TE Vfgh Erkenntnis 1983/10/11 B222/78

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Veröffentlicht am 11.10.1983
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
StGG Art5
ASVG §4 Abs1 Z1
ASVG §4 Abs2
ASVG §10
ASVG §58 Abs5

Leitsatz

ASVG; keine Bedenken gegen §4 Abs2 ASVG; Feststellung der Versicherungspflicht und Vorschreibung von Beitragsleistungen für eine im Betrieb des Gatten mittätige Ehefrau nicht denkunmöglich VerfGG §27; keine Kosten für anwaltlich nicht vertretene Parteien

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Kosten werden nicht zugesprochen

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Die Wr. Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte stellte mit Bescheid vom 19. April 1973 fest, daß die ebenfalls bf. Ehegattin des Erstbf. aufgrund ihrer Beschäftigung bei ihm ab 1. Juni 1969 gemäß §4 Abs1 Z1 des Allgemeine Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) und §1 Abs1 lita des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1958 (AlVG) der Voll- (Kranken-, Unfall-, Pensions-) und Arbeitslosenversicherungspflicht unterliege. Ferner wurde der Bf. als Dienstgeber seiner Gattin im Sinne des §35 Abs1 ASVG gemäß §58 Abs2 und 3 leg. cit. in Verbindung mit §§44, 49 und 54 ASVG sowie §62 Abs2 AlVG 1958 verpflichtet, für die Zeit vom 1. Juni 1969 bis 28. Feber 1973 Beiträge und Sonderbeiträge sowie Umlagen in Gesamthöhe von 34431,27 S an die Wr. Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte zu entrichten.

1.2. Der gegen diesen Bescheid von den bf. erhobene Einspruch wurde vom Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom 8. November 1974 als unbegründet abgewiesen und festgestellt, daß die Bf. hinsichtlich ihrer Beschäftigung beim Bf. ab 1. Juni 1969 der Vollversicherungs- (Kranken-, Unfall-, und Pensionsversicherung) und Arbeitlosenversicherungspflicht gemäß §4 Abs1 Z1 ASVG und §1 Abs1 lita AlVG unterliege, sowie weiters ausgeprochen, daß die Entscheidung der Wr. Gebietskrankenkasse, wonach der Bf. zur Entrichtung von Beiträgen für die Zeit vom 1. Juni 1969 bis 28. Feber 1973 in der Gesamthöhe von 34431,27 S an die Wr. Gebietskrankenkasse verpflichtet wird, zu Recht erfolgt ist.

Zur Begründung wurde ausgeführt, daß der Bf. - laut einer am 19. Feber 1973 durch ein Erhebungsorgan der Wr. Gebietskrankenkasse aufgenommenen Niederschrift - angegeben habe, seine Gattin sei seit dem Jahre 1958 in seiner Wild-, Geflügel- und Fischhandlung mittätig, bis zum 31. Dezember 1972 sei jedoch kein Dienstverhältnis vereinbart gewesen, sie habe auch keinerlei Gehalt bezogen; wäre sie jedoch nicht mittätig gewesen, hätte er eine fremde Arbeitskraft benötigt oder er hätte den Betrieb einschränken oder zusprerren müssen. Ab 1. Jänner 1973 habe er mit seiner Gattin ein Dienstverhältnis mündlich vereinbart. Da ab diesem Zeitpunkte die Voraussetzungen der Pflichtversicherung gegeben gewesen seien, habe er die Anmeldung ab 1. Jänner 1973 durch seinen Steuerberater vornehmen lassen. Anläßlich einer - von der Einspruchsbehörde durchgeführten - Einvernahmen vom 7. November 1974 sei von beiden Ehegatten bestätigt worden, daß die Zweitbf. schon vor ihrer Anmeldung die gleiche Tätigkeit im Geschäft ausgübt habe wie nachher und daß sie eine Tätigkeit entfalte, wie sie einer Verkaufskraft in einer Fisch-, Wild- und Geflügelhandlung eben zukomme. Vor dem 1. Jänner 1973 habe sie kein Entgelt erhalten, eine besondere Vereinbarung, daß ihr kein Entgelt zustehe, habe jedoch nicht bestanden. Aufgrund dieser Beweisergebnisse folgerte die Einspruchsbehörde, daß die Bf. im Betrieb ihres Gatten im Sinne des §4 Abs2 ASVG in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit beschäftigt gewesen sei. Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH seien nicht die zivilrechtlich getroffenen Vereinbarungen, sondern die tatsächlichen Verhältnisse maßgebend. Die im Einspruch von den Bf. ins Treffen geführte Argumentation, die bf. Ehegattin hätte vor dem 1. Jänner 1973 die Arbeitsleistungen zu Gunsten des Betriebes aufgrund der eherechtlichen Bestimmungen (§92 ABGB) erbracht, schlage ebenfalls fehl, weil feststehe, daß die durchgeführten Arbeiten ihrem Umfange und ihrer Eigenart nach weit über jenes Maß hinausgingen, welches der in §92 ABGB normierten Beistandspflicht der Ehegatten schlechthin entspreche. Abgesehen davon besage §92 ABGB überhaupt nichts über die Versicherungspflicht, diese sei ausschließlich nach den öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu beurteilen. Es gebe keine Bestimmung, wonach §92 ABGB die Versicherungspflicht auszuschließen vermöge, auch der VfGH habe in seinem Erk. vom 3. Juli 1968, G2/68 (VfSlg. 5750/1968) betreffend die Aufhebung der seinerzeitigen Ausnahme der Ehegattin des Dienstnehmers von der Vollversicherung zum Ausdruck gebracht, daß die eherechtlichen Beziehungen zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer nicht geeignet seien, den Ausschluß der Ehegattin von der Vollversicherung sachlich zu rechtfertigen. Was schließlich die Frage der Entgeltlichkeit betreffe, so sei für die Bf. daraus, daß vor dem 1. Jänner 1973 kein Entgelt geleistet worden sei, ebenfalls nichts zu gewinnen, da eine Vereinbarung darüber, daß kein Entgelt zustehe, nicht getroffen worden sei. Nach §1152 ABGB gelte für diesen Fall ein angemessenes Entgelt als bedungen. Nach der ständigen Rechtsprechung sei das im entsprechenden Kollektivvertrag festgesetzte Entgelt als solches anzusehen. Da gemäß §49 Abs1 ASVG unter Entgelt jene Bezüge zu verstehen seien, auf die der pflichtversicherte Dienstnehmer aus dem Dienstverhältnis Anspruch habe, sei es irrelevant, ob Entgelt tatsächlich ausbezahlt wurde. Im vorliegenden Fall sei unzweifelhaft, daß die Tätigkeit der Bf. als Verkäuferin in einem Handelsgeschäft einen solchen Anspruch begründe.

1.3. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung der Bf. wurde mit Bescheid des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 10. Feber 1978, Z 120002/5-6/77, keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid aus seinen zutreffenden Gründen bestätigt.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte vorliegende Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums geltend gemacht und die Aufhebung des angefochteten Bescheides beantragt wird.

Die bel. Beh. hat die Abweisung der Beschwerde begehrt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.

Die mitbeteiligte Partei hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie unter Verzeichnung von Kosten die Abweisung der Beschwerde begehrt.

3. Ua. aus Anlaß des vorliegenden Beschwerdefalles hat der VfGH ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Wortteils "Kranken-," in §4 Abs1 ASVG durchgeführt.

Mit Erk. vom 1. Juli 1983, G49, 63/82, wurde diese Gesetzesstelle nicht als verfassungswidrig aufgehoben. Die geprüfte Gesetzesstelle ist der Beurteilung des Beschwerdefalles demnach zugrunde zu legen.

4. Der VfGH hat sohin über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

4.1.1. Zur behaupteten Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird in der Beschwerde behauptet, daß ein versicherungspflichtiges Dienstverhältnis vor dem 1. Jänner 1973 nicht bestanden habe, sodaß die Wr. Gebietskrankenkasse nicht befugt gewesen sei, für die Zeit vor dem 1. Jänner 1973 "irgendeine Rechtsprechung auszuüben". Für die Ansicht, daß ein versicherungspflichtiges Dienstverhältnis bestanden habe, würden "auch keinerlei Beweisergebnisse angeführt oder behauptet", es seien auch "keinerlei Rechtsurteile zB durch das Arbeitsgericht herbeigeführt" worden. Es sei "kein faires Verfahren im Sinne der MRK durchgeführt, sonder einfach rückwirkend aufgrund einer Anmeldung über etwas judiziert" worden, wofür keine Rechtsgrundlage bestanden habe.

4.1.2. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde ua. verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (vgl. zB VfSlg. 8828/1980). Dies ist jedoch hier nicht der Fall. Verfehlt ist insbesondere die Ansicht der Bf., die im Instanzenzug bestätigte Entscheidung über die Versicherungs- und Beitragspflicht hätte eine arbeitsgerichtliche Entscheidung über das Vorliegen eines Dienstverhältnisses zwischen den Bf. vorausgesetzt. Für die Beurteilung der Frage der Sozialversicherungspflicht ist es in der Regel bedeutungslos, ob ein Beschäftigungsverhältnis auf einem Dienstvertrag beruht, weil es dabei nicht auf die zugrunde liegende zivilrechtliche Gestaltung, sondern in erster Linie auf die tatsächlichen Verhältnisse ankommt (VwGH 9. Oktober 1975 Z 541/75). Aber auch soweit das Vorliegen eines Dienstverhältnisses für die Beurteilung der Versicherungspflicht von Bedeutung ist, wird die Entscheidungskompetenz der Sozialversicherungsbehörden durch keine Bestimmung vom Vorliegen einer (arbeits-)gerichtlichen Entscheidung abhängig gemacht. Ob schließlich der angefochtene Bescheid mit dem materiellen Recht im Einklang steht, hat der ständigen Rechtsprechung des VfGH folgend bei Beurteilung der Zuständigkeit der Behörde unter dem Gesichtspunkt des gesetzlichen Richters außer Betracht zu bleiben (vgl. VfSlg. 5472/1967, 6249/1970, 7910/1976, 9104/1981, 17. Juni 1982 B461/77). Die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter liegt somit nicht vor.

4.2.1. Die Bf. machen weiters geltend, durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden zu sein. Durch die rückwirkende Beitragsvorschreibung würde eine Leistung gefordert, "ohne daß gleichzeitig rückwirkende Rechte überhaupt denkbar" seien. Wenn eine Versicherungspflicht bestanden hätte, dann hätte der Bf. das Entgelt für den Lohn seiner mittätigen Ehegattin zur Gänze als Steuerabsetzungsposten geltend machen können. Es gäbe unzählige Ehegatten, die Hilfeleistungen im Betriebe des Ehegatten erbracht haben, die aber dennoch "nicht rückwirkend dafür bestraft (wurden), daß sie ihren familienrechtlichen Pflichten ... entsprechen".

4.2.2. Angesichts des Umstandes, daß sich die im Gesetzesprüfungsverfahren G49, 63/82 relevierten Bedenken nicht als zutreffend erwiesen haben und andere Bedenken aus der Sicht des Beschwerdefalles gegen die angewendeten Normen nicht entstanden sind, kann eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg. 8823/1980, 9186/1981) nur vorliegen, wenn die Behörde den angewendeten Rechtsvorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat. Auch dies ist zu verneinen.

Soweit sich die Bf. darauf berufen, daß in anderen Fällen Beschäftigungsverhältnisse zwischen Ehegatten der Sozialversicherungspflicht nicht unterworfen werden, können sie, soweit dies auf einem Fehlverhalten der Behörde beruht, kein Recht auf ein gleichartiges Fehlverhalten in Anspruch nehmen (VfSlg. 7309/1974, 8790/1980). Daß die Behörde im Beschwerdefall willkürlich vorgegangen wäre, wird von den Bf. gar nicht behauptet; etwas Derartiges geht aus den vorgelegten Verwaltungsakten auch nicht hervor. Eine Verletzung des Gleichheitsgebotes hat somit nicht stattgefunden.

4.3.1. Die Bf. machen schließlich die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Unversehrtheit des Eigentums geltend. Mit Erk. des VfGH VfSlg. 5750/1968 sei der mittätige Ehegatte durch Beseitigung einer den Gleichheitssatz verletzenden Regelung in den Sozialversicherungsschutz einbezogen worden. Wenn auch dieses Erk. "mit Wirkung vom 31. Mai 1969 den verfassungswidrigen Wortlaut (des §5 Abs1 Z1 ASVG) betreffend den Ehegatten" aufgehoben habe, sei damit nicht ausgesagt worden, daß eine Versicherungspflicht für mittätige Ehegatten rückwirkend eintreten solle. Dementsprechend hätten die Gebietskrankenkassen für mittätige Ehegatten Beiträge lediglich von dem Zeitpunkt an vorgeschrieben, zu dem eine Anmeldung erfolgt sei. Bis zum Erk. des VfGH sei "die Gesetzeslage gleich geblieben. Darüber hinaus blieb sie gleich, falls keine Anmeldung erfolgte". Gemäß §5 ABGB gelte im gesamten Rechtsbereich die Norm, daß Gesetze nicht zurückwirken. Dies werde auch durch das zitierte Erk. des VfGH bestätigt, da eine Rückwirkung der Aufhebung nicht ausgesprochen worden sei. Daraus ergebe sich, daß die im angefochtenen Bescheid rückwirkend "geltend gemachte volle Versicherungspflicht mangels eines rückwirkenden Vollversicherungsrechtes undenkbar" sei. Der angefochtene Bescheid sei demnach "ohne gesetzliche Grundlage und den Denkgesetzen widersprechend erlassen worden".

Auch wenn "das Erkenntnis der Gesetzeslage geändert" habe, sei damit "nicht das ASVG geändert worden". Gemäß §10 ASVG beginne die Versicherungspflicht mit dem Tage des Beginnes der Beschäftigung; einer solchen sei die Bf. jedoch niemals nachgegangen, sie habe vielmehr ihrem Gatten lediglich im Sinne der §§89 ff. ABGB in der Haushaltung und der Erwerbung nach Kräften beigestanden. Es fehle auch jede Voraussetzung dafür, daß ein Dienstvertrag zwischen den Bf. rückwirkend festgestellt werden dürfte. Solches widerspreche sowohl der Vertragsfreiheit als auch den geltenden Rechtsnormen, da von einem angemessenen Entgelt, wie dies §1152 ABGB normiere, nur dann die Rede sein könne, wenn der Wille der Parteien auf einen Vertragsabschluß als Dienstgeber und Dienstnehmer vorgelegen habe; erst dann könne von einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gesprochen werden. Die Beitragsvorschreibung für die Zeit vom 1. Juni 1969 bis 1. Jänner 1973 sei somit gesetzlos erfolgt.

4.3.2. Der angefochtene Bescheid greift in das Eigentumsrecht ein. Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Normen wäre dieser Eingriff nach der ständigen Judikatur des VfGH (zB VfSlg. 8776/1980, 9014/1981) nur dann verfassungswidrig, wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides die Rechtsgrundlagen in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.

Auch dies ist aus folgenden Gründen - im Ergebnis - zu verneinen:

Mit Erk. VfSlg. 5750/1968 wurden in §5 Abs1 Z1 ASVG die Worte "Der Ehegatte" als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, daß die Aufhebung mit Ablauf des 31. Mai 1969 in Kraft tritt. Hiedurch wurde eine bis dahin in Geltung gestandene Ausnahmeregelung von der Vollversicherung nach §4 ASVG mit der Wirkung beseitigt, daß mit dem Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle auch Ehegatten aufgrund der Bestimmungen des ASVG der Vollversicherungspflicht und damit auch der Regelung des §10 unterliegen. Soweit die Beschwerde auf die Zeit vor dem 31. Mai 1969 bezugnehmend ausführt, daß durch das Erk. VfSlg. 5750/1968, keine Änderung der Rechtslage eingetreten sei, erübrigt sich ein Eingehen, da die bekämpfte Beitragsvorschreibung erst die Zeit ab dem 1. Juni 1969 zum Gegenstand hat. Ab diesem Zeitpunkt bestand die Pflichtversicherung für Dienstnehmer gemäß §4 Abs2 ASVG auch für Ehegatten. Diese beginnt gemäß §10 leg. cit. unabhängig von der Erstattung einer Anmeldung mit dem Tag des Beginnes der Beschäftigung. Gemäß §58 Abs3 ASVG hat der Beitragsschuldner die Beiträge an den zuständigen Träger der Krankenversicherung unaufgefordert einzuzahlen, dieser ist gemäß §58 Abs5 leg. cit. berufen, Beitragsforderungen rechtlich geltend zu machen. Mit einem die Pflichtversicherung feststellenden und Beitragsleistungen vorschreibenden Bescheid wird demnach weder rückwirkend ein Versicherungsverhältnis noch rückwirkend eine Beitragsschuld begründet. Es wird vielmehr ausschließlich die Feststellung getroffen, daß ein gesetzlich festgelegter Tatbestand ab einem bestimmten Zeitpunkt erfüllt wurde und jemand, der aufgrund dessen zur Zahlung verpflichtet gewesen wäre, zur Entrichtung einer bereits erwachsenen, also rückständigen Beitragsschuld verhalten. Soweit die Bf. vermeinen, daß der angefochtene Bescheid, weil er Beiträge für einen Zeitraum vor der vom Erstbf. vorgenommenen Anmeldung der Zweitbf. zur Pflichtversicherung rückwirkend begründe, gesetzlos ergangen sei, verkennen sie demnach die Rechtslage.

Eine denkunmögliche Anwendung des Gesetzes, nämlich des §4 Abs1 Z1 ASVG, wird von den Bf. aber auch darin erblickt, daß von der bel. Beh. eine entgeltliche Beschäftigung der Bf. bei ihrem Gatten gestützt auf §1152 ABGB angenommen wurde, obwohl zwischen ihnen vor dem 1. Jänner 1973 kein Dienstverhältnis abgeschlossen gewesen und kein Entgelt bezahlt worden sei, da die Mitarbeit der Bf. nur auf ihrer Beistandsverpflichtung gemäß §89 ff. ABGB als Ehegattin beruht habe. Auch dieser Einwand ist vor dem VfGH zufolge der ihm gesetzten Grenzen seiner Prüfungsbefugnis aus folgenden Gründen nicht zielführend:

Nach der in §4 Abs2 ASVG enthaltenen Begriffsbestimmung ist Dienstnehmer im Sinne dieses Bundesgesetzes, wer in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt wird; die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des §4 Abs2 ASVG auch zwischen Ehegatten vorliegt, läßt sich - wie der VwGH in VwSlg. 8576 A/1974 ausgeführt hat - nicht generell, sondern nur nach eingehender Prüfung der im Einzelfall gegebenen Verhältnisse beantworten. Wie der VwGH mit Erk. VwSlg. 10258 A/1980 dargelegt hat, bereitet die Abgrenzung familiärer Beschäftigungsverhältnisse von solchen, die in wechselseitigen rechtlichen Verpflichtungen ihren Grund haben vor allem deshalb Schwierigkeiten, weil der tatsächliche Vorgang der Mitarbeit Angehöriger bei sämtlichen denkbaren Rechtsformen gleich aussieht, und das äußere Bild eines solchen Leistungsaustausches daher ebensogut in den vertraglichen wie in den familiären Bereich eingeordnet werden kann (vgl. im einzelnen Fenn, die Mitarbeit in den Diensten Familienangehöriger, S 65, 95; Bydlinski, Lohn- und Kondiktionsansprüche aus zweckverfehlenden Arbeitsleistungen, in FS Wilburg I, S 56; unter Bezug darauf OGH, ZAS 1976, S 175; Tomandl,

Die Metamorphose des Dienstnehmerbegriffes - Sacherfordernis für Gelegenheitsjudikatur?, in GS Franz Gschnitzer, S 431 ff.; Floretta,

Die familieneigenen Arbeitskräfte im Österreichischen Recht, insbesondere im Arbeitsrecht, RdA 1959, S 259).

Die bel. Beh. hat nun dem Umstand, daß die Mitarbeit der Bf. im Betriebe ihres Gatten einen Umfang besaß, der über die in §92 ABGB normierte Beistandspflicht hinausging, weil ansonsten eine andere Arbeitskraft für sie hätte aufgenommen werden müssen, zusammen damit, daß eine Unentgeltlichkeit der erbrachten Leistungen nicht vereinbart war, für das Vorliegen einer Versicherungspflicht der Bf. entscheidende Bedeutung beigemessen. Wenn die bel. Beh. aus diesen Umständen abgeleitet hat, daß die für eine Versicherungspflicht vorausgesetzte Entgeltlichkeit gemäß §1152 ABGB und damit eine Versicherungspflicht gemäß §4 Abs2 ASVG vorliege, kann hieraus unter Berücksichtigung der in der Judikatur und Literatur betonten besonderen Schwierigkeit der Abgrenzung familiärer Beschäftigungsverhältnisse von solchen, die in wechselseitigen rechtlichen Verpflichtungen ihren Grund haben, auf eine denkunmögliche Gesetzesanwendung noch nicht geschlossen werden. Gerade weil dann, wenn eine ausdrückliche Vereinbarung fehlt, nach den jeweiligen Umständen zu entscheiden ist, ob ein Anspruch auf Entgelt anzunehmen ist, kann selbst eine der Judikatur und der Lehre widersprechende Rechtsanwendung, wenn diese nicht völlig unvertretbar ist, einem gesetzlosen Vorgehen nicht gleichgehalten werden. Zu beurteilen, ob die Behörde richtig entschieden hat, fällt ausschließlich in die Zuständigkeit des VwGH, der zur Sicherung der Gesetzmäßigkeit der gesamten öffentlichen Verwaltung berufen ist.

Damit ist im Ergebnis zu verneinen, daß die Bf. durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden sind.

3.4. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat nicht ergeben, daß die Bf. in von ihnen nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Rechtsnorm in ihren Rechten verletzt wurden.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

3.5. Der begehrte Ersatz eines Schriftsatzaufwandes und der Kosten für die Teilnahme an der Verhandlung der anwaltlich nicht vertretenen mitbeteiligten Partei war nicht zuzusprechen, da ein solcher Anspruch im VerfGG nicht vorgesehen ist.

Schlagworte

Sozialversicherung, Beitragspflicht (Sozialversicherung), Ehe und Verwandtschaft

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1983:B222.1978

Dokumentnummer

JFT_10168989_78B00222_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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