TE Vfgh Beschluss 1983/10/12 B202/81

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Veröffentlicht am 12.10.1983
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Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

VfGG §33
Zivilverfahrens-Nov 1983 Art17 §2 Abs1 Z7
ZPO §146 Abs1 idF BGBl 135/1983
ZPO §148 Abs2

Leitsatz

ZPO; §146 Abs1 idF der Zivilverfahrens-Nov. 1983; kein höherer Grad des Verschuldens als leichte Fahrlässigkeit bei Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde infolge Vertrauens auf die jahrelang erwiesene Verläßlichkeit eines Angestellten; Bewilligung der Wiedereinsetzung

Spruch

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde wird bewilligt.

Begründung

Begründung:

I. 1. Mit seiner am 15. April 1981 beim VfGH überbrachten Beschwerdebekämpft die Bf. den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Bgld. vom 18. Dezember 1980, Z GA 6/1-1197/12/79. Als Datum der Zustellung des Bescheides gab sie den 5. März 1981 an.

2. Wie aus den Verwaltungsakten hervorgeht, wurde der Bescheid tatsächlich bereits am 2. März 1981 zugestellt, die Beschwerdeerhebung ist daher verspätet; das Beschwerdeverfahren ist aber noch beim VfGH anhängig.

3. Mit Schriftsatz vom 28. Juni 1983 beantragt die Bf. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung einer Frist.

Durch den Beschluß des VwGH vom 11. Mai 1983, Z 81/13/0059, mit dem die wegen des auch in diesem Verfahren bekämpften Bescheides erhobene Beschwerde wegen Verspätung zurückgewiesen wurde, habe er erstmals erfahren, daß der bekämpfte Bescheid tatsächlich bereits am 2. März 1981 zugestellt worden war.

Der Bescheid sei dem seinerzeit bei den Abgabenbehörden ausgewiesenen Steuerberater zugestellt worden. Mit Schreiben vom 23. März 1981 habe ein Angestellter dieser Steuerberatungskanzlei die Bescheide an die Bf. übermittelt und gleichzeitig in einem Schreiben darauf hingewiesen, daß die Frist zur Erhebung einer Beschwerde beim VfGH oder VwGH am 16. April 1981 ende.

Auf dem Bescheid sei durch die Steuerberatungskanzlei kein Eingangsstempel angebracht gewesen, sodaß die Bf. bzw. ihr mit der Beschwerdeerhebung beauftragter Vertreter auf diese Beschwerdefrist vertraute.

Die Bf. selbst bzw. ihr nunmehriger Rechtsvertreter hätten keine Möglichkeit gehabt, die Richtigkeit des Zustellungsdatums zu überprüfen. Sie hätten auch keinen Grund gehabt, die Richtigkeit der Angabe des betreffenden Angestellten der Steuerberatungskanzlei zu bezweifeln, da dieser in mehreren Kanzleien ausgesprochen verläßlich und fehlerlos gearbeitet habe. Auch sei es während der gesamten Zeit, in der die betreffende Steuerberatungskanzlei für die Bf. gearbeitet habe, niemals zu derartigen Vorkommnissen gekommen. Im Hinblick auf die bereits früher gezeigte Verläßlichkeit des betreffenden Angestellten könne gegenüber dem Steuerberater nicht der Vorwurf erhoben werden, er habe nicht gehörig Vorsorge getroffen.

II. Der Wiedereinsetzungsantrag ist begründet.

1. Da das VerfGG in seinem §33 die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht selbst regelt, sind nach §35 dieses Gesetzes die entsprechenden Bestimmungen der ZPO (§§146 ff.) sinngemäß anzuwenden. §146 Abs1 ZPO wurde durch die Zivilverfahrens-Nov. 1983, BGBl. Nr. 135/1983, neu gefaßt. Nach Art17 §2 Abs1 Z7 dieser Nov. ist die neue Fassung auf alle jene Anträge anzuwenden, in denen die Frist zur Einbringung des Rechtsbehelfs nach dem 30. April 1983 zu laufen beginnt.

Die rechtzeitige Einbringung der Beschwerde wurde durch die Unkenntnis des Zustellungsdatums gehindert. Dieses Hindernis fiel erst durch die Zustellung des Beschlusses des VwGH vom 11. Mai 1983 am 16. Juni 1983 weg. Daher beginnt die Frist des §148 Abs2 ZPO mit diesem Tag. Es ist daher die neue Fassung des §146 Abs1 ZPO anzuwenden.

2. Da der Antrag am 29. Juni 1983 beim VfGH einlangte, ist er rechtzeitig.

3. Nach §146 Abs1 ZPO ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozeßhandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozeßhandlung zur Folge hatte. Hiebei hindert ein Verschulden der Partei an der Versäumung die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Der Maßstab "minderer Grad des Versehens" findet sich bereits in §2 Dienstnehmerhaftpflichtgesetz bzw. §3 Organhaftpflichtgesetz. Darunter ist leichte Fahrlässigkeit zu verstehen (vgl. Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht, Bd. 2, S 163; OGH in ZAS 1974/19).

Leichte Fahrlässigkeit liegt dann vor, wenn ein Fehler begangen wird, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch macht (vgl. Koziol - Welser, Grundriß des Bürgerlichen Rechts, Bd. 1, 6. Aufl., S 341).

Es ist nicht hervorgekommen, daß die Bevollmächtigten der Bf. - deren Verschulden einem Verschulden der Partei gleichzuhalten ist (§39 ZPO) - im vorliegenden Fall ein höherer Grad des Verschuldens als leichte Fahrlässigkeit trifft. Der VfGH sieht keinen Anlaß, das Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag in Zweifel zu ziehen, daß nach den in jahrelanger Zusammenarbeit gewonnenen Erfahrung für den Steuerberater kein Grund gegeben war, an der Verläßlichkeit seines Angestellten zu zweifeln; gleiches gilt für den (späteren) Rechtsvertreter der Bf. hinsichtlich der Verläßlichkeit des Steuerberaters (und dessen Mitarbeiter).

4. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher - gemäß §33 VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung - zu bewilligen.

Schlagworte

VfGH / Wiedereinsetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1983:B202.1981

Dokumentnummer

JFT_10168988_81B00202_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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