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43 WehrrechtNorm
B-VG Art19 Abs1Beachte
vgl. Kundmachung BGBl. 339/1984 am 30. 8. 1984Leitsatz
HDG; Verfassungswidrigkeit des §64 Abs3 zweiter Satz im Hinblick auf Art19 B-VG (Möglichkeit der Nachprüfung der Entscheidung eines obersten Verwaltungsorgans durch eine übergeordnete Verwaltungsinstanz)Spruch
Der zweite Satz des §64 Abs3 des Heeresdisziplinargesetzes, BGBl. 151/1956 idF vor der Nov. BGBl. 211/1984, war verfassungswidrig.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Bundesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1.1. S R steht als Beamter der Heeresverwaltung, und zwar als dienstführender Unteroffizier mit dem Titel eines Vizeleutnants, in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund; seine Dienststelle ist die Heeresversorgungskompanie 3 in Wals. Er wurde mit 22. Dezember 1982 der Heereswirtschaftsanstalt Salzburg dienstzugeteilt und laut schriftlicher Enuntiation des Kommandanten dieser Dienststelle als Disziplinarvorgesetzter vom 3§. Jänner 1983 in Handhabung des §64 Abs2 Heeresdisziplinargesetz (HDG) aus wichtigen Dienstesrücksichten mit sofortiger Wirkung vorläufig vom Dienst enthoben. Seine vorläufige Dienstenthebung wurde in der Folge mit Bescheid der Disziplinarkommission für zeitverpflichtete Soldaten beim Militärkommando Salzburg vom 5. Jänner 1983 gemäß §64 Abs3 HDG wieder aufgehoben.
Gegen diesen Bescheid der Disziplinarkommission erhob der Disziplinaranwalt das Rechtsmittel der Beschwerde.
1.1.2. Die Disziplinaroberkommission für zeitverpflichtete Soldaten beim Korpskommando II gab mit Bescheid vom 21. Jänner 1983 der Beschwerde des Disziplinaranwaltes Folge, hob den erstinstanzlichen Bescheid auf und bestätigte die vorläufige Dienstenthebung des Bf. gemäß §64 Abs3 HDG. Zugleich verfügte sie gemäß §65 Abs2 HDG die Beschränkung der Bezüge des Beschuldigten für die Dauer der Dienstenthebung um 20 vH.
1.1.3. Diesen Bescheid focht S R mit Beschwerde an den VwGH an.
1.2.1.1. Der VwGH stellte in diesem Beschwerdeverfahren zur hg. Z G76/83 gemäß Art140 Abs1 B-VG den Antrag, der VfGH möge den zweiten Satz des §64 Abs3 Heeresdisziplinargesetz, BGBl. 151/1956, als verfassungswidrig aufheben.
1.2.1.2. Begründend brachte der VwGH ua. wörtlich vor:
"... Der aufgrund des ordentlichen Rechtsmittels der Beschwerde (vgl. dazu die §§43, 50 und 65 Abs3 letzter Satz HDG) erlassene Bescheid der (vor dem VwGH) belangten Behörde gründet sich auf die mit 'Dienstenthebung' überschriebene Bestimmung des §64 HDG ...
Gemäß §65 Abs3 HDG entscheidet die Disziplinarkommission ua. über die Bestätigung oder Aufhebung einer vorläufigen Dienstenthebung ohne mündliche Verhandlung. Die Entscheidung der Disziplinarkommission kann binnen zwei Wochen nach Zustellung durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung.
Im vorliegenden Beschwerdefall hat die Disziplinaroberkommission für zeitverpflichtete Soldaten beim Korpskommando II mit dem angefochtenen Bescheid im Instanzenzug (aufgrund der Beschwerde des Disziplinaranwaltes) über die 'Bestätigung oder Aufhebung' der vom Kommandanten der Heereswirtschaftsanstalt Salzburg mit Bescheid vom 3. Jänner 1983 verfügten vorläufigen Dienstenthebung iS der ... gesetzlichen Bestimmungen entschieden. Sie hat damit auch auf der gesetzlichen Grundlage des zweiten Satzes des §64 Abs3 HDG ihren Bescheid erlassen.
Aus der den Instanzenzug abschließend regelnden Bestimmung des §65 Abs3 zweiter Satz HDG ergibt sich, daß gegen die Entscheidung der im Beschwerdefall gemäß §35 Abs1 Z3 litb iVm §81 Abs1 HDG zuständigen Disziplinaroberkommission für zeitverpflichtete Soldaten ein weiteres ordentliches Rechtsmittel nicht gegeben ist. ...
Der VwGH hat bei seiner Entscheidung über die Beschwerde auch den zweiten Satz des §64 Abs3 HDG anzuwenden ...
Wer Disziplinarvorgesetzter ist, ergibt sich aus der mit 'Disziplinarvorgesetzte und ihre Befugnisse' überschriebenen Bestimmung des §34 HDG. Nach dieser Bestimmung sind im wesentlichen die Kommandanten von Truppenkörpern, die Kommandanten von Heereskörpern, der Armeekommandant und schließlich der Bundesminister für Landesverteidigung Disziplinarvorgesetzte.
Wenn also nach §64 Abs2 HDG der Disziplinarvorgesetzte berechtigt ist, die vorläufige Enthebung eines Heeresangehörigen zu verfügen, so ist nach Maßgabe der im einzelnen im §34 HDG enthaltenen Regelungen auch der Bundesminister für Landesverteidigung zuständig, diese Maßnahme gegenüber einem Heeresangehörigen zu verfügen. Weiters ist ua. auch der Bundesminister für Landesverteidigung nach dem zweiten Satz des §64 Abs3 HDG verpflichtet, jede vorläufige Dienstenthebung ungesäumt der Disziplinarkommission mitzuteilen, und es hat die zuständige Disziplinarkommission ohne Verzug die Enthebung zu bestätigen oder aufzuheben. Die Disziplinarkommission hat also die vom Bundesminister für Landesverteidigung verfügte vorläufige Dienstenthebung eines Heeresangehörigen zu bestätigen oder aufzuheben.
Die Bestätigung oder Aufhebung der vom Disziplinarvorgesetzten, gegebenenfalls also auch vom Bundesminister für Landesverteidigung verfügten vorläufigen Dienstenthebung stellt eine Überprüfung dieser Maßnahme durch die Disziplinarkommission und in der Folge auch durch die im Instanzenzug angerufene zuständige Disziplinaroberkommission dar. Daß die Disziplinarkommission nicht aufgrund eines Rechtsmittels, sondern von Amts wegen tätig wird, ändert nichts daran, daß ihr die Überprüfung einer vom Disziplinarvorgesetzten, gegebenenfalls auch vom Bundesminister für Landesverteidigung getroffenen Verfügung durch deren Bestätigung oder Aufhebung obliegt.
Der VwGH erachtete die Bestimmung des zweiten Satzes des §64 Abs3 HDG deshalb als verfassungsrechtlich bedenklich, weil die mit der Bestätigung oder Aufhebung wesensnotwendig verbundene Kontrolle des Bundesministers für Landesverteidigung durch die Disziplinarkommission mit der durch Art19 B-VG vorgegebenen verfassungsrechtlichen Stellung des Bundesministers für Landesverteidigung als eines obersten Organes nicht vereinbar ist. Diese verfassungsrechtlich vorgegebene Stellung des Bundesministers für Landesverteidigung scheint durch den einfachen Gesetzgeber dadurch teilweise beseitigt zu sein, daß der Bundesminister für Landesverteidigung in den hier geregelten Angelegenheiten des Heeresdisziplinarrechtes der Kontrolle der Disziplinarkommission und in weiterer Folge auch der Kontrolle der Disziplinaroberkommission unterliegt.
Der VwGH geht davon aus, daß der Disziplinarvorgesetzte - so wie dies im Beschwerdefall auch geschehen ist - die vorläufige Enthebung vom Dienst durch Bescheid auszusprechen hat. Dies ergibt sich aus dem Wort 'verfügen' in §64 Abs2 erster Satz HDG und daraus, daß durch die voräufige Dienstenthebung in Rechte des Heeresangehörigen eingegriffen wird (vgl. dazu etwa auch VwGH 29. 6. 1983, Z 83/09/0070, 0071). Im übrigen bestünden aber auch verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine gesetzliche Regelung, die der Disziplinarkommission - einer Verwaltungsbehörde - die nachprüfende Kontrolle anderer Rechtsakte eines Bundesministers, also etwa von Weisungen, und deren Aufhebung oder Bestätigung ermöglicht.
Der VwGH verweist auf die einschlägige Rechtsprechung des VfGH,
insbesondere auf das Erkenntnis ... VfSlg. 8917/1980 (Feststellung
der Verfassungswidrigkeit des §46 Abs5 Beamten-Dienstrechtsgesetz
1977), das Erkenntnis ... VfSlg. 9164/1981 (Aufhebung des §87 Abs6
Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 als verfassungswidrig) und vom 2. 7.
1982, G49/81, V21/81, G128/81, V42/81 (teilweise Aufhebung der §§97 Z2 und 3 und 112 Abs4 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 als verfassungswidrig). In §64 Abs3 zweiter Satz HDG ist zwar zum Unterschied von allen den angeführten ... Erkenntnissen zugrundegelegenen gesetzlichen Regelungen kein Instanzenzug vom Bundesminister an die Disziplinarkommission vorgesehen, wohl aber ist der Bundesminister für Landesverteidigung in Ansehung einer von ihm verfügten vorläufigen Dienstenthebung eines Heeresangehörigen der rechtlichen Kontrolle der Disziplinarkommission und der Disziplinaroberkommission unterworfen. Dies scheint der verfassungsrechtlichen Stellung eines Bundesministers im wesentlichen aus denselben Erwägungen zu widersprechen, von denen der VfGH in den angeführten Erkenntnissen ausgegangen ist."
1.2.2. Die Bundesregierung gab die Erklärung ab, daß sie auf eine Äußerung zum Antrag des VwGH verzichte. Sie beantragte jedoch, der VfGH wolle im Fall einer Stattgebung des Antrages des VwGH für die Aufhebung eine Frist, und zwar bis 31. Mai 1984, setzen und von einem Ausspruch nach Art140 Abs7 zweiter Satz B-VG Abstand nehmen.
1.3. Die hier bedeutsamen Abs1 bis 3 des mit "Dienstenthebung" überschriebenen §64 Heeresdisziplinargesetz, BGBl. 151/1956 idF vor dem BGBl. 211/1984, haben folgenden Wortlaut:
"(1) Wird über einen Heeresangehörigen die strafgerichtliche Untersuchungshaft verhängt, so hat der Disziplinarvorgesetzte ungesäumt die vorläufige Enthebung des Verhafteten vom Dienst zu verfügen.
(2) Der Disziplinarvorgesetzte ist außerdem berechtigt, die vorläufige Enthebung eines Heeresangehörigen zu verfügen, wenn dessen Fernhaltung vom Dienst aus wichtigen Dienstesrücksichten, insbesondere zur Aufrechterhaltung der Disziplin und Ordnung zwingend geboten ist. Unter dieser Voraussetzung steht das Recht zu einer vorläufigen Dienstenthebung auch dem Kommandanten eines abgetrennten unselbständigen Bataillons oder einer abgetrennten unselbständigen Abteilung, dem Kommandanten einer abgetrennten Einheit sowie den mit der Vornahme einer Inspizierung betrauten Offizieren zu. Kommandanten, die dem Disziplinarvorgesetzten dienstlich unterstellt sind, haben ihm eine solche Verfügung auf dem kürzesten Weg zu melden. Auf dem gleichen Weg haben höhere Vorgesetzte, die eine vorläufige Dienstenthebung verfügen, dem Disziplinarvorgesetzten des vom Dienst enthobenen Heeresangehörigen diese Verfügung bekanntzugeben.
(3) Gegen eine vorläufige Dienstenthebung ist kein Rechtsmittel zulässig. Der Disziplinarvorgesetzte hat jedoch jede vorläufige Dienstenthebung ungesäumt der Disziplinarkommission mitzuteilen, die ohne Verzug die Enthebung zu bestätigen oder aufzuheben hat. Eine von der Disziplinarkommission noch nicht bestätigte Enthebung vom Dienst kann von dem Vorgesetzten, der sie verhängt hat, und von jedem höheren Vorgesetzten außer Kraft gesetzt werden."
Mit dem am 1. Juni 1984 in Kraft getretenen BG vom 9. Mai 1984, BGBl. 211/1984, wurde die Bestimmung des §64 Abs3 HDG - zur Gänze - neu gefaßt.
2. Über den Antrag des VwGH wurde erwogen:
2.1. Zur Frage der Zulässigkeit des Gesetzesprüfungsantrages:
2.1.1. Zunächst sei vorausgeschickt, daß der VfGH nicht berechtigt ist, durch seine Entscheidung über die Präjudizialität den VwGH an eine bestimmte Gesetzesauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des VfGH darf daher ein Antrag des VwGH iS des Art140 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß das - angefochtene - Gesetz eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlaßfall bildet (vgl. zB VfSlg. 4318/1962, 4644/1964, 5357/1966, 7999/1977, 8136/1977, 9284/1981).
2.1.2. Vorliegend wurde die Präjudizialitätsfrage vom VwGH jedenfalls denkmöglich beantwortet.
2.1.3. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist der Gesetzesprüfungsantrag zulässig.
2.2. Zur Sache selbst:
2.2.1. Der VfGH führte in seinem zu §46 Abs5 BDG, BGBl. 329/1977, ergangenen Erk. VfSlg. 8917/1980 ua. wörtlich aus:
"... Wie sich aus Art19 Abs1 B-VG ergibt, kommt dem Bundesminister die Stellung eines obersten Organes zu. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits mit Erkenntnis VfSlg. 3506/1959 ausgesprochen, daß das B-VG den Ausdruck 'oberst' durchgehend zur Kennzeichnung des Fehlens einer übergeordneten Instanz verwendet (Art69 Abs1, Art19, Art20, Art21, Art111 u.a.m.); damit ist ausgeschlossen, daß die Entscheidung eines obersten Organes einem Instanzenzug unterliegt. Der VfGH hält an dieser Rechtsansicht fest, die mit der herrschenden Lehre im Einklang steht (vgl. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S 301 ff;
Walter, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, System, S 434;
Ringhofer, Die Österreichische Bundesverfassung, S 84 f; Raschauer, in: Allgemeines Verwaltungsrecht, Festschrift Antoniolli, S 363 ff). Schon die Stellung des Bundesministers als oberstes Organ schließt es aus, daß er einer übergeordneten Instanz unterstellt ist ..."
2.2.2. Wird diese (auch in den Erk. VfSlg. 9164/1981 zu §87 Abs6 BDG 1979, BGBl. 333/1979, und vom 2. Juli 1982, G49/81 ua., zu §§97 Z2 und 3, 112 Abs4, 132 BDG 1979, BGBl. 333/1979, bekräftigte) Rechtsanschauung, von der abzugehen der VfGH keinen Grund sieht, auf den vorliegenden Fall übertragen, so ergibt sich folgendes:
Der VwGH legt zutreffend dar, daß kraft §64 Abs1 und 2 HDG - nach Maßgabe der Regelungen des §34 HDG - auch der Bundesminister für Landesverteidigung als Disziplinarvorgesetzter unter bestimmten sachlichen Voraussetzungen zur - bescheidmäßigen (s. VwGH 29. 6. 1983 Z 83/09/0070, 0071) - Verfügung der vorläufigen Enthebung eines Heeresangehörigen berufen ist.
Doch muß der Bundesminister eine von ihm angeordnete vorläufige Dienstenthebung ungesäumt der Disziplinarkommission mitteilen, welche diese - vom Bundesminister verfügte - Enthebung ohne Verzug zu bestätigen oder aufzuheben hat. Der VwGH ist im Recht, wenn er geltend macht, daß die mit einer solchen nachprüfenden Entscheidung notwendig verbundene Kontrolle des Bundesministers für Landesverteidigung der in Art19 B-VG festgelegten, die Einrichtung einer übergeordneten Administrativinstanz ausschließenden Stellung oberster Organe widerspricht.
Daran ändert auch nichts, daß die Disziplinarkommission - und in weiterer Folge die im Instanzenzug angerufene Disziplinaroberkommission - den Bescheid des Bundesministers nicht aufgrund eines Rechtsmittels, sondern von Amts wegen überprüft, weil es nicht auf die formale Gestaltung der Überprüfungsbefugnis ankommt:
Ausschlaggebend ist vielmehr der Umstand, daß es dem Bundesgesetzgeber kraft Art19 B-VG verwehrt bleibt, oberste Organe (iS des Art19 Abs1 B-VG) zur Nachprüfung ihrer Entscheidung einer übergeordneten Verwaltungsinstanz zu unterstellen, wie dies hier - aus den schon dargelegten Erwägungen - zutrifft.
2.2.3. Zusammenfassend ist darum festzuhalten, daß sich die vom VwGH angefochtene - inzwischen durch eine Neufassung (BGBl. 211/1984) ersetzte - Bestimmung des §64 Abs3 Satz 2 HDG wegen Verstoßes gegen Art19 B-VG als verfassungswidrig erweist.
Demzufolge mußte spruchgemäß entschieden werden (Art140 Abs4 B-VG).
Schlagworte
Heeresdisziplinarrecht, Disziplinarrecht Heer, Militärdienst, Militärrecht, Berufung, Instanzenzug, Oberste Organe der Vollziehung, Zuständigkeit VerwaltungsverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1984:G76.1983Dokumentnummer
JFT_10159385_83G00076_00