TE Vfgh Erkenntnis 1984/3/15 B602/83

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Veröffentlicht am 15.03.1984
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Index

66 Sozialversicherung
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art137 / Allg
B-VG Art140 / Allg
B-KUVG §154
B-KUVG §155

Leitsatz

B-KUVG; Aufhebung eines Beschlusses des Verwaltungsrates der BVA betreffend die Einbringung einer Klage gemäß Art137 B-VG und eines Antrages gemäß Art140 B-VG durch die Aufsichtsbehörde gemäß §154 Abs3 iVm. §155 Abs1; gleichheitswidrige Auslegung der Regelung des Aufsichtsrechtes in §154 Abs3

Spruch

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Der Verwaltungsrat (§144 Abs3 B-KUVG und §§10, 11 und 12 der Satzung der BVA, SozSi 1975, 410, Amtliche Verlautbarung Nr. 70) der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter (BVA) hat in seiner 50.

Sitzung vom 4. Mai 1983 den folgenden Beschluß gefaßt:

Zur Wahrung der Interessen der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter und ihrer Versicherten ist hinsichtlich der mit der 11. und 12. Nov. (BGBl. 592/1981 und BGBl. 78/1983) zum BG vom 31. Mai 1967, BGBl. 200, über die Kranken- und Unfallversicherung öffentlich Bediensteter (B-KUVG) verfügten Überweisung von Mitteln der von ihr durchgeführten Krankenversicherung an den Ausgleichsfonds der Pensionsversicherungsträger (§447g des ASVG) wegen Verfassungswidrigkeit dieser Bestimmungen der VfGH anzurufen und die Aufhebung der entsprechenden Bestimmungen gemäß Art140 Abs1 B-VG als verfassungswidrig zu beantragen sowie die Rückzahlung der geleisteten Beträge gemäß Art137 B-VG einzuklagen.

1.2. Mit Bescheid des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 19. August 1983, Z 21.132/3-1a/1983, wurde dieser Beschluß gemäß §154 Abs3 B-KUVG iVm. §155 Abs1 B-KUVG im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen in Ausübung des Aufsichtsrechtes aufgehoben.

Die bel. Beh. ging bei dieser Entscheidung von folgendem, unbestritten gebliebenen Sachverhalt aus:

Der Vertreter des Bundesminsters für Finanzen hat sich bei der Sitzung des Verwaltungsrates der BVA vom 4. Mai 1983 die Stellungnahme zu diesem Beschluß zunächst vorbehalten; in der 51. Sitzung des Verwaltungsrates der BVA am 20. Mai 1983 hat er gegen den Beschluß mit der Begründung Einspruch erhoben, daß dadurch finanzielle Interessen des Bundes berührt würden. Der Vertreter des Bundesministers für soziale Verwaltung hat zu diesem Beschluß keine Äußerung abgegeben.

Der Vorsitzende des Verwaltungsrates der BVA, Mitglied des Bundesrates R S, hat die Durchführung dieses Beschlusses vorläufig aufgeschoben und mit Schreiben vom 30. Mai 1983 den Bundesminister für soziale Verwaltung ersucht, eine Entscheidung zu teffen, die eine Durchführung des Verwaltungsratsbeschlusses vom 4. Mai 1983 ermöglicht. In seinem Schreiben hat der Vorsitzende ausgeführt, daß die Frage der Überweisung von Millionenbeträgen aus den Mitteln der Krankenversicherung nach dem B-KUVG an den Ausgleichsfonds der Pensionsversicherungsträger kaum mit einem im Rahmen der Aufsicht wahrzunehmenden finanziellen Interesse des Bundes in Zusammenhang gebracht werden könne. Überdies berühre der beeinspruchte Beschluß des Verwaltungskörpers als solcher keinerlei materiell-rechtliche Fragen, sondern ausschließlich das durch die Rechtsordnung verbriefte elementare Recht jedes einzelnen Staatsbürgers und jeder juristischen Person, die staatlichen Einrichtungen der Rechtspflege in Anspruch nehmen zu können, insbesondere das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Zugang zum VfGH.

Nach Darstellung des Sachverhaltes führte die bel. Beh. in der Begründung des Bescheides aus, aufgrund des wiedergegebenen Antrages des Vorsitzenden des Verwaltungsrates der BVA sei der in Rede stehende Beschluß des Verwaltungsrates dahingehend zu überprüfen gewesen, ob finanzielle Interessen des Bundes berührt werden.

In rechtlicher Hinsicht sei davon auszugehen, daß gemäß §154 Abs1 B-KUVG die Aufsicht des Bundes über die BVA samt ihren Anstalten und Einrichtungen vom Bundesminister für soziale Verwaltung auszuüben sei. Nach §154 Abs2 B-KUVG könne der Bundesminister für soziale Verwaltung bestimmte Bedienstete mit der Aufsicht über die BVA betrauen, der Bundesminister für Finanzen könne zu den Sitzungen der Verwaltungskörper einen Vertreter zur Wahrung der finanziellen Interessen des Bundes entsenden. Nach §154 Abs3 B-KUVG könne der Vertreter der Aufsichtsbehörde gegen Beschlüsse eines Verwaltungskörpers, die gegen Gesetz oder Satzung oder die darauf beruhenden sonstigen Rechtsvorschriften verstoßen, der Vertreter des Bundesministers für Finanzen gegen Beschlüsse eines Verwaltungskörpers, die die finanziellen Interessen des Bundes berühren, Einspruch mit aufschiebender Wirkung erheben. Der Vorsitzende des betreffenden Verwaltungskörpers habe in einem solchen Fall die Durchführung des Beschlusses vorläufig aufzuschieben und die Entscheidung des Bundesministers für soziale Verwaltung einzuholen, die dieser - bei Einspruch durch den Vertreter des Bundesministers für Finanzen im Einvernehmen mit diesem - zu treffen habe.

Im §154 B-KUVG werde zwischen der dem Bundesminister für soziale Verwaltung zustehenden Agende der "Ausübung der Aufsicht" und der dem Bundesminister für Finanzen zustehenden Agende der "Wahrung der finanziellen Interessen des Bundes" unterschieden. Eine nähere Determinierung der Aufsichtskriterien wie im §155 Abs1 B-KUVG sei für den Aufgabenbereich des Bundesministers für Finanzen im Gesetz nicht enthalten. Zur Beurteilung der Frage, ob durch den beeinspruchten Beschluß finanzielle Interessen des Bundes berührt seien, sei folgendes auszuführen:

Der Beschluß des Verwaltungsrates der BVA enthalte ua. die Ermächtigung, die "Rückzahlung" der von der BVA geleisteten Beträge (insgesamt 623 Millionen Schilling) gemäß Art137 B-VG einzuklagen. Durch die 11. und 12. Nov. zum B-KUVG sei die BVA zur Überweisung von insgesamt 623 Millionen Schilling an den Ausgleichsfonds der Pensionsversicherungsträger verpflichtet worden. Inwieweit daher in diesem Zusammenhang von einer "Rückzahlung" durch den Bund die Rede sein könne, bleibe dahingestellt. Jedenfalls aber könne die Klage gemäß Art137 B-VG, zu deren Erhebung der beeinspruchte Beschluß ermächtigen soll, nur gegen den Bund gerichtet sein, weil gemäß Art137 B-VG, ausschließlich über vermögensrechtliche Ansprüche an Gebietskörperschaften zu erkennen sei. Daher sei auszuschließen, daß die BVA etwa beabsichtigt hätte, den Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, an den die 623 Millionen Schilling zu überweisen waren, zu klagen.

Daß jedoch durch den Beschluß, den Bund auf Zahlung von 623 Millionen Schilling gemäß Art137 B-VG zu klagen, finanzielle Interessen des Bundes iS des §154 Abs3 B-KUVG berührt werden, könne keinem Zweifel unterliegen.

Aufgrund der Sach- und Rechtslage sei daher wie im Spruch zu entscheiden gewesen. Die Zuständigkeit des Bundesministers für soziale Verwaltung zur Entscheidung gründe sich auf §154 Abs3 B-KUVG.

1.3. Die BVA erhebt gegen diesen Bescheid Beschwerde gemäß Art144 B-VG und macht die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend. Sollte §154 Abs2 B-KUVG den von der bel. Beh. angenommenen vagen Inhalt haben, so regt die BVA an, den zweiten Satz des §154 Abs2 B-KUVG sowie die Worte "der Vertreter des Bundesministers für Finanzen gegen Beschlüsse, die die finanziellen Interessen des Bundes berühren" in §154 Abs3 B-KUVG gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen zu prüfen und sie als verfassungswidrig aufzuheben. Sie stellt den Antrag, den angefochtenen Bescheid kostenpflichtig als verfassungswidrig aufzuheben.

II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Die bf. BVA macht geltend, das Vorgehen des Vertreters des Bundesministers für Finanzen und jenes der Aufsichtsbehörde, die in der Sache letztlich entschieden hat, sei willkürlich gewesen. Diesem Vorgehen liege in mehrfacher Hinsicht eine denkunmögliche Gesetzesanwendung zugrunde. Der Vorgang sei ausschließlich darauf gerichtet gewesen, der bf. BVA den ihr durch die Bundesverfassung eingeräumten Zugang zum VfGH zu nehmen. Darin liege eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art7 B-VG.

Eine solche kann nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg. 8823/1980, 9186/1981) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat. Auch eine juristische Person öffentlichen Rechtes, die ihren Sitz im Inland hat, kann im Gleichheitsrecht verletzt werden (vgl. zB VfSlg. 7996/1977, 8854/1980, 9320/1982, 9379/1982).

Gemäß Art137 B-VG kann grundsätzlich jedermann eine Klage zur Geltendmachung vermögensrechtlicher Ansprüche an den Bund, die Länder, die Bezirke, die Gemeinden und Gemeindeverbände beim VfGH erheben. Jede Person kann auch grundsätzlich einen Antrag auf Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG idF der B-VG-Nov. BGBl. 302/1975 stellen.

Gemäß §154 Abs1 B-KUVG unterliegt die BVA samt ihren Anstalten und Einrichtungen der Aufsicht des Bundes. Die Aufsicht ist vom Bundesminister für soziale Verwaltung auszuüben.

Nach Abs2 kann der Bundesminister für soziale Verwaltung bestimmte Bedienstete des Bundesministeriums für soziale Verwaltung oder des nach dem Sitz des jeweiligen Landesvorstandes in Betracht kommenden Amtes der Landesregierung mit der Aufsicht über die BVA betrauen. Der Bundesminister für Finanzen kann zu den Sitzungen der Verwaltungskörper der BVA einen Vertreter zur Wahrung der finanziellen Interessen des Bundes entsenden.

Der Vertreter der Aufsichtsbehörde kann gemäß Abs3 gegen Beschlüsse eines Verwaltungskörpers, die gegen Gesetz oder Satzung oder die darauf beruhenden sonstigen Rechtsvorschriften verstoßen, der Vertreter des Bundesministers für Finanzen gegen Beschlüsse, die die finanziellen Interessen des Bundes berühren, Einspruch mit aufschiebender Wirkung erheben. Der Vorsitzende hat die Durchführung des Beschlusses, gegen den Einspruch erhoben wurde, vorläufig aufzuschieben und die Entscheidung des Bundesministers für soziale Verwaltung als Aufsichtsbehörde, bei einem Einspruch des Vertreters des Bundesministers für Finanzen die Entscheidung des Bundesministers für soziale Verwaltung, die dieser im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen zu treffen hat, einzuholen.

Gemäß §155 Abs1 B-KUVG hat der Bundesminister für soziale Verwaltung als Aufsichtsbehörde die Gebarung der BVA dahin zu überwachen, daß Gesetz und Satzung sowie die darauf beruhenden sonstigen Rechtsvorschriften beachtet werden. Er kann seine Aufsicht auf Fragen der Zweckmäßigkeit erstrecken; er soll sich in diesem Falle auf wichtige Fragen beschränken und in das Eigenleben und die Selbstverantwortung der BVA nicht unnötig eingreifen. Die Aufsichtsbehörde kann in Ausübung des Aufsichtsrechtes Beschlüsse der Verwaltungskörper aufheben.

Die bel. Beh. geht von einer gesetzlichen Regelung aus, die einem Vertreter des Bundesminister für Finanzen das Recht des Einspruches gegen einen Beschluß eines Verwaltungskörpers eines Trägers der Sozialversicherung betreffend die Einbringung einer Klage, eines Antrages oder einer Beschwerde beim VfGH einräumt und dem Bundesminister für soziale Verwaltung im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen die Möglichkeit eröffnet, einen derartigen Beschluß mit Bescheid aufzuheben.

Entgegen der Auffassung der bel. Beh. hat jedoch die oben wiedergegebene gesetzliche Regelung nicht diesen Inhalt. Wozu immer die in §154 Abs3 B-KUVG eingeräumte Möglichkeit, gegen Beschlüsse eines Verwaltungskörpers, die die finanziellen Interessen des Bundes berühren, Einspruch mit aufschiebender Wirkung zu erheben, den Vertreter des Bundesministers für Finanzen ermächtigen sollte, kann diese Bestimmung jedenfalls nicht dahin ausgelegt werden, daß der Bund dadurch in die Lage versetzt würde, die BVA an der Einbringung einer Klage gemäß Art137 B-VG oder eines Antrages nach Art140 B-VG beim VfGH also eines Rechtsmittels, das jedermann zusteht, zu hindern.

Hätte die Gesetzesstelle nämlich diesen von der bel. Beh. ihr unterstellten Sinn, so wäre die bf. BVA entgegen Art137 B-VG und Art140 B-VG - anders als andere Rechtssubjekte - gehindert, von derartigen Rechtsbehelfen Gebrauch zu machen. Für eine solche Differenzierung bietet das Gesetz jedoch bei verfassungskonformer Auslegung keinen Anhaltspunkt. Die bel. Beh. hat daher dem Gesetz fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Sinn unterstellt.

Der Bescheid war wegen Verletzung des der bf. BVA verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung als verfassungswidrig aufzuheben.

Schlagworte

VfGH / Legitimation, Selbstverwaltungsrecht, Aufsichtsrecht, Sozialversicherung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:B602.1983

Dokumentnummer

JFT_10159685_83B00602_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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