Index
25 Strafprozeß, StrafvollzugNorm
B-VG Art140 Abs1 / IndividualantragLeitsatz
StPO 1960; Pornographiegesetz BGBl. Nr. 97/1950; die allgemeinen Vorschriften der §§24, 98 und 143 StPO sind infolge spezieller Regelung (§1 Abs3 PornographieG iVm. §37 Abs1 PresseG) keine gesetzliche Grundlage für die Beschlagnahme pornographischer Druckwerke; Verletzung des EigentumsrechtesSpruch
Der Bf. ist dadurch, daß Organe der Bundespolizeidirektion Graz am 25. Juni 1980 62 Exemplare des Druckwerkes "Teenage Sex" Nr. 13 im Zolleigenlager der Spedition K-P & R am Hauptbahnhof in Graz beschlagnahmten, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.
Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antrag, §2 Abs2 und 3 des Zollgesetzes 1955 als verfassungswidrig aufzuheben, wird zurückgewiesen.
Kosten werden nicht zugesprochen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Nach den (in den hier wesentlichen Belangen weitgehend übereinstimmenden) Ausführungen in der Beschwerde sowie in den von der Bundespolizeidirektion (BPD) Graz und dem Zollamt Graz erstatteten Gegenschriften, ferner nach den vorgelegten Verwaltungsakten der BPD Graz Z II-5 C/9 und 10/80 und des Zollamtes Graz Z Z-921 (K/37/80) sowie nach dem beigeschafften Akt des Landesgerichtes für Strafsachen Graz AZ 4 Vr 3623/80 steht folgender Sachverhalt fest:
a) Am 8. April 1980 traf bei der Spedition K-P & R (im folgenden kurz: Spedition) in Graz eine aus dem Ausland stammende Sendung mit Druckwerken ein. Warenempfänger war der Bf. Die Sendung wurde im Zolleigenlager der Spedition am Hauptbahnhof Graz eingelagert. Da vermutet wurde, daß die Druckwerke pornographischen Inhaltes seien, verständigte die Spedition hievon am 9. April 1980 telefonisch die BPD Graz.
Am 9. April 1980 entnahmen Beamte dieser Behörde als Muster je ein Exemplar der eingelangten Druckwerke, um zu überprüfen, ob ihr Inhalt gegen das Bundesgesetz vom 31. März 1950, BGBl. Nr. 97, über die Bekämpfung unzüchtiger Veröffentlichungen und den Schutz der Jugend gegen sittliche Gefährdung (PornG) verstoße.
Trotz mehrmaliger Urgenzen durch die Spedition teilte die BPD Graz erst am 5. Mai 1980 dem Zollamt Graz mit, sie habe, da ein gerichtlich strafbarer Tatbestand nach dem PornG nicht festgestellt werden konnte, die Staatsanwaltschaft Graz vom Eintreffen der Sendung nicht informiert. Daraufhin beantragte die (über die Sendung verfügungsberechtigte) Spedition am 6. Mai 1980 mit Warenerklärung die Abfertigung der Waren zum freien Verkehr durch Verzollung. Diesem Antrag wurde entsprochen.
b) Am 12. Juni 1980 trafen im Zolleigenlager der Spedition für den Bf. neun Kartons mit Druckwerken ein. Die Spedition verständigte hievon am 13. Juni 1980 die BPD Graz, die am selben Tag je ein Muster der Druckwerke abholen ließ. Die "Freigabe" dieser Druckwerke erfolgte mit Schreiben der BPD Graz vom 23. Juni 1980. Ausgenommen wurde jedoch das Druckwerk "Teenage Sex" Nr. 13. Am 25. Juni 1980 holten Organe der BPD Graz die insgesamt 62 Exemplare dieses Druckwerkes vom Zollfreilager ab. Am selben Tag brachte die BPD Graz der Staatsanwaltschaft Graz zur Kenntnis, es habe sich bei der Prüfung des Druckwerkes "Teenage Sex" Nr. 13 ergeben, daß es unter der Rubrik "Photogalery" Textstellen über einen Inzest enthalte. Die 62 Exemplare dieses Druckwerkes wurden diesem Schreiben an die Staatsanwaltschaft angeschlossen.
Über Antrag der Spedition vom 24. Juni 1980 fertigte das Zollamt Graz die anderen Druckwerke am 25. Juni 1980 zum freien Verkehr ab.
2. a) Gegen die am 9. April und am 13. Juni 1980 erfolgte "Überstellung" der Druckwerke in die Amtsräumlichkeiten der BPD Graz sowie dagegen, daß diese Druckwerke im ersten Fall erst am 5. Mai 1980 und im zweiten Fall erst am 23. Juni 1980 "freigegeben" bzw. am 25. Juni 1980 beschlagnahmt wurden, wendet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet wird. Der Bf. beantragt, die behauptete Rechtsverletzung kostenpflichtig festzustellen, hilfsweise die Beschwerde dem VwGH abzutreten.
b) Im selben Schriftsatz wird der auf Art140 Abs1 B-VG gegründete Antrag gestellt, §2 Abs2 und 3 des Zollgesetzes 1955 als verfassungswidrig aufzuheben.
3. Die BPD Graz (vertreten durch die Finanzprokuratur) hat zur Beschwerde eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt. Sie meint, daß die angefochtenen Amtshandlungen ausschließlich ihr - und nicht (auch) dem Zollamt Graz - zuzurechnen seien.
Auch das Zollamt Graz hat eine Äußerung erstattet, in der es in erster Linie darauf hinweist, daß die bekämpften Maßnahmen nicht von ihm, sondern von der BPD Graz gesetzt wurden; es habe (in diesem Umfang) keine behördliche Befehls- und Zwangsgewalt ausgeübt.
II. Der VfGH hat zu dem auf Art140 Abs1 letzter Satz B-VG gestützten Antrag erwogen:
1. Gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG erkennt der VfGH über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der VfGH in seiner mit VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, daß das Gesetz in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt. Hiebei hat der VfGH vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art140 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 8594/1979, 8974/1980).
2. Hier erachtet sich der Antragsteller durch die von ihm angefochtenen Normen (§2 Abs2 und 3 ZollG 1955) ausschließlich dadurch belastet, daß die BPD Graz bei Setzen der mit Beschwerde nach Art144 B-VG bekämpften Verwaltungsakte diese Rechtsvorschriften angewendet habe.
3. Die BPD Graz ist bei diesen Amtshandlungen als Sicherheitsbehörde im Dienste der Strafjustiz eingeschritten (s. unter III.3.). Sie beruft sich zur Rechtfertigung der Verwaltungsakte - richtig - nicht auf das ZollG. Sie hat insbesondere §2 Abs2 und 3 dieses Gesetzes nicht angewendet. Die vom Antragsteller ins Treffen geführten Auswirkungen dieser Bestimmungen auf ihn sind daher nicht gegeben.
Schon aus diesem Grunde fehlt dem Antragsteller die Legitimation zur Anfechtung der erwähnten Vorschriften. Der Antrag war sohin zurückzuweisen.
III. Der VfGH hat zur Beschwerde erwogen:
1. Wie sich aus der vorstehenden Sachverhaltsschilderung (I.1.) ergibt, hat nicht das Zollamt Graz die bekämpften Maßnahmen getroffen. Selbst die Verständigung der BPD Graz erfolgte nicht durch das Zollamt; die Avisierung des Einlangens der Druckwerke erfolgte vielmehr in beiden Fällen durch die Spedition. Die Druckwerke wurden durch Organe der BPD Graz beschlagnahmt.
Das mit der Beschwerde bekämpfte Verhalten ist sohin ausschließlich der BPD Graz zuzurechnen.
2. a) Gemäß Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG erkennt der VfGH auch über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person.
Zwar wurde bei allen in Beschwerde gezogenen Amtshandlungen (nämlich bei der Beschlagnahme von Gegenständen) Befehls- und Zwangsgewalt ausgeübt, ohne daß dem ein Verwaltungsverfahren vorangegangen wäre. Die Gewalt richtete sich auch gegen eine "bestimmte Person". Diese aber war nun - mit einer Ausnahme - nicht der Bf.:
Er behauptet unbestritten, daß er zur Zeit, als die bekämpften Amtshandlungen gesetzt wurden, bereits Eigentümer der Druckwerke gewesen sei. Es braucht nicht untersucht zu werden, ob diese Beschwerdeangabe zutrifft. Jedenfalls nämlich konnte über die Druckwerke bis zu deren Verzollung nicht der Bf., sondern nur die Spedition verfügen. Wenn sie die Anträge auf Abfertigung der Waren zum freien Verkehr durch Verzollung - aus welchen Gründen immer - verspätet gestellt hat, hat dies nicht die Verfügungsmöglichkeit des Bf. beeinträchtigt, da ihm - wie ausgeführt - damals eine solche keinesfalls zukam. Mit Ausnahme der 62 Exemplare des Druckwerkes "Teenage Sex" Nr. 13 (siehe die folgende litb) wurden sämtliche von Organen der BPD Graz in Verwahrung genommenen Druckwerke noch vor ihrer Abfertigung durch das Zollamt Graz der Spedition zurückgegeben. Es ist daher ausgeschlossen, daß der Bf. (von der erwähnten Ausnahme abgesehen) durch die bekämpften Maßnahmen der BPD Graz in seinen Rechten berührt wurde.
Die Beschwerde war also, soweit sie sich dagegen wendet, daß Organe der BPD Graz als Muster jeweils ein Exemplar der im Zollfreilager der Spedition eingetroffenen Druckwerke an sich nahmen und im Gebäude der BPD Graz vom 9. April bis 5. Mai 1980 bzw. vom 13. bis 23. Juni 1980 verwahrten, mangels Beschwerdelegitimation zurückzuweisen.
b) Die 62 Exemplare des Druckwerkes "Teenage Sex" Nr. 13 hingegen wurden erst nach zollamtlicher Abfertigung zum freien Verkehr von der BPD Graz am 25. Juni 1980 beschlagnahmt.
Hätte die BPD Graz diese Maßnahmen nicht gesetzt, so hätte der Bf. (auch) über diese Druckwerke ab 25. Juni 1980 verfügen können. Diese Verwaltungsakte greifen sohin in seine Rechtssphäre ein. Der Bf. ist daher legitimiert, sie anzufechten.
Da auch die übrigen Prozeßvorausetzungen in Ansehung der Beschlagnahme der 62 Exemplare des mehrfach erwähnten Druckwerkes vorliegen, ist die Beschwerde in diesem Umfang zulässig.
3. Die am 25. Juni 1980 erfolgte Beschlagnahme der 62 Exemplare des Druckwerkes "Teenage Sex" Nr. 13 hat den Bf. in der Ausübung seines privaten Vermögensrechtes eingeschränkt (s. oben III.2.b) und hat daher in sein Eigentumsrecht eingegriffen. Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des VfGH (zB VfSlg. 8815/1980) dann verfassungswidrig, wenn der bekämpfte Verwaltungsakt ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte oder wenn die Behörde eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.
Die belangte BPD Graz stützt ihr Vorgehen auf die §§24, 98 und 143 StPO; dies ist jedoch aus nachfolgenden Gründen unvertretbar.
Die BPD Graz hatte den Verdacht, daß sich der Bf. durch den Import der erwähnten Druckwerke des Vergehens (ArtII StrAnpG und §17 StGB) gemäß §1 Abs1 litb PornG schuldig gemacht habe. Im Dienste der Strafjustiz nahm sie die Druckwerke in Verwahrung und legte sie - mit dem Ziel der Vorbereitung des Verfalles - der Staatsanwaltschaft vor. Sie beschlagnahmte also diese Gegenstände.
Gemäß §1 Abs3 PornG sind dann, wenn die Tat mit Beziehung auf ein Druckwerk verübt wurde, die für gerichtlich strafbare Handlungen nach §218 StGB (s. ArtVIII Abs1 StRAnpG) geltenden Bestimmungen des Pressegesetzes über den Verfall des Druckwerkes und die vorläufige Beschlagnahme (s. die damals noch geltenden - ArtV Mediengesetz, BGBl. Nr. 314/1981 - §§37 bis 39h Pressegesetz, BGBl. Nr. 218/1922) und das Strafverfahren in Pressesachen überhaupt dem Sinn nach anzuwenden.
§37 Abs1 PresseG iVm. dem zitierten §1 Abs3 PornG ermächtigt die Sicherheitsbehörde (nur) dann, pornographische Druckwerke vorläufig in Beschlag zu nehmen, wenn sie sich an einem Ort befindet, wo kein Staatsanwalt seinen Sitz hat.
In Graz hat nun aber eine Staatsanwaltschaft ihren Sitz.
Es ist daher von vornherein die Annahme ausgeschlossen, daß die BPD Graz (eine Sicherheitsbehörde) berechtigt war, nach den zuletzt zitierten Gesetzesvorschriften eine vorläufige Beschlagnahme von Druckwerken vorzunehmen (vgl. VfSlg. 5531/1967).
Die bel. Beh. vertritt die Auffassung, daß sie als Sicherheitsbehörde im Dienste der Strafjustiz eingeschritten sei; hiezu sei sie nach den §§24, 98 und 143 StPO berechtigt gewesen, auch wenn kein Auftrag des Gerichtes oder der Staatsanwaltschaft vorlag.
Dieser Meinung kann der VfGH nicht folgen. Im Hinblick auf die oben näher dargestellte, spezielle gesetzliche Regelung für die Beschlagnahme pornographischer Druckwerke ist es nämlich ausgeschlossen, die gesetzte Maßnahme auf allgemeine Vorschriften (etwa der §§24, 98 und 143 StPO) zu gründen (s. auch hiezu VfSlg. 5531/1967).
Der Bf. ist sohin durch die Beschlagnahme der 62 Exemplare des Druckwerkes "Teenage Sex" Nr. 13 im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.
4. Da beide Parteien teils obsiegt haben, teils unterlegen sind, waren die Kosten gegeneinander aufzuheben (§§35 und 88 VerfGG iVm. §43 Abs1 ZPO).
Schlagworte
Beschlagnahme, Presserecht, VfGH / Individualantrag, VfGH / LegitimationEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1983:B326.1980Dokumentnummer
JFT_10169072_80B00326_00