TE Vfgh Erkenntnis 1983/11/30 B167/80

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.11.1983
beobachten
merken

Index

L6 Land- und Forstwirtschaft
L6650 Landwirtschaftliches Siedlungswesen

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
StGG Art5
AVG §74
AVG §74 Abs1
Oö FlVfLG 1979 §102 Abs3
ZPO §41 ff
ZPO §454 ff

Leitsatz

Oö. Flurverfassungs-LandesG 1979; Verfahrenskosten in einem von der Agrarbehörde durchzuführenden Besitzstörungsverfahren unter Anwendung des §74 AVG - keine gleichheitswidrige Anwendung des §102 Abs3

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit dem Bescheid der Agrarbezirksbehörde Gmunden vom 6. Dezember 1979 wurde "in Anwendung des §34 des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes (FlVfGG) 1951 und des §339 ABGB" ausgesprochen, daß eine näher bezeichnete Partei den Bf. und seine Ehegattin im ruhigen Besitz eines ihnen im Rahmen des Verfahrens zur Zusammenlegung land- und fortswirtschaftlicher Grundstücke in N, Gemeinde G, vorläufig übergebenen Abfindungsgrundstückes gestört, den dadurch entstandenen Schaden zu ersetzen und sich jeder weiteren derartigen Besitzstörung zuenthalten hat. Ferner wurde im Spruch des Bescheides der vom Bf. und seiner Ehegattin gestellte Antrag, der Partei, die die Besitzstörung veranlaßt hatte, den Ersatz der Verfahrenskosten vorzuschreiben, gemäß §1 AgrVG 1950 und §74 Abs1 AVG 1950 abgewiesen.

Die vom Bf. und seiner Ehegattin gegen die Abweisung des Antrages auf Kostenersatz erhobene Berufung hat der Landesagrarsenat beim Amt der Oö. Landesregierung mit dem Bescheid vom 19. Feber 1980 gemäß §1 AgrVG 1950, §66 Abs4 und §74 Abs1 AVG 1950 als unbegründet abgewiesen. Er hat ferner ausgesprochen, daß der in der Berufung gestellte Antrag, die Partei, die die Besitzstörung veranlaßt hatte, "in den Ersatz der Kosten des Berufungsverfahrens zu verfällen", gemäß §1 AgrVG 1950 und §74 Abs1 AVG 1950 als unbegründet abgewiesen wird.

In der Begründung des Bescheides wird folgendes ausgeführt:

"In den Fällen, in denen die Agrarbehörde kraft besonderer Kompetenzbestimmungen (§34 Abs4 des FlVfGG 1951 bzw. §102 Abs2 lita des Oö. Flurverfassungs-Landesgesetzes 1979) über Besitzstreitigkeiten entscheidet, hat sie die Vorschrift des bürgerlichen Rechtes anzuwenden. Diese - materiellen - Vorschriften stellen dann insoweit materielles Bodenreformrecht dar. Das Verfahren wird durch die Heranziehung von Normen des ABGB keineswegs zu einem gerichtlichen Verfahren, sondern bleibt ein Bodenreformverfahren.

Wie bereits im angefochtenen Bescheid richtig festgestellt wurde, findet in den Angelegenheiten der Bodenreform für die Agrarbehörde des AVG 1950 mit den in AgrVG 1950 enthaltenen Änderungen und Ergänzungen Anwendung (§1 AgrVG 1950).

§74 AVG 1950 normiert, daß jeder Beteiligte die ihm im Verwaltungsverfahren erwachsenden Kosten (zB für fachkundige Rechtsverteidigung) selbst zu bestreiten hat, es sei denn, daß in den Verwaltungsvorschriften Sonderbestimmungen über Kostenersatzansprüche gegen andere Beteiligte getroffen werden. Diese Regelung findet ihre Begründung darin, daß die Beteiligten im Verwaltungsverfahren, welches von den Grundsätzen der Amtswegigkeit und der materiellen Wahrheit beherrscht ist, immer selbst handeln können und für sie infolgedessen kein Zwang zur Aufwendung besonderer Kosten besteht.

Sonderbestimmungen über Kostenersatzansprüche gegen andere Beteiligte enthalten weder das AgrVG 1950 noch das FlvfGG 1951 noch das Oö. Flurverfassungs-Landesgesetz 1979.

Die Bestimmung des §76 Abs2 AVG 1950 ist im vorliegenden Fall deshalb unbeachtlich, weil diese nur für Barauslagen der Behörde und nicht für Kosten der Beteiligten gilt.

Es wäre auch verfehlt, §64 Abs3 VStG 1950 heranzuziehen, da ein Besitzstörungsverfahren der Agrarbehörde nicht als Verwaltungsstrafverfahren qualifiziert werden kann.

Ebensowenig vermag die 'allgemeine Schadenersatzregelung' des ABGB, also ein materiellrechtlicher Normenkomplex, die ausdrückliche und eindeutige Verfahrensvorschrift des §74 AVG 1950 zu tangieren."

2. Gegen den Bescheid des Landesagrarsenates vom 19. Feber 1980 richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde.

Der Bf. behauptet, durch den angefochtenen Bescheid insbesondere im Gleichheits- und Eigentumsrecht verletzt worden zu sein. Es wird die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. §102 Abs1, 2 und 3 des Oö. Flurverfassungs-Landesgesetzes 1979 (Oö. FLG 1979), LGBl. Nr. 73/1979, lautet:

"(1) Die Zuständigkeit der Agrarbehörde erstreckt sich von der Einleitung eines Zusammenlegungs-, Flurbereinigungs-, Teilungs- oder Regulierungsverfahrens an ... auf die Verhandlung und Entscheidung über alle tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die zum Zwecke der Durchführung der Zusammenlegung, Flurbereinigung, Teilung oder Regulierung in das Verfahren einbezogen werden müssen. Während dieses Zeitraumes ist in diesen Angelegenheiten die Zuständigkeit der Behörden ausgeschlossen, in deren Wirkungsbereich diese Angelegenheiten sonst gehören.

(2) Die Zuständigkeit der Agrarbehörde (Abs1) erstreckt sich insbesondere auf:

a) Streitigkeiten über Eigentum und Besitz an den in das Verfahren einbezogenen Grundstücken;

b) ...;

(3) Soweit nicht etwas anderes bestimmt ist, sind in den Verfahren (Abs1) von der Agrarbehörde jene Rechtsvorschriften anzuwenden, die sonst für diese Angelegenheiten gelten (zB die Vorschriften des bürgerlichen Rechtes, des Wasserrechtes und des Forstrechtes)."

Diese Bestimmungen entsprechen im wesentlichen wörtlich den Bestimmungen des §34 Abs3, 4 und 5 FlVfGG.

2. a) Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg. 8823/1980, 9186/1981) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

b) In der Beschwerde wird vorgebracht, nach Auffassung des Bf. seien "durch die Kompetenzverschiebung nun die Normen der Zivilprozeßordnung bzw. auch des Schadenersatzrechtes über das ABGB heranzuziehen". Der Bf. sei als einfacher Landwirt nicht in der Lage, seine Rechte wahrzunehmen, und müsse bei Verteidigung seines Eigentums die Hilfe eines Rechtsanwaltes in Anspruch nehmen. Auch wenn er beim "Bezirksgericht Gmunden eine Protokollarklage eingebracht hätte, wären" ihm "in einem normalen Besitzstörungsverfahren die Kosten bei Obsiegen ersetzt worden". Daß das Einschreiten prozeßnotwendig gewesen sei, sei unbestritten. Es seien keine unnützen Anträge oder Verhandlungen abgehalten worden, und es habe auch die beklagte Partei die Besitzstörung eingesehen. Es widerspreche dem Gleichheitsgrundsatz, "daß durch den Übergang der Entscheidungskompetenz vom Bezirksgericht zur Agrarbehörde bei Anwendung der gleichen Verfahrensnormen" der Bf nur die Kosten seiner berechtigten Vertretung selbst tragen müsse. "Eine derartige Unterscheidung" sei "sachlich nicht gerechtfertigt und auch aus der Rechtsordnung durch die Kompetenzverschiebung nicht ableitbar." Da die Behörde "weder die allgemeinen Schadenersatzregelungen des ABGB noch die Prozeßkostenersatznormen der ZPO" heranziehe, "obwohl sie im übrigen die materiellrechtlichen Bestimmungen der beiden Gesetze für das Besitzstörungsverfahren" anwende, gehe sie "gesetzlos vor" und greife "auch in das Eigentumsrecht des Bf. ein".

c) Zu diesen Vorbringen des Bf. ist zunächst zu bemerken, daß die bel. Beh. über die im Besitzstörungsverfahren (in der Hauptsache) ergangene erstinstanzliche Entscheidung, gegen die eine Berufung nicht erhoben wurde, nicht mehr abzusprechen hatte. Sie hatte sich lediglich mit der Nebenfrage des vom Bf. iZm. dem durchgeführten Besitzstörungsverfahren geltend gemachten Anspruch des Ersatzes der Kosten des erstinstanzlichen und des zweitinstanzlichen Verfahrens zu befassen. Dabei hat sie die Bestimmung des §74 Abs1 AVG 1950 angewendet.

Da sich ihre Entscheidung auf diese Bestimmungen stützt, trifft die Behauptung des Bf., die bel. Beh. sei gesetzlos vorgegangen, nicht zu.

Nach den Erk. des VfGH VfSlg. 3798/1960 und VfGH 11. Juni 1983 B457/79 bestehen gegen die Regelung, nach der sich die Zuständigkeit der Agrarbehörden auf Streitigkeiten über den Besitz an den in das Verfahren einbezogenen Grundstücken bezieht, keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Gemäß §1 Agrarverfahrensgesetz - AgrVG 1950, BGBl. Nr. 173/1950, findet das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1950, BGBl. Nr. 172 (AVG 1950), mit Ausnahme des §78 in den Angelegenheiten der Bodenreform für die Agrarbehörden (Agrarbezirksbehörden, Ämter der Landesregierungen, Agrarsenate) mit bestimmten Änderungen und Ergänzungen Anwendung.

Nach §102 Abs3 Oö. FLG (§34 Abs5 FlVfGG) sind in den Angelegenheiten, auf die sich die Zuständigkeit der Agrarbehörden nach §102 Abs1 und 2 erstreckt, von den Agrarbehörden, soweit nicht anderes bestimmt ist, die Normen, die sonst für diese Angelegenheiten gelten, somit in Verfahren über Besitzstreitigkeiten die einschlägigen Vorschriften des bürgerlichen Rechtes anzuwenden.

Ob vom Begriff "Vorschriften des bürgerlichen Rechtes" auch die für ein gerichtliches Besitzstörungsverfahren geltenden Bestimmungen der ZPO über den Ersatz von Verfahrenskosten umfaßt sind oder ob - wie die bel. Beh. annimmt - über Ansprüche auf Ersatz von Verfahrenskosten unter Anwendung des §74 AVG 1950 zu entscheiden ist, wonach jeder Beteiligte die ihm im Verwaltungsverfahren erwachsenden Kosten selbst zu bestreiten hat (Abs1), sofern die Verwaltungsvorschriften nicht bestimmen, inwiefern einem Beteiligten ein Kostenersatzanspruch gegen einen anderen Beteiligten zusteht (Abs2), kann allerdings dahingestellt bleiben.

Hätte nämlich der Gesetzgeber das Bedürfnis nach Einheitlichkeit der Verfahren vor den Agrarbehörden höher bewertet als das Interesse nach gleichartiger Behandlung von zivilrechtlichen Streitigkeiten, so wäre das nicht unsachlich.

Die Bestimmung des §102 Abs3 Oö. FLG 1979 ist daher auch in dem Falle, daß ihr der von der Behörde angenommene Inhalt zukommt, wonach in einem von der Agrarbehörde durchzuführenden Besitzstörungsverfahren die Entscheidung über geltend gemachte Verfahrenskosten nach §74 AVG 1950 und nicht nach der Kostenregelung der ZPO zu treffen ist, unter dem Gesichtspunkt des vorliegenden Beschwerdefalles verfassungsrechtlich unbedenklich.

3. Daß die bel. Beh. bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides willkürlich vorgegangen wäre, ist vom Bf. nicht behauptet worden. Da sich im Verfahren vor dem VfGH ein Anhaltspunkt für ein solches, eine Gleichheitsverletzung bewirkendes Verhalten der bel. Beh. nicht ergeben hat, ist der Bf. durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nicht verletzt worden.

4. Der VfGH kann es dahingestellt sein lassen, ob durch den angefochtenen Bescheid, mit dem das Begehren des Bf., eine andere Partei zum Ersatz von Verfahrenskosten zu verpflichten, abgewiesen wurde, überhaupt in sein Eigentum eingegriffen wird. Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides wäre dieser Eingriff jedenfalls nur dann verfassungswidrig, wenn die Behörde das Gesetz in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.

Davon, daß bei der Ablehnung des Begehrens des Bf. auf Ersatz von Verfahrenskosten die hiefür maßgeblichen verfassungsrechtlich unbedenklichen Bestimmungen des §74 AVG 1950 bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides denkunmöglich angewendet worden wären, kann keine Rede sein. Ob diese Bestimmungen auch richtig angewendet wurden, hat nicht der VfGH, sondern der VwGH zu prüfen.

Jedenfalls hätte auch dann, wenn durch den angefochtenen Bescheid in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht des Bf. auf Unversehrtheit des Eigentums eingegriffen worden wäre, eine Verletzung dieses Rechtes nicht stattgefunden.

5. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Bf. in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, daß er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Schlagworte

Agrarbehörden, Zivilprozeß, Verwaltungsverfahren, Kostenersatz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1983:B167.1980

Dokumentnummer

JFT_10168870_80B00167_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten