Index
10 VerfassungsrechtLeitsatz
B-VG Art144 Abs1; Aufforderung eines Gendarmeriebeamten, den Standort zu verlassen; hier keine Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und ZwangsgewaltSpruch
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH wird abgewiesen.
Begründung
Begründung:
1.1. Dr. P Sch begehrt in seiner unter Berufung auf Art144 (Abs1) B-VG an den VfGH gerichteten Beschwerde die kostenpflichtige Feststellung, daß er durch eine (der Bezirkshauptmannschaft Bruck a. d. Leitha als bel. Beh. zuzurechnende) Amtshandlung eines Gendarmeriebeamten, nämlich eine ihm am 8. August 1982 nächst dem Flugplatz S H, Bezirk Bruck a. d. Leitha, unter Androhung der Festnahme erteilte Weisung, seinen Standort zu verlassen, demnach durch einen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, und zwar insbesondere im Recht auf Freizügigkeit der Person (Art4 StGG iVm. Art2 des 4. ZP zur MRK), verletzt worden sei; hilfsweise wurde die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt.
1.2. Die Bezirkshauptmannschaft Bruck a. d. Leitha als bel. Beh. erstattete - unter Vorlage der Administrativakten - eine Gegenschrift, bestritt darin das Vorliegen eines nach Art144 Abs1 B-VG anfechtbaren Verwaltungsaktes und beantragte der Sache nach die Zurückweisung der Beschwerde.
2. Über die Beschwerde wurde erwogen:
2.1. Beweis wurde erhoben insbesondere durch zeugenschaftliche Vernehmung des (Gendarmerie-)Inspektors O R, Einsichtnahme in die Verwaltungsakten und Einvernahme des Bf. als Partei.
Aufgrund dieser Beweismittel stellt der VfGH folgenden Sachverhalt als erwiesen fest:
2.1.1. Am 8. August 1982 fand im Bereich des Flugfeldes S eine Flugveranstaltung statt. Um die Mittagszeit sagte der dort Dienst versehende Gendarmeriebeamte O R - ruhig und höflich - zu mehreren Personen, darunter auch zum Bf., sie mögen ihren Standort - auf einer die Straßenfahrbahn begrenzenden Grünfläche nächst dem Flughafengelände - weiter nach Osten verlegen oder sich in den Zuschauerraum begeben, weil sie durch vorbeifahrende Kraftfahrzeuge in ihrer körperlichen Sicherheit gefährdet seien. Als der Bf. sinngemäß nach der Rechtsgrundlage dieses Ansinnens fragte, erläuterte ihm der einschreitende Beamte in einem mindestens fünf Minuten dauernden Gespräch - unter Hinweis auf den Auto- und Flugzeugverkehr - sehr eingehend die nach seinem Dafürhalten gegebene besondere Gefährlichkeit des gewählten Aufenthaltsplatzes. Letztlich entfernte sich der Bf., nachdem ihm der Gendarmeriebeamte aufforderungsgemäß eine Visitenkarte überreicht hatte.
2.1.2. Diese Sachverhaltsfeststellungen gründen sich in erster Linie auf die glaubwürdige und unbedenkliche Aussage des Zeugen O R, an deren Richtigkeit in den hier maßgeblichen Punkten der VfGH nach Lage des Falles nicht zweifelt. Nach dieser Aussage kam es aber weder zu einer Abmahnung noch zur (förmlichen) Androhung der ungesäumten Festnehmung des Bf.: Wenn der Zeuge O R im Verlauf des längeren Gesprächs auch - dem Sinn nach - meinte, daß die Möglichkeit einer Abmahnung und Festnahme bestehe, man möge ihn nicht zu einer im beiderseitigen Interesse unerwünschten Festnahme zwingen, so handelte es sich dabei um eine unverbindliche theoretisch-belehrende Erwähnung rechtlicher Schritte, die nach Meinung des Gendarmeriebeamten zwar unter gewissen Voraussetzungen erwogen werden könnten, aber im konkreten Fall tatsächlich gar nicht ernstlich und unmittelbar in Betracht gezogen wurden. Dementsprechend brachte der Zeuge R (auch) vor, er hätte sich - wäre der Bf. trotz der erkennbaren Gefahrenlage an Ort und Stelle verblieben - wahrscheinlich (nur) an einen Vorgesetzten gewendet. Soweit der als Partei vernommene Bf. - der seinen Beobachtungsplatz nicht aus besserer Einsicht, sondern unter dem Druck der bekämpften Amtshandlung verlassen haben will - die Äußerungen des Gendarmeriebeamten subjektiv anders gewichtete und auffaßte, unterlag er offenbar einer Fehleinschätzung der damaligen Situation.
2.2.1. Gemäß Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF der Nov. BGBl. 302/1975 erkennt der VfGH über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person. Darunter fallen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten der B-VG-Nov. 1975, BGBl. 302, nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH als sogenannte faktische Amtshandlungen (mit individuell-normativem Inhalt) bekämpfbar waren, wie dies auf sicherheitsbehördliche Befehle zutrifft, die durch die Androhung unmittelbar folgenden physischen Zwangs sanktioniert sind (VfSlg. 7829/1976, 8145/1977, 8146/1977, 8231/1977, 8289/1978, 8359/1978, 8688/1979, 8689/1979, 9457/1982, 9494/1982, 9614/1983, 9770/1983).
2.2.2.1. Unverzichtbares Inhaltsmerkmal eines verfahrensfreien Verwaltungsaktes in der Erscheinungsform eines - alle Voraussetzungen des Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF BGBl. 302/1975 erfüllenden - "Befehls", dh. der "Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehlsgewalt", bildet also der Umstand, daß dem Befehlsadressaten eine bei Nichtbefolgung unverzüglich einsetzende physische Sanktion angedroht wird.
2.2.2.2. Davon kann hier - angesichts des einleitend festgestellten Sachverhalts - nicht die Rede sein. Die mit der vorliegenden Beschwerde bekämpfte Aufforderung des Gendarmeriebeamten stellt sich vielmehr unter voller Berücksichtigung aller Begleitumstände nur als "Einladung" dar, die der Bf. nach eigenem Gutdünken durchaus auch unerfüllt lassen konnte, ohne dabei Gefahr zu laufen, daß er deshalb unverzüglich ("unmittelbar") - das ist jedenfalls ohne Dazwischentreten weiterer Verwaltungsakte (so etwa der konkreten formalen Androhung der sofortigen Festnahme, wenn der erteilte Befehl unbefolgt bliebe) - physischem (Polizei-)Zwang unterworfen werde, um den gewünschten Zustand herzustellen.
Eine derartige, den Charakter eines schlichten "Ansinnens" tragende formlose Enuntiation entbehrt jedoch nach der ständigen Judikatur des VfGH (s. die bereits zu Punkt 2.2.1. zitierten Entscheidungen) des individuell-normativen Inhalts, wie ihn die Bestimmung des Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF der Nov. BGBl. 302/1975 zwingend verlangt.
2.2.3. Da es allein schon aus diesem Grund an einem tauglichen Beschwerdegegenstand fehlt, war die Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen.
2.3. Der Eventualantrag des Bf. auf Beschwerdeabtretung an den VwGH war abzuweisen, weil eine solche Abtretung nur für den - hier nicht gegebenen - Fall einer ablehnenden Sachentscheidung des VfGH vorgesehen ist, nicht hingegen auch bei Zurückweisung einer unzulässigen Beschwerde (vgl. zB VfSlg. 9771/1983)
Schlagworte
Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, VfGH / AbtretungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1984:B463.1982Dokumentnummer
JFT_10159776_82B00463_00