TE Vfgh Erkenntnis 1984/3/7 V27/82

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Veröffentlicht am 07.03.1984
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsmaßstab
Tir RaumOG 1972 §8 Abs2 litd
Tir RaumOG 1972 §11 Abs1
Verordnung der Tiroler Landesregierung vom 20.04.82, mit der für die Gemeinde Kirchberg iT ein Flächenwidmungsplan erlassen wurde

Leitsatz

B-VG Art139 Abs1; Flächenwidmungsplan vom 20. April 1982 für die Gemeinde Kirchberg i. T; kein Verstoß gegen die Bestimmungen der §§8 Abs2 litd und 11 Abs1 Tir. Raumordnungsgesetz 1972

Spruch

Dem Antrag wird nicht Folge gegeben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die V P GesmbH beantragt als Eigentümerin der

GP ..., ..., ..., ..., ..., ..., ..., ..., ..., ..., ... und ...,

sämtliche in EZ ... KG Kirchberg i. T, gemäß Art139 Abs1 letzter Satz

B-VG die Aufhebung des für die Gemeinde Kirchberg i. T erlassenen Flächenwidmungsplanes, soweit er die genannten Parzellen betrifft.

2. Der bekämpfte Flächenwidmungsplan wurde, da die Gemeinde Kirchberg

i. T der Landesregierung bis zum 30. Juni 1979 keinen Entwurf eines Flächenwidmungsplanes zur Genehmigung vorgelegt hatte, gemäß §31 Abs1 des Tir. Raumordnungsgesetzes, LGBl. 10/1972 (TROG) idF der Nov. LGBl. 12/1979, mit V der Tir. Landesregierung vom 20. April 1982 erlassen. Die V wurde im "Boten für Tirol" vom 7. Mai 1982 nach §31 Abs1 TROG kundgemacht und durch Auflage zur öffentlichen Einsicht beim Amt der Tir. Landesregierung, Landesbaudirektion, verlautbart.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Der Antrag ist zulässig (zur unmittelbaren Anfechtbarkeit von Flächenwidmungsplänen in Tirol durch den Grundeigentümer s. VfSlg. 9260/1981).

2. Die antragstellende Gesellschaft bringt vor, es handle sich bei den - durch den bekämpften Flächenwidmungsplan als Freiland gewidmeten - Parzellen der Liegenschaft EZ ... KG Kirchberg i. T um ein "seit nahezu unvordenklicher Zeit" für gewerbliche Zwecke benütztes einheitliches Gelände, nämlich um einen Sägewerkskomplex mit einem Holzlager. Hinsichtlich der Grundstücke der Antragstellerin könnten vor der Beschlußfassung über den Flächenwidmungsplan gar nicht sämtliche nach den gesetzlichen Zielen berücksichtigungswürdigen Umstände überprüft worden sein. Wäre dies der Fall gewesen, so hätte sich die Bestandsaufnahme und Gegenüberstellung der einzelnen maßgeblichen Kriterien im Flächenwidmungsplan in der Weise niederschlagen müssen, daß das gesamte im Eigentum der Antragstellerin stehende Areal als Bauland ausgewiesen werde. Bei eingehender Untersuchung der maßgeblichen natürlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Voraussetzungen böten sich hinsichtlich der in Rede stehenden Grundstücke nur Argumente für eine Baulandwidmung an. Dem gegenüber spreche nichts für eine Widmung als Freiland.

Zu den allgemeinen Grundsätzen der Raumordnung zähle jedenfalls die möglichst günstige Verwertung des Raumes für die geeignetsten Zwecke, also die Verwendung von Flächen für Industrie-, Gewerbe- und Wohngebiete, die dem Ortskern naheliegen, erschlossen sind und möglichst keine Veränderung der bisherigen Verwendung mit sich brächten. Es hätte sich damit zwangsläufig angeboten, das seit etlichen Jahrzehnten für gewerbliche Zwecke benützte Gelände der Antragstellerin weiterhin als solches, zumindest aber als Wohngebiet auszuweisen. Das gesamte Areal sei von allen Seiten her bereits erschlossen, es sei direkt an der Hauptverkehrsstrecke und gleichzeitig an der Bahnlinie gegenüber dem Bahnhof gelegen. Seine Verwendung für alle anderen als Freilandzwecke würde daher den geringstmöglichen Aufwand erfordern, also in jedem Belang "den Grundsätzen des wirtschaftlichsten Einsatzes von Raum und Mensch" entsprechen. Auch die Bestimmung des §11 Abs1 TROG, wonach als Bauland nur Grundflächen gewidmet werden dürfen, die sich für die vorgesehene Bebauung in technischer, wirtschaftlicher und gesundheitlicher Hinsicht eignen, hätte im vorliegenden Fall eine Widmung als Bauland erfordert.

Bei der Erstellung eines Flächenwidmungsplanes seien vor allem die natürliche Nutzungseignung, die zum Zeitpunkt der Planung bestehende Nutzung, insbesondere das Vorhandensein eines Betriebes, die volks- und betriebswirtschaftliche Bedeutung der zukünftig möglichen Nutzung und die struktur-, sozial- und arbeitsmarktpolitischen Konsequenzen einer etwaigen Nutzungsänderung zu berücksichtigen. Sodann seien die sich aufgrund einer ausreichenden Untersuchung ergebenden, miteinander in Widerspruch stehenden planerischen Festlegungen, also die Flächenwidmungen, im Hinblick auf die Ziele der Raumordnung miteinander in Beziehung zu setzen. Dieser obligate Interessenabwägungsvorgang müsse soweit als möglich rational nachvollziehbar gestaltet werden. Im vorliegenden Fall sei dem Gebot der Interessenabwägung in keiner Weise Genüge getan worden, obwohl in einer von der antragstellenden Gesellschaft anläßlich der Auflegung des Planentwurfes erstatteten Stellungnahme bereits die wesentlichen, weiterhin eine Baulandwidmung rechtfertigenden Argumente vorgebracht worden seien. Die von der antragstellenden Gesellschaft beabsichtigte Wiederaufnahme des vollen Betriebes, dessen "vorübergehende mangelnde Aktivität lediglich auf derzeitige gesellschaftsrechtliche Umstellungen" zurückzuführen sei und daher nicht schade, würde die Schaffung einer nicht unwesentlichen Anzahl zentraler, an der Hauptverkehrsverbindung gelegener Arbeitsplätze mit sich bringen.

In einem ergänzenden Schriftsatz brachte die antragstellende Gesellschaft im wesentlichen vor, es fehle die Möglichkeit einer Kontrolle darüber, von welchen Erwägungen sich der Verordnungsgeber bei den anderen Baulandwidmungen habe leiten lassen, um welche Grundstücke es sich dabei handle, welcher Bedarf an Bauland dem Flächenwidmungsplan zugrunde gelegt worden sei "und so weiter". So lange auf alle diese Fragen eine sachlich gerechtfertigte Antwort fehle, müsse davon ausgegangen werden, daß die Behörde willkürlich entschieden habe. Hinsichtlich des bereits vorhandenen Baulandes sei überdies das Ausmaß nicht so entscheidend wie seine Lage. Es werde nicht sinnvoll sein, das Ausmaß "in irgendwelchen schlechten Lagen" zu erfüllen, richtig könne vielmehr nur die Abstimmung dieser beiden Momente sein. Da im vorliegenden Fall die "optimalen Gegebenheiten" für eine Baulandwidmung vorlägen, ergebe sich daraus, daß die Liegenschaft der antragstellenden Gesellschaft als Wohngebiet zu widmen wäre.

3. Die Tir. Landesregierung hat - in Übereinstimmung mit den Planunterlagen - die Lage der gegenständlichen Liegenschaft wie folgt beschrieben:

"Die hier in Rede stehende zusammenhängende Liegenschaft befindet sich zwischen der Bahntrasse der ÖBB und der Brixentaler Bundesstraße; sie wird vom Ortskern nur durch die Bahntrasse getrennt. Die Wohnverbauung des Ortes reicht bis an die Bahntrasse heran. An beiden Seiten entlang der Bundesstraße erstreckt sich ebenfalls ein Baubestand, wobei der nördlich unmittelbar an die Liegenschaft der Antragstellerin anschließende Baubestand den Charakter eines reinen Wohngebietes und der Baubestand jenseits der Bundesstraße den Charakter eines Mischgebietes aufweist. Gegen Westen geht das Areal der Antragstellerin nahtlos in eine große, zusammenhängende und unverbaute landwirtschaftliche Fläche über."

Die Landesregierung hat weiters vorgebracht, auf dem Areal befinde sich eine Sägewerksanlage mit einem Holzlager, welche nach Aussage von Einheimischen nur bis zur Mitte der fünfziger Jahre betrieben worden sei und seitdem brach liege. Dementsprechend befinde sich die Anlage in desolatem Zustand. Nach dem vor Inkrafttreten des Flächenwidmungsplanes geltenden Verbauungsplan aus dem Jahre 1962 seien die Grundstücke der antragstellenden Gesellschaft als Wohngebiet gewidmet gewesen.

Der von der Landesregierung beschlossene Flächenwidmungsplan basiere im wesentlichen auf jener Abgrenzung des Baulandes, wie sie im dritten aufgelegten Entwurf des von der Gemeinde zu erlassenden Flächenwidmungsplanes vorgesehen gewesen sei. Die Grundstücke der Antragstellerin seien in den von der Gemeinde aufgelegten Entwürfen als Freiland ausgewiesen gewesen. Das Ausmaß des im dritten aufgelegten Entwurf der Gemeinde ausgewiesenen Baulandes sei bereits über den in der Gemeinde in absehbarer Zeit bestehenden Baulandbedarf hinausgegangen. Eine "zusätzliche" Widmung der Grundstücke der antragstellenden Gesellschaft als Bauland hätte zu einem erheblichen Baulandüberhang in der Gemeinde Kirchberg i. T geführt.

Die iS des §11 Abs1 erster Satz TROG für eine Bebauung geeigneten Grundflächen in einer Gemeinde dürften nur nach Maßgabe dieses Bedarfes als Bauland gewidmet werden. Soweit ein solcher Bedarf nicht besteht, müßten auch zur Bebauung geeignete Grundstücke als Freiland gewidmet werden.

Das Sägewerk der Antragstellerin stehe bereits seit 27 Jahren außer Betrieb. Aufgrund des desolaten Zustandes der Betriebsanlagen sei eine Wiederaufnahme des Betriebes nur nach einer umfassenden Renovierung möglich. Im Zeitpunkt der Bestandsaufnahme sei daher nicht von einem bestehenden Betrieb auszugehen gewesen.

Hiezu komme, daß aufgrund der derzeitigen Verkehrssituation in der Gemeinde Kirchberg i. T die Errichtung einer Umfahrungsstraße in absehbarer Zeit unbedingt notwendig sei. Es seien bereits mehrere Trassenführungen untersucht, ein endgültiger Trassenverlauf jedoch nicht verordnet worden. Die im Flächenwidmungsplan kenntlich gemachte Trasse entspreche dem Wunsch der Gemeinde Kirchberg, sie verlaufe quer durch die Liegenschaft der Antragstellerin, auf der auch die Zu- und Abfahrt in den Ort vorgesehen wären, weil sich hier die günstigste Stelle für die Einbindung in die Bundesstraße befinde. Auch dieses Planungsvorhaben habe die Landesregierung veranlaßt, von einer Widmung der Liegenschaft der Antragstellerin als Bauland abzusehen.

4. a) Aus dem Flächenwidmungsplan ist zu ersehen, daß die bezughabende Liegenschaft im Süden vom Bahnhofsgelände (auf der anderen Seite des Bahnhofes befindet sich der Ortskern) sowie im Norden und Osten von verbautem Gebiet umgeben ist; im Westen hingegen schließen unverbaute, landwirtschaftliche Flächen an. Überdies ist auf der Liegenschaft der antragstellenden Gesellschaft der Verlauf einer Straße samt einer Zu- bzw. Abfahrt eingezeichnet.

Den vorgelegten Akten ist zu entnehmen, daß in der Gemeinde Kirchberg

i. T einem prognostizierten Baulandbedarf von 21 ha unverbautes Bauland im Ausmaß von 21,7 ha gegenüberstand.

b) Es trifft zu, daß sich die bezughabende - vor Inkrafttreten des bekämpften Flächenwidmungsplanes als Bauland gewidmet gewesene - Liegenschaft schon infolge ihrer oben beschriebenen Lage an sich zu einer Widmung als Bauland in technischer, wirtschaftlicher und gesundheitlicher Hinsicht (§11 Abs1 erster Satz TROG) eignet. Es trifft ebenso zu, daß die bereits vorliegende Bebauung der Liegenschaft bei der Bestandsaufnahme zu berücksichtigen ist (§9 Abs1 TROG, s. hiezu auch die EB zur RV des TROG, S 7).

Andererseits hat sich das Ausmaß des Baulandes nach dem in der Gemeinde in absehbarer Zeit bestehenden Bedarf zu richten (§11 Abs1 zweiter Satz TROG). Ziel der örtlichen Raumordnung ist nach §8 Abs2 TROG nicht nur die bestmögliche Anordnung und Gliederung des Baulandes (lita), sondern (ua.) auch die Sicherstellung der erforderlichen Verkehrsflächen (litd).

Dem Umstand, daß der vom Verordnungsgeber mit herangezogene zweite Satz des §11 Abs1 TROG durch die 4. TROG-Nov. LGBl. 88/1983, eine neue Fassung erhalten hat, kommt hier - im Gegensatz zu den dem Erk. vom 1. März 1984, Z V1, 2/82, zugrunde liegenden Fällen - deshalb keine Bedeutung zu, weil das Antragsvorbringen nicht dahin geht, die bekämpfte Widmung sei im Hinblick auf diese Gesetzesbestimmung gesetzwidrig.

c) Der Verordnungsgeber hat im vorliegenden Fall - ausgehend von der zutreffenden Prämisse, daß die Baulandeignung eines Grundstückes an sich nur eine der Voraussetzungen für die Widmung als Bauland darstellt - eine Widmung als Freiland vorgenommen, weil ansonsten ein erheblicher Überhang an Bauland in der Gemeinde eingetreten wäre. Die Notwendigkeit einer Reduzierung des Baulandes würde es allein (noch) nicht rechtfertigen, ein beliebiges Grundstück unter Berufung auf den zweiten Satz des §11 Abs1 TROG in Freiland zu widmen. Im vorliegenden Fall tritt aber zu dem drohenden Baulandüberhang noch der Umstand, daß auf der bezughabenden Liegenschaft die Errichtung einer Straße ins Auge gefaßt ist (was im Flächenwidmungsplan auch ersichtlich gemacht wurde).

Daraus ist zu ersehen, daß der Verordnungsgeber hier in einer seine Entscheidungsgrundlagen ausreichend offenlegenden Weise (VfSlg. 8280/1978) nicht nur auf die Bestimmung des §11 Abs1 zweiter Satz, sondern zusätzlich auch auf jene des §8 Abs2 litd TROG Bedacht genommen hat. Bei Beurteilung der für die Bestandsaufnahme bedeutsamen Gegebenheiten (wozu zweifellos auch die bisherige Widmungsart und Nutzung gehören) konnte der Verordnungsgeber auch durchaus den Umstand mitberücksichtigen, daß die Liegenschaft zwar bebaut ist, aber offensichtlich seit längerem nicht genützt wurde. Bei diesem Ergebnis ist es für die Beurteilung der Gesetzmäßigkeit der vorgenommenen Widmung ohne Belang, ob - wie die bf. Gesellschaft behauptet - zwecks Vermeidung des Baulandüberhanges nicht besser andere Grundstücke in der Gemeinde Kirchberg i. T als Freiland gewidmet hätten werden sollen.

Wenn die Landesregierung in Würdigung und Abwägung der oben aufgezeigten Umstände zu dem Ergebnis gelangt ist, daß die Voraussetzungen für eine Widmung der bezughabenden Grundstücke als Bauland nicht gegeben sind, hat sie daher gegen keine der im Antrag herangezogenen Bestimmungen des TROG verstoßen.

5. Da die geltend gemachten Bedenken somit nicht zutreffen, ist dem Antrag nicht Folge zu geben.

Schlagworte

VfGH / Prüfungszeitpunkt, Raumordnung, Flächenwidmungsplan

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:V27.1982

Dokumentnummer

JFT_10159693_82V00027_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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