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66 SozialversicherungNorm
B-VG Art144 Abs1 / AnlaßfallSpruch
Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung und gesetzwidriger Verordnungen in ihren Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerin für Gesundheit und Frauen) ist schuldig, den Beschwerdeführern zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit EUR 2484,-- bestimmten Prozesskosten binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1. Die Beschwerdeführer sind Fachärzte für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde mit Sitz in Niederösterreich; sie stehen in einem Vertragsverhältnis zur Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse.
Mit einem an die Paritätische Schiedskommission für Niederösterreich gerichteten Schriftsatz vom 29. Jänner 2004 begehrten sie die Feststellungen,
"a) dass es ungeachtet der EG [Einheitlichen Grundsätze gem. §340a ASVG über die EDV-Abrechnung der Vertragsärzte] samt MDSA [Musterdatensatzaufbau] bzw. DVP [Datenaustausch mit Vertragspartnern] einer einzelvertraglichen Änderung (sohin auch gesamtvertraglichen) bedarf, um die auf Grund unseres Einzelvertrages (und Gesamtvertrages) bestehende Abrechnungsvereinbarung (Gesamtvertrag vom 8.7.1957) an das Erfordernis der elektronischen Abrechnung anzupassen,
b) dass wir weiterhin berechtigt sind, gemäß unseren rechtswirksamen einzelvertraglichen (gesamtvertraglichen) Abrechnungsbestimmungen abzurechnen und entgegenstehende Bestimmungen der EG samt MDSA und DVP nicht anzuwenden haben, und
c) dass insbesondere nachstehende Bestimmungen der EG samt MDSA bzw. DVP nicht anzuwenden sind, weil sie über die Verordnungsermächtigung hinausschießen, abrechnungsirrelevant und nicht erforderlich sowie unsachlich sind und mit der bisherigen (gesamtvertraglichen und sohin) einzelvertraglichen Abrechnungsregelung im Widerspruch stehen."
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 13. April 2005 wies die Landesberufungskommission für Niederösterreich diese Anträge als unbegründet ab. Begründend wird dazu Folgendes ausgeführt:
"Außer Streit zwischen den beiden Parteien steht, dass es zwischen den Parteien Verhandlungen zur Übergangsregelung des §11 Abs4 EG gab, diese aber ergebnislos endeten und dass zwischen den Parteien keinerlei Vereinbarung im Sinne des §11 Abs4 EG besteht.
Die auf §[340a] ASVG als gesetzliche Grundlage gestützte Verordnung des Hauptverbandes über die Einheitlichen Grundsätze über die EDV-Abrechnung der Vertragsärzte wurde - wie dies ab 1.1.2002 für Durchführungsvorschriften der Sozialversicherungsträger und des Hauptverbandes zu den Sozialversicherungsgesetzen vorgesehen ist - unter der Adresse www.[avsv].at im Internet als Verlautbarung Nr. 148/2002 kundgemacht. Damit liegt eine von der nach der gesetzlichen Grundlage zuständigen Behörde erlassene und gehörig kundgemachte Verordnung vor, an die sowohl die Gerichte als auch die Verwaltungsbehörden gebunden sind ... Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seiner Entscheidung vom 25.9.2000, Vf[S]lg 15907, ausgesprochen hat, sind die Parteien des Gesamtvertrages hinsichtlich der von ihnen zu regelnden Vertragsinhalte an eine derartige Verordnung gebunden. Da §11 Abs1 der als Verordnung zu qualifizierenden Einheitlichen Grundsätze über die EDV-Abrechnung der Vertragsärzte für Behandlungen ab 1.1.2003 zwingend die Anführung des Behandlungsdatum[s] vorschreibt und im Absatz 4 im Rahmen einer Übergangsbestimmung eine Ausnahme hievon nur für über Dienstleister abrechnende Vertragsärzte vorsieht, sind die Antragsteller zur Belegung des Datenfeldes 'Behandlungsdatum' verpflichtet.
Inwieweit der Inhalt der Einheitlichen Grundsätze gemäß §[340a] ASVG über die EDV-Abrechnung der Vertragsärzte dem Gesamtvertrag widerspricht und allfällige verfassungsrechtliche Bedenken bestehen, war von der Landesberufungskommission nicht zu prüfen ..."
Gegen diesen - keinem weiteren Rechtszug unterliegenden (vgl. §345 Abs3 iVm §346 Abs7 ASVG) - Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde; darin behaupten die Beschwerdeführer, in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen in ihren Rechten verletzt zu sein, und beantragen die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, ohne eine Gegenschrift zu erstatten. Die beteiligte Niederösterreichische Gebietskrankenkasse erstattete eine schriftliche Äußerung; darin verteidigt sie den angefochtenen Bescheid und beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
2. Bei Behandlung der vorliegenden Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §340a zweiter Satz ASVG sowie ob der Gesetzmäßigkeit der "Einheitlichen Grundsätze" sowie der diese konkretisierenden Organisationsbeschreibung "DVP, Version 2.0.1" entstanden; er hat daher am 13. Oktober 2005 beschlossen, diese Vorschriften von Amts wegen einem Normenprüfungsverfahren zu unterziehen.
Mit Erkenntnis vom 19. Juni 2006, G145/05, V106, 107/05, hat der Verfassungsgerichtshof die Wortfolge "vom Hauptverband" in §340a zweiter Satz ASVG als verfassungswidrig sowie die "Einheitlichen Grundsätze" und die Organisationsbeschreibung "DVP, Version 2.0.1", als gesetzwidrig aufgehoben.
3. Die belangte Behörde hat somit eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung sowie gesetzwidrige Verordnungen angewendet, wobei sie den angefochtenen Bescheid darauf gestützt hat. Nach Lage des Falles ist es nicht ausgeschlossen, dass die Anwendung der vom Verfassungsgerichtshof aufgehobenen Rechtsvorschriften für die Rechtsstellung der Beschwerdeführer nachteilig war.
Die Beschwerdeführer wurden also durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung und gesetzwidriger Verordnungen in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg. 10.404/1985).
Der Bescheid war daher aufzuheben.
4. Der Kostenspruch beruht auf §88 VfGG. Der zuerkannte Betrag enthält einen Streitgenossenzuschlag von EUR 270,-- sowie Umsatzsteuer von EUR 414,--. Der Ersatz der entrichteten Eingabengebühr (EUR 180,--) war wegen der bestehenden sachlichen Abgabenfreiheit des Verfahrens (§110 Abs1 Z2 lita ASVG) nicht zuzusprechen (zB VfSlg. 15.897/2000).
5. Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
VfGH / AnlaßfallEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2006:B667.2005Dokumentnummer
JFT_09939379_05B00667_00