TE Vfgh Erkenntnis 1984/6/9 B513/80

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Veröffentlicht am 09.06.1984
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8200 Bauordnung

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
MRK Art7
StGG Art5
VStG §5
VStG §6
Wr BauO 1930 §128 Abs1

Leitsatz

Wr. Bauordnung; Verhängung einer Verwaltungsstrafe für den Betrieb einer Tankstelle ohne Benützungsbewilligung; Verneinung des Vorliegens von Schuldausschließungsgründen nach §§5, 6 VStG; kein Verstoß gegen das Eigentumsrecht und gegen Art7 MRK

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Wr. Landesregierung vom 20. Mai 1980 wurde ausgesprochen, daß der Bf. als nach außen vertretungsbefugtes Organ der AGIP AUSTRIA AG es zu verantworten habe, daß diese in der Zeit vom 25. Juli 1975 bis 3. März 1978 die auf einer - näher bezeichneten - Liegenschaft genehmigte Tankstelle ohne Benützungsbewilligung betrieben habe. Der Bf. habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach §128 Abs1 der Bauordnung für Wien, LGBl. 11/1930 "in der geltenden Fassung" iVm. §9 VStG 1950 begangen. Über den Bf. wurde gemäß §135 Abs1 der Bauordnung für Wien eine Geldstrafe, für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzarreststrafe verhängt.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher sich der Bf. in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unversehrtheit des Eigentums sowie "wegen keiner Handlung bestraft zu werden, die zur Zeit ihrer Begehung nicht strafbar war", (Art7 Abs1 MRK) verletzt erachtet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. In der Bescherde wird nicht in Abrede gestellt, daß die schon im Jahre 1975 von der AGIP AUSTRIA AG beantragte Benützungsbewilligung für die Tankstelle im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (noch immer) nicht erteilt worden war. Der Bf. behauptet vielmehr (und legt im einzelnen seine Gründe dafür dar), daß die Benützungsbewilligung zu erteilen gewesen wäre und daß die bel. Beh. (der Magistrat der Stadt Wien sei trotz seiner Gliederung in zahlreiche Dienststellen und Abteilungen ein einheitlicher Verwaltungsapparat) die im Verfahren zur Erteilung der Benützungsbewilligung eingetretenen Verzögerungen zu verantworten habe. Überdies sei die Tankstelle nicht von der AGIP AUSTRIA AG selbst, sondern von einem Stationär betrieben worden, sodaß bis zur Bauordnungsnovelle 1976, welche erst den Bauwerber und den Eigentümer verwaltungsstrafrechtlich verantwortlich gemacht habe, die Firma des Bf. das Delikt nach §128 Abs1 der Bauordnung unter Anwendung des §9 VStG 1950 nicht begangen haben könne. Die AGIP AUSTRIA AG sei aber auch nach Inkraftreten der Bauordnungsnovelle LGBl. 18/1976 (15. 8. 1976) infolge der mit dem Stationär getroffenen vertraglichen Vereinbarungen nicht in der Lage gewesen, die Benützung der Tankstelle zu verhindern.

Die bel. Beh. habe nicht berücksichtigt, daß der durch die Stillegung der Tankstelle zu erwartende Schaden unverhältnismäßig größer sei als jener, der durch die Übertretung des §128 der Bauordnung für Wien, bei dem es sich um ein Formaldelikt handle, je habe eintreten können. Ebenso klar sei, daß unter Berücksichtigung des Umstandes, daß der Magistrat der Stadt Wien außer Stande gewesen sei, innerhalb der von §128 der Bauordnung normierten Fristen dem Gesetz gemäß über den Antrag um Erteilung der Benützungsbewilligung zu entscheiden, auch von einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen kein anderes Verhalten zu erwarten gewesen sei. Da somit ein Notstand vorgelegen sei, hätte auch die Voraussetzung des fahrlässigen Verhaltens zur Strafbarkeit iS des §5 Abs1 VStG 1950 gefehlt.

Es sei aber auch ein Notstand iS des §6 VStG 1950 gegeben gewesen. Zur Auslegung des Begriffes Notstand sei entweder §10 Abs1 StGB oder §19 ABGB heranzuziehen. Es habe nämlich nicht nur die Gefahr des Gewinnentganges, sondern auch die von laufenden Kosten für die Erhaltung der Tankstelle und die Gefahr einer Schädigung durch die Nichtbenützung bestanden; somit eine Notstandssituation. Die AGIP AUSTRIA AG habe sich im Rahmen des §19 ABGB, der auch aktive Selbsthilfe erlaube, bewegt, da staatliche Hilfe zu spät gekommen wäre und die Abhilfe mit angemessenen Mitteln erfolgt sei. Die AGIP AUSTRIA AG habe den Schaden so gering wie möglich halten müssen, da sie dies bei einem Amtshaftungsverfahren nachzuweisen hätte. Wenn sie daher ein solches, vom Gesetz gebotenes Verhalten gesetzt habe, sei Strafbarkeit nicht gegeben.

Zumindest im Umfang der "zweiten Alternative" des §6 VStG 1950, wonach eine Tat nicht strafbar ist, wenn sie vom Gesetz geboten oder erlaubt ist, obgleich sie dem Tatbestand einer Verwaltungübertretung entspricht, handle es sich um Rechtfertigungs- und nicht um Schuldausschließungsgründe. Den Bf. habe daher für das Vorliegen solcher Gründe keine Beweislast iS des §5 Abs1 zweiter Satz VStG 1950 getroffen; es wäre vielmehr Aufgabe der Behörde gewesen den Beweis dafür zu führen und zu erbringen, daß überhaupt ein rechtswidriges Handeln vorgelegen sei.

Die Behörde habe daher insgesamt die Bestimmungen des §128 Abs1 der Bauordnung für Wien sowie der §§5 Abs1 und 6 Abs1 VStG 1950 denkunmöglich angewendet.

2. Die bel. Beh. hat im angefochtenen Bescheid zunächst eingeräumt, daß die Entscheidung über die Benützungsbewilligung aus Gründen, die nicht in der Verantwortung des Bf. gelegen seien, bisher noch nicht erfolgt sei. Das Verschulden des Bf. werde jedoch nicht darin erblickt, daß keine Benützungsbewilligung erwirkt wurde, sondern darin, daß die Tankstelle ohne Vorliegen der Benützungsbewilligung benützt wurde. In der Möglichkeit einer wirtschaftlichen Schädigung, durch welche die Lebensmöglichkeiten selbst nicht unmittelbar bedroht seien, könne eine unmittelbar drohende Gefahr und ein Notstand iS des §6 VStG 1950 nicht gesehen werden (Hinweis auf VwSlg. 4074/1956 und VwGH 11. 10. 1963 Z 1000/62). Der "Entlastungsbeweis" sei daher nicht gelungen.

3. Der angefochtene Bescheid greift in das Eigentumsrecht ein. Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des VfGH (zB VfSlg. 8776/1980, 9014/1981) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.

Fest steht, daß während der gesamten, vom angefochtenen Bescheid umfaßten Tatzeit keine Benützungsbewilligung für die Tankstelle vorlag. Aus welchen Gründen die Benützungsbewilligung (noch) nicht erteilt worden war, ist für das Vorliegen dieses (objektiven) Tatbestandsmerkmals des §128 Abs1 der Bauordnung für Wien irrelevant.

Wenn es zutrifft, daß die AGIP AUSTRIA AG nicht Benützer der Tankstelle war, wäre es naheliegend gewesen, in der vom Bf. im erstinstanzlichen Verfahren abgegebenen schriftlichen Rechtfertigung oder zumindest in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Strafbescheid auf diesen Umstand hinzuweisen. Es kann der bel. Beh. daher nicht der Vorwurf eines in die Verfassungssphäre reichenden Fehlers gemacht werden, wenn sie - vielleicht unzutreffend - von der Annahme ausgegangen ist, Benützer der Tankstelle sei die AGIP AUSTRIA AG, was schon deshalb nahe lag, weil die genannte Aktiengesellschaft sowohl Baubewilligungswerberin für diese Tankstelle gewesen war als auch um die Benützungsbewilligung angesucht hatte.

Es kann aber auch nicht gesagt werden, daß der bel. Beh. bei der Beurteilung, ob ein Schuldausschließungsgrund vorliegt, ein schwerer, gegen die Denkgesetze verstoßender Fehler unterlaufen ist, der einer Gesetzlosigkeit gleichkommt. Die bel. Beh. hat sich auf die Rechtsprechung des VwGH bestützt (s. VwGH 11. 10. 1963 Z 1000/62), wonach in der Möglichkeit einer wirtschaftlichen Schädigung, durch die die Lebensmöglichkeiten selbst nicht unmittelbar bedroht sind, ein Notstand iS des §6 VStG 1950 nicht gesehen werden kann. Ob und inwieweit bei der Beurteilung von Schuldausschließungsgründen nach den §§5 und 6 VStG 1950 - wie der Bf. meint - ähnliche Bestimmungen in anderen Rechtsvorschriften (§§10 Abs1 StGB, 19 ABGB) zum Zweck der Auslegung heranzuziehen sind und welche Bedeutung hiebei den jeweiligen Begriffsbestimmungen und den dort festgelegten Voraussetzungen zukommt, überschreitet nicht den Rahmen der - vom VfGH nicht zu prüfenden - einfach-gesetzlichen Richtigkeit der Rechtsanwendung.

Der behauptete Verstoß gegen das Eigentumsrecht liegt somit nicht vor.

4. Wie der VfGH im Erk. VfSlg. 6762/1972 dargelegt und erst kürzlich im Erk. VfSlg. 9957/1984, bekräftigt hat, enthält Art7 MRK (im ersten Satz seines Abs1) das Verbot, eine Strafbefugnis wegen einer Handlung auszuüben, welche nicht der strafrechtlichen Beurteilung unterliegt, weil sie gegen keine rechtsgültige Strafdrohung verstößt. Der Schutzumfang dieses Grundrechtes umfaßt jedoch weder eine Verletzung von Verfahrensvorschriften noch die hier behauptete unrichtige - aber denkmögliche (s. oben unter Punkt 3.) - Anwendung einer vorhandenen Stafnorm (vgl. hiezu auch VfSLg. 7814/1976, S 295 f.)

Auch sonst bestehen keine Anhaltspunkte, die auf einen Verstoß der bel. Beh. gegen die in Rede stehende Bestimmung der MRK hinwiesen (s. auch die Ausführungen oben unter Punkt 3.).

5. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat nicht ergeben, daß der Bf. in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Rechtsnorm in seinen Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Schlagworte

Baurecht, Benützungsbewilligung, Verwaltungsstrafrecht, VfGH / Prüfungsmaßstab, Auslegung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:B513.1980

Dokumentnummer

JFT_10159391_80B00513_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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