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L9 Sozial- und GesundheitsrechtNorm
B-VG Art139 Abs1 / AllgLeitsatz
B-VG Art139; Aufhebung der gesetzlichen Grundlage (§44 Wr. SozialhilfeG) der in Prüfung stehenden Wr. Sozialhilfekundmachung BGBl. 9/1974 durch Erk. des VfGH; Wegfall des Prüfungsgegenstandes des VerordnungsprüfungsverfahrensSpruch
Das Verfahren wird eingestellt.
Begründung
Begründung:
I.
1. a) Am 13./14./17. Dezember 1973 schlossen die Bundesländer OÖ, Tir. und Vbg., jeweils vertreten durch ihre Landeshauptmänner, gemäß Art107 B-VG idF vor der Nov. BGBl. 444/1974 eine Vereinbarung über den Kostenersatz in den Angelegenheiten der Sozialhilfe.
Nach Art1 dieser Vereinbarung sind die Träger der Sozialhilfe eines Vertragslandes - im folgenden als "Träger" bezeichnet - verpflichtet, den Trägern eines anderen Vertragslandes die für Sozialhilfe aufgewendeten Kosten nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen zu ersetzen.
Art2 der Vereinbarung bestimmt:
"Zu den Kosten der Sozialhilfe gehören die Kosten, die einem Träger für einen Hilfesuchenden
a) nach den landesrechtlichen Vorschriften über die Sozialhilfe oder
b) nach den landesrechtlichen Vorschriften über die Jugendwohlfahrtspflege und nach dem Geschlechtskrankheitengesetz, StGBl. Nr. 152/1945, in der Fassung BGBl. Nr. 54/1946, erwachsen."
Im Art3 Abs1 der Vereinbarung wird die Zuständigkeit wie folgt geregelt:
"Soweit in den folgenden Absätzen nichts anderes bestimmt ist, ist jener Träger zum Kostenersatz verpflichtet, in dessen Bereich sich der Hilfesuchende während der letzten sechs Monate vor Gewährung der Hilfe mindestens durch fünf Monate aufgehalten hat und der nach den für ihn geltenden landesrechtlichen Vorschriften die Kosten für Leistungen, wie sie dem Kostenanspruch zugrunde liegen, zu tragen hat."
Art7 der Vereinbarung lautet:
"Über die Verpflichtung zum Kostenersatz hat im Streitfalle die Landesregierung, in deren Bereich der zum Kosterersatz angesprochene Träger liegt, im Verwaltungsweg zu entscheiden."
Nach Art9 der Vereinbarung steht diese zum vorbehaltlosen Beitritt durch andere Länder offen. Der Beitritt ist den Vertragsländern gegenüber schriftlich zu erklären. Er wird drei Monate nach Ablauf des Tages wirksam, an dem gegenüber allen Vertragsländern die Erklärung abgegeben ist.
b) Der (auf der Stufe eines einfachen Landesgesetzes stehende) §44 des Wr. Landesgesetzes vom 19. Dezember 1972, LGBl. 11/1973, über die Regelung der Sozialhilfe (Wiener Sozialhilfegesetz - WSHG) bestimmt:
"§44. (1) Das Land Wien hat den Sozialhilfeträgern anderer Länder nach Maßgabe der nach Art107 B-VG mit diesen Ländern abgeschlossenen Vereinbarungen unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit Kostenersatz für Leistungen der Sozialhilfe zu leisten.
(2) Die Vereinbarungen nach Abs1 sind vom Landeshauptmann im Landesgesetzblatt kundzumachen."
c) Im Wr. LGBl. 1974 ist unter Nr. 9 die Kundmachung des Landeshauptmannes vom 21. März 1974 betreffend den Beitritt des Landes Wien zu einer Vereinbarung über den Kostenersatz in den Angelegenheiten der Sozialhilfe (im folgenden kurz: WSHKdm.) abgedruckt. Sie lautet:
"Gemäß §44 Abs2 des Gesetzes vom 19. Dezember 1972 über die Regelung der Sozialhilfe (Wiener Sozialhilfegesetz - WSHG), LGBl. für Wien Nr. 11/1973, wird kundgemacht:
Das Land Wien, vertreten durch den Landeshauptmann, hat den Beitritt zu der nachstehenden Vereinbarung gemäß Art107 B-VG erklärt:
..." (es folgt der Text der wiederholt erwähnten Vereinbarung)
"Die Beitrittserklärung wurde gegenüber den Vertragsländern OÖ, Tir. und Vbg. am 21. März 1974 abgegeben. Der Beitritt wird daher gemäß Art9 Abs2 der Vereinbarung am 22. Juni 1974 wirksam."
d) Das Land NÖ ist der Vereinbarung mit Wirksamkeit vom 3. Juni 1976 beigetreten (LGBl. für NÖ 9200/6-0).
2. a) Der VwGH hat aus Anlaß der bei ihm zu Z 11/0205/79 anhängigen Beschwerde gemäß Art139 Abs1 B-VG iVm. Art89 Abs2 B-VG an den VfGH den Antrag gestellt,
"Art7 der Vereinbarung zwischen den Ländern OÖ, Tir. und Vbg. vom 17. Dezember 1973 über den Kostenersatz in Angelegenheiten der Sozialhilfe als Bestandteil der Kundmachung des Landeshauptmannes von Wien vom 21. März 1974, LGBl. Nr. 9, betreffend den Beitritt des Landes Wien zu dieser Vereinbarung, als gesetzwidrig aufzuheben".
b) Der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde liegt folgendes Verwaltungsgeschehen zugrunde:
Mit Bescheid vom 7. Dezember 1978, Z MA 12-11.570/77 KE, hat die Wr. Landesregierung unter Bezugnahme auf Art7 der wiederholt erwähnten Vereinbarung, der die Bundesländer Wien und NÖ beigetreten sind (s. oben I/1/c und d), ausgesprochen, der Magistrat der Stadt Wien - Sozialamt sei nicht verpflichtet, die für R G "in der Zeit vom 31. 12. 1977 bis 11. 1979 (richtig offenbar: bis 11. Jänner 1978)" im Allgemeinen öffentlichen Krankenhaus Waidhofen a. d. Thaya und ab 12. Jänner 1978 für die mj. D-S G im nö. Landes-Säuglings- und Kleinkinderheim "Schwedenstift" entstandenen Pflegegebühren und ab 17. April 1978 anfallenden Pflegegelder zu ersetzen.
Gegen diesen Bescheid hat das Bundesland NÖ fristgerecht Beschwerde an den VwGH erhoben.
c) Der VwGH ist der Ansicht, daß die angefochtene Bestimmung im erwähnten Beschwerdefall präjudiziell sei.
Er vertritt weiters die Meinung, daß die WSHKdm. im Verordnungsrang stehe. Sie stütze sich auf §44 Abs2 WSHG.
Nach einer Wiedergabe des Textes des §44 WSHG legt der VwGH seine Bedenken wie folgt dar:
"Die Bestimmung des §44 WSHG enthält somit eine Regelung über den vom Bundesland Wien zu leistenden Kostenersatz in Angelegenheiten der Sozialhilfe an Sozialhilfeträger anderer Bundesländer, also an außerhalb des Bundeslandes Wien gelegene Sozialhilfeträger. Es wird dabei dem Grunde nach auf das Vorliegen bestimmter örtlicher Abknüpfungspunkte, die in der Person des Hilfeempfängers zum Bundesland Wien gelegen sein müssen, sowie auf das Ausmaß einer solchen sich daraus ergebenden Ersatzleistung Bezug genommen. Eine gesetzliche Anordnung darüber, wie vorzugehen ist, wenn das Bundesland Wien einen Ersatz der Kosten ablehnt, fehlt hingegen. Es wird mit keinem Wort erwähnt, daß im Streitfall der Verwaltungsweg zu beschreiten sei und eine der beiden in Betracht kommenden Landesregierungen bzw. welche von ihnen darüber zu entscheiden habe.
Im Art7 der bereits genannten Vereinbarung ist aber eine derartige Lösungsmöglichkeit für Streitfälle und im Zusammenhang damit die Schaffung einer entsprechenden Zuständigkeit normiert worden. Diese Regelung finde im §44 WSHG keine Deckung und widerspricht demnach dem Art18 Abs2 B-VG. Solche Zuständigkeiten können, da es sich hiebei zweifellos um ein wesentliches Merkmal einer Regelung handelt, nur durch den Gesetzgeber, nicht aber im Verordnungsweg, in dem lediglich Präzisierungen im Rahmen der vom Gesetzgeber bereits vorgegebenen Richtlinien zulässig sind, begründet werden. Daran hat weder die frühere Bestimmung des Art107 B-VG noch die jetzt geltende des Art15a B-VG etwas geändert, sodaß es ohne Belang ist, daß der gegenständlichen V eine Ländervereinbarung zugrunde liegt (vgl. hiezu den hg. Antrag vom 30. September 1980, Z A20/80).
Dazu kommt, daß selbst dann, wenn eine hinreichende Verordnungsermächtigung angenommen werden könnte, gegen eine solche Zuständigkeitsregelung ebenfalls Bedenken bestünden. Jede Verwaltungsbehörde darf nämlich von dem ihr nach Art18 Abs2 B-VG zustehenden Verordnungsrecht nur innerhalb ihrer sachlichen und örtlichen Kompetenz Gebrauch machen. Nun sind zwar Angelegenheiten der Sozialhilfe infolge der durch den Bund nicht ausgeschöpften Grundsatzgesetzgebungskompetenz des Art12 Abs1 Z2 B-VG ('Armenwesen') in Gesetzgebung und Vollziehung Landessache (vgl. das Erk. des VfGH vom 13. März 1976, Slg. Nr. 7764), jedoch in bezug auf das jeweilige Bundesland immer nur innerhalb der Landesgrenzen. Gemäß Art15a Abs2 B-VG können Vereinbarungen der Länder untereinander gleichfalls nur über Angelegenheiten ihres selbständigen Wirkungsbereiches getroffen werden. Nun umschließt weder das Gesetzgebungsrecht der Länder die Befugnis, Organe vorzusehen, die für mehrere Länder mit rechtsverbindlicher Kraft Entscheidungen treffen können, noch die Vollziehungsgewalt der Länder das Recht, für mehrere Länder verbindlicher Entscheidungen zu fällen (vgl. Rill, Gliedstaatsverträge, 679, zur Frage vereinbarter Schiedsgerichtsbarkeit, wobei diese grundsätzlichen Überlegungen jedoch auch hier gelten). Die Schaffung einer grenzüberschreitenden Kompetenz, die sich im vorliegenden Beschwerdefall für die Wr. Landesregierung gemäß Art7 der bereits genannten Vereinbarung ergibt, steht somit nicht im Einklang mit dem B-VG."
3. Die Wr. Landesregierung und der Landeshauptmann von Wien erstatteten Äußerungen, in denen die Rechtsqualität der angefochtenen Bestimmung erörtert wird.
4. Der VfGH hat aus Anlaß dieses Verordnungsprüfungsantrages gemäß Art140 ABs. 1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §44 WSHG eingeleitet.
Mit Erk. vom 3. Dezember 1983, G2/83, hat er diese landesgesetzliche Bestimmung als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten.
II.
Der VfGH hat erwogen:
1. Im soeben zitierten Erk. vom 3. Dezember 1983 wird zur Frage der Zulässigkeit des Gesetzesprüfungsverfahrens ausgeführt:
"Zunächst ist zu klären, ob der VfGH die in Prüfung gezogene Gesetzesbestimmung (§44 WSHG) bei Entscheidung über den vom VwGH gestellten Verordnungsprüfungsantrag iS des Art140 Abs1 B-VG anzuwenden hat.
Dies ist der Fall;
Der VfGH wird im Verordnungsprüfungsverfahren V38/81 vorerst zu untersuchen haben, ob der vom VwGH gestellte Antrag zulässig ist. Voraussetzung hiefür ist ua., daß sich der Antrag tatsächlich - wie der VwGH meint - gegen eine V richtet.
Der VfGH wird also im Verordnungsprüfungsverfahren die - zwischen den Parteien strittige - Frage zu lösen zu haben, welche Rechtsqualität der bekämpften Bestimmung zukommt, ob sie etwa die bloße Publikation der Tatsache des Abschlusses der Sozialhilfevereinbarung (einer Ländervereinbarung), also eine Information der Bevölkerung ohne irgendwelche Rechtsfolgen ist, oder ob sie etwa in der Rechtsform einer V die Transformation der Ländervereinbarung in geltendes 'internes Landesrecht' verfügt.
Diese Frage läßt sich nur aufgrund des §44 WSHG klären, auf dessen Abs2 sich die WSHKdm. ausdrücklich beruft; diese Gesetzesbestimmung ist also vom VfGH im Anlaßverfahren schon bei Lösung der Zulässigkeitsfrage anzuwenden.
..."
IZm. der Frage der Zulässigkeit des Gesetzesprüfungsverfahrens hat der VfGH in dem dieses Verfahren abschließenden Erk. vom 3. Dezember 1983 keine Aussage über die Rechtsqualität der vom VwGH angefochtenen Bestimmung getroffen, sondern gerade zur Klärung dieser Frage das Gesetzesprüfungsverfahren durchgeführt.
2. Das Gesetzesprüfungsverfahren hat aber dann in der Sache ergeben, daß sich die WSHKdm. als eine Norm darstellt, die als Rechtsquelle in der Bundesverfassung keine Grundlage hat und die daher durch §44 WSHG verfassungswidrigerweise eingerichtet worden ist. Nur aufgrund dieser Bestimmung hat die WSHKdm. Eingang in die Rechtsordnung gefunden.
Die Aufhebung dieser - aus dem erwähnten Grund verfassungswidrigen - Gesetzesvorschrift durch das hg. Erk. vom 3. Dezember 1983 bewirkte zugleich die Vernichtung der angefochtenen Bestimmung der WSHKdm., den Wegfall ihrer Eigenschaft als Rechtsnorm. Diese Wirkung trat - obwohl der VfGH für das Inkrafttreten der Aufhebung eine Frist bis 30. November 1984 gesetzt hat - mit Erlassung dieses Erk. (es wurde am 14. Feber 1984 zugestellt) ein, weil das Verordnungsprüfungsverfahren den Anlaß für das Gesetzesprüfungsverfahren gebildet hat, also Anlaßfall iS des Art140 Abs7 zweiter Satz B-VG war.
3 Hieraus folgt, daß der Gegenstand des Verordnungsprüfungsantrages des VwGH im Laufe des Verordnungsprüfungsverfahrens (nämlich durch das Erk. VfSlg. 9886/1983) weggefallen ist.
In analoger Anwendung des §19 Abs3 Z3 VerfGG 1953 idF der Nov. BGBl. 353/1981 war das Verordnungsprüfungsverfahren daher einzustellen (vgl. VfSlg. 7098/1973, 9649/1983).
Schlagworte
VfGH / Gegenstandslosigkeit, VfGH / Aufhebung Wirkung, SozialhilfeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1984:V38.1981Dokumentnummer
JFT_10159688_81V00038_00