TE Vfgh Erkenntnis 1983/11/25 B238/77, V23/77

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Veröffentlicht am 25.11.1983
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Index

L6 Land- und Forstwirtschaft
L6650 Landwirtschaftliches Siedlungswesen

Norm

Tir FlVLG 1978 §1 Abs2
StGG Art5

Leitsatz

Tir. Flurverfassungs-LandesG 1978; Voraussetzungen für die Erlassung einer Einleitungsverordnung nach §1 Abs2 gegeben; keine denkunmögliche Gesetzesanwendung

Spruch

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Der Verordnungsprüfungsantrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Das Amt der Tir. Landesregierung als Agrarbehörde erster Instanz erließ die unter Nr. 115/1976 im "Boten für Tirol" kundgemachte V vom 29. Jänner 1976 über die Zusammenlegung der landwirtschaftlichen Grundstücke von Pankrazberg-Riedern.

Die Bf. sind Landwirte, in deren Eigentum in das Zusammenlegungsgebiet einbezogene Grundstücke stehen, und zwar folgende Grundstücke der Katastralgemeinde Fügenberg:

Erstbf.: Grundstücke 530, 531, 532, 520/1, 520/2, 521, 522, 523, 529;

Zweitbf.: Grundstück 582/1;

Drittbf.: Grundstücke 534, 535, 536, 537;

Viertbf.: Grundstücke 388, 394/1, 395, 396, 397.

2. Mit dem im Instanzenzug erlassenen Bescheid vom 12. Mai 1977 wies der Landesagrarsenat beim Amt der Tir. Landesregierung (auch) den auf §4 Abs2 des Tir. Flurverfassungs-Landesgesetzes 1969, LGBl. Nr. 34 (dieses nunmehr als Tir. Flurverfassungs-Landesgesetz 1978, LGBl. Nr. 54, wiederverlautbarte Gesetz galt damals idF vor der Nov. LGBl. Nr. 48/1978 - im folgenden kurz als "TFLG" bezeichnet) gestützten Antrag der bf. Parteien ab, ihre bezeichneten Grundstücke aus dem Zusammenlegungsgebiet auszuscheiden. Der Landesagrarsenat begründete seine Entscheidung im wesentlichen folgendermaßen:

Die Grundstücke in der Katastralgemeinde F würden nach wie vor zur Erreichung der Ziele der Zusammenlegung Pankrazberg-Riedern benötigt. Die Agrarstruktur weise eine mittlere Zersplitterung auf, welche im Rahmen des Verfahrens beseitigt werden könne. Insbesondere aber sei der Vorteil der Zusammenlegung darin zu finden, daß die Grundstücksgrenzen wesentlich verbessert werden könnten, sodaß günstig geformte Abfindungen entstünden, welche die neuzeitliche Bewirtschaftung voll möglich machten. Außer der Veränderung der Besitzstruktur erscheine die Verbesserung des Wegenetzes in verschiedenen Teilen unbedingt notwendig. Ebenso sei die Regulierung der Wasserläufe von größter Bedeutung, da bisher Teile der Oberflächenwässer von Pankrazberg über unzureichende Gerinne abgeflossen seien und teilweise frei in den Feldlagen zur Versickerung hätten gebracht werden müssen. Die Bf. hätten teilweise auch Bedenken wegen ihrer Grundstücke, die wegen der Lage bzw. Eignung als Bauland Flächen mit besonderem Wert darstellten. Es werde daher zweckmäßig sein, im Verfahren über die Gemeinde die Flächenwidmung festzulegen, sodaß keinerlei Bedenken vorhanden seien, die Zusammenlegung nicht durchzuführen. Nach den Bestimmungen des TFLG sei eine Zusammenlegung dann durchzuführen, wenn durch die Neueinteilung Veränderungen entstehen, die die wirtschaftliche und rechtliche Ordnung von Landwirtschaftsbetrieben verbessern. Im gegebenen Fall bestehe im Rahmen der Zusammenlegung die Möglichkeit, zersplitterten Grundbesitz, ungünstige Grundstücksformen, die unzulängliche Verkehrserschließung sowie insbesondere die vorhandenen ungünstigen Wasserverhältnisse zu beseitigen und hiedurch eine enorme wirtschaftliche Verbesserung im Hinblick auf die Betriebswirtschaft und die landwirtschaftliche Produktion zu erzielen.

3. Gegen den Bescheid des Landesagrarsenates richtet sich die vorliegende Verfassungsgerichtshofbeschwerde, in der die Bf. eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums behaupten und die Bescheidaufhebung begehren.

II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:

1. §4 Abs2 TFLG sieht in seinem ersten Satz vor, daß Grundstücke, die zur Erreichung der Verfahrensziele (des Zusammenlegungsverfahrens) nicht benötigt werden, aus dem Zusammenlegungsgebiet mit Bescheid auszuscheiden sind. Die nach dieser Gesetzesbestimmung zu treffende Entscheidung über einen Antrag auf Ausscheidung eines Grundstücks setzt notwendig dessen Zugehörigkeit zum Zusammenlegungsgebiet voraus; es ist daher die dieses Zusammenlegungsverfahren einleitende V, mit der insbesondere das Zusammenlegungsgebiet festgelegt wird (§3 Abs2), für die Entscheidung nach §4 Abs2 (in einem hier nicht weiter erörterungsbedürftigen Umfang) präjudiziell. Hieraus folgt für den vorliegenden Beschwerdefall, daß der VfGH allfällige verfassungsrechtliche Bedenken gegen die vom Amt der Tir.

Landesregierung erlassene V vom 29. Jänner 1976 (im weiteren: EinleitungsV) von Amts wegen aufzugreifen und ein Verordnungsprüfungsverfahren einzuleiten hätte. Hiezu besteht aber, wie die nachstehenden Ausführungen zeigen, kein Anlaß.

2. Die gesetzliche Grundlage der EinleitungsV bilden im wesentlichen folgende hier in Betracht zu ziehende Vorschriften in den §§1 bis 3

TFLG:

§1

Ziele und Aufgaben der Zusammenlegung

(1) Im Interesse der Schaffung und Erhaltung einer leistungsfähigen Landwirtschaft können die Besitz-, Benützungs- und Bewirtschaftungsverhältnisse im ländlichen Lebens- und Wirtschaftsraum durch Neueinteilung und Erschließung des land- und forstwirtschaftlichen Grundbesitzes sowie Ordnung der rechtlichen und wirtschaftlichen Grundlagen der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe nach zeitgemäßen volks- und betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten im Wege eines Zusammenlegungsverfahrens verbessert oder neu gestaltet werden.

(2) Zur Erreichung dieser Ziele sind in erster Linie die Nachteile abzuwenden, zu mildern oder zu beheben, die verursacht werden durch:

a) Mängel der Agrarstruktur (wie zB zersplitterter Grundbesitz, ideell oder materiell geteiltes Eigentum, ganz oder teilweise eingeschlossene Grundstücke, ungünstige Grundstücksformen, unwirtschaftliche Betriebsgrößen, beengte Orts- und Hoflage, unzulängliche Verkehrserschließung, ungünstige Geländeformen, ungünstige Wasserverhältnisse) oder

b) Maßnahmen im allgemeinen öffentlichen Interesse (wie zB Errichtung, Änderung oder Auflassung von Eisenbahnen, Straßen und Wegen, Wasserläufen, Wasserversorgungs-, Energieversorgungs- oder Abwasseranlagen, Hochwasser-, Wildbach- oder Lawinenschutzbauten).

...

§2

Zusammenlegungsgebiet

(1) Das Zusammenlegungsgebiet ist unter Bedachtnahme auf örtliche oder wirtschaftliche Zusammenhänge so zu begrenzen, daß die Ziele der Zusammenlegung iS der Bestimmungen des §1 möglichst vollkommen erreicht werden.

(2) Gegenstand der Zusammenlegung sind alle im Zusammenlegungsgebiet liegenden Grundstücke (einbezogene Grundstücke).

...

§3

Einleitung des Verfahrens

(1) Die Agrarbehörde hat das Zusammenlegungsverfahren nach Anhörung der Landeslandwirtschaftskammer von Amts wegen mit Verordnung einzuleiten.

(2) In der Verordnung ist das Zusammenlegungsgebiet entweder durch Angabe der Begrenzungen oder durch Anführung sämtlicher Grundstücke festzulegen.

...

Die bf. Parteien kritisieren die Einbeziehung ihrer Grundstücke insbesondere mit einem Argument, das an ein Begründungselement des angefochtenen Bescheides anknüpft: Die bel. Beh. führte in der Bescheidbegründung - wie bereits erwähnt - auch aus, der Vorteil der Zusammenlegung sei insbesondere darin zu finden, daß die Grundstücksgrenzen wesentlich verbessert werden könnten, sodaß günstig geformte Abfindungen entstünden, welche die neuzeitliche Bewirtschaftung voll möglich machten. Die Bf. halten dem entgegen, daß diese Behauptung "aus der Luft gegriffen" sei; ihre Grundstücke seien so günstig geformt, daß eine bessere Form gar nicht denkbar sei.

Diese Auffassung der Bf. ist aber, wie aus dem in den Verwaltungsakten erliegenden Plan des Zusammenlegungsgebietes zu ersehen ist, unzutreffend. Die Grundstücksgrenzen der Grundkomplexe der bf. Parteien (vorläufig abgesehen vom Grundstück des Zweitbf.) haben in weiten Bereichen völlig unregelmäßige Formen, sie springen - bildlich ausgedrückt - nach vor und wieder zurück und enthalten ebenso unregelmäßige, zum großen Teil schmale Einschnitte durch besitzfremde Grundstücke. Auch das einbezogene Grundstück des Zweitbf. verfügt über keine günstige Form, da es im wesentlichen einem spitzwinkeligen Dreieck gleicht. Bei dieser Sachlage ist das in §1 Abs2 TFLG festgelegte, dem Oberbegriff "Mängel der Agrarstruktur" zu unterstellende Kriterium der ungünstigen Grundstücksformen erfüllt, sodaß die Erlassung der EinleitungsV gesetzlich begründet erscheint. Ist aber deren Erlassung schon unter diesem Blickpunkt unbedenklich, so bedarf es keiner weiteren Erörterungen darüber, ob sie auch unter einem anderen Gesichtswinkel gerechtfertigt werden kann, und demnach auch nicht einer Auseinandersetzung mit den weiteren hierauf bezughabenden Argumenten der Bf.

3. Auch sonst sind Bedenken gegen die Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides nicht entstanden. Es ist daher festzuhalten, daß weder eine solche Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte stattgefunden hat, die aus einer verfassungsrechtlichen Bedenklichkeit herangezogener Rechtsvorschriften abzuleiten wäre, noch eine Rechtsverletzung infolge der Anwendung rechtswidriger genereller Normen.

4. Bei der gegebenen verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der den angefochtenen Bescheid tragenden Bestimmungen könnte die von den bf. Parteien geltend gemachte Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums gemäß der ständigen Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg. 9047/1981) nur stattgefunden haben, wenn der bekämpfte, keinesfalls gesetzlos ergangene Bescheid tatsächlich in das Eigentumsrecht der bf. Parteien eingriffe und der bel. Beh. eine denkunmögliche Gesetzesanwendung zur Last fiele.

Ob der bekämpfte Bescheid in das geltend gemachte verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht überhaupt eingreift, kann aber dahinstehen, weil jedenfalls nicht gesagt werden kann, daß die Behörde das Gesetz in denkunmöglicher Weise angewendet hat, ein Fall, der nach der schon angeführten Judikatur nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.

Daß ein derartiger schwerwiegender Fehler nicht unterlaufen, vielmehr durchaus die Auffassung vertretbar ist, es lägen im Hinblick auf die gegebenen Grundstücksformen eine Ausscheidung aus dem Zusammenlegungsgebiet nicht rechtfertigende Mängel der Agrarstruktur vor, bedarf nach dem zur Gesetzmäßigkeit der EinleitungsV Gesagten keiner weiteren Darlegungen. Es ist sohin auch ohne Belang, ob der Landesagrarsenat seinen Bescheid in jeder Beziehung zutreffend begründete.

5. Das Beschwerdeverfahren hat auch keine Anhaltspunkte für die Annahme ergeben, daß die Bf. aus anderen als den von ihnen vorgebrachten Gründen in geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder in einem anderen derartigen Recht verletzt worden wären.

Die Beschwerde war sohin abzuweisen.

III. Die bf. Parteien haben mit ihrer Beschwerde einen auf Art139 B-VG gestützten Antrag verbunden, die EinleitungsV als gesetzwidrig aufzuheben.

Dieser Antrag ist jedoch nicht zulässig.

IZm. nach Art139 und Art140 B-VG gestellten Individualanträgen hat der VfGH mehrfach ausgeführt, daß dann, wenn ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren anhängig ist, in dem Gelegenheit zur Anregung einer amtswegigen Antragstellung an den VfGH oder, falls ein Verfahren vor dem VfGH selbst anhängig ist, zur Anregung einer amtswegigen Prüfung geboten ist, ein Individualantrag nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände zulässig ist; andernfalls gelangte man zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, die mit dem Charakter des Individualantrages als eines subsidiären Rechtsbehelfes nicht in Einklang stünde (VfSlg. 9583/1982 mit weiteren Rechtsprechungshinweisen).

Da den Einschreitern eine solche Gelegenheit zur Anregung eines amtswegigen Verordnungsprüfungsverfahrens im Beschwerdeverfahren geboten war, war ihr Verordnungsprüfungsantrag zurückzuweisen.

Schlagworte

Flurverfassung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1983:B238.1977

Dokumentnummer

JFT_10168875_77B00238_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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