Index
10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art83 Abs2Beachte
ebenbso B316/83 vom selben TagLeitsatz
Nationalratswahlordnung 1971; Sachentscheidung über eine verspätet eingebrachte Berufung gegen eine Einspruchsentscheidung über die begehrte Streichung aus dem Wählerverzeichnis; Entzug des gesetzlichen RichtersSpruch
Der Bescheid wird aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1.1. Am 25. März 1983 begehrte W St mit fristgerechtem Einspruch beim Gemeindeamt Großstübing, politischer Bezirk Graz-Umgebung, die Streichung des Dr. K G aus dem dort aufliegenden Wählerverzeichnis für die Nationalratswahl vom 24. April 1983 gemäß §31 iVm. §28 Abs2 NRWO 1971.
1.1.2. Die Gemeindewahlbehörde Großstübing wies diesen Einspruch mit Entscheidung vom 30. März 1983 gemäß §33 NRWO 1971 ab. Die Einspruchsentscheidung wurde dem Einspruchswerber W St am 1. April 1983 zugestellt.
1.2.1. W St brachte gegen die Entscheidung der Gemeindewahlbehörde das Rechtsmittel der Berufung ein; die Rechtsmittelschrift wurde am 5. April 1983, 15 Uhr, beim Gemeindeamt Großstübing überreicht.
1.2.2.1. Die Bezirkswahlbehörde Graz-Umgebung gab dieser Berufung mit Bescheid vom 13. April 1983, Z 7.1 N 3/1983, Folge und ordnete die Streichung des Dr. K G aus dem Wählerverzeichnis der Gemeinde Großstübing an.
1.2.2.2. Begründend wurde ua. ausgeführt:
"... Die Bezirkswahlbehörde hat in der Sitzung am 12. April 1983 mit einem Stimmenverhältnis von 5:4 entschieden, der Berufung des W St stattzugeben und Dr. K G aus dem Wählerverzeichnis der Gemeinde Großstübing zu streichen.
Begründet wurde diese Entscheidung, daß der ordentliche Wohnsitz dort begründet sei, wo sich der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen befinde. Bei Dr. K G sei dies eindeutig Eisenstadt, während Großstübing nur als Zweitwohnsitz angesehen werden kann.
Nur zwei Mitglieder der Bezirkswahlbehörde wiesen auf die verspätete Vorlage der Berufung hin."
1.3. Gegen diesen Berunfungsbescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde des Dr. K G an den VfGH, in der insbesondere die Verletzung des durch Art26 B-VG gewährleisteten Rechts auf Teinahme an der Nationalratswahl behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.
2. Über die Beschwerde wurde erwogen:
2.1. Der administrative Instanzenzug ist erschöpft (§35 Abs2 letzter Satz NRWO 1971).
Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, ist die Beschwerde zulässig.
2.2.1. Der Bf. macht zunächst - der Sache nach aus dem Blickwinkel des Grundrechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nach Art83 Abs2 B-VG - geltend, daß die Berufung des W St gegen die Entscheidung der Gemeindewahlbehörde verspätet eingebracht worden sei; die Bezirkswahlbehörde hätte dieses Rechtsmitel als unzulässig zurückweisen müssen, eine meritorische Erledigung durch Streichung des Bf. aus dem Wählerverzeichnis sei ihr angesichts der gegebenen Prozeßrechtslage verwehrt gewesen.
2.2.2. §35 Abs1 Satz 1 NRWO 1971 (über die Anfechtbarkeit der Entscheidungen der Gemeindewahlbehörde) lautet:
"Gegen die Entscheidung gemäß §33 Abs1 können der Einspruchswerber sowie der von der Entscheidung Betroffene binnen zwei Tagen nach Zustellung der Entscheidung schriftlich oder telegrafisch die Berufung bei der Gemeinde einbringen."
2.2.3.1. Da der Einspruchswerber die abweisliche Einspruchsentscheidung der Gemeidewahlbehörde am Karfreitag, dem 1. April 1983, persönlich zugestellt erhielt (s. Punkt 1.1.2.), endete die mit diesem nicht mitzurechnenden Tag (§32 Abs1 AVG 1950 in sinngemäßer Anwendung) beginnende zweitägige Berufungsfrist am Ostersonntag, dem 3. April 1983 (s. §118 Abs1 NRWO 1971). Die am 5. April 1983 beim Gemeindeamt abgegebene Berufung war daher verspätet.
2.2.3.2. Wenn der Berufungswerber als Beteiligter des verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens vorbringt, es sei ihm eine fristgerechte Einbringung der Berufung wegen Geschlossenhaltens des Gemeideamtes am Karsamstag, Ostersonntag und Ostermontag (2., 3. und 4. April 1983) nicht möglich gewesen, so ist folgendes zu entgegenen:
Nach §118 Abs1 NRWO 1971 haben die mit dem Wahlverfahren befaßten Behörden, wenn das Ende einer Frist auf einen Samstag, auf einen Sonntag oder einen anderen öffentlichen Ruhetag fällt, entsprechend vorzusorgen, daß ihnen die befristeten Handlungen auch an diesen Tagen zur Kenntnis gelangen können. Aus der Zuschrift des Bürgermeisters der Gemeinde Großstübing an den VfGH vom 6. Oktober 1983 ergibt sich, daß das Gemeindeamt sowohl am 2. und 3. als auch 4. April 1983 jeweils von 17 bis 18 Uhr geöffnet war. Außerdem bestand die von der Bevölkerung ortsüblicherweise genützte Möglichkeit der Aushändigung der Rechtsmittelschrift an die Gemeindesekretärin, die nur etwa 40 m vom Gemeindeamt entfernt wohnt. Schließlich hätte die Berufungsschrift unter Inanspruchnahme der Posteinwurföffnung des Gemeindeamtes abgegeben werden können. Der Bürgermeister sichtete die eingeworfene Post am 2., 3. und 4. April 1983 abends, um sie der Wahlbehörde zeitgerecht zuzuleiten. Unter diesen Umständen liegt auf der Hand, daß hier am 2. und 3 April 1983, in voller Berücksichtigung der obwaltenden lokalen Verhältnisse - es handelt sich um eine Kleinstgemeinde mit 385 Einwohnern (s. Österreichischer Amtskalender 1983/84) -, entsprechend, dh. genügend vorgesorgt war, um der Wahlbehörde befristete (Rechts-)Handlungen auch an diesen beiden Tagen "zur Kenntnis gelangen" zu lassen (§118 Abs1 letzter Satz NRWO 1971). Ein Offenhalten des Gemeindeamtes während der Osterfeiertage in dem an Wochentagen üblichen Ausmaß - wie es dem Berufungswerber vorzuschweben scheint - schreibt §118 Abs1 NRWO 1971 keineswegs vor.
Aus all dem folgt, daß die nach Ablauf der Berufungsfrist überreichte Berufung des W St - von der Berufungsinstanz - als verspätet zurückzuweisen gewesen wäre.
2.2.4.1. Die Bezirkswahlbehörde Graz-Umgebung war - da die Einspruchsentscheidung der Gemeindewahlbehörde bereits Rechtskraft erlangt hatte - zur meritorischen Erledigung und damit zur Stattgebung der Berufung iS einer Streichung des Bf. dieses verfassungsgerichtlichen Verfahrens aus dem Wählerverzeichnis nicht befugt. Sie hätte vielmehr die Berufung als verspätet zurückweisen müssen. Dadurch, daß sie dennoch der Berufung Folge gab, wurde der Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nach Art83 Abs2 B-VG verletzt (s. VfSlg. 5856/1968 ua.).
2.2.4.2. Der angefochtene Bescheid war darum schon deshalb als verfassungswidrig aufzuheben, ohne daß es eines Eingehens auf das weitere Beschwerdevorbringen bedurfte.
Schlagworte
VfGH / Instanzenzugserschöpfung, Verwaltungsverfahren, Berufung, Fristen (Berufung), Wahlen, Wahlrecht aktives, WählerevidenzEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1984:B315.1983Dokumentnummer
JFT_10159773_83B00315_00