TE Vfgh Erkenntnis 1984/3/15 G85/83

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.03.1984
beobachten
merken

Index

20 Privatrecht allgemein
20/05 Wohn- und Mietrecht

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsmaßstab
MietrechtsG §35
MietrechtsG §42 Abs4
MietrechtsG §58 Abs3 Z5
SchutzV. DRGBl 1943 I 666

Leitsatz

Mietrechtsgesetz; §58 Abs3 Z5; keine Gleichheitswidrigkeit der durch die Aufhebung des Art6 der Schutzverordnung DRGBl. 1943 I 666 geschaffenen Rechtslage im Hinblick auf die unterschiedliche Lage des Mieters und des Eigentümers in bezug auf einen Räumungsaufschub

Spruch

Dem Antrag wird nicht Folge gegeben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die V des Ministerrates für die Reichsverteidigung über Maßnahmen auf dem Gebiete des bürgerlichen Streitverfahrens und der Zwangsvollstreckung, des Konkurses und des bürgerlichen Rechtes vom 1. September 1939 idF der Verordnung des Reichsministers der Justiz vom 4. Dezember 1943, RGBl. 1943 I 666 (kurz: Schutzverordnung), bestimmte im Art6:

"Beschränkungen der Zwangsvollstreckung

(1) Das Vollstreckungsgericht kann Maßnahmen der Zwangsvollstreckung jeder Art ganz oder teilweise aufheben, untersagen (die Bewilligung der Exekution ablehnen) oder einstweilen einstellen (aufschieben), wenn es der Auffassung ist, daß dies im Interesse des Schuldners dringend geboten ist und dem Gläubiger nach Lage der Verhältnisse zugemutet werden kann. Das Vollstreckungsgericht kann seinen Beschluß jederzeit aufheben oder abändern.

(2) Bei Vollstreckungen in Verwaltungszwangsverfahren gilt Abs1 entsprechend. Die Entscheidung steht in diesen Fällen der Vollstreckungsbehörde zu."

Diese Bestimmung, die durch §2 Rechts-ÜberleitungsG im Range eines Bundesgesetzes in die österreichische Rechtsordnung übernommen worden war, wurde durch §58 Abs3 Z5 MietrechtsG, BGBl. 520/1981, mit Wirkung vom 1. Jänner 1982 ausdrücklich außer Kraft gesetzt. Die aufhebende Vorschrift lautet im Zusammenhang:

"(3) Mit dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes treten vorbehaltlich den Regelungen im II. Hauptstück außer Kraft:

...

5. der Art6 der Verordnung vom 4. Dezember 1943 über Maßnahmen auf dem Gebiete des bürgerlichen Streitverfahrens und der Zwangsvollstreckung (Schutzverordnung), RGBl. I S 666."

Das II. Hauptstück des MietrechtsG enthält Bestimmungen über bestehende Mietverträge sowie Übergangsregelungen, die hier nicht in Betracht kommen.

An die Stelle der aufgehobenen Bestimmung sollten nach den EB der RV zu diesem Gesetz (425 BlgNR 15. GP, 43) die Bestimmungen des §35 Abs2 bis 4 (seit 1. Mai 1983 gemäß der Zivilverfahrens-Nov., BGBl. 135/1983 ArtXV: Abs1 bis 3) dieses Gesetzes über die Aufschiebung der Räumungsexekution treten:

"(1) Ist ein Mieter, dem rechtskräftig gekündigt worden ist, im Fall der zwangsweisen Räumung der Wohnung oder eines Wohnraumes der Obdachlosigkeit ausgesetzt, so ist auf seinen Antrag die Räumungsexekution aufzuschieben (§42 EO), wenn die Aufschiebung dem betreibenden Vermieter nach Lage der Verhältnisse zugemutet werden kann. Die so bewilligte Verlängerung der Räumungsfrist soll drei Monate nicht übersteigen. Bei besonders berücksichtigungswürdigen Umständen darf darüber hinaus ein weiterer Aufschub, jedoch höchstens zweimal und jeweils nicht länger als um drei Monate, bewilligt werden. Wurde bereits im Urteil eine Verlängerung der Räumungsfrist nach §34 Abs1 bewilligt, so darf eine weitere Verlängerung der Räumungsfrist nur bei Vorliegen besonders berücksichtigungswürdiger Umstände bewilligt werden, und es darf die Gesamtdauer der so bewilligten Räumungsaufschübe ein Jahr nicht übersteigen. Während der Dauer eines Aufschubes gilt der §34 Abs2.

(2) Setzt der Mieter nach der Bewilligung des Aufschubes der Räumungsexekution einen neuen Kündigungsgrund, so ist auf Antrag des Vermieters nach Einvernehmung des Mieters (§56 EO) die Aufschiebung zu widerrufen und, wenn die ursprüngliche Räumungsfrist bereits abgelaufen ist, eine neue Räumungsfrist zu bestimmen, die auf das zur freiwilligen Räumung unbedingt erforderliche Maß zu beschränken ist.

(3) Im Verfahren über die Aufschiebung der Räumungsexekution findet ein Kostenersatz zwischen den Parteien nicht statt."

Die im Abs1 des §35 bezogenen Bestimmungen des §34 MietrechtsG betreffen die Verlängerung der Räumungsfrist im Urteil:

"(1) Das Gericht kann in Rechtssachen über die Kündigung oder Räumung gemieteter Wohnräume auf Antrag im Urteil eine längere als die gesetzliche Räumungsfrist festsetzen, wenn der Mieter wichtige Gründe dafür geltend macht und dem Vermieter aus der Verzögerung der Räumung kein unverhältnismäßiger Nachteil erwächst. Die Verlängerung darf nicht mehr als neun Monate betragen ...

(2) Während der Dauer der verlängerten Räumungsfrist bleiben, unbeschadet gegenteiliger Vereinbarung und einer nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zulässigen Erhöhung des Mietzinses, die Rechte und Pflichten aus dem Mietverhältnis so wie bisher aufrecht."

Ähnliche Vorschriften über die Verlängerung der Räumungsfrist bestehen auch für die von der Geltung des MietrechtsG durch dessen §1 Abs2 Z2 ausgenommenen Dienstwohnungen bei Hausbesorgern (§23 HausbesorgerG) und Landarbeitern (§20 Abs3 bis 5 LandarbG).

2. Beim LG für ZRS Graz ist ein Rekurs gegen den Beschluß des BG Fürstenfeld in einer Zwangsversteigerungssache anhängig, mit dem ein Antrag der Verpflichteten auf Aufschub der vom Ersteher begehrten Räumung der Liegenschaft abgewiesen wurde. Die Verpflichtete hat die Gewährung eines Räumungsaufschubes begehrt, weil sie mit ihren vier Kindern der Obdachlosigkeit preisgegeben wäre. Das Exekutionsgericht hat den Antrag unter Hinweis auf die Aufhebung des Art6 Schutzverordnung durch §58 Abs3 Z5 MietrechtsG abgewiesen. Im Rekurs bringt die Verpflichtete vor, daß eine Aufschiebung der Räumung nach §35 Abs2 MietrechtsG möglich wäre.

Das Rekursgericht hält einen Räumungsaufschub nach §35 Abs2 MietrechtsG nur zugunsten eines Mieters, dem gekündigt wurde, für zulässig und meint §58 Abs3 Z5 MietrechtsG anwenden zu müssen. Es beantragt die Aufhebung dieser Bestimmung aufgrund folgender Bedenken:

"Die Aufhebung des Art6 der Schutzverordnung und die Beschränkung des §35 ... MRG auf Mieter, denen rechtskräftig gekündigt wurde, hat iZm. anderen Vorschriften der österreichischen Rechtsordnung, so zB den Bestimmungen der §§23 (1) bis (8) HBG und 20 (3) bis (5) LAG zur Folge, daß das Exekutionsgericht aus sozialen Erwägungen solchen Verpflichteten die nach Erlöschen eines obligatorischen, also schwächeren Rechtstitels (Miete, Dienstverhältnis), ihre Wohnung zu räumen haben, einen Aufschub gewähren darf, die Gewährung eines Räumungsaufschubes jedoch dem ehemaligen Eigentümer, der nach Verlust seines dinglichen, also stärkeren Rechtstitels, die Wohnung räumen muß, versagen muß.

Die Schlechterstellung des früheren Eigentümers gegenüber dem früheren Mieter oder früheren Dienstnehmer stellt nach Ansicht des zur Entscheidung über den Rekurs berufenen Senates eine durch sachliche Unterschiede nicht gerechtfertigte Differenzierung dar."

3. Die Bundesregierung bezweifelt die Präjudizialität der angegriffenen Gesetzesbestimmung. Die aufhebende Vorschrift sei vom Gericht nicht anzuwenden. Sie schaffe dieselbe Rechtslage, als hätte eine Regelung über den Räumungsaufschub zugunsten des früheren Eigentümers einer Liegenschaft nie existiert. Eine Untätigkeit des Gesetzgebers könne nur wahrgenommen werden, wenn eine bestehende Regelung unvollständig sei; ein solcher Fall liege nicht vor.

In der Sache sieht die Bundesregierung die unterschiedliche Behandlung des Mieters und des Eigentümers durch die schon in der verschiedenartigen Rechtsform zum Ausdruck kommenden Unterschiede der beiden Rechtsstellungen für gerechtfertigt. Nur das Mietrecht sei betreffs unentbehrlicher Wohnräume der Exekution gegenüber jedem Gläubiger entzogen (§42 Abs4 MietrechtsG) und nur der Mieter genieße Kündigungsschutz (§30 MietrechtsG); das Eigentum stehe dem Zugriff der Gläubiger offen und das Benützungsrecht des Miteigentümers könne jederzeit durch Richterspruch geändert werden. Nur innerhalb ein und desselben Rechtsinstitutes müßten Differenzierungen aus Unterschieden im Tatsächlichen begründet werden können. Anders als das Mietrecht sei das Eigentum auch Kreditbasis. Die Interessen des Eigentümers könnten nur im Rahmen des allgemeinen Exekutionsrechts berücksichtigt werden. Da die angegriffene Vorschrift §6 Schutzverordnung gleichermaßen für alle Personen aufgehoben habe, könne sie keine Gleichheitswidrigkeit darstellen. §35 MietrechtsG sei auch nicht neu geschaffen worden, sondern im wesentlichen den §§38 bis 40 Mietengesetz 1922 nachgebildet, wie sie schon vor dem 4. Dezember 1943 gegolten hätten.

Schließlich weist die Bundesregierung darauf hin, daß die Verpflichtete ihre Interessen (anders als der Mieter) im Exekutionsverfahren selbst wahren könne und allfällige Versäumnisse bei Feststellung der Versteigerungsbedingungen nicht in einem späteren Verfahrensstadium wettmachen dürfe.

II. Der Antrag ist zulässig.

Das antragstellende Gericht hat in zweiter Instanz über den Antrag einer nach §156 Abs2 EO zur Übergabe der Liegenschaft an den Ersteher Verpflichteten auf Räumungsaufschub zu entscheiden. Ein solcher Räumungsaufschub konnte nach der ständigen Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte ungeachtet der auf die Kriegsverhältnisse bezogenen Zielsetzung bis zum Inkrafttreten der bekämpften Vorschrift nach Art6 Schutzverordnung gewährt werden (vgl. die Nachweise bei Heller - Berger - Stix, Die Exekutionsordnung, MGA11 1979 Anhang XVI E 15 zu 5g, 1659). Das Gericht geht nun offenkundig davon aus, daß diese Bestimmung zwar im Geltungsbereich des MietrechtsG durch dessen §35 ersetzt wurde, in ihrem übrigen Anwendungsbereich aber ohne die ausdrückliche Aufhebung durch §58 Abs3 Z5 MietrechtsG noch in Geltung stünde. Da der VfGH bei Beurteilung der Präjudizialität einer Gesetzesstelle das antragstellende Gericht nicht an eine bestimmte Auslegung binden darf, weil er damit indirekt der Entscheidung des Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde, ist davon auszugehen, daß das Gericht Art6 Schutzverordnung anwenden würde, wenn er nicht durch die bekämpfte Vorschrift aufgehoben wäre. Dann ist es aber nicht zweifelhaft, daß das Gericht die Frage der Geltung des Art6 Schutzverordnung nur anhand der bekämpften Vorschrift beurteilen kann. Insofern hat das Gericht diese Vorschrift anzuwenden.

Daß sich ihr Inhalt in der Aufhebung einer anderen Vorschrift erschöpft, ändert daran nichts. Anders wäre die Lage nur, wenn das Gericht einen Fall zu beurteilen hätte, der in den Geltungsbereich des MietrechtsG fällt und daher von §35 MietrechtsG erfaßt wird; insoweit läge dann nämlich (auch) eine materielle Derogation des Art6 Schutzverordnung für einen Teilbereich vor, die durch einen (bloßen) Angriff auf §58 Abs3 Z5 nicht beseitigt werden könnte. Die Unanwendbarkeit des §35 ist aber der Ausgangspunkt des Antrages. Denn die behauptete Verfassungswidrigkeit besteht nicht in einer Unvollständigkeit des §35, sondern in der Aufhebung einer Bestimmung, die nicht auf Mietverhältnisse abstellt, einen Gesetzgebungsakt also, der bloß aus Anlaß der mietenrechtlichen Neuregelung erfolgte.

Die These der Bundesregierung, eine Untätigkeit des Gesetzgebers könne nur aufgegriffen werden, wenn eine bestehende Regelung unvollständig sei, ist hier deshalb nicht stichhältig, weil die behauptete Verfassungswidrigkeit nicht in einem - dem VfGH nicht greifbaren - Unterlassen, sondern in einem Gesetzgebungsakt, nämlich in der Aufhebung einer anderen Norm liegt, der (zufolge des Bestandes einer anderen Norm) einen gleichheitswidrigen Zustand herbeiführt.

III. Der Antrag ist aber nicht begründet. Die Aufhebung des Art6 Schutzverordnung verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz.

1. Das antragstellende Gericht geht bei seinem Vergleich zwischen obligatorisch Berechtigten und Eigentümern von Zweck und Wirkung des Räumungsaufschubes auf den Verpflichteten aus. In der Tat ist das Schutzbefürfnis des von der Obdachlosigkeit bedrohten Eigentümers nicht anders als das des gekündigten Mieters oder Arbeitnehmers in der gleichen Lage. Die Bundesregierung kann durch den Hinweis auf die besondere Behandlung des Mieters in anderer Hinsicht die Bedenken nicht ausräumen, weil es ja seinerseits erst der Prüfung bedürfte, ob der allgemeine Vollstreckungsschutz für das Mietrecht (§42 Abs2 MietrechtsG) und der Kündigungsschutz des Mieters (§30 MietrechtsG) im Vergleich mit der Behandlung des Eigentümers gerechtfertigt sind. Mit dem bloßen Hinweis auf die obligatorische Natur des Mietrechts und den dinglichen Charakter des Eigentums ist es dabei nicht getan. Nach Meinung des VfGH ist auch die - isoliert gesehen - generelle Wirkung der Aufhebung der Schutzverordnung nicht geeignet, die vorgetragenen Bedenken zu zerstreuen. Hinterläßt sie nämlich eine Rechtslage, die ihrerseits dem Gleichheitssatz widerspricht (und hat sie eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtslage geändert), so kann von einer gleichartigen Wirkung der Aufhebung gegenüber jedermann nicht die Rede sein.

2. Gleichwohl ist der Antrag im Ergebnis verfehlt. Zu Unrecht stellt das antragstellende Gericht allein auf das Schutzbedürfnis des Räumungspflichtigen ab. Es steht dem Gesetzgeber nämlich frei, auch darauf zu sehen, warum es zur Räumung kommt und wie sich ein Räumungsaufschub sonst auswirkt. In dieser Hinsicht zeigen sich aber Unterschiede, die auch nach Ansicht des VfGH eine unterschiedliche Regelung der durch die Aufhebung des Art6 Schutzverordnung herbeigeführten Art rechtfertigen:

Im Gegensatz zum Eigentümer einer bewohnten Liegenschaft steht der Mieter einer Wohnung grundsätzlich immer in Gefahr, vom Vermieter zur Räumung verhalten zu werden. Denn das Mietverhältnis, sofern es nicht ohnedies von vornherein befristet wurde, ist an sich jederzeit kündbar. Die Wohnung ist dann innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit zu räumen (nach §560 Abs1 Z2 litd ZPO bis zum Ende des nächsten Monates). Es läßt sich daher sachlich rechtfertigen, wenn der Mieter durch das MietrechtsG - in dessen umfassenden Geltungsbereich (§1 MietrechtsG) - auf der Ebene des Mietverhältnisses Schutz gegen willkürliche oder doch nach Wertung des Gesetzgebers unbegründete Beendigung seines Benützungsrechtes durch den Vertragspartner genießt. Dieser Schutz wird folgerichtig auch gegen allfällige Erwerber oder Ersteher der Liegenschaft gewährt. Er erstreckt sich bei Wohnräumen auch auf Fälle, in denen die Kündigung des Mietverhältnisses an sich als begründet anerkannt wird: wichtige Gründe auf Seite des Mieters können nach §34 MietrechtsG eine längere als die sonst vorgesehene Räumungsfrist rechtfertigen. Zu einer ähnlichen Maßnahme kann es nach §35 MietrechtsG auch noch nach Rechtskraft der Kündigung - nicht bei Räumung nach Ablauf eines befristeten Mietverhältnisses - kommen (wobei darauf Bedacht zu nehmen ist, ob schon im Urteil eine längere Frist gewährt wurde). §35 MietrechtsG erweist sich so als integrierender Teil des umfassenden Schutzes, der dem Mieter (in Ergänzung der allgemeinen vertragsrechtlichen Vorschriften) zum Ausgleich seiner sonst unsicheren Stellung gegen seinen Vertragspartner gewährt wird.

Eines solchen Schutzes bedarf der Eigentümer grundsätzlich nicht. Er kann zur Räumung seiner Liegenschaft nur verhalten werden, wenn er sich dazu - etwa durch deren Verkauf oder durch eine Vermietung - freiwillig verpflichtet hat oder wenn er mit seinem ganzen Vermögen oder kraft Verpfändung der Liegenschaft einer Exekution zur Hereinbringung von Geldforderungen ausgesetzt ist.

Die Möglichkeit des Räumungsaufschubes wird dem Mieter also für einen Fall eröffnet, der beim Eigentümer in dieser Weise gar nicht eintreten kann. Die Lage des räumungspflichtigen Liegenschaftseigentümers wäre nur jener des Mieters vergleichbar, der sein Mietrecht wirksam veräußert oder vermietet hat oder selbst der Exekution von Gläubigern zur Hereinbringung einer Geldforderung ausgesetzt ist. Für diese Fälle ist aber nicht §35, sondern §42 Abs4 MietrechtsG einschlägig, der keine mit Art6 Schutzverordnung vergleichbare Regelung enthält und vom antragstellenden Gericht für einen solchen Vergleich auch nicht angezogen wird. Daß es im Anwendungsbereich des §35 MietrechtsG Fälle gibt, in denen auch die Kündigung des Mieters auf das Unterbleiben von Zahlungen zurückzuführen ist und den genannten Fällen daher in gewisser Hinsicht vergleichbar sein mögen (§30 Abs2 Z1 MietrechtsG), kann ungeachtet der Häufigkeit solcher - die Regelung nicht tragender - Fälle außer Betracht bleiben, weil diesen Fällen im Zuge der Anwendung des §35 MietrechtsG bei Prüfung der Zumutbarkeit des Räumungsaufschubes für den betreibenden Vermieter Rechnung getragen werden kann.

Schließlich zeigen sich Verschiedenheiten auch aus der Sicht des betreibenden Gläubigers: einmal ist es der Vermieter oder der ihm gleichzustellende Erwerber oder Ersteher der Liegenschaft, der die Benützung durch den bisherigen Vertragspartner noch etwas länger dulden muß, das andere Mal ist es der Gläubiger einer beliebigen, aus allen nur denkbaren Gründen entstandenen Forderung, den die nachteiligen Auswirkungen einer möglichen Verzögerung der ohnedies langwierigen Zwangsversteigerung einer Liegenschaft treffen. Der Gleichheitssatz gebietet keinen allgemeinen Vollstreckungsschutz bei drohender Obdachlosigkeit.

Der VfGH ist freilich nicht der Auffassung, daß die Lage des gekündigten Mieters und des übergabepflichtigen Eigentümers - oder anderer von Obdachlosigkeit Bedrohter - so verschieden wären, daß der Gesetzgeber sie in bezug auf einen Räumungsaufschub nicht etwa gleich behandeln dürfte. Er hat auch nicht darüber zu urteilen, ob eine solche Gleichbehandlung oder eine andere Differenzierung vielleicht angemessener wäre als die getroffene Regelung. Doch kann er auch nicht finden, daß die unterschiedliche Behandlung in diesem Punkt jeglicher Grundlage im Tatsächlichen entbehren würde.

Ist aber die durch die angegriffene Norm geschaffene Rechtslage nicht gleichheitswidrig, dann liegt die gerügte Verfassungswidrigkeit nicht vor.

Der Antrag ist folglich abzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, Mietenrecht, Exekution gerichtliche, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, Derogation formelle, VfGH / Prüfungsgegenstand, VfGH / Prüfungsmaßstab

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:G85.1983

Dokumentnummer

JFT_10159685_83G00085_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten