TE Vfgh Erkenntnis 1983/12/10 B234/78

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Veröffentlicht am 10.12.1983
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Index

32 Steuerrecht
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
EStG §34
EStG §106 Abs3 letzter Satz

Leitsatz

EStG 1972; keine Bedenken gegen §106 Abs3 iVm. §34; keine Gleichheitsverletzung

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Dem J K war aufgrund seines Antrages vom 11. Jänner 1977 auf Berücksichtigung eines Freibetrages zur Abgeltung außergewöhnlicher Belastungen für Körperbehidnerte wegen einer durch Kriegsbeschädigung verursachten Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 vH vom Finanzamt Gänserndorf für die Kalenderjahre 1977 bis 1979 gemäß §106 Abs3 des Einkommensteuergesetzes 1972 (EStG 1972) ein monatlicher Freibetrag von 260 S auf der Lohnsteuerkarte eingetragen worden.

Am 26. Mai 1977 brachte er neuerlich einen Antrag auf Berücksichtigung eines Freibetrages zur Abgeltung außergewöhnlicher Belastungen für die Jahre 1977 bis 1979 ein, wobei er zusätzlich zur bereits berücksichtigten Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 vH aufgrund von Bescheiden/Bescheinigungen der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt vom 29. Jänner 1975 und vom 6. April 1977 eine zusätzliche Berücksichtigung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von je 20 vH beantragte; nach seiner Ansicht beträgt die Minderung der Erwerbsfähigkeit nämlich 60 + 20 + 10 vH.

Das Finanzamt Gänserndorf wies diesen zusätzlichen Antrag mit Bescheid vom 16. Juni 1977 mit der Begründung ab, daß gemäß §106 Abs3 EStG 1972 das amtlich anerkannte höchste Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit für die Bemessung des Freibetrages maßgebend sei, wenn bei körperbehinderten Personen Beschädigungen verschiedener Art zusammentreffen.

2. Die Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Bgld. wies die gegen diesen Bescheid von J K erhobene Berufung mit Berufungsentscheidung vom 31. Jänner 1978, GA 5-2190/77, als unbegründet ab.

In der Begründung dieses Bescheides führte die Behörde aus, gemäß §106 Abs1 EStG 1972 sei Körperbehinderten auf Antrag ein Freibetrag zur Abgeltung etwaiger außergewöhnlicher Belastungen, die durch die Körperbehinderung veranlaßt sind, zu gewähren. IS des Abs2 der Gesetzesstelle bestimme sich die Höhe des Freibetrages nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit. Die Tatsachen der Körperbehinderung und des Ausmaßes der Minderung der Erwerbsfähigkeit seinen durch eine amtliche Bescheinigung der für die Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen. Träfen bei körperbehinderten Steuerpflichtigen Beschädigungen verschiedener Art zu, so sei nach Abs3 des §106 EStG 1972 das amtlich anerkannte höchste Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit maßgebend. Die vorstehenden Gesetzesbestimmungen zeigten nach Ansicht der Behörde eindeutig, daß der Gesetzgeber einem körperbehinderten Steuerpflichtigen jenen Freibetrag zuerkennen wollte, der dem höchsten Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht. K sei laut Bescheid des Landesinvalidenamtes vom 5. März 1973 zu 60 vH "erwerbsgemindert". Nach §106 Abs3 EStG 1972 stehe bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 vH ein jährlicher Freibetrag von 3120 S zu, der ihm vom Finanzamt für die Jahre 1977 bis 1979 gewährt worden sei. Die zusätzliche Berücksichtigung von Freibeträgen wegen einer jeweils zwanzigprozentigen Minderung der Erwerbsfähigkeit könne aufgrund des klaren Gesetzeswortlautes nicht zuerkannt werden. Letzteres werde von K nicht bestritten. Vielmehr habe er in seiner Berufung die Verfassungswidrigkeit des §106 Abs3 EStG 1972 vorgebracht. Mit diesem Vorbringen könne er allerdings nichts gewinnen, weil die Finanzlandesdirektion zur Feststellung, ob eine gesetzliche Bestimmung verfassungswidrig ist, nicht zuständig sein.

3. Gegen diesen Bescheid der Finanzlandesdirektion richtet sich die Beschwerde des J K, in der er die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung der Staatsbürger vor dem Gesetz und die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes geltend macht und anregt, der VfGH möge das Beschwerdeverfahren unterbrechen und gemäß Art140 B-VG von Amts wegen das Gesetzesprüfungsverfahren hinsichtlich des §106 Abs3 EStG 1972 einleiten. Es wird beantragt, nach Aufhebung der Gesetzesbestimmung den angefochtenen Bescheid aufzuheben und dem Bund den Ersatz der Verfahrenskosten aufzuerlegen.

4. Die bel. Beh. erstattete eine Gegenschrift und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Gemäß §106 Abs1 EStG 1972, das hier für die Kalenderjahre 1977 und 1978 in der Fassung der Einkommensteuergesetz-Nov. 1974, BGBl. 469, und für das Kalenderjahr 1979 idF der Nov. 1978, BGBl. 571, anzuwenden ist, ist Körperbehinderten auf Antrag ein im §106 Abs3 leg. cit. genannter, nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit gestaffelter Freibetrag zur Abgeltung etwaiger außergewöhnlicher Belastungen, die durch die Körperbehinderung veranlaßt sind, zu gewähren. Gemäß §106 Abs4 leg. cit. ist §34 Abs4 nicht anzuwenden, wenn ein Körperbehinderter anstelle des Freibetrages gemäß §106 Abs3 seine tatsächliche außergwöhnliche Belastung aus diesem Titel gemäß §34 leg. cit. geltend macht.

Gemäß §34 Abs1 werden auf Antrag außergewöhnliche Belastungen, die dem Steuerpflichtigen zwangsläufig erwachsen, insoweit vor Berechnung der Steuer vom Einkommen abgezogen, als sie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen. Aufwendungen, die zu den Betriebsausgaben, Werbungskosten oder Sonderausgaben gehören, bleiben außer Betracht. Gemäß §34 Abs2 leg. cit. liegt eine außergewöhnliche Belastung, die zu einer Ermäßigung der Einkommensteuer führt, vor, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleich Einkommenstuerverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen. Gemäß §34 Abs3 leg. cit. erwächst die Belastung dem Stuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann. Gemäß §34 Abs4 endlich wird die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit durch außergewöhnliche Belastungen nur insoweit wesentlich beeinträchtigt, als die Aufwendungen die dort näher bestimmte zumutbare Mehrbelastung übersteigen.

1.2. Der Bf. hält die Bestimmung des §106 Abs3 letzter Satz EStG 1972, wonach dann, wenn bei körperbehinderten Steuerpflichtigen Beschädigungen verschiedenter Art zutreffen, das amtlich anerkannte höchste Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit maßgebend ist, deshalb für gleichheitswidrig, weil diese Bestimmung dazu führe, daß bei Vorliegen mehrerer Entstehungsursachen der Minderung der Erwerbsfähigkeit eines körperbehinderten Steuerpflichtigen jeweils nur das höchste Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit berücksichtigt werden könne, das auf eine Entstehungsart zurückzuführen sei.

1.3. Dieses Vorbringen des Bf. ist schon deshalb unzutreffend, weil der körperbehinderte Steuerpflichtige, der eine außergewöhnliche Belastung aufgrund seiner Körperbehinderung geltend macht, gemäß §106 Abs4 EStG 1972 die Wahl hat, entweder den seine außergewöhnliche Belastung, die auf seine Körperbehinderung zurückzuführen ist, berücksichtigenden Freibetrag gemäß §106 EStG 1972 zu beantragen oder gemäß §34 EStG 1972 seinen durch die Körperbehinderung entstandenen Aufwand tatsächlich nachzuweisen. Wenn der körperbehinderte Steuerpflichtige seine tatsächlichen Aufwendungen iS des §34 EStG 1972 geltend macht, ist vermöge des §106 Abs4 EStG 1972 eine zumutbare Mehrbelastung iS des §34 Abs4 EStG 1972 nicht zu berücksichtigen. Dem körperbehinderten Steuerpflichtigen stand daher nach der Rechtslage, die in den in Betracht kommenden Jahren 1977 bis 1979 in Geltung stand, durchaus die Möglichkeit offen, die tatsächliche außergewöhnliche Belastung, die durch die verschiedenen Arten der Körperbehinderung entstanden ist, mit Erfolg geltend zu machen.

Damit wurde dem Grundgedanken des §106 EStG 1972 (vgl. VfSlg. 4681/1964 zur damaligen Regelung des §102 Abs3 EStG 1953) Rechnung getragen, wonach die Beeinträchtigung der steuerlichen Leistungsfähigkeit zur Wahrung der Steuergerechtigkeit abzugelten ist.

Der VfGH hat daher aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles nicht das Bedenken, daß die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Normen dem Gleichheitssatz widersprechen oder aus anderen Gründen verfassungswidrig wären.

1.4. Daß die Behörde Willkür geübt oder das Gesetz denkunmöglich angewendet hätte, wird vom Bf. nicht behauptet und ist auch im Verfahren vor dem VfGH nicht hervorgekommen. Daher liegt die vom Bf. behauptete Verletzung des Rechts auf Gleichbehandlung aller Staatsbürger vor dem Gesetz nicht vor, zumal auch kein in die Verfassungssphäre reichender Verfahrenfehler der bel. Beh. dargetan worden ist.

2. Da das Verfahren nicht ergeben hat, daß der Bf. in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden ist, war die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Schlagworte

Einkommensteuer, Belastung außergewöhnliche, Körperbehinderte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1983:B234.1978

Dokumentnummer

JFT_10168790_78B00234_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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