TE Vfgh Erkenntnis 1984/3/12 B577/81

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Veröffentlicht am 12.03.1984
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Index

44 Zivildienst
44/01 Zivildienst

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
ZivildienstG §2 Abs1

Leitsatz

Zivildienstgesetz; keine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung - keine Glaubhaftmachung von Gewissensgründen

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Bf. beantragte mit einer an das Militärkommando NÖ gerichteten Eingabe vom 31. März 1981 unter Bezugnahme auf §2 Abs1 des Zivildienstgesetzes, BGBl. 187/1974 idF der Nov. BGBl. 496/1980 (im folgenden kurz: ZDG), seine Befreiung von der Wehrpflicht und brachte folgendes vor:

Seine negative Einstellung zur Gewalt sehe er als ein Produkt seiner Erziehung. Es sei ein Anliegen seiner Mutter gewesen, ihr soziales Engagement (Beruf: Diplomkrankenschwester) auch ihren Kindern zu vermitteln. Mit zunehmendem Alter habe er selbst versucht, diese innere Haltung einer "Orientierung auf den Mitmenschen" bewußt und aktiv auszugestalten. In der Oberstufe des Gymnasiums sei er an der Gründung der Schülerzeitung beteiligt gewesen, die dem Bemühen um mehr Demokratie in der Schule (zB Schülerparlament) dienen sollte. An der Universität habe er sich in der Institutsgruppe der Studienrichtungsvertretung engagiert.

Das friedliche und fruchtbare Austragen von Interessenskonflikten, welche sich bei diesen Aktivitäten ergeben hätten, habe einen wichtigen Lernprozeß dargestellt, durch den der Bf. die Essenz seiner Erziehung gesehen habe. Daher könne er sich nicht vorstellen, einen Menschen als Feind zu betrachten und ihm mit (Waffen-)Gewalt gegenüberzutreten. Auch kollektive (etwa nationale) "Feindbilder" widersprächen den Erfahrungen und Kontakten, die er auf Auslandsreisen gewonnen habe.

Seine Einstellung zur Gewalt sei auch durch die Beschäftigung mit den Problemen der Dritten Welt beeinflußt worden. In einer Situation, die gekennzeichnet sei von Analphabetismus, Arbeitslosigkeit, Hunger usw. lasse sich der Teufelskreis Gewalt - Gegengewalt besonders schwer durchbrechen.

Auch seine derzeitigen Aktivitäten bezögen sich auf die Probleme der Entwicklungsländer: sowohl theoretisch - er schreibe an einer einschlägigen Diplomarbeit - als auch praktisch - er habe an der Medienaktion "Hunger ist kein Schicksal" mitgearbeitet, die die Ursachen des Hungers in der Dritten Welt aufzeigen sollte.

Der Bf. habe auch daraus gelernt, daß man jene Lebenssituationen ändern sollte, die gewaltsame Konfliktaustragungen begünstigten.

In den sogenannten Industrieländern sei das, zum Beispiel bezüglich der Probleme Analphabetismus, Arbeitslosigkeit und Hunger (weitgehend) gelungen. Solange es aber noch Gewalt in den zwischenmenschlichen Beziehungen gebe (zB Morde, Kindesmißhandlungen, Notwendigkeit von Häusern für geschlagene Frauen), sei immer die Gefahr einer Eskalation bis hin zur militärischen Gewalt (als ihre zerstörendste Form) existent.

Es gelte also, sowohl gesellschaftlichen Ursachen von Gewalt entgegenzuwirken als auch etwa aggressiven Impulsen in den Menschen selbst.

In diesem doppelten Bemühen um das Ziel einer gewaltfreien Gesellschaft hätten den Bf. Bücher, Gespräche mit Freunden (die teilweise schon Zivildienst geleistet hätten) und die Erfahrungen seiner Schwester als Lehrerin in einer Allgemeinen Sonderschule bestärkt.

2. Mit Bescheid vom 3. September 1981 wies die Zivildienstkommission (ZDK) den Antrag des Bf. gemäß §2 Abs1 iVm. §6 Abs1 ZDG ab. Sie begründet ihre Entscheidung nach Wiedergabe des Antragsvorbringens des Bf. im wesentlichen wie folgt:

"... gemäß §2 Abs1 ZDG müssen die Gewissensgründe nicht bloß behauptet, sondern auch glaubhaft gemacht werden. Das Gewissen als innerste und deshalb nicht weiter begründbare Erfahrung, in der der Mensch seiner Freiheit und seiner Verantwortung gewiß wird, kann unmittelbar nicht einmal glaubhaft gemacht werden. Es kann aber aus dem bisherigen nach außen in Erscheinung getretenen Verhalten ein entsprechender Schluß auf die Glaubwürdigkeit des Antragstellers gezogen werden. Als ein solches nach Außen in Erscheinung getretenes Verhalten sieht der erkennende Senat insbesondere ein Mindestmaß an sozialer Aktivität, wie etwa die Mitarbeit in Jugendorganisationen, sowie bei pazifistischen Vereinen oder im privaten Bereich, wie zum Beispiel Nachbarschaftshilfe oder Betreuung einer körperbehinderten oder betagten Person. Dies deshalb, weil man Menschen eine bestimmte positive Einstellung zum Leben und eine weltanschauliche Überzeugung eher glauben kann, wenn sie diese nicht nur mündlich vertreten, sondern auch durch Handlungen unter Beweis stellen.

Gemäß §6 Abs2 ZDG hat der erkennende Senat bei Würdigung der Gewissensgründe auch auf das bisherige Verhalten des Antragstellers Bedacht zu nehmen.

Der erkennende Senat gelangte unter Bedachtnahme auf die Tatsache, daß Sie, abgesehen von Ihrer Mitarbeit an der Aktion 'Hunger ist kein Schicksal' keine sozialen Aktivitäten nachweisen konnten, sowie aufgrund des in der Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruckes zur Ansicht, daß Ihr Vorbringen nicht für eine glaubhafte Darstellung Ihrer Gewissensgründe ausreichte.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden."

3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des durch §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

4. Die ZDK hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.

II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Eine Verletzung des durch §2 Abs1 ZDG gewährleisteten Grundrechtes liegt dann vor, wenn die Behörde die in §2 Abs1 ZDG umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt hat, und weiters - da die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebliche Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) in den Schutzumfang des Grundrechtes einbezogen ist - dann, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen sind oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit genommen hat, das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen (vgl. zB VfSlg. 8787/1980). Daran hat sich auch durch die ZDG-Nov. BGBl. 496/1980 nichts geändert (vgl. zB VfGH 12. 3. 1982 B561/81).

Der Bf. brachte der Sache nach vor, daß er aufgrund bestimmter Erwägungen die Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen ablehnt; er hat aber für seine Person nicht dargetan, weshalb er im Falle der Anwendung von Waffengewalt gegen andere Menschen und daher bei Leistung des Wehrdienstes in eine schwere Gewissensnot geraten würde. Wie der VfGH in gleichgelagerten Fällen schon ausgesprochen hat (vgl. VfSlg. 9339/1982, VfGH 12. 3. 1982 B561/81), ist bei einer solchen Sachlage die ZDK schon auf dem Boden der Behauptungen des Bf. gehalten, die von ihm begehrte Befreiung von der Wehrpflicht mangels Erfüllung der materiellen Voraussetzungen des §2 Abs1 ZDG zu verweigern. Liegen daher nach dem Vorbringen des Bf. selbst glaubhafte Gewissensgründe nicht vor und ist damit wegen des Fehlens der materiellen Voraussetzungen der Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht abzulehnen, so ist es - wie der VfGH ebenfalls in den angeführten Erk. dargelegt hat - auch unerheblich, wenn die belangte ZDK etwa mit einer dieses Vorbringen nicht richtig beurteilenden Begründung ihren Bescheid erlassen hat oder wenn ihr - wie der Bf. vermeint - irgendwelche Verfahrensfehler unterlaufen sind.

Der VfGH braucht daher auf das Beschwerdevorbringen, in dem im wesentlichen das Vorbringen des Bf. vor der ZDK wiederholt und näher erörtert wird, und das somit die Geltendmachung einer unrichtigen Beurteilung der vom Bf. für die Wehrpflichtbefreiung zwar ins Treffen geführten, für eine solche aber nicht geeigneten Gründe sowie Verstöße gegen Verfahrensvorschriften zum Gegenstand hat, nicht weiter einzugehen.

Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung hat sohin nicht stattgefunden.

2. Da das Beschwerdeverfahren keine Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes ergeben hat und auch nicht hervorgekommen ist, daß der Bf. infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde, war die Beschwerde abzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Prüfungsmaßstab, Zivildienst

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:B577.1981

Dokumentnummer

JFT_10159688_81B00577_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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