Index
L1 GemeinderechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzBeachte
vgl. Kundmachung LGBl. 1450-6 am 13. Dezember 1983; s. Anlaßfall VfSlg. 9904/1983Leitsatz
Nö. Kommunalstrukturverbesserungsgesetz 1971; Vereinigung der Kleingemeinden Kirchberg am Walde, Süßenbach und Hirschbach war gleichheitswidrig; anhaltender Widerstand der Bevölkerung; keinerlei Beziehung zwischen den Orten; Vorhersehbarkeit der negativen EntwicklungSpruch
§3 Abs6 Z6 des Nö. Kommunalstrukturverbesserungsgesetzes 1971, Nö. LGBl. Nr. 264, war verfassungswidrig.
Der Landeshauptmann von NÖ ist verpflichtet, diese Feststellung unverzüglich im LGBl. kundzumachen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. a) §3 Abs6 des Nö. Kommunalstrukturverbesserungsgesetzes 1971, LGBl. Nr. 264, (im folgenden: KStrVG) lautet auszugsweise:
"(6) Im politischen Bezirk Gmünd werden folgende Gemeinden zu einer neuen Gemeinde vereinigt:
1. ...
6. die Marktgemeinde Kirchberg am Walde und die Gemeinden Süßenbach und Hirschbach zur Marktgemeinde Kirchberg am Walde;
7. ..."
Die von der Vereinigung betroffenen Gemeinden haben gemäß §5 Abs1 KStrVG mit dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes - das ist seinem §9 zufolge der 1. Jänner 1972 - als eigene Gemeinden zu bestehen aufgehört.
b) Unter dem Datum 14. Dezember 1971 hat die Nö. Landesregierung den Bescheid Z II/1-266-1971 erlassen, dessen Spruch lautet:
"Gemäß §3 Abs6 Z6 des KStrVG 1971, LGBl. Nr. 264, wurden die Gemeinden Kirchberg am Walde, Süßenbach und Hirschbach zur Marktgemeinde Kirchberg am Walde vereinigt.
Gemäß §6 Abs2 leg. cit. werden bis zur Angelobung des neugewählten Bürgermeisters zur Besorgung der unaufschiebbaren Geschäfte dieser Gemeinde bestellt:
Zum Regierungskommissär: ...
Zu Beiräten: ... (es folgen sechs Namen)
Das Beiratsmitglied ... wird zum Stellvertreter des
Regierungskommissärs bestimmt.
Die von der Gemeinde zu tragende Entschädigung des Regierungskommissärs wird mit 3232 S festgesetzt."
2. Der Bescheid der Nö. Landesregierung bildet den Gegenstand der unter B67/82 protokollierten Beschwerde wegen Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte, die von (weder zum Regierungskommissär noch zu Beiratsmitgliedern bestellten) Mitgliedern des Gemeinderates der ehemaligen Gemeinde Hirschbach erhoben wurde.
3. Anläßlich dieser Beschwerde hat der VfGH gemäß Art140 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §3 Abs6 Z6 KStrVG eingeleitet.
4. Die Nö. Landesregierung hat hiezu eine Äußerung erstattet.
Sie stellt den Antrag, der VfGH wolle das amtswegige Prüfungsverfahren mangels Vorliegens der Prozeßvoraussetzungen einstellen; in eventu das amtswegige Prüfungsverfahren bezüglich des über die Worte "und Hirschbach" hinausgehenden Inhaltes des §3 Abs6 Z6 KStrVG einstellen und aussprechen, daß §3 Abs6 Z6 KStrVG nicht verfassungswidrig war. Für den Fall, daß der VfGH ausspricht, daß diese Bestimmung verfassungswidrig war, wird beantragt, eine Frist von einem Jahr festzusetzen.
5. Die Bf. des Anlaßverfahrens haben darauf repliziert.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. a) Die Nö. Landesregierung bestreitet die Beschwerdelegitimation der Bf. im Anlaßverfahren. Sie meint, der Verlust der Mitgliedschaft zu den Gemeinderäten ergebe sich nicht aus dem angefochtenen Bescheid; diese Rechtsfolge sei vielmehr unmittelbar durch das KStrVG herbeigeführt worden.
Damit wird aber das Fehlen der Beschwerdeberechtigung nicht nachgewiesen. Der bekämpfte Bescheid berührt nämlich die Rechtsstellung der Bf. jedenfalls insofern, als mit ihm explizit provisorische Gemeindeorgane (anstelle aller bisherigen Gemeindeorgane) bestellt wurden. Darin liegt die implizite Feststellung, daß ua. die Bf. ihre Funktion als Mitglieder des Gemeinderates der Gemeinde Hirschbach verloren haben. Diese Feststellung hat normative Wirkung, obgleich der Funktionsverlust bereits ex lege eingetreten ist.
Es ist daher möglich, daß der Bescheid die Bf. in ihren Rechten verletzt (vgl. zB die in VfSlg. 8869/1980 zitierte, bis ins Jahr 1972 zurückreichende Rechtsprechung; s. weiters VfSlg. 9082/1981, 9068/1981, 9148/1984; VfGH 3. März 1983 B640/81).
b) Der VfGH hat bei der Entscheidung über die - zulässige (s. die vorstehende lita) - Beschwerde jene Gesetzesvorschrift anzuwenden, auf die sich der angefochtene Bescheid (ua.) stützt, nämlich §3 Abs6 Z6 KStrVG.
Diese Bestimmung ist nicht bloß - wie die Nö. Landesregierung hilfsweise meint - in Ansehung der Worte "und Hirschbach", sondern zur Gänze präjudiziell. Die Vereinigung der Gemeinden Kirchberg am Walde, Süßenbach und Hirschbach ist nämlich eine komplexe Regelung; durch die Aufhebung einzelner Gesetzesstellen (etwa des Wortes "Hirschbach") würde die nur im Rahmen eines Gesamtplanes sinnhafte Gemeindestrukturmaßnahme möglicherweise derart verändert, daß sie dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck völlig zuwiderliefe.
An der Präjudizialität des §3 Abs6 Z6 KStrVG ändert das mit 1. Dezember 1978 in Kraft getretene Landesgesetz über die Gliederung des Landes NÖ in Gemeinden (Stammfassung: LGBl. 1030-0) nichts, in dem - anknüpfend an die bestehende Gemeindestruktur - festgestellt wird, in welche Gemeinden sich das Land NÖ gliedert. Ebensowenig ändert daran etwas der ArtII Z18 des Nö. Landesgesetzes vom 9. Juli 1981, LGBl. Nr. 1030-7 (ausgegeben am 8. Oktober 1981, Jg. 1981, 119. Stück), womit das Nö. KStrVG 1971, LGBl. Nr. 264, idF LGBl. Nr. 1450-2, 1450-3, 1450-4 und 1450-5, aufgehoben wird. Für die Beurteilung des angefochtenen Bescheides ist im gegebenen Zusammenhang nämlich nur wesentlich, ob die ihn tragende Bestimmung des KStrVG verfassungsmäßig war (vgl. zB VfGH 3. März 1983 B640/81).
c) Da die übrigen Voraussetzungen des eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahrens ebenfalls gegeben sind, hat der VfGH über die Verfassungsmäßigkeit der angeführten Gesetzesvorschrift im Rahmen der entstandenen Bedenken zu entscheiden.
2. a) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die in Prüfung gezogene Vorschrift haben sich unter dem Blickpunkt des auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgebotes in zwei Richtungen ergeben:
Zum einen nahm der VfGH im Einleitungsbeschluß vorläufig an, daß die verfügte Gemeindezusammenlegung von den hievon Betroffenen abgelehnt wird und daß sie für niemanden Vorteile bewirkt habe. Zum anderen schien es dem VfGH unsachlich, Hirschbach gerade mit Kirchberg am Walde zu vereinigen.
b) Diese Bedenken sind begründet:
Der VfGH hat zwar bisher ständig judiziert (vgl. zB VfGH 3. März 1983 B640/81 und die dort zitierte weitere Rechtsprechung), daß die Zusammenlegung von Kleingemeinden mit weniger als 1000 Einwohnern in der Regel sachlich ist. Er hat jedoch dargetan, daß diese Regel nicht absolut ist, sondern daß hievon Ausnahmen bestehen, und zwar für jene Fälle, in denen die Zusammenlegung der Kleingemeinde - mit welcher anderen Gemeinde immer - aufgrund ganz besonderer Umstände vorhersehbarerweise völlig untauglich war, das angestrebte Ziel einer Kommunalstrukturverbesserung zu erreichen (wie etwa im Fall Alberndorf - vgl. VfSlg. 8108/1977, S 526 f.), oder für jene Fälle, in denen die Zusammenlegung der Kleingemeinde mit einer bestimmten anderen Gemeinde oder ihre Aufteilung auf bestimmte andere Gemeinden (wie etwa im Fall Gerersdorf - vgl. VfSlg. 9068/1981) - beispielsweise aus geographischen Gründen unter Bedachtnahme auf das Bestehen öffentlicher Verkehrsverbindungen - voraussehbarerweise extrem unzweckmäßiger war als eine andere denkbare Zusammenlegung oder Aufteilung oder auch als das Belassen der Gemeinde.
Wohl hatte Hirschbach im Jahre 1971 bloß 551 Einwohner. Es lagen aber besondere Umstände im Sinne der vorstehenden Ausführungen vor, die - obgleich Hirschbach sohin eine Kleingemeinde mit weniger als 1000 Einwohner war - die verfügte Auflösung dieser Gemeinde als unsachlich erscheinen läßt:
Hirschbach war im Jahre 1971 eine lebensfähige Gemeinde und wäre es voraussehbar auch weiterhin gewesen. Es war daher nicht unabdingbar, Hirschbach mit einer anderen Gemeinde zusammenzulegen. Dennoch wäre eine Vereinigung sachlich gerechtfertigt gewesen, wenn damit insgesamt eine Verbesserung der Gemeindestruktur zu erwarten gewesen wäre. Dies war aber nicht der Fall:
Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung von Hirschbach hat sich vor der Zusammenlegung entschieden gegen eine solche Maßnahme ausgesprochen. So wurden bei der am 7. November 1971 in Hirschbach durchgeführten Volksbefragung von 307 abgegebenen gültigen Stimmen 290 gegen und bloß 17 für die Zusammenlegung mit Kirchberg am Walde abgegeben.
Auch heute noch stößt die neue Gemeindestruktur auf die ziemlich einhellige Ablehnung der Hirschbacher Bevölkerung. Aber auch die übrige Bevölkerung der neuen Gemeinde Kirchberg am Walde steht der im Jahre 1971 verfügten Gemeindevereinigung nicht zustimmend gegenüber. So hat sich der Gemeinderat der Marktgemeinde Kirchberg am Walde in seiner Sitzung vom 6. November 1979 einstimmig für die "Lostrennung der Katastralgemeinden Hirschbach und Stölzles von der Marktgemeinde Kirchberg am Walde" ausgesprochen. (Der Antrag, gemäß §9 Abs1 der Nö. Gemeindeordnung, LGBl. 1000-2, eine Trennungsverordnung zu erlassen, wurde jedoch von der Nö. Landesregierung mit Beschluß vom 15. Juli 1980 abgelehnt.)
Die mit den lokalen Verhältnissen unmittelbar vertrauten Personen brachten also zum Ausdruck, daß sich die Gemeindezusammenlegung im gesamten gesehen voraussichtlich überwiegend nachteilig auswirken werde und daß sie sich auch in der Folge wirklich so ausgewirkt habe. Im Hinblick darauf wollte und will nahezu keiner der hievon Betroffenen den Zusammenschluß Hirschbachs mit Kirchberg am Walde. Wenn nicht den - noch außerordentliche Gründe - etwa solche der überörtlichen Raumplanung - die Gemeindezusammenlegung unbedingt erfordern, ist dieser allgemeine, anhaltende Widerstand der Bevölkerung zumindest ein Indiz dafür, daß die getroffene Maßnahme unsachlich ist (vgl. VfSlg. 8108/1977, betreffend Alberndorf). Im Gesetzesprüfungsverfahren haben sich solche außerordentlichen Gründe nicht ergeben.
Die verfügte Gemeindezusammenlegung hat vielmehr tatsächlich weder für die neue Gemeinde Kichberg am Walde noch im besonderen für den Ortsteil Hirschbach irgendwelche Vorteile bewirkt. Dies ist schon damit zu erklären, daß Hirschbach und Kirchberg am Walde etwa 4 km voneinander entfernt liegen und zwischen diesen Orten keinerlei öffentliche Verkehrsverbindungen bestanden und bestehen. Es war und ist auch nicht zu erwarten, daß solche künftig eingerichtet werden.
Im Jahre 1971 gab es zwischen diesen beiden Orten keinerlei Beziehungen (etwa wirtschaftlicher Art); solche Beziehungen haben sich auch seither nicht entwickelt.
Ein für die tatsächliche Entwicklung nach der verfügten Gemeindezusammenlegung maßgeblicher Beobachtungszeitraum von mehr als zehn Jahren reicht - entgegen der von der Nö. Landesregierung vertretenen Meinung - jedenfalls aus, um ein Kriterium für die Lösung der Frage zu bilden, ob die vom Gesetzgeber getroffene Prognose vertretbar war (vgl. hiezu VfGH 3. März 1983 B640/81, Punkt III.2).
Mit ihrer Argumentation räumt die Nö. Landesregierung ein, daß die Bedenken des VfGH zutreffen, daß nämlich die Gemeindevereinigung insgesamt gesehen bisher nur nachteilig wirkte. Wenn die Nö. Landesregierung offenbar auf eine von ihr erwartete positive Entwicklung in den nächsten Generationen verweisen will, verkennt sie, daß für die Beurteilung der Sachlichkeit des KStrVG 1971 die nach seiner Erlassung eingetretene Entwicklung nur ein Indiz ist. Die nicht näher untermauerte und konkretisierte Annahme, daß sich künftig nun möglicherweise doch noch etwas zum Besseren wenden könnte, ist untauglich, die Sinnhaftigkeit der im Jahre 1971 getroffenen Prognose darzutun.
Der unter Berufung auf eine Untersuchung der Technischen Universität Wien von der Nö. Landesregierung gegebene Hinweis, die Bevölkerung akzeptiere vor allem im Hinblick auf die hohe Dichte der Motorisierung größere Wegstrecken, um zu Einkaufszentren (und deshalb auch um zum - seltener besuchten - Gemeindeamt) zu gelangen, entkräftet nicht die im Einleitungsbeschluß geäußerten Bedenken. Abgesehen davon, daß der Motorisierungsgrad in Hirschbach besonders gering ist (etwa 1/9), verursacht auch jede Fahrt mit einem privaten Kraftfahrzeug Zeitaufwand und Kosten. Ein solcher Umstand muß zwar wohl bei bestehenden Gemeinden akzeptiert werden, fällt aber bei einem auf eine Änderung der vorhandenen Gemeindestruktur abzielenden Gesetz zur Lösung der Frage, ob das Gesetz insgesamt der Verbesserung der Gemeindestruktur dient, als einer der zu berücksichtigenden Aspekte negativ ins Gewicht.
Die hier gegebene verkehrsmäßige Situation stand schon 1971 jeglicher Verflechtung der vereinigten Gemeinden entgegen. Der Gesetzgeber des Jahres 1971 konnte nicht erwarten, daß sich daran - etwa durch seine in Prüfung gezogene Maßnahme - künftig etwas ändern werde.
Möglicherweise hätte die Zusammenlegung von Hirschbach mit einer anderen Gemeinde als Kirchberg am Walde bessere Auswirkungen gehabt; so besteht etwa zwischen Hirschbach und Vitis eine relativ gute Eisenbahnverbindung. Dies zu untersuchen, ist aber hier nicht Aufgabe des VfGH.
Eine Zusammenschau aller maßgeblichen Umstände zeigt, daß die Gemeindevereinigung, wie sie im Jahre 1971 verfügt wurde, zahlreiche Nachteile für die Hirschbacher Bevölkerung mit sich gebracht und weder für sie noch für jene von Kirchberg am Walde nennenswerte Vorteile bewirkt hat. Die dafür maßgeblichen Umstände mußten dem Gesetzgeber des Jahres 1971 bereits bekannt gewesen sein; es war für ihn auch die dann tatsächlich eingetretene (negative) Entwicklung vorhersehbar. Die Gemeindezusammenlegung kann daher sachlich nicht gerechtfertigt werden.
Die getroffene Regelung widerspricht sohin dem Gleichheitsgebot.
3. Durch ArtII Z18 des Nö. Landesgesetzes vom 9. Juli 1981, LGBl. 1030-7, (ausgegeben am 8. Oktober 1981, Jg. 1981, 119. Stück), wurde das Nö. KStrVG 1971, LGBl. Nr. 264, idF LGBl. 1450-2, 1450-3, 1450-4 und 1450-5, aufgehoben.
Die in Prüfung gezogene Gesetzesbestimmung ist sohin bereits außer Kraft getreten. Der VfGH hatte daher gemäß Art140 Abs4 B-VG auszusprechen, daß §3 Abs6 Z6 KStrVG verfassungswidrig war.
Bei einer solchen Feststellung kommt eine - von der Nö. Landesregierung beantragte - Bestimmung einer Frist iS des Art140 Abs5 vorletzter und letzter Satz B-VG nicht in Betracht.
4. Die Verpflichtung des Landeshauptmannes von NÖ zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches stützt sich auf Art140 Abs5 erster und zweiter Satz B-VG.
Schlagworte
Gemeinderecht Zusammenlegung, VfGH / PräjudizialitätEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1983:G30.1983Dokumentnummer
JFT_10169073_83G00030_00