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L1 GemeinderechtNorm
B-VG Art15 Abs9Beachte
vgl. Kundmachung LGBl. Nr. 11/1984 am 28. März 1984Leitsatz
Kundmachung des Wr. Magistrats vom 1. Oktober 1973, MA 64-1898/1973, betreffend Aufgrabungen in öffentlichen Verkehrs- und Erholungsflächen; §8 Abs5 enthält eine zivilrechtliche Regelung und ist daher gesetzwidrig im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde als ortspolizeiliche Verordnung erlassen wordenSpruch
§8 Abs5 der Kundmachung des Wr. Magistrats vom 1. Oktober 1973, MA 64-1898/1973, betreffend Aufgrabungen in öffentlichen Verkehrs- und Erholungsflächen, wird als gesetzwidrig aufgehoben.
Die aufgehobene Verordnungsstelle ist auch auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände nicht mehr anzuwenden.
Die Landesregierung von Wien ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im LGBl. verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. 1. Mit Kundmachung des Wr. Magistrats vom 1. Oktober 1973, MA 64-1898/73, betreffend Aufgrabungen in öffentlichen Verkehrs- und Erholungsflächen, verordnete dieser aufgrund der §§76 und 108 der Verfassung der Bundeshauptstadt Wien, LGBl. Nr. 28/1968, mit dem "Verpflichtungen des Bauführers zur Sicherung der Einbauten" überschriebenen §8 in Abs5 wie folgt:
"Der Bauwerber und der Bauführer haften zur ungeteilten Hand für alle Schäden an den Einbauten, die im Aufgrabungsbereich während der Arbeitsdurchführung oder innerhalb von 6 Monaten nach Ablauf der vom Magistrat festgesetzten Ausführungsfrist eintreten, sofern nicht vom Bauwerber oder Bauführer nachgewiesen wird, daß der Schaden durch dritte Personen, für die sie nicht haften, verschuldet wurde oder allein auf Mängel der betreffenden Einbauten zurückführen ist."
Die Verordnung wurde durch Anschlag an der Amtstafel vom 15. Oktober 1973 bis 22. Oktober 1973 und durch Veröffentlichung im Amtsblatt der Stadt Wien Nr. 44 Jahrgang 1978, vom 1. November 1973, kundgemacht.
1.2. Mit Klage der Bundeshauptstadt Wien, vertreten durch die Magistratsdirektion, Zivil- und Strafrechtsangelegenheiten, wider die Firma K-Bau GesmbH, Wien, begehrte erstere von der letzteren die Zahlung von 18244,63 S s. Anhang als Ersatz des Schadens, der am 18. November 1977 an der Wasserabzweigleitung K Nr. 84486 in Wien bei Kabelbauarbeiten der genannten Baugesellschaft entstanden sei.
1.3. Das Bezirksgericht Liesing, das über die Klage zu entscheiden hat, stellte am 1. Oktober 1979 unter der Z 3 C 177/79/6 den Antrag, §8 Abs5 der unter 1.1. angeführten Kundmachung als gesetzwidrig iS des Art139 Abs1 B-VG aufzuheben.
Das Bezirksgericht begründete den Antrag damit, daß die genannte Kundmachung eine generelle Norm einer Verwaltungsbehörde darstelle, die sich nicht ausschließlich an Verwaltungsorgane richte. Daher handle es sich um eine Rechtsverordnung, die jedenfalls der Überprüfung durch den VfGH nach Art139 Abs1 B-VG unterliege. Die gemäß dieser Bestimmung für die Aufhebung erforderliche "Gesetzwidrigkeit" könne auch in einer Verfassungswidrigkeit liegen, die zu überprüfende Verordnung könne auch von einer Gemeindebehörde erlassen worden sein, weil Verordnungen eines Selbstverwaltungskörpers je nach Funktion oder Zuordnung eine solche des Bundes oder Landes darstellten.
Nach Ansicht des Gerichtes sprächen folgende Gründe für die Aufhebung des §8 Abs5 der angeführten Kundmachung gemäß Art139 Abs1 B-VG:
Die Bestimmung regle die Haftung von Bauführern und Bauwerbern bei Aufgrabungen im Bereich der Stadt Wien und stelle damit eine Bestimmung des Zivilrechtswesens dar. Das Zivilrechtswesen aber sei gemäß Art10 Abs1 Z6 B-VG Bundessache in Gesetzgebung und Vollziehung.
Abgesehen von der Frage, in welcher Rechtsform und durch welches Organ eine generelle Norm wie die vorliegende erlassen werden müßte, könne eine Zuständigkeit des Landes zur Regelung der in §8 Abs5 normierten Materie wohl nicht auf Art15 Abs9 B-VG gestützt werden, weil diese Bestimmung nicht in jenem Sinne zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sei, wie dies Art15 Abs9 B-VG und die Rechtsprechung des VfGH forderten.
1.4. Die Wr. Landesregierung und der Magistrat der Stadt Wien führten in ihrer Äußerung aus, die durch die Nov. BGBl. Nr. 416/1975 mit Wirkung vom 1. Jänner 1976 dem ABGB eingefügte Bestimmung des §1319a ABGB greife in das Rechtsverhältnis zwischen den Bauwerbern bzw. den Bauführern und den Rechtsträgern der Straßenverwaltung nicht ein. Die Frage des Innenverhältnisses zwischen dem Träger der Straßenverwaltung und dem Träger der Baulast des Straßenkörpers bzw. seiner Einbauten sei weder durch §1319a ABGB geregelt noch durch das Erk. des VfGH Slg. 4605/1963 beleuchtet worden. Hinsichtlich der Auseinandersetzungen zwischen dem Träger der Straßenverwaltung und dem Straßenerhalter sollten die verschiedenen örtlichen Gegebenheiten belassen und insbesondere nicht einer landesgesetzlichen Regelung oder vertraglichen Regelung des Innenverhältnisses vorgegriffen werden. Zur Frage der Rechtsnatur des bekämpften §8 Abs5 der Kundmachung vom 1. Oktober 1973 sei auf §§76 und 108 der Verfassung der Bundeshauptstadt Wien und auf Art118 Abs3 Z4 und Abs6 B-VG hinzuweisen. Das Fehlen dieser ortspolizeilichen Verordnung bedeute einen das örtliche Gemeinschaftsleben störenden Mißstand, da sowohl die Aufgrabungstätigkeit nicht koordiniert und gesteuert werden könne als auch bei Fehlen einer Bestimmung wie der bekämpften die Gefahr einer Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten im Zuge von Aufgrabungen zu befürchten wäre, was bei zirka 15000 bis 16000 Aufgrabungsbewilligungen pro Jahr, davon zirka 6000 wegen Gebrechen, zu unabsehbaren Folgen und Mißständen führen würde. Durch die akzessorische Regelung der Haftung der betroffenen Rechtsträger im Innenverhältnis in der bekämpften Bestimmung habe der im Art118 Abs6 B-VG genannte Zweck jedenfalls erreicht werden können.
Die Wr. Landesregierung und der Wr. Magistrat würden somit aufgrund dieser Ausführungen nicht erkennen, daß die im Art15 Abs9 B-VG und die durch die Rechtsprechung des VfGH gestellten Anforderungen durch die getroffene Regelung nicht erfüllt seien, oder daß diese Bestimmung gegen bestehende Bundes- oder Landesgesetze verstieße, und stellten den Antrag, "der Beschwerde keine Folge zu geben", also wohl dem Antrag des Bezirksgerichtes Liesing, §8 Abs5 der mehrfach genannten Kundmachung des Magistrates der Stadt Wien vom 1. Oktober 1973 als gesetzwidrig aufzuheben, nicht Folge zu geben.
II. Der VfGH hat erwogen:
1.1. Die Kundmachung des Magistrates der Stadt Wien vom 1. Oktober 1973 ist - entsprechend ihrer Benennung durch den Magistrat - eine Verordnung iS der §§76 und 108 der Verfassung der Bundeshauptstadt Wien. Im Verfahren des VfGH ist nichts hervorgekommen, was gegen die Annahme spräche, daß das antragstellende Gericht in Erledigung der bei ihm anhängigen Klage die Verordnung anzuwenden hätte.
1.2. Die Begründung des Antrages des Gerichtes, wonach die Rechtsform und die Zuständigkeit des Organes, welches die Verordnung erlassen hat, in Zweifel gezogen wird, weist in die Richtung, daß das Gericht hinsichtlich der Zuständigkeit des Magistrates zur Erlassung einer ortspolizeilichen Verordnung mit dem Inhalt des §8 Abs5 der Kundmachung Bedenken geltend macht.
1.3. Gemäß Art118 Abs2 B-VG umfaßt der eigene Wirkungsbereich der Gemeinde alle Angelegenheiten, die im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen und geeignet sind, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden. Die Gesetze haben derartige Angelegenheiten ausdrücklich als solche des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde zu bezeichnen. Soweit die Gemeinde in solchen Angelegenheiten das Recht hat, ortspolizeiliche Verordnungen nach freier Selbstbestimmung zu erlassen, dürfen diese nicht gegen bestehende Gesetze und Verordnungen des Bundes und des Landes verstoßen.
§8 Abs5 der Verordnung vom 1. Oktober 1973 ist unter Berufung auf §§76 und 108 der Verfassung der Bundeshauptstadt Wien, also im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde erlassen worden. Seinem Inhalt nach enthält er jedoch eine zivilrechtliche Regelung, wonach Bauwerber und Bauführer für Schäden an den Einbauten, die im Aufgrabungsbereich während der Arbeitsdurchführung oder innerhalb von 6 Monaten nach Ablauf der vom Magistrat festgesetzen Ausführungsfrist eintreten, zur ungeteilten Hand haften, sofern sie nicht nachweisen, daß der Schaden durch dritte Personen, für die sie nicht haften, verschuldet wurde oder allein auf Mängel der betreffenden Einbauten zurückzuführen ist. Damit bedarf es aber keiner weiteren Ausführungen, daß §8 Abs5 der Verordnung zu Unrecht als ortspolizeiliche Verordnung erlassen wurde.
2. Demnach war §8 Abs5 der Verordnung vom 1. Oktober 1973 gemäß Art139 Abs3 B-VG idF BGBl. Nr. 302/1975 und §59 VerfGG 1953 als gesetzwidrig aufzuheben.
Der Ausspruch, daß die Verordnung nicht mehr anzuwenden ist, daß sich also die Aufhebung auch auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände auswirkt, ist auf den zweiten Halbsatz des Art139 Abs6 zweiter Satz B-VG in der genannten Fassung gestützt.
3. Die Verpflichtung der Landesregierung von Wien zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG in der genannten Fassung und §60 Abs2 VerfGG 1953 idF BGBl. Nr. 311/1976.
Schlagworte
Gemeinderecht, Verordnung ortspolizeiliche, Kompetenz Bund - Länder Zivilrechtswesen, StraßenverwaltungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1983:V49.1979Dokumentnummer
JFT_10168787_79V00049_00