TE Vfgh Erkenntnis 1983/7/2 B389/79

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Veröffentlicht am 02.07.1983
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
StGG Art5
ASVG §8 Abs1 Z3 lita
Abkommen mit der BRD über Soziale Sicherheit Art5 idF BGBl 280/1975
GSVG §2 Abs1 Z3

Leitsatz

ASVG; GSVG; das Fehlen von Vorschriften über eine Berücksichtigung bereits bestehender ausländischer Pflichtversicherungen ist nicht unsachlich; keine Eigentumsverletzung

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Der Beschwerdeführer ist geschäftsführender Gesellschafter der K. M. R. Maschinenfabrik Gesellschaft mbH mit dem Sitz in Nürtingen, Baden-Württemberg, und gleichzeitig geschäftsführender Gesellschafter der von dieser Gesellschaft errichteten und beim Landesgericht Graz protokollierten K. M. R. Maschinenfabrik Gesellschaft mbH, die in Voitsberg Holzbearbeitungsmaschinen erzeugt. Mit Bescheid vom 1. März 1979 stellte die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft fest, daß der Beschwerdeführer ab 1. Jänner 1979 nach §2 Abs1 Z3 GSVG in der Krankenversicherung und nach §8 Abs1 Z3 lita ASVG in der Unfallversicherung versichert sei. Der gegen diesen Bescheid erhobene Einspruch an den Landeshauptmann und die Berufung an den Bundesminister für soziale Verwaltung blieben erfolglos.

Gegen den Berufungsbescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit vor dem Gesetz und Unversehrtheit des Eigentums gerügt werden. Der Beschwerdeführer sei in der Bundesrepublik Deutschland umfassend sozialversichert, insbesondere auch kranken- und unfallversichert. Er halte sich nur sehr selten in Österreich auf und werde vom österreichischen Versicherungsträger niemals auch nur die geringsten Leistungen erhalten. Selbst in der Sozialversicherung müsse der Beitragspflichtige aber Leistungsempfänger sein können. Der Gesetzgeber mute auch keinem österreichischen Gesellschafter zu, an zwei verschiedene Sozialversicherungsträger Beiträge zu leisten. Ein solcher "verschleierter" Eigentumsentzug widerspreche Art5 StGG.

Die belangte Behörde hat die Akten vorgelegt, ohne eine Gegenschrift zu erstatten.

II. Die Beschwerde ist nicht begründet.

Die Beschwerdebehauptungen laufen darauf hinaus, daß die von der belangten Behörde angewendeten Normen deshalb verfassungswidrig seien, weil die inländische Versicherung eines hauptsächlich im Ausland lebenden Sozialversicherten an sich - erst recht aber im Verhältnis zur sonstigen Subsidiarität der gewerblichen Sozialversicherung - gleichheitswidrig sei und einen unzulässigen Eingriff in das Eigentum darstelle. Der Beschwerdeführer sieht sich also durch Anwendung von verfassungswidrigen generellen Normen in seinen Rechten verletzt. Auf diese Behauptung hat der VfGH ohne Rücksicht auf die Frage einzugehen, ob der Beschwerdeführer als Ausländer das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz für sich in Anspruch nehmen kann.

Seine Vorwürfe treffen jedoch nicht zu.

Es ist einzuräumen, daß der Gesetzgeber eine Mehrfachversicherung selbständig Erwerbstätiger im allgemeinen vermeidet. So ist von der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung nach dem GSVG ausgenommen, wer nach dem ASVG in der Krankenversicherung pflichtversichert ist (§4 Abs2 Z3 lita GSVG). Im zwischenstaatlichen Bereich, wo eine Doppelversicherung nur durch abgestimmtes Vorgehen der beteiligten Staaten vermieden werden kann, ist das Entstehen mehrfacher Versicherungspflichten jedoch nicht ausgeschlossen. Wohl hat das zweite Zusatzabkommen zum Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Soziale Sicherheit, BGBl. 280/1975, auch für selbständig Erwerbstätige festgelegt, daß sich die Versicherungspflicht nach den Vorschriften des Staates richtet, in dessen Gebiet die Erwerbstätigkeit ausgeübt wird (Art5 des Abkommens). Ist aber jemand in beiden Staaten erwerbstätig, so kann es in beiden Staaten zur Pflichtversicherung kommen. Es fehlen Vorschriften, die auf den Bestand einer ausländischen Pflichtversicherung Bedacht nehmen.

Schuh, Probleme bei Abschluß und Durchführung von zwischenstaatlichen Abkommen im Bereich der Sozialen Sicherheit, bei Tomandl (Hrsg.), Auslandsberührungen in der Sozialversicherung (1980) 29 ff. (34 f.), nennt dafür folgende Gründe:

"Bekanntlich ist das österreichische System der Sozialversicherung auch heute noch vom sogenannten Subsidiaritätsprinzip beherrscht, d. h., daß hinsichtlich der Versicherungspflicht eine unselbständige Erwerbstätigkeit einer selbständigen Erwerbstätigkeit bzw. eine gewerbliche selbständige Erwerbstätigkeit einer selbständigen Erwerbstätigkeit in der Land- und Forstwirtschaft vorangeht.

Bei Abschluß der ersten Abkommen mit Staaten, deren Systeme auch die selbständigen Erwerbstätigen erfassen (es waren dies die Schweiz und Liechtenstein), wurden auch österreichischerseits die Systeme für die selbständig Erwerbstätigen in den Geltungsbereich der Abkommen einbezogen. Für den Fall der gleichzeitigen Ausübung von Erwerbstätigkeiten in Österreich und in den Vertragsstaaten wurde die dargelegte Subsidiarität auf den zwischenstaatlichen Bereich in der Weise übertragen, daß eine Pflichtversicherung nur nach den Rechtsvorschriften des Vertragsstaates eintritt, in dessen Gebiet die unselbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, bzw. daß bei gleichzeitiger Ausübung von selbständigen Erwerbstätigkeiten eine Zuordnung zu den Rechtsvorschriften des Wohnortstaates vorgesehen wurde. Diese Regelung wurde seitens der erwähnten Vertragspartner mit dem Hinweis, daß hiedurch in allen Fällen eine Unterversicherung entstünde, nur widerstrebend akzeptiert. Regelungen der aufgezeigten Art wurden in der Folge in allen neugeschlossenen Abkommen vorgesehen, wobei es immer wieder zu Schwierigkeiten kam.

Der durch die schweizerische und liechtensteinische Haltung eingeleitete Umdenkungsprozeß fand schließlich bei Vorbereitung des Zweiten Zusatzabkommens zum österr.-deutschen Abkommen über Soziale Sicherheit ein Ende. Da nach deutschem Recht für selbständige Erwerbstätige die Möglichkeit besteht, der deutschen Rentenversicherung freiwillig mit der Wirkung einer Pflichtversicherung beizutreten, die dargelegten Zuordnungsregelungen für den Fall gleichzeitig ausgeübter selbständiger Erwerbstätigkeiten aber von einer durch Pflichtversicherung ausgelösten Kollision ausgeht, konnte die bis dahin vertretene, auf dem 'Integrationsdenken' beruhende Auffassung auf österr. Seite nicht mehr aufrechterhalten werden. Die Pensionsversicherung nach dem GSPVG und dem B-PVG wurde daher durch das erwähnte Zusatzabkommen in den Abkommensbereich ohne Rücksicht auf seine Subsidiarität im österr. Rechtsbereich mit der Wirkung einbezogen, daß bei gleichzeitig ausgeübter Erwerbstätigkeit in beiden Vertragsstaaten auch eine Doppelversicherung eintritt. Neue Abkommen sowie Revisionsabkommen enthalten gleichartige Regelungen.

Auf dem Leistungssektor hatte der Untergang der Versicherung in einem Vertragsstaat natürlich zur Folge, daß das in diesem Staat erzielte Erwerbseinkommen keinen Niederschlag in der Pensionshöhe finden konnte; allenfalls ergab sich daraus auch, daß hinsichtlich der nicht pflichtversicherten Erwerbstätigkeit kein Unfallversicherungsschutz bestand. Im Hinblick auf die Rechtslage in einzelnen Vertragsstaaten (z. B. nach den schweizerischen und niederländischen Rechtsvorschriften ist das Bestehen einer Pflichtversicherung in der Invalidenversicherung bei Eintritt des Versicherungsfalles Voraussetzung für einen Leistungsanspruch) ergaben sich aber auch negative Auswirkungen bei Entfallen der Versicherung in diesen Vertragsstaaten, denen nur durch komplizierte Sonderregelungen begegnet werden konnte.

Die aufgezeigte Doppelversicherungspflicht bringt zwar für alle in Österreich und einem Vertragsstaat gleichzeitig erwerbstätigen Personen eine doppelte Beitragspflicht mit sich, doch stehen diesen Beiträgen bei Eintritt des Versicherungsfalles entsprechend höhere Leistungen - jedenfalls in der Unfall- und Pensionsversicherung, in der Krankenversicherung zumindest hinsichtlich der Geldleistungen - gegenüber."

Schon diese Ausführungen zeigen, daß das Fehlen von Vorschriften über eine Berücksichtigung bereits bestehender ausländischer Pflichtversicherungen keineswegs auf eine unsachliche Unterlassung des Gesetzgebers zurückzuführen ist. Voraussetzungen und Folgen einer solchen Bedachtnahme unterscheiden sich von der Subsidiarität der gewerblichen Sozialversicherung gegenüber anderen inländischen Pflichtversicherungen nicht unerheblich. Außerdem hängt die Vermeidung einer Mehrfachversicherung von den Ergebnissen der Verhandlung mit jenen Staaten ab, die eine solche Pflichtversicherung vorsehen. Es ist daher nicht unsachlich, wenn der Gesetzgeber keine generelle Lösung nach dem Muster der Subsidiarität der gewerblichen Sozialversicherung trifft und Sozialversicherungsabkommen schließt, die eine Mehrfachversicherung auf Grund mehrfacher Erwerbstätigkeit nicht verhindern. Übrigens hat der VfGH die Mehrfachversicherung als solche unter dem Blickwinkel des Gleichheitssatzes bereits wiederholt als unbedenklich bezeichnet (VfSlg. 4801/1964, 6181/1970, 9753/1983).

Auch das Grundrecht auf Unversehrtheit des Eigentums hat nach er ständigen Rechtsprechung des VfGH nicht den ihm von der Beschwerde unterstellten Inhalt. Nichts rechtfertigt die (nicht näher begründete) Annahme des Beschwerdeführers, daß ein Eigentumsentzug - wie ihn die Einhebung von Sozialversicherungsbeiträgen im Ergebnis bewirkt - nur unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Art5 StGG zulässig wäre.

Der VfGH hat mithin unter dem Blickwinkel des vorliegenden Beschwerdefalles keine Bedenken gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden generellen Normen. Daß im Bereich der Vollziehung eine Verfassungsverletzung unterlaufen wäre, behauptet der Beschwerdeführer nicht und hat das Verfahren auch nicht ergeben.

Die Beschwerde ist also abzuweisen.

Schlagworte

Sozialversicherung, Pflichtversicherung (Sozialversicherung), Mehrfachversicherung, VfGH / Prüfungsmaßstab

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1983:B389.1979

Dokumentnummer

JFT_10169298_79B00389_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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