TE Vfgh Erkenntnis 2006/6/21 B525/05

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.06.2006
beobachten
merken

Index

41 Innere Angelegenheiten
41/03 Personenstandsrecht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

Spruch

Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.340,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die beschwerdeführende Partei wurde am 16. Oktober 1965 männlichen Geschlechts geboren und lebt seit nunmehr über 12 Jahren in aufrechter Ehe mit ihrer Frau und den gemeinsamen Kindern. Seit dem Jahr 2000 lebt sie unter weiblichem Namen und unterzog sich im September 2004 einer geschlechtsändernden Operation, wodurch sie nunmehr auch die äußeren Merkmale einer Frau aufweist.

2. Mit Eingabe vom 10. November 2004 beantragte die beschwerdeführende Partei bei der Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung die Änderung ihres männlichen Vornamens in einen weiblichen Vornamen, weil ersterer nicht mehr ihrem Geschlecht entsprechen würde. Es seien offenkundig Nachteile in den sozialen Beziehungen sowie in wirtschaftlicher Hinsicht (Arbeitsplatz) zu erwarten. Mit detaillierter Begründung wurde weiters dargelegt, dass die Voraussetzungen des §2 Abs1 Z10 und Abs2 Z3 Namensänderungsgesetz vorlägen.

Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 21. Jänner 2005 mit der Begründung abgewiesen, dass Voraussetzung für die beantragte Namensänderung eine Änderung der Eintragung des Geschlechts im Geburtenbuch sei, die jedoch noch nicht durchgeführt wurde.

Laut Punkt 3 des "Transsexuellen-Erlasses" (Erlass des Bundesministers für Inneres vom 27. November 1996, Z36.250/66-IV/4/96, über die personenstandsrechtliche Stellung Transsexueller) sei eine Änderung des Vornamens in einen geschlechtsspezifischen Vornamen an die Änderung der Geschlechtseintragung im Geburtenbuch gebunden; da die Änderung des Vornamens jedoch unabhängig von einer Änderung der Geschlechtseintragung im Geburtenbuch begehrt und auch kein Nachweis bezüglich einer Änderung der Geschlechtseintragung im Geburtenbuch vorgelegt wurde, sei der Antrag auf Änderung des männlichen Vornamens in einen weiblichen Vornamen gemäß §3 Abs1 Z7 Namensänderungsgesetz abzuweisen. Der begehrte Vorname entspreche als erster Vorname nicht dem Geschlecht des Antragstellers.

3. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 23. März 2005 abgewiesen. In der Begründung wurde im Wesentlichen auf die Darlegungen des erstinstanzlichen Bescheides verwiesen und ebenso ausgeführt, dass eine "Änderung der Vornamen (...) erst dann möglich (ist), wenn die Geschlechtsänderung im Geburtenbuch vermerkt wurde". Zusätzlich wurde darauf hingewiesen, dass der Bewilligung eines geschlechtsneutralen Namens nichts im Wege stehe; zur Auswahl stünden "zahlreiche durchaus gebräuchliche und beliebte Vornamen, die sowohl dem männlichen als auch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können, wie z.B. Andrea (...)".

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

5. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 8. Juni 2006, V4/06, Punkt 2 und 3 des Erlasses des Bundesministers für Inneres vom 27. November 1996, Z36.250/66-IV/4/96, über die personenstandsrechtliche Stellung Transsexueller ("Transsexuellen-Erlass") als gesetzwidrig aufgehoben.

2. Gemäß Art139 Abs6 B-VG wirkt die Aufhebung einer Verordnung auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als gesetzwidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde liegenden Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem in Art139 Abs6 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Verordnungsprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Verordnungsprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10.616/1985, 10.736/1985, 10.954/1986); darüber hinaus muss der das Verwaltungsverfahren einleitende Antrag vor Bekanntmachung des dem unter Pkt. II.1. genannten Erkenntnis zugrunde liegenden Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes gestellt worden sein (VfGH 15.10.2005, B844/05).

3. Die nichtöffentliche Beratung im Verordnungsprüfungsverfahren begann am 8. Juni 2006; der dieses Verordnungsprüfungsverfahren einleitende Beschluss wurde am 11. Jänner 2006 bekannt gemacht. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 18. Mai 2005 eingelangt, war also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; da der ihr zugrunde liegende, das Verwaltungsverfahren auslösende Antrag ausweislich der Verwaltungsakten auch vor Bekanntgabe des Prüfungsbeschlusses, nämlich am 10. November 2004, gestellt worden ist, ist der ihr zugrunde liegende Fall somit einem Anlassfall gleichzuhalten.

Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als gesetzwidrig aufgehobene Verordnungsbestimmung (Punkt 3 des "Transsexuellen-Erlasses") an. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass diese Verordnungsanwendung für die Rechtsstellung der beschwerdeführenden Partei nachteilig war. Die beschwerdeführende Partei wurde somit wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

III. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG abgesehen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 360,- sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 180,-

enthalten.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:B525.2005

Dokumentnummer

JFT_09939379_05B00525_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten