TE Vfgh Erkenntnis 1983/9/22 B281/81

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Veröffentlicht am 22.09.1983
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
StGG Art8
BGBlG 1972 §2 Abs1
PersFrSchG §4
V-ÜG 1929 ArtII §4 Abs2
VStG §35 litc

Leitsatz

Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; gesetzmäßige Festnehmung gemäß §35 litc VStG 1950

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. U B und K R begehren in ihrer unter Berufung auf Art144 Abs1 B-VG an den VfGH gerichteten - gemeinsam ausgeführten - Beschwerde die kostenpflichtige Feststellung, daß sie durch der Bundespolizeidirektion Wien als bel. Beh. zuzurechnende Amtshandlungen, nämlich durch ihre Festnahme am 1. Mai 1981 in Wien und durch ihre darauffolgende Verwahrung, demnach durch Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit (Art8 StGG) sowie wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung, und zwar der Verordnung der Bundespolizeidirektion Wien vom 1. Mai 1981 (s. Punkt 2.3.1.), in ihren Rechten verletzt worden seien.

1.2. Die Bundespolizeidirektion Wien als bel. Beh. erstattete - unter Vorlage der Administrativakten - eine Gegenschrift und beantragte darin die Abweisung der Beschwerde.

2. Über die Beschwerde wurde erwogen:

2.1. Aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich folgender Sachverhalt:

Als am 1. Mai 1981 mehrere Personen - darunter U B und K R - das - damals unbewohnte - Haus in Wien 6., W-Gasse Nr. 24, eigenmächtig besetzten, erließ die Bundespolizeidirektion Wien eine Verordnung nachstehenden Wortlauts, die über Lautsprecher an Ort und Stelle kundgemacht wurde:

"Gemäß ArtII §4 Abs2 des BVG vom 7. Dezember 1929, BGBl. Nr. 393/29 (Verfassungsübergangsgesetz 1929), erläßt die Bundespolizeidirektion Wien folgende Verordnung:

Zum Schutz der gefährdeten körperlichen Sicherheit von Menschen sowie des Eigentums haben die im Hause Wien 6., W-Gasse 24, aufhältigen Personen das genannte Gebäude bis 20.50 Uhr zu verlassen.

Die Nichtbefolgung dieser Verordnung wird als Verwaltungsübertretung erklärt und gemäß ArtVII Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen - EGVG 1950 bestraft."

Da U B und K R dessenungeachtet ab 20.50 Uhr, das ist der in der Verordnung genannte Stichzeitpunkt, das Gebäude nicht verließen, wurden sie nach Abmahnung, die gleichfalls über Lautsprecher stattfand, um 21.30 Uhr von Organen des Sicherheitsdienstes infolge Mißachtung der bundespolizeibehördlichen Anordnung (zum Verlassen des Hauses) wegen Verdachtes einer Verwaltungsübertretung nach der zitierten Verordnung vom 1. Mai 1981 iVm. ArtVII EGVG 1950 gemäß §35 litc VStG 1950 festgenommen. Beide wurden anschließend mit Straferkenntnissen vom 2. Mai 1981, Z Pst 2899/Mh/81 bzw. Pst 2901/Mh/81, wegen Übertretung nach der Verordnung vom 1. Mai 1981 iVm. ArtVII EGVG 1950 zu Geldstrafen, im Fall der Nichteinbringlichkeit zu Ersatzarreststrafen verurteilt und um 5.00 Uhr früh desselben Tages aus der Haft entlassen.

2.2.1. Gemäß Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF der Novelle BGBl. Nr. 302/1975 erkennt der VfGH über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person. Darunter fallen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten der B-VG-Novelle 1975, BGBl. Nr. 302, nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH als sogenannte faktische Amtshandlungen (mit individuell-normativem Inhalt) bekämpfbar waren, wie dies für die Festnehmung und anschließende Verwahrung einer Person zutrifft (VfSlg. 7252/1974, 7829/1976, 8145/1977).

2.2.2. Demgemäß ist die Beschwerde, da ein Instanzenzug nicht in Betracht kommt und auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, in vollem Umfang zulässig.

2.3. Zur behaupteten Rechtsverletzung wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung:

2.3.1. Die beiden Bf. wenden der Sache nach ein, daß die Verordnung der Bundespolizeidirektion Wien vom 1. Mai 1981 rechtswidrigerweise nur mündlich bekanntgegeben - statt richtig im BGBl. kundgemacht - worden und - darüber hinaus - den Normadressaten gar nicht zur Kenntnis gelangt sei. Außerdem handle es sich hier um eine - unzulässig - in Verordnungsform gekleidete individuelle Norm.

2.3.2. Die Bf. sind mit keiner dieser Einreden im Recht.

2.3.2.1. Die Bundespolizeidirektion Wien leitete ihre Kompetenz zur Erlassung der besagten Verordnung aus der Verfassungsbestimmung des ArtII §4 Abs2 V-ÜG 1929 ab. Da hier das Gesetz keine besondere Kundmachungsform vorschreibt - der Auffassung der Bf. zuwider ist das BGBl. gemäß §2 Abs1 des Bundesgesetzes über das BGBl. 1972, BGBl. Nr. 293, igF zur Verlautbarung der Verordnung einer Bundespolizeibehörde nicht bestimmt - wurde dieser Verwaltungsakt durch behördlich vollzogene öffentliche Ausrufung an Ort und Stelle angesichts der damit nach Lage des Falles verbundenen Publizitätswirkung ausreichend und infolgedessen auch gehörig kundgemacht (vgl. hiezu:

VfSlg. 4865/1965, 6843/1972; VfGH 3. März 1983 B490 bis 495, 588/81; vgl. auch VfSlg. 3570/1959). Den konkreten Umständen nach kann nämlich auch keine Rede davon sein, daß es den Normadressaten verwehrt war, den verlautbarten Norminhalt zur Kenntnis zu nehmen und entsprechend kennenzulernen (vgl. dazu: VfSlg. 4320/1962).

2.3.2.2. Die weitere - gleichfalls unzutreffende - Rüge der Bf., es liege hier in Wahrheit eine individuelle Norm vor, kann im übrigen schon deshalb als unerheblich auf sich beruhen und unerörtert bleiben, weil die Verfassungsvorschrift des ArtII §4 Abs2 V-ÜG 1929 - nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (s. VfSlg. 3447/1958, 8928/1980; VfGH 3. März 1983 B490 bis 495, 588/81) - die Erlassung nicht nur genereller, sondern auch individueller Anordnungen zuläßt.

2.3.3. Abschließend ist festzuhalten, daß der VfGH die von den Bf. gegen die Verordnung der Bundespolizeidirektion Wien vom 1. Mai 1981 vorgetragenen Bedenken nicht zu teilen vermag.

2.3.4. Daß die Rechtsgrundlagen des angefochtenen Verwaltungsaktes aus anderen als den bereits als unzutreffend erkannten Gründen verfassungswidrig seien, behaupteten die Bf. nicht. Auch der VfGH hegt - aus der Sicht dieses Beschwerdefalles - keine solchen Bedenken (vgl. VfGH 3. März 1983 B490 bis 495, 588/81).

2.3.5. Wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm wurden die Bf. darum in ihren Rechten nicht verletzt.

2.4. Zur behaupteten Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte:

2.4.1.1. Das Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit RGBl. Nr. 87/1862, das gemäß Art8 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, RGBl. Nr. 142/1867, zum Bestandteil dieses Gesetzes erklärt ist und gemäß Art149 Abs1 B-VG als Verfassungsgesetz gilt, bestimmt in seinem §4, daß die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen dürfen. §35 VStG 1950 ist ein solches Gesetz (VfSlg. 7252/1974), doch setzt die Festnehmung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes in allen in dieser Gesetzesvorschrift angeführten Fällen (lita bis c) voraus, daß die festzunehmende Person "auf frischer Tat betreten" wird: Sie muß also eine als Verwaltungsübertretung strafbare Tat begehen und bei Begehung dieser Tat betreten werden, wobei die erste dieser beiden Voraussetzungen schon dann vorliegt, wenn das Organ die Verübung einer Verwaltungsübertretung mit gutem Grund annehmen konnte (s. VfSlg. 4143/1962, 7309/1974).

2.4.1.2. Nach ArtVII EGVG 1950 idF des ArtI Z6 des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 232/1977 werden Verwaltungsübertretungen, wenn - wie im gegebenen Fall - keine besondere Strafe festgesetzt ist, von den Bezirksverwaltungsbehörden bzw. von den Bundespolizeibehörden im Rahmen ihres Wirkungsbereiches (§26 VStG 1950) mit Geld bis 3000 S oder mit Arrest bis zwei Wochen bestraft.

2.4.1.3. Gemäß §35 litc VStG 1950 dürfen Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes Personen, die auf frischer Tat betreten werden, zum Zweck der Vorführung vor die Behörde festnehmen, wenn der Betretene trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht.

2.4.2.1. Wie bereits festgestellt, hatten die Bf. das Haus in Wien 6., W-Gasse Nr. 24, ungeachtet der (kundgemachten) Verordnung der Bundespolizeidirektion Wien nach 20.50 Uhr des 1. Mai 1981, und zwar auch nach behördlicher Abmahnung, nicht verlassen.

2.4.2.2. Demgemäß durften die einschreitenden Sicherheitsorgane mit gutem Grund annehmen, daß die Bf. eine Verwaltungsübertretung nach der V vom 1. Mai 1981 iVm. ArtVII EGVG 1950 begangen haben, indem sie ihre strafbare Handlung - auch nach der Abmahnung - fortsetzten.

War aber die Beurteilung des Verhaltens der Bf. als Verwaltungsübertretung vertretbar und lag - wie hier - infolge Betretung auf frischer Tat und Tatfortsetzung trotz Abmahnung der Festnehmungsgrund des §35 litc VStG 1950 vor, entsprach die bekämpfte Festnehmung dem Gesetz.

Unter den obwaltenden Umständen bestehen aber auch keine Anhaltspunkte dafür, daß der Grund für die anschließende Verwahrung der Bf. schon vor dem Zeitpunkt der Entlassung aus der Haft entfallen wäre.

2.4.2.3. Aus diesen Erwägungen wurden die Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

2.4.3. Die Verletzung eines sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts wurde nicht behauptet und kam auch im Verfahren vor dem VfGH nicht hervor.

2.5. Die Beschwerde war bei der gegebenen Sach- und Rechtlage als unbegründet abzuweisen.

Schlagworte

Polizei, Sicherheitspolizei, Verordnung Kundmachung, Festnehmung, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1983:B281.1981

Dokumentnummer

JFT_10169078_81B00281_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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