TE Vfgh Beschluss 1984/2/23 B390/81

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Veröffentlicht am 23.02.1984
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Index

32 Steuerrecht
32/01 Finanzverfahren, allgemeines Abgabenrecht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
StGG Art8
FinStrG §93 Abs2
FinStrG §93 Abs6

Leitsatz

B-VG Art144 Abs1; Hausdurchsuchung und Beschlagnahme in Vollziehung eines schriftlichen Hausdurchsuchungsbefehls nach §93 Abs1 FinStrG - keine unmittelbare Anfechtbarkeit als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt; Einvernahme gemäß §93 Abs6 FinStrG, keine Verhaftung iS des Art8 StGG

Spruch

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1.1. J M beantragte mit seiner auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerde an den VfGH der Sache nach die kostenpflichtige Feststellung, er sei nachts zum 4. Juli 1981 dadurch, daß finanzbehördliche Organe in seiner Wohnung in Wien, P-Gasse, eine Hausdurchsuchung vornahmen und dabei Geschäftspapiere und Buchhaltungsunterlagen beschlagnahmten sowie ihn am 4. Juli 1981,

1.30 Uhr, festnahmen und bis 8.45 Uhr dieses Tages in Haft behielten, demnach durch Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, und zwar insbesondere im Recht auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG), im Recht auf persönliche Freiheit (Art8 StGG iVm. Art5 MRK), im Recht auf Unverletzlichkeit des Hausrechts (Art9 StGG) und im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) verletzt worden.

1.2. Das Finanzamt für Körperschaften als bel. Beh. erstattete - unter Vorlage der Administrativakten - eine Gegenschrift und begehrte darin die Abweisung der Beschwerde.

2. Über die Beschwerde wurde erwogen:

2.1.1.1. Unter Berufung auf §93 Abs1 FinStrG erließ das Finanzamt für Körperschaften in Wien als Finanzstrafbehörde erster Instanz am 3. Juli 1981 zur Z 70/81 einen schriftlichen (Hausdurchsuchungs-)Befehl gegen J M in Wien, P-Gasse, zur Vornahme einer Hausdurchsuchung "in der Wohnung und sonstigen zum Hauswesen gehörigen Räumlichkeiten sowie in den Wirtschafts-, Gewerbe- und Betriebsräumen des J M in Wien, P-Gasse".

2.1.1.2. Begründend wurde ausgeführt:

"Aufgrund der Tatsache, daß J M gemeinsam mit E J beim Schmuggel von Silbergegenständen auf frischer Tat ertappt wurde, besteht der begründete Verdacht, daß das Schmuggelgut im Unternehmen des J M, Firma J GesmbH Verwendung finden sollte. Da Schmuggelware in der Buchhaltung üblicherweise keinen Niederschlag findet, besteht der begründete Verdacht von Hinterziehung von Umsatzsteuer seit Bestehen des Unternehmens (1975).

Zur Feststellung der Tatsachen sowie des Umfanges und der Höhe der Abgabenverkürzung ist das Vorliegen sämtlicher Aufschreibungen über den Geschäftsbetrieb sowie die private Vermögensgebarung der Gesellschafter und Geschäftsführer der Firma J GesmbH sowie aller an dem Schmuggel beteiligten Personen erforderlich.

Da nach der Sachlage mit einer freiwilligen Herausgabe sämtlicher Unterlagen und Gegenstände obgenannter Art, die als Beweismittel in einem Finanzstrafverfahren in Betracht kommen, nicht gerechnet werden kann und diese auf andere Weise der Behörde nicht zur Verfügung gestellt würden, ist die Anordnung einer Hausdurchsuchung erforderlich."

2.1.2. Die solcherart angeordnete Hausdurchsuchung wurde vom Finanzamt für Körperschaften - durch dieser Behörde zugeordnete Organe des Finanzamtes für den I. Bezirk in Wien - nachts zum 4. Juli 1981 an Ort und Stelle durchgeführt.

Im Zuge dieser Amtshandlung kam es zur Beschlagnahme von Geschäftspapieren und Buchhaltungsunterlagen aus dem Besitz des Bf.

2.1.3.1. Gemäß Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF der Nov. BGBl. 302/1975 erkennt der VfGH über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person. Darunter fallen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten der B-VG-Nov. 1975, BGBl. 302, nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH als sogenannte faktische Amtshandlungen (mit individuell-normativem Inhalt) bekämpfbar waren, wie dies für Hausdurchsuchungen in verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren zutrifft, die nicht aufgrund eines - sie anordnenden - verwaltungsbehördlichen Bescheides stattfanden (vgl. VfGH 25. Feber 1983 B174/82, B439/82).

2.1.3.2.1. Der VfGH sprach bereits wiederholt aus - und hält an dieser Rechtsauffassung fest -, daß ein schriftlicher Hausdurchsuchungsbefehl nach §93 Abs1 FinStrG - weil die Rechtslage des Betroffenen der Finanzbehörde gegenüber bindend gestaltend - als solcher Bescheid anzusehen ist (zB VfSlg. 7067/1973, 9346/1982; VfGH 25. Feber 1983 B439/82).

Der hier bekämpfte, zu Punkt 2.1.2. umschriebene Verwaltungsakt vom 4. Juli 1981 unterläge nur dann einer selbständigen Anfechtung vor dem VfGH, wenn er nicht durch einen bescheidmäßig verfügten Hausdurchsuchungsbefehl gedeckt gewesen wäre.

Dabei geht das Gesetz von der Auffassung aus, daß der Hausdurchsuchungsbefehl einen Beschlagnahmebefehl impliziert, weil es ja geradezu Zweck der Hausdurchsuchung ist, jene Gegenstände aufzufinden, die für die Untersuchung als Beweismittel von Bedeutung sind (§93 Abs2 FinStrG), um die Möglichkeit ihrer Verwendung im Strafverfahren zu sichern (VfSlg. 2990/1956, 7067/1973).

2.1.3.2.2. Diese Rechtsansicht entspricht der ständigen Judikatur des VfGH über die Unzulässigkeit einer Beschwerde nach Art144 Abs1 B-VG gegen jene Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmen, die von Verwaltungsbehörden (oder ihren Hilfsorganen) aufgrund eines richterlichen Befehls durchgeführt werden (vgl. zB VfSlg. 5012/1965, 6815/1972, 6829/1972, 7203/1973, 8248/1978, 9269/1981). Sie steht aber auch im Einklang mit der in zahlreichen Erk. vertretenen Rechtsanschauung des VfGH, daß eine mit verwaltungsbehördlichem Bescheid verfügte Beschlagnahme nicht unmittelbar Gegenstand einer Beschwerdeführung nach Art144 Abs1 B-VG sein kann (s. zB VfSlg. 2450/1952, 3848/1960, 4947/1965, 5720/1968 und 9099/1981). Die im Erk. VfSlg. 3592/1959 und, ihm folgend, auch im Erk. VfSlg. 7067/1973 zum Ausdruck kommende abweichende Meinung, die Erlassung und der Vollzug eines Hausdurchsuchungsbefehls nach §93 Abs1 FinStrG bildeten keinen einheitlichen normativen Akt, hielt der VfGH - soweit der Inhalt der Vollzugsmaßnahmen bereits durch den bescheidmäßigen Befehl bindend bestimmt ist - schon im Beschluß vom 3. März 1982, B357/81, - angesichts seiner eingangs zitierten Rechtsprechung - nicht länger aufrecht (s. früher auch VfSlg. 2019/1950).

2.1.3.3. Daß die bekämpfte Durchsuchung jedoch über die Durchsuchungsanordnung des (bescheidmäßigen) Hausdurchsuchungsbefehls vom 3. Juli 1981 - dessen Gesetzmäßigkeit in diesem verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren ebensowenig nachzuprüfen ist wie die Rechtmäßigkeit der dem besagten Befehl entsprechenden Vollzugsschritte im einzelnen, so beispielsweise etwa der zeitgerechten Überreichung des schriftlichen Befehls während der Amtshandlung (s. ua. VfSlg. 9269/1981, 9388/1982) - exzessiv hinausgegangen sei (s. VfSlg. 9346/1982), geht aus den (Finanzstraf-)Akten nicht hervor. Der Bf. selbst bestreitet zwar die materielle Richtigkeit der dem Hausdurchsuchungsbefehl beigefügten schriftlichen Begründung (s. schon Punkt 2.1.1.2.), läßt dabei aber außer acht, daß dieser Befehl, wie in den Gründen ausdrücklich festgehalten, auf Beschlagnahme nicht nur der Geschäftspapiere, sondern auch sämtlicher Unterlagen über die "private Vermögensgebarung" (des Verdächtigen) gerichtet war: Eine darüber hinausgreifende Beschlagnahme fand aber - ganz offenkundig - überhaupt nicht statt (s. die von den einschreitenden Beamten aufgenommene Niederschrift vom 4. Juli 1981, erliegend im Administrativakt).

2.1.3.4.1. Demgemäß erweist sich, daß das in Beschwerde gezogene Verwaltungshandeln vom 4. Juli 1981, das seine rechtliche Grundlage zur Gänze in dem vom Finanzamt für Körperschaften in Wien am 3. Juli 1981 gemäß §93 Abs1 FinStrG - (bescheidmäßig) gegen den namentlich bezeichneten Bf. - erlassenen Hausdurchsuchungsbefehl hatte, iS der unter 2.1.3.1. vertretenen Rechtsmeinung beim VfGH nicht unmittelbar anfechtbar ist. Die auf Art144 Abs1 B-VG gegründete Beschwerde gegen die Hausdurchsuchung und Beschlagnahme mußte deshalb - bereits aus dieser Erwägung - als unzulässig zurückgewiesen werden, ohne daß auf das Beschwerdevorbringen zur Sache selbst eingegangen zu werden brauchte.

2.1.3.4.2. Dieses Ergebnis bliebe unverändert, wollte man die Beschwerde - ihrem ausdrücklichen Wortlaut zuwider - als gegen den Bescheid (den "Hausdurchsuchungsbefehl") vom 3. Juli 1981 gerichtet werten: Denn dieser Bescheid unterliegt, weil nicht ein Rechtsmittel gesetzlich für unzulässig erklärt wurde, der Anfechtung mit Beschwerde gemäß §152 Abs1 FinStrG (VfSlg. 7067/1973). Da nach Art144 Abs1 letzter Satz B-VG (§82 Abs1 VerfGG 1953) Beschwerde an den VfGH erst nach Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges erhoben werden kann, wäre im gedachten Fall - angesichts der gegen den Hausdurchsuchungsbefehl offen gestandenen Administrativbeschwerde gemäß §152 Abs1 FinStrG - nämlich gleichermaßen ein Prozeßhindernis, und zwar der Unzuständigkeitsgrund der Nichterschöpfung des Instanzenzuges, zu bejahen (s. VfGH 25. 2. 1983 B174/82, B439/82).

2.2.1. Die (weitere) Behauptung des Bf., er sei von finanzbehördlichen Organen am 4. Juli 1981, 1.30 Uhr, festgenommen und bis 8.45 Uhr desselben Tages in Haft gehalten worden, trifft nach den Ergebnissen des abgeführten Beweisverfahrens nicht zu.

2.2.2. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, daß das im vorliegenden verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren gerügte (dem Finanzamt für Körperschaften in Wien zuzurechnende) Verwaltungsgeschehen erst dann einsetzte, als eine vorangegangene Amtshandlung im Auftrag des Zollamtes Feldkirch - mit der Entlassung des Bf. aus der (von dieser Behörde verfügten) Haft (am 4. Juli 1981, 1.30 Uhr) - ihren Abschluß gefunden hatte. Nach dieser Haftentlassung kam es zu der dem Finanzamt für Körperschaften in Wien zuzurechnenden Hausdurchsuchung und (noch an Ort und Stelle) ersichtlich in Gemäßheit des §93 Abs6 FinStrG - ohne Anwendung behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt iS der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung (VfSlg. 7829/1976, 8145/1977, 8359/1978; VfGH 22. September 1983 B82/82) - zu einer ausführlichen Einvernahme des Bf., die nach dem Inhalt des entsprechenden Protokolls von 3.45 Uhr bis 8.41 Uhr dauerte; eine neuerliche "Verhaftung" des Bf. (nach 1.30 Uhr des 4. Juli 1981) wurde (auch) dem Beschwerdevorbringen zuwider nicht verfügt.

2.2.3. Daraus folgt, daß es im dargelegten Umfang an einem tauglichen Beschwerdegegenstand fehlt, weshalb auch dieser Teil der Beschwerde - als unzulässig - zurückgewiesen werden mußte (vgl. VfSlg. 8879/1980).

Im übrigen könnte die mit einer Vernehmung einhergehende Ortsanwesenheit des Vernommenen einer Verhaftung selbst dann nicht gleichgehalten werden, wenn sie auf einem Akt behördlicher Befehlsgewalt beruhte: Wie der VfGH bereits wiederholt aussprach, setzt eine Verhaftung iS des Art8 StGG nämlich voraus, daß der Wille der Behörde primär auf eine solche Freiheitsbeschränkung gerichtet ist; es genügt nicht, wenn eine andere Maßnahme den Betroffenen dazu nötigt, längere Zeit bei der Behörde zu verweilen, die Beschränkung der Freiheit also eine sekundäre Folge der Anwesenheitspflicht bildet (VfSlg. 5280/1966, 5860/1968, 5963/1969, 6102/1969, 8879/1980).

Schlagworte

Finanzstrafrecht, Hausdurchsuchung, Beschlagnahme, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:B390.1981

Dokumentnummer

JFT_10159777_81B00390_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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