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Abs2 und 3 des §153 der Tir. Landesabgabenordnung, LGBl. 7/1963 (TLAO), in der Stammfassung entstanden. Nach dieser Vorschrift hat die Behörde in den Fällen, in denen die Vorschriften die Selbstbemessung einer Abgabe durch den Abgabepflichtigen ohne behördliche Festsetzung der Abgabe zulassen, diese - nur - dann mit Bescheid festzusetzen, wenn der Abgabepflichtige die Einreichung der Erklärung unterläßt oder wenn sich die Erklärung als unvollständig oder die Selbstbemessung als zu niedrig erweist (Abs3), und auch der Abgabepflichtige kann nach Ablauf bestimmter Fristen die Erklärung nicht mehr berichtigen (Abs2).
Die Bestimmungen entsprechen im Wortlaut den Abs2 und 3 des §149 der Wr. Abgabenordnung, LGBl. 21/1962 (WAO), idF vor dem Inkrafttreten der Nov. LGBl. 28/1978, die der VfGH im Erk. VfSlg. 8726/1980 als verfassungswidrig aufgehoben hat, weil sie für jene Fälle, in denen der Abgabepflichtige nach Ablauf der bestimmten Fristen eine zu hohe Selbstbemessung feststellt oder in denen die Abgabenbehörde anläßlich einer Prüfung eine solche Feststellung macht, keine Möglichkeit einer richtigen Abgabenfestsetzung vorsahen und damit dem Gleichheitssatz widersprachen.
Der VfGH hat vorläufig angenommen, daß in den bei ihm anhängigen Fällen die Abgabenbehörden ihre Bescheide auf §153 TLAO gestützt haben und auch er Abs3 dieser Vorschrift bei seiner Entscheidung anzuwenden hat, und daß Abs2 mit Abs3 in derart engem Zusammenhang steht, daß dieser nicht isoliert gesehen werden kann. Er hat ferner angenommen, daß die Erwägungen, die zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit des §149 Abs2 und 3 WAO geführt haben, auch hinsichtlich des §153 Abs2 und 3 TLAO zutreffen.
Die Tir. Landesregierung räumt ein, daß sich die angefochtenen Bescheide auf §153 Abs3 TLAO stützen, leugnet aber den vom VfGH zur Erwägung gestellten Zusammenhang der Abs2 und 3 und führte dazu folgendes aus:
"Die Frage der Präjudizialität einer Gesetzesstelle kann nämlich jeweils nur aus dem Gesichtspunkt des einzelnen Beschwerdefalles beurteilt werden (VfSlg. 6686/1972). Aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles aber ist der Abs3 des §153 TLAO, der, wiedargelegt, für sich allein und keineswegs iZm dem Abs2 dieser Bestimmung die rechtliche Grundlage für den angefochtenen Bescheid bildet, verfassungsrechtlich unbedenklich. Die verfassungsrechtlichen Bedenken, die den VfGH zur Aufhebung der Abs2 und 3 des §149 der Wr. Abgabenordnung geführt hatten, betrafen diese beiden Absätze in ihrem Zusammenhalt. Der Abs3 des §153 TLAO unterliegt, für sich allein und aus der Sicht des Anlaßbeschwerdefalles betrachtet, nicht diesen verfassungsrechtlichen Bedenken. Nur im Falle der verfassungsrechtlichen Bedenklichkeit dieser Bestimmung aber könnte sich die Frage erheben, ob eine allfällige Aufhebung dieser Bestimmung durch den VfGH wegen eines allfälligen inhaltlichen Zusammenhanges auch auf den Abs2 des §153 TLAO ausgedehnt werden müßte (vgl. dazu etwa VfSlg. 6686/1972 und VfGH G8/81 vom 1. 3. 1982) oder ob, auf den vorliegenden Fall bezogen, die iS des Art140 Abs4 B-VG zu treffende Feststellung, daß eine Gesetzesstelle verfassungswidrig war, auch auf den Abs2 des §153 TLAO bezogen werden müßte."
Die Landesregierung beantragt, die Gesetzesprüfungsverfahren betreffs §153 Abs2 TLAO einzustellen und im übrigen auszusprechen, daß §153 Abs3 TLAO nicht verfassungswidrig war.
II. Die Gesetzesprüfungsverfahren sind zur Gänze zulässig.
1. Die in Prüfung gezogenen Bestimmungen lauten iZm Abs1:
"(1) Wenn die Abgabenvorschriften die Selbstbemessung einer Abgabe durch den Abgabepflichtigen ohne abgabenbehördliche Festsetzung der Abgabe zulassen, gilt die Abgabe durch die Einreichung der Erklärung über die Selbstbemessung festgesetzt.
(2) Der Abgabepflichtige ist jedoch berechtigt, in den Fällen, in denen die Selbstbemessung zu hoch ist, die Erklärung innerhalb eines Monates ab deren Einreichung zu berichtigen. In der Abgabenerklärung unterlaufene Schreib- und Rechenfehler oder andere offenbar auf einem ähnlichen Versehen beruhende tatsächliche Unrichtigkeiten können jedoch vom Abgabepflichtigen innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Einreichung der Erklärung berichtigt werden.
(3) Die Abgabenbehörde hat die Abgabe mit Bescheid festzusetzen, wenn der Abgabepflichtige die Einreichung der Erklärung unterläßt oder wenn sich die Erklärung als unvollständig oder die Selbstbemessung als zu niedrig erweist. Von der bescheidmäßigen Festsetzung ist abzusehen, wenn der Abgabepflichtige nachträglich die Mängel behebt."
Nach Aufhebung der entsprechenden Bestimmungen der WAO durch den VfGH (VfSlg. 8726/1980) wurden Abs2 und 3 des §153 TLAO auf Grund der Nov. LGBl. 2/1981 durch folgenden neuen Abs2 ersetzt:
"(2) Die Abgabenbehörde hat jedoch die Abgabe mit Bescheid festzusetzen, wenn der Abgabepflichtige die Einreichung der Erklärung unterläßt oder wenn sich die Erklärung als unvollständig oder die Selbstbemessung als unrichtig erweist. Von der bescheidmäßigen Festsetzung ist abzusehen, wenn der Abgabepflichtige nachträglich die Mängel behebt."
In den Anlaßbeschwerdeverfahren hat der VfGH §153 TLAO jedoch idF vor dieser Nov., das ist in der Stammfassung anzuwenden.
2. Zweifel an der Präjudizialität des §153 Abs3 TLAO sind nicht entstanden. In bezug auf Abs3 sind die Prozeßvoraussetzungen daher auch dann gegeben, wenn die Bedenken gegen Abs3 darin bestehen, daß im Zusammenhalt mit Abs2 bei zu hoher Selbstbemessung keine Möglichkeit einer richtigen Abgabenfestsetzung vorgesehen ist. Der VfGH hat dazu schon in den Einleitungsbeschlüssen ausgeführt:
"Im vorliegenden Beschwerdefall ist zwar die Abgabe bescheidmäßig vorgeschrieben worden, sodaß Bedenken gegen §153 Abs2 und 3 TLAO allein aus der Sicht dieses Falles nicht entstehen müßten. Im Falle einer Aufhebung der in Prüfung gezogenen Bestimmung würde aber auch eine Grundlage des vorliegenden Bescheides wegfallen. Daß die Erlassung eines Bescheides bei Außerachtlassung der Abs2 und 3 des §153 vielleicht auf §150 Abs1 TLAO gestützt werden kann (vgl. Slg. 8804/1980), scheint daran nichts zu ändern."
Wie der VfGH nämlich schon mehrmals - auch in dem ein Tir. Gesetz betreffenden Verfahren G35, 36, 83, 84/81 (Seite 24 der Ausfertigung des Erk.) - dargelegt hat, ist es für die Frage der Präjudizialität einer Norm gleichgültig, ob die Verfassungswidrigkeit im Anlaßverfahren überhaupt zum Tragen kommt. Die Umstände des Anlaßfalles mögen allenfalls faktisch Bedeutung für den Umstand haben, ob gegen die Norm Bedenken entstehen; sind sie aber - aus welchen Gründen immer - entstanden, so löst allein die Anwendbarkeit der Norm die Pflicht des VfGH aus, ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.
In den Einleitungsbeschlüssen hat der VfGH ferner angenommen, daß ein untrennbarer Zusammenhang zwischen Abs2 und Abs3 besteht. Die Tir. Landesregierung bzweifelt dies unter Hinweis auf zwei Anlaßbeschwerdeverfahren zum Gesetzesprüfungsverfahren VfSlg. 8726/1980, in denen lediglich der Abs3 des §149 WAO in Prüfung gezogen worden war. Dieser Hinweis ist an sich richtig. Doch hatte sich in jenem Verfahren eine nähere Prüfung der Frage deshalb erübrigt, weil sie im Verfahren nicht ausdrücklich aufgeworfen worden war und aus Anlaß anderer Beschwerdeverfahren ohnedies sowohl Abs2 als auch Abs3 aufgehoben wurden und zugleich für beide Gesetzesstellen auch ausgesprochen wurde, daß sie nicht mehr anzuwenden sind (die Feststellung der Verfassungswidrigkeit sich also nicht nur auf die Anlaßfälle auswirkte). Eine neuerliche Prüfung der Frage erweist allerdings tatsächlich einen untrennbaren Zusammenhang:
Nach §150 Abs1 TLAO hat die Abgabenbehörde die Abgabe durch Bescheid festzusetzen. Nach §153 Abs1 gilt die Abgabe durch die Einreichung der Erklärung über die Selbstbemessung festgesetzt, wenn die Abgabenvorschriften die Selbstbemessung ohne abgabenbehördliche Festsetzung zulassen. Abs2 behandelt sodann den Fall zu hoher, Abs3 (neben der Frage der Unterlassung oder Unvollständigkeit der Erklärung) den Fall zu niedriger Selbstbemessung. Nur beide Bestimmungen in ihrem Zusammenhalt schließen eine bescheidmäßige Abgabenfestsetzung iS des §150 Abs1 TLAO aus. Würde bloß Abs3 aufgehoben, so ergäbe §150 Abs1 iZm §153 Abs1 und 2 gleichwohl, daß die Abgabenbehörde die Abgaben durch Bescheid festzusetzen hat, wenn der Abgabepflichtige die zugelassene Selbstbemessung nicht vornimmt und die Einreichung der hiefür erforderlichen Erklärung unterläßt oder die Selbstbemessung zu niedrig ist. Schlösse nämlich jede Selbstbemessung eine behördliche Festsetzung aus, so käme man zu dem gewiß unhaltbaren Ergebnis, daß die Abgabe auch dann mit dem Betrag der Selbstbemessung festgesetzt bliebe, wenn sie der Abgabepflichtige selbst viel zu niedrig bemessen hat (vgl. VfSlg. 8804/1980). Andererseits wäre bei zu hoher Selbstbemessung zufolge der (kurz befristeten) Möglichkeit der Berichtigung nach Abs2 die Anwendung des §150 Abs1 sicher ausgeschlossen. Ein Fortbestand des Abs2 würde mithin die Anwendung des §150 Abs1 erst wieder nur für den Fall einer (Unterlassung oder Unvollständigkeit der Erklärung oder) zu niedrigen Selbstbemessung gestatten. Die bloße Aufhebung des Abs3 könnte folglich die Rechtslage im entscheidenden Punkt gar nicht ändern. Deshalb bilden Abs2 und 3 eine normative Einheit.
Insgesamt sind die Prozeßvoraussetzungen gegeben.
III. Die Bedenken des VfGH treffen zu. Die in Prüfung gezogenen Gesetzesstellen sind gleichheitswidrig.
Das Verfahren hat nichts ergeben, was die Bedenken des VfGH zerstreuen könnte. §153 Abs2 und 3 TLAO in der Stammfassung sind ebenso zu beurteilen wie §149 Abs2 und 3 WAO idF vor der Nov. LGBl. 28/1978 (vgl. VfSlg. 8726/1980). In ihrem Zusammenhalt treffen diese Bestimmungen eine sachlich ungerechtfertigte Differenzierung innerhalb der Gruppe jener Abgaben, deren Selbstbemessung zugelassen ist, wie auch im Verhältnis zu allen anderen Abgaben, bei deren Bemessung nach den Grundsätzen der Amtswegigkeit vorzugehen ist. Die Regelung widerspricht daher dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgebot.
Da die Regelung bereits außer Kraft getreten ist, kann nur ihre Verfassungswidrigkeit festgestellt werden. Wie schon in dem die WAO betreffenden Vorerkenntnis hält es der Gerichtshof auch in diesem Fall für angebracht, die weitere Anwendung der verfassungswidrigen Regelung auszuschließen (Art140 Abs7 zweiter Satz B-VG).
Der Ausspruch über die Kundmachung stützt sich auf Art140 Abs5 zweiter Satz B-VG und §64 Abs2 VerfGG.
Schlagworte
VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang, Finanzverfahren, Selbstbemessung (Finanzverfahren)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1983:G28.1983Dokumentnummer
JFT_10169299_83G00028_00