TE Vfgh Erkenntnis 1984/3/15 B320/79

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Veröffentlicht am 15.03.1984
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/02 Kraftfahrgesetz 1967

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verordnung
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art103 Abs4
KDV 1967 §30 Abs2
KDV 1967 §35 Abs1 litf
KDV 1967 §35 Abs3
KFG 1967 §67 Abs2
KFG 1967 §69 Abs3
KFG 1967 §123 Abs1

Leitsatz

Kraftfahrgesetz-Durchführungsverordnung 1967; genereller Ausschluß von Personen nach Verlust oder Blindheit eines Auges vom Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe E (§35 Abs1 litf und Abs3 iVm. §30 Abs2) ist nicht unsachlich

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Der Bf. war seit 1967 Besitzer der Lenkerberechtigung für KFZ der Gruppen A, B, C, E, F und G nach §65 KFG 1967. Seit März 1971 ist er aufgrund eines Unfalles am linken Auge erblindet. Bei einer amtsärztlichen Untersuchung am 5. Juni 1972 wurde er zum Lenken von KFZ der Gruppen A, B, C, E und F als bedingt geeignet angesehen und eine Nachuntersuchung nach fünf Jahren für notwendig erachtet. Hierauf wurde seine Lenkerberechtigung hinsichtlich aller Gruppen, für die ihm bisher die Lenkerberechtigung zustand, auf fünf Jahre befristet.

1.2. Im Jahr 1977 beantragte der Bf. die Verlängerung der Lenkerberechtigung für sämtliche genannte Gruppen und unterzog sich einer Nachuntersuchung. Seinem Begehren wurde teilweise entsprochen und dem Bf. die Berechtigung zur Lenkung von KFZ der Gruppen A, B, C, F und G befristet bis 31. Mai 1982 erteilt, jedoch mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 12. Juli 1977 die Verlängerung der Lenkerberechtigung für die Gruppe E gemäß §64 Abs2 KFG 1967 iVm. §§35 Abs5 litb und 30 Abs2 KDV 1967 verweigert.

Mit Bescheid des Landeshauptmannes von OÖ vom 13. Oktober 1977 wurde der vom Bf. bekämpfte erstinstanzliche Bescheid bestätigt.

Aufgrund der von ihm gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung, in der vom Bf. geltend gemacht wurde, daß ihm unter denselben Bedingungen im Jahre 1972 eine befristete Lenkerberechtigung auch für die Gruppe E erteilt worden sei, wurde dem Bf. von der Berufungsbehörde befristet aufgetragen, ein Gutachten eines gerichtlich beeideten Sachverständigen für Augenheilkunde vorzulegen. Diesem Auftrage kam der Bf. durch Vorlage eines Gutachtens des Primarius Stampfl vom 27. Juni 1978 nach, der bestätigte, daß der Bf. praktisch einäugig sei, sich jedoch an diesen Zustand gewöhnt habe und über ein gutes Tiefenschätzvermögen verfüge, sodaß er ihn für geeignet halte, ein KFZ der Gruppe E zu lenken. Diese Ansicht wurde auch in einem weiteren von der Berufungsbehörde eingeholten Gutachten des im Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz für das Kraftfahrwesen bestellten ärztlichen Amtssachverständigen geteilt.

Mit Bescheid des Bundesministers für Verkehr vom 28. Mai 1979, Z 86453/5-IV/7/78, wurde der Berufung des Bf. keine Folge gegeben.

Begründend wurde ausgeführt, daß nach den ärztlichen Gutachten das linke Auge des Bf. erblindet sei, woraus sich ergebe, daß ein eignungsausschließendes Gebrechen iS des §35 Abs1 litf KDV 1967 vorliege.

2.1. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie die Anwendung einer gesetzwidrigen V, insbesondere des §30 Abs2 und des §35 KDV 1967, geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

2.2. Die bel. Beh. hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.

3. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:

3.1. Die Zuständigkeit des Bundesministers zur Erlassung des angefochtenen Bescheides ergibt sich aus §123 Abs1 KFG 1967 idF der

3. KFG-Nov., BGBl. 352/1976, iVm. ArtII Abs5 der 4. KFG-Nov., BGBl. 615/1977. Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.

3.2. Der Bf. erblickt die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz darin, daß Besitzer einer Lenkerberechtigung für Fahrzeuge der Gruppe E, wenn bei ihnen das Gebrechen der Erblindung auf einem Auge vorliegt, von vorneherein anders behandelt werden als Besitzer der Lenkerberechtigung für Fahrzeuge der Gruppe C, wenn bei jenen das gleiche Gebrechen besteht. Ebensowenig sei sachlich gerechtfertigt, daß Personen, die an Gebrechen einer anderen Art leiden, zur Lenkung von KFZ aller Gruppen als geeignet erachtet werden, wenn sie während der der Feststellung des Gebrechens unmittelbar vorangehenden zwei Jahre KFZ tatsächlich gelenkt haben und aufgrund dessen die Annahme gerechtfertigt sei, daß ein Ausgleich der durch das Gebrechen bewirkten Beeinträchtigung durch die bereits erlangte Geübtheit bestehe, jedoch Personen, die am Gebrechen des Fehlens oder der Erblindung eines Auges leiden, von dieser Möglichkeit - was die Berechtigung zur Lenkung von Kraftwagen der Gruppe E betrifft - ausgeschlossen sind. Durch §30 Abs2 der Kraftfahrgesetz-Durchführungsverordnung 1967 - KDV 1967, BGBl. 399/1967 idF BGBl. 356/1972, und §35 idF BGBl. 356/1972 und BGBl. 279/1978, werde das dem Bf. gemäß §64 KFG 1967 zustehende Recht auf Verlängerung der Lenkerberechtigung für die Gruppe E in gesetzwidriger Weise eingeschränkt.

3.3. Der angefochtene Bescheid stützt sich auf §30 Abs2 und §35 Abs1 litf und Abs3 KDV 1967. Diese Bestimmungen sind in Ausführung der Verordnungsermächtigung des §69 Abs3 KFG 1967 erlassen worden. Gemäß §67 Abs2 KFG 1967 hat die Behörde vor Erteilung der Lenkerberechtigung ein ärztliches Gutachten darüber einzuholen, ob der Antragsteller zum Lenken von KFZ geistig und körperlich geeignet ist. §69 Abs3 KFG 1967 sieht vor, daß durch V nähere Bestimmungen über die Erstellung des ärztlichen Gutachtens erlassen werden können, wobei auch festzusetzen ist, daß Personen, bei denen bestimmte Gebrechen vorliegen, als zum Lenken von KFZ nicht geeignet oder nur unter bestimmten Voraussetzungen als geeignet zu gelten haben. Nach §30 Abs1 KDV gilt derjenige als zum Lenken von KFZ einer bestimmten Gruppe geeignet, der ua. frei von Gebrechen (§35) ist. Nach §35 Abs1 litf KDV liegt eine Freiheit von Gebrechen nicht vor bei Fehlen oder praktischer Blindheit eines Auges.

§35 Abs3 KDV 1967 bestimmt sodann:

"(3) Personen, bei denen ein Auge fehlt oder praktisch blind ist (Abs1 litf), gelten als zum Lenken von KFZ der Gruppen A, B und F geeignet, wenn der Verlust der Sehfähigkeit des einen Auges mindestens 12 Monate zurückliegt und durch einen fachärztlichen Befund bestätigt wird, daß beim sehenden Auge ein normales Gesichtsfeld und eine Sehschärfe von mindestens 6/8 ohne oder mit Korrektur vorhanden ist; diese Sehschärfe muß sowohl bei Tageslicht als auch in einem abgedunkelten Raum gegeben sein, in dem nur die Sehprobetafeln beleuchtet sind. Die Dauer dieser Eignung darf nur auf höchstens 5 Jahre ausgesprochen werden. Bei der Festsetzung dieses Zeitraumes ist auf die Ursache des Verlustes oder der Blindheit des einen Auges Bedacht zu nehmen. Bei der Erteilung der Lenkerberechtigung für das Lenken von Kraftfahrzeugen ohne Windschutzscheiben oder mit Windschutzscheiben, deren oberer Rand nicht höher liegt, als die Augen des Lenkers beim Lenken, ist als Auflage die Benützung eines Augenschutzes vorzuschreiben."

Das Gebrechen des Fehlens oder der praktischen Blindheit eines Auges schließt demnach die Eignung zum Lenken von Fahrzeugen insbesondere der Gruppe E aus.

§30 Abs2 KDV 1967 legt näher ausführend fest, daß Besitzer einer Lenkerberechtigung, bei denen ein Gebrechen festgestellt wurde, das nach §35 die Eignung zum Lenken von KFZ ausschließen würde, als zum Lenken von KFZ der Gruppen A, B, C, F oder G geeignet gelten, wenn sie während der der Feststellung des Gebrechens unmittelbar vorangegangenen zwei Jahre KFZ tatsächlich gelenkt haben und die Annahme gerechtfertigt ist, daß ein Ausgleich des bestehenden Mangels durch erlangte Geübtheit eingetreten ist. Der Eintritt ist durch ein ärztliches Gutachten festzustellen; eine Lenkerberechtigung darf nur für höchstens fünf Jahre erteilt werden. Für Besitzer einer Lenkerberechtigung für Fahrzeuge der Gruppe E besteht eine solche Möglichkeit nicht.

3.4. Der VfGH hegt - trotz der Beschwerdeausführungen - keine Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit dieser Regelung.

Der Besitz eines Führerscheines für Fahrzeuge der Gruppe E berechtigt zum Lenken von KFZ, mit denen auch andere als leichte Anhänger (als leichter Anhänger gilt gemäß §2 Z2 KFG 1967 ein Anhänger mit einem höchsten zulässigen Gesamtgewicht von nicht mehr als 750 kg) gezogen werden. Darunter fällt auch die Berechtigung zum Lenken von LKW-Zügen, welche beim Reversieren besonders schwer zu handhaben sind, wozu der Lenker aus leicht einsichtigen Gründen über ein ausgeprägtes Tiefenschätzvermögen verfügen muß. Das Gebrechen des Fehlens oder der praktischen Blindheit eines Auges führt aber bekanntermaßen insbesondere zu einer Beeinträchtigung dieser Fähigkeit.

Der VfGH hat bereits im Erk. VfSlg. 75/1975 - damals bezogen auf das Gebrechen der Protanopie - dargetan, daß dem Verordnungsgeber kein Vorwurf gemacht werden kann, wenn er sich im Interesse der Verkehrssicherheit (zu deren Beachtung er aufgrund des §69 Abs3 KFG 1967 verhalten ist) für die vorsichtigere Lösung entschieden und generell festgelegt hat, daß Protanope zum Lenken von KFZ ungeeignet sind. Gleiche Erwägungen treffen auch für den Ausschluß von Personen vom Lenken von KFZ der Gruppe E zu, wenn diese Personen am Gebrechen des Fehlens oder der praktischen Blindheit eines Auges leiden. Es ist auch keineswegs unsachlich, wenn es der Verordnungsgeber aus Vorsichtsgründen nicht der Beurteilung eines Sachverständigen überließ, ob im Einzelfall eine Eignung zu bejahen sei, sondern beim Gebrechen des Fehlens oder der praktischen Blindheit eines Auges einen generellen Ausschluß von der Berechtigung zur Lenkung von Fahrzeugen der Gruppe E verfügte, ausgehend davon, daß mit letzter Gewißheit die erforderliche Eignung auch durch einen Sachverständigen nie festgestellt werden könnte.

Der VfGH sieht sich daher aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles nicht veranlaßt, ein Verordnungsprüfungsverfahren einzuleiten.

3.5. Bei der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen könnte der bel. Beh. nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (vgl. zB VfSlg. 8856/1980, 9015/1981) eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes nur angelastet werden, wenn sie Willkür geübt hätte.

Zu einer solchen Ansicht bietet das Verwaltungsgeschehen nicht den geringsten Anlaß. Auch vom Bf. wird dies nicht behauptet.

Die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz liegt somit nicht vor.

3.6. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Bf. in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, daß er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Schlagworte

Bundesverwaltung, mittelbare, Kraftfahrrecht, Lenkerberechtigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:B320.1979

Dokumentnummer

JFT_10159685_79B00320_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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