TE Vfgh Erkenntnis 1984/2/28 B408/82, B121/83, B260/83, B272/83, B290/83

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Veröffentlicht am 28.02.1984
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung
62/01 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
ArbVG §1
ArbVG §36 Abs2 Z1
IESG §1 Abs5 Z2 und Z3 idF BGBl 580/1980
IESG §3 Abs4
IESG §12 Abs1 Z5 idF BGBl 580/1980

Leitsatz

Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz; keine Bedenken gegen §1 Abs5 Z2 und 3 im Hinblick auf den Gleichheitssatz; keine Verletzung im Gleichheitsrecht durch die Anwendung dieser Ausnahmebestimmung auf ehemalige Mitglieder vertretungsbefugter Organe

Spruch

Die Beschwerden werden abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Nach §1 Abs2 Insolvenz-EntgeltsicherungsG, BGBl. 324/1977 idF BGBl. 580/1980 (im folgenden: IESG), haben Arbeitnehmer, ehemalige Arbeitnehmer und ihre Hinterbliebenen sowie deren Rechtsnachfolger von Todes wegen ua. im Falle des Konkurses oder Ausgleichs des Arbeitgebers Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis. Keinen solchen Anspruch haben ua. die Mitglieder des Organs einer juristischen Person, das zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen ist (Abs5 Z2) und Gesellschafter, die einen beherrschenden Einfluß auf die Gesellschaft haben (Abs5 Z3).

2. Die Bf. zu B408/82 und B121/83 waren Geschäftsführer von GesmbH, über deren Vermögen der Konkurs eröffnet wurde (der Bf. zu B408/82 war außerdem an dieser Gesellschaft mit 20 vH beteiligt), die Bf. zu B260/83, B272/83 und B290/83 ehemalige Angestellte und in den letzten Jahren ihrer Tätigkeit Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft, über deren Vermögen das Ausgleichsverfahren eröffnet wurde (sie beziehen vom Arbeitgeber eine Pension). Ihre Anträge auf Gewährung von Insolvenz-Ausfallgeld wurden mit den im Instanzenzug ergangenen Bescheiden der Landesarbeitsämter abgewiesen.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden, in denen die Verletzung des Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz insbesondere wegen Anwendung einer gleichheitswidrigen Norm gerügt wird.

II. Die Beschwerden sind nicht begründet.

1. Die Bf. erblicken eine Gleichheitswidrigkeit der Z2 des §1 Abs5 IESG idF der Nov. 1980 in erster Linie darin, daß alle Organmitglieder ohne Rücksicht auf ihre faktische Einflußmöglichkeit aus dem Kreis der Anspruchsberechtigten ausgeschlossen seien. Anders als im Arbeitsverfassungsrecht, auf dessen §36 die Materialien zur IESG-Nov. 1980 Bezug nehmen, stehe das Organmitglied hier nicht als Vertreter des Arbeitgebers den Arbeitnehmern gegenüber, sondern sei in der gleichen Lage wie diese. Die Insolvenz müsse auch nicht durch das Organmitglied herbeigeführt worden sein.

Der VfGH hat jedoch unter diesem Gesichtspunkt keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der eingangs genannten Vorschriften.

In den EB der RV zur Nov. zum IESG (446 BlgNR, 15. GP, 5) wird die Gesetzesänderung so motiviert:

"Die Herausnahme der unter Z2 und 3 angeführten Personen aus dem Geltungsbereich des Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetzes beruht auf dem Umstand, daß sich der Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes auf Arbeitnehmer erstreckt, die unter Z2 genannten Personen jedoch gemäß §36 Abs2 Z1 des Arbeitsverfassungsgesetzes nicht als Arbeitnehmer gelten. Das gleiche gilt aufgrund des Erk. des VwGH vom 14. Dezember 1979, Z 2920/78/6 für die unter Z3 angeführten Personen. In diesem Erk. wurde ua. ausgeführt: 'Ein solcher beherrschender Einfluß auf die Gesellschaft ist dann anzunehmen, wenn der Gesellschafter aufgrund seiner Anteile am Stammkapital eine Beschlußfassung der Generalversammlung verhindern kann'."

Dieser Hinweis ist gewiß unzureichend. §36 Abs2 Z1 ArbVG bestimmt nur, daß Mitglieder vertretungsbefugter Organe einer juristischen Person nicht als Arbeitnehmer iS des II. Teiles dieses Gesetzes, also des Betriebsverfassungsrechtes anzusehen sind, obwohl hier von vornherein ein weiterer, alle "im Rahmen eines Betriebes beschäftigten Personen" umfassender Arbeitnehmerbegriff maßgeblich ist. Ob sie von den Vorschriften des I. Teiles über die kollektive Rechtsgestaltung gleichfalls nicht betroffen werden, ist zumindest zweifelhaft. Wenn §1 ArbVG schlechthin von Arbeitsverhältnissen spricht, liegt jedenfalls die Annahme nahe, daß damit alle Arbeitnehmer iS des Arbeitsvertragsrechtes erfaßt sind. Arbeitsvertragsrechtlich steht zwar die Arbeitnehmereigenschaft von Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführern von GesmbH nicht außer Streit (die neuere Rechtsprechung verneint sie jedenfalls bei Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft, vgl. OGH Arb. 9371 und VwGH DRdA 1982/18); es kann allerdings davon ausgegangen werden - und die gegenwärtige Fassung des §1 IESG belegt das auch -, daß es Mitglieder vertretungsbefugter Organe juristischer Personen gibt, die Arbeitnehmer sind, sodaß für sie auch die Vorschriften über kollektive Rechtsgestaltung gelten (während Gesellschafter mit beherrschendem Einfluß auf die Gesellschaft wohl nach keiner Variante Arbeitnehmer sind, vgl. Strasser im ArbVG-Handkommentar 217 iVm. 8). Dazu kommt - wie die Bf. richtig bemerken -, daß für die Zuordnung im Betriebsverfassungsrecht besondere Maßstäbe gelten, weil dieses Rechtsgebiet auf dem Interessengegensatz von Management und Belegschaft aufbaut und daher auf die soziologische Zugehörigkeit der einzelnen Beschäftigtengruppen Bedacht zu nehmen hat. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der betriebsverfassungsrechtlichen Zuordnung und der sonstigen arbeitsrechtlichen Behandlung, insbesondere der Entgeltsicherung in der Insolvenz des Arbeitgebers, besteht nicht.

Gleichwohl kann aber der Ausschluß von Mitgliedern vertretungsbefugter Organe juristischer Personen aus dem Kreis der in der Insolvenz des Arbeitgebers gesicherten Personen gerechtfertigt werden. Nach den Erfahrungen des täglichen Lebens können sie nämlich auf die wirtschaftliche Lage des Unternehmens typischerweise verstärkt und unmittelbar Einfluß nehmen und sich auch rechtzeitig persönlich einen umfassenden Einblick in die maßgeblichen Verhältnisse verschaffen. Gerade in bezug auf die Insolvenz des Unternehmens ist daher die Lage der Mitglieder vertretungsbefugter Organe einer juristischen Person in wesentlichen Punkten eine andere als die der übrigen Arbeitnehmer. Wenn der Gesetzgeber die im Einzelfall sehr schwierig zu beantwortende Frage nach dem konkreten Ausmaß dieser Möglichkeiten nicht stellt, sondern diese Personengruppe pauschal aus dem Anwendungsbereich des IESG ausschließt, so mag es dabei zu Härtefällen kommen; unsachlich wird die Regelung dadurch aber nicht.

Wie der in Rede stehende Personenkreis in anderem arbeits- oder sozialversicherungsrechtlichen Zusammenhang behandelt wird, ist für dieses Ergebnis gleichgültig.

Der Vorwurf einer Beschwerde, der Gesetzgeber habe für den nunmehr ausgeschlossenen Personenkreis bis zum Inkrafttreten der Nov. zur Finanzierung der Insolvenz-Entgeltsicherung vom Arbeitgeber einen Zuschlag zum Arbeitslosenversicherungsbeitrag eingehoben, dem nun keine Leistungen gegenüberstünden, ist entgegenzuhalten, daß die Nov. auf Insolvenzfälle, die vor ihrem Inkrafttreten (am 1. Jänner 1981) eingetreten sind, nicht anzuwenden war. Für diesen Zeitraum der Beitragsleistung war daher auch der nunmehr ausgeschlossene Personenkreis mit seinen Entgeltansprüchen im Insolvenzfall gesichert. Die Sicherung auf spätere Fälle auszudehnen war der Gesetzgeber aber jedenfalls hier, wo es um die Sicherung vor Gefahren geht, die jederzeit eintreten können, der Eintritt also nicht durch den Verlauf der Zeit wesentlich näherrückt, keinesfalls verpflichtet. Nunmehr ist für diesen Personenkreis ein Zuschlag ohnehin nicht mehr zu entrichten (§12 Abs1 Z5 letzter Satz IESG idF BGBl. 580/1980).

Die Bf. sind folglich nicht durch Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

3. Gegen die Vollziehung wird in einigen Beschwerden der Vorwurf erhoben, das Gesetz schließe nur Ansprüche von Mitgliedern vertretungsbefugter Organe einer juristischen Person aus, nicht aber Ansprüche ehemaliger Mitglieder solcher Organe (die jetzt nur mehr Leistungen aus dem beendeten Arbeitsverhältnis beziehen). Dabei weisen die Bf. darauf hin, daß sie schon vor vielen Jahren - also noch vor Inkrafttreten des IESG - aus dem Dienst ihrer Arbeitgeber getreten seien und seither eine Pension bezögen. Einer von ihnen zeigt auf, daß er nach seinem Ausscheiden aus dem Vorstand (im Feber 1965) noch durch einige Zeit (bis Juni 1965) im Dienst des Arbeitgebers stand.

Auch der Anwendung der Ausnahmebestimmung auf ehemalige Mitglieder vertretungsbefugter Organe kann der VfGH aber nicht entgegentreten. Daß dies nicht schlechterdings ausgeschlossen ist, zeigt schon der Umstand, daß die Ausnahme der öffentlich Bediensteten (§1 Abs5 Z1) gleichfalls in der Gegenwartsform textiert ist, obwohl kein Zweifel bestehen kann, daß auch öffentlich Bedienstete im Ruhestand ausgenommen sein müssen. Aber auch ein gleichheitswidriger Inhalt wird dem Gesetz damit nicht unterstellt. Mögen auch die Gründe, die einen Ausschluß von Organmitgliedern rechtfertigen, auf Arbeitnehmer im Ruhestand nicht mehr zutreffen - oder genauer: in ihrer Bedeutung mit dem Ablauf der Zeit abnehmen -, so werden doch für sie während der Zeit ihrer Dienstleistung auch keine Beiträge für den Ausgleichfonds geleistet (und sind auch für die Bf. niemals geleistet worden). Allein wegen der Möglichkeit, daß auch noch sehr lange Zeit nach Ende der Organmitgliedschaft noch Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis bestehen, ist eine Einbeziehung dieser Personengruppe in die Entgeltsicherung nicht geboten. Für Ruhegenüsse würde ohnedies nur eine einmalige Zahlung in der Höhe von 12 Monatsbezügen gebühren (§3 Abs4 IESG). Es ist folglich nicht unsachlich anzunehmen, der Gesetzgeber habe zwischen (ehemaligen) Organmitgliedern, für die die Ausnahmegründe (noch) voll zutreffen, und solchen, für welche diese Gründe durch Zeitablauf vielleicht bedeutungslos geworden sind, nicht unterscheiden wollen.

Ob die Sicherungsfähigkeit der Pensionsansprüche der Bf. zurecht allein nach der zuletzt bekleideten Stellung als Mitglieder vertretungsbefugter Organe beurteilt (und Zeiten früherer Arbeitsverhältnisse gewöhnlicher Art zutreffend außer Betracht gelassen) wurden, ist keine verfassungsrechtliche Frage. Wie aber die Rechtslage ist, wenn jemand seine Mitgliedschaft zum vertretungsbefugten Organ schon längere Zeit vor seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis verloren hat, ist hier nicht zu beurteilen; einen Zeitraum von der Länge einer gesetzlichen Kündigungsfrist, wie er hier vorliegt, kann die Behörde jedenfalls außer Betracht lassen, ohne gegen den Gleichheitssatz zu verstoßen.

Da die Bf. somit im Gleichheitsrecht nicht verletzt wurden und auch die Verletzung anderer verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte nicht hervorgekommen ist, muß die Beschwerde abgewiesen werden.

Schlagworte

Arbeitsverfassung, Betriebsverfassung, Arbeitsrecht, Entgeltfortzahlung, Insolvenzrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:B408.1982

Dokumentnummer

JFT_10159772_82B00408_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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