Index
90 Straßenverkehrsrecht, KraftfahrrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Kraftfahrgesetz 1967; kein Verstoß gegen Art6 Abs2 MRK und keine Willkür durch die behördliche Aufforderung zur amtsärztlichen Untersuchung gemäß §75 Abs2; kein Entzug des gesetzlichen RichtersSpruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Bescheid vom 5. September 1979 hat die Bezirkshauptmannschft Schwaz den Bf. gemäß §75 Abs2 KFG 1967 aufgefordert, sich hinsichtlich seiner körperlichen und geistigen Eignung zum Lenken von KFZ der Gruppen A und beim Amtsarzt der Bezirkshauptmannschaft Schwaz binnen acht Tagen nach Rechtskraft dieses Bescheides ärztlich untersuchen zu lassen und die zur Erstattung des amtsärztlichen Gutachtens allenfalls erforderlichen Befunde binnen vier Wochen nach Rechtskraft dieses Bescheides beizubringen.
Die vom Bf. gegen diesen Bescheid erhobene Berufung hat der Landeshauptmann von Tir. mit Bescheid vom 8. Feber 1980 als unbegründet abgewiesen, den angefochtenen Bescheid jedoch dahingehend abgeändert, daß die Frist zur Beibringung der im erstinstanzlichen Bescheid angeführten Befunde auf sechs Wochen, gerechnet vom Datum der amtsärztlichen Untersuchung, verlängert wurde.
2. Gegen den Bescheid des Landeshauptmannes richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher sich der Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt erachtet sowie behauptet, der angefochtene Bescheid verstoße gegen Art6 Abs2 MRK, und die Aufhebung des Bescheides beantragt.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Der Bf. bringt iZm. dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter vor, die Bezirkshauptmannschaft Schwaz habe ihm mit Schreiben vom 9. Oktober 1978 mitgeteilt, daß das gegen ihn eingeleitete Führerscheinentziehungsverfahren vorerst nicht fortgeführt werde; sollte sich der Bf. jedoch neuerlich einer für die Beurteilung seiner Verkehrszuverlässigkeit relevanten Gesetzesübertretung schuldig machen, müßte er damit rechnen, daß gegen ihn ein neuerliches Führerscheinentziehungsverfahren eingeleitet werde. Da der Bf. - wie er meint - sich seither einer derartigen "relevanten" Gesetzesübertretung nicht schuldig gemacht habe, sei die Behörde keinesfalls berechtigt, den angefochtenen Bescheid zu erlassen. Der Bf. erachte sich deshalb in seinem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt, weil der angefochtene Bescheid nicht etwa aufgrund "relevanter" Gesetzesübertretungen, sondern lediglich aufgrund der Annahme des Amtsarztes erlassen worden sei. Ein dem Bf. im Rahmen eines (noch nicht abgeschlossenen) gerichtlichen Strafverfahrens angelasteter Sachverhalt sei für die bel. Beh. ein Hinweis darauf gewesen, daß beim Bf. eine erhöhte Agression bestünde. Dies sei nun eine "unzulässige Würdigung des Sachverhaltes", durch welche der Bf. in seinem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden sei.
Eine Verletzung des genannten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes hätte nach der Rechtssprechung des VfGH nur stattfinden können, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch genommen hätte (vgl. zB VfSlg. 8729/1980) oder wenn sie Befugnisse in Anspruch genommen hätte, für die im materiellen Recht jede Grundlage fehlt (vgl. zB. VfSlg. 2167/1951, S 214, und VfSlg. 5807/1968, S 616, mit Hinweis auf Vorjudikatur).
Keiner dieser Verstöße gegen die Rechtsordnung kann der Behörde angelastet werden. Bei Beurteilung der Zuständigkeit der Behörde unter dem Gesichtspunkt des gesetzlichen Richters hat die - hier vom Bf. angeschnittene - Frage, ob die Entscheidung mit dem materiellen Recht in Einklang steht, aber außer Betracht zu bleiben (vgl. VfSlg. 9432/1982 und die dort angeführte Vorjudikatur).
Ein Verstoß gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter hat somit nicht stattgefunden.
2. Der Bf. wirft der bel. Beh. weiters vor, sie gehe "unzulässigerweise" davon aus, daß Art6 Abs2 MRK im Verfahren zur Entziehung der Lenkerberechtigung keine Anwendung finde. Der Bf. führt an, die Behörde habe in dem - "bereits oben zitierten" - Schreiben vom 9. Oktober 1978 ausdrücklich darauf higewiesen, daß erst dann ein neuerliches Führerscheinentziehungsverfahren eingeleitet werde, wenn sich der Bf. einer relevanten Gesetzesübertretung schuldig mache. Eine Gesetzesübertretung könne jedoch erst dann vorliegen, wenn der Bf. dieser Übertretung rechtskräftig schuldig erkannt worden sei. Die Behörde sei vielmehr, ohne den Ausgang des gegen den Bf. zu 28 Hv 168/79 beim Landesgericht Innsbruck anhängigen Strafverfahrens abzuwarten, davon ausgegangen, daß der Bf. neuerlich eine Gesetzesübertretung begangen habe.
Diese Rüge des Bf. geht ins Leere: Die Behörde ist davon ausgegangen, daß aufgrund eines ärztlichen Gutachtens Zweifel an der geistigen und körperlichen Eignung des Bf. iS des §75 Abs2 KFG 1967 bestehen (s. hiezu auch die folgenden Ausführungen unter Punkt 3.), weshalb die Behörde den Bf. aufforderte, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen und allenfalls erforderliche Befunde vorzulegen. Die von der bel. Beh. in diesem Zusammenhang angewendete Bestimmung des §75 Abs2 KFG 1967 knüpft an kein strafbares Verhalten an, für ihre Anwendung ist nicht relevant, ob die herangezogenen Tatbestände (auch) strafbar sind, sodaß Art6 Abs2 MRK überhaupt nicht zum Tragen kommen kann (s. VfSlg. 8996/1980).
Ob das dem Bf. angelastete Verhalten für sich allein oder iZm. rechtskräftigen gerichtlichen Vorstrafen die Einleitung eines Verfahrens nach §75 KFG 1967 rechtfertigt, ist unter dem Gesichtspunkt des Art6 Abs2 MRK nicht zu beurteilen.
3. Die bel. Beh. stützt den von ihr geäußerten Verdacht, der Bf. sei iS des §75 Abs2 KFG zur Lenkung von KFZ der Gruppen A und B nicht mehr geeignet, auf ein amtsärztliches Gutachten. Dieses Gutachten wieder bezieht sich auf mehrere rechtskräftige gerichtliche Vorstrafen des Bf. wegen Körperverletzung sowie auf den Inhalt einer gegen den Bf. erstatten Gendarmerieanzeige (das deshalb beim Landesgericht Innsbruck angängige Strafverfahren sei noch nicht abgeschlossen). Das amtsärztliche Gutachten kommt zu der Schlußfolgerung, aufgrund "der erwähnten Vorfälle" sei anzunehmen, daß der Bf. eine erhöhte Agressionsbereitschaft besitze, welche sich beim Lenken von KFZ negativ auswirken könne. Deshalb werde eine amtsärztliche Untersuchung zur Feststellung empfohlen, ob der Bf. noch die Eignung zum Lenken von KFZ der Gruppen A und B besitze.
Im Hinblick darauf, daß für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nach §75 Abs1 KFG 1967 Bedenken in der Richtung ausreichen, ob die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkerberechtigung noch gegeben sind (s. zB VwGH 27. 4. 1979 Z 1489/78), kann auch keine Rede davon sein, daß die oben wiedergegebene Begründung der Behörde für ihr Vorgehen auf einer - gegebenenfalls Willkür indizierenden - denkunmöglichen Auslegung des Gesetzes beruht (zur ständigen Rechtsprechung des VfGH zum Gleichheitsgrundsatz vgl. zB VfSlg. 9187/1981).
4. Da das Verfahren auch nicht ergeben hat, daß der Bf. wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde, ist die Beschwerde abzuweisen.
Schlagworte
Kraftfahrrecht, LenkerberechtigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1984:B81.1980Dokumentnummer
JFT_10159695_80B00081_00