TE Vfgh Erkenntnis 1984/6/18 B556/83

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Veröffentlicht am 18.06.1984
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Index

44 Zivildienst
44/01 Zivildienst

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
ZivildienstG §2 Abs1

Beachte

ähnlich Erk. B759/83 vom 29. Juni 1984

Leitsatz

Zivildienstgesetz; mangelnde Darlegung einer Gewissensnot; keine Verletzung des durch §2 Abs1 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. a) Der Bf. beantragte mit der an das Militärkommando Sbg. gerichteten Eingabe vom 29. Mai 1982 unter Bezugnahme auf §2 Abs1 des Zivildienstgesetzes, BGBl. 187/1974 idF der Nov. BGBl. 496/1980, (im folgenden kurz: ZDG) seine Befreiung von der Wehrpflicht und führte darin folgendes aus:

Die Humanität und Wertschätzung des Lebens seien immer im Vordergrund seiner Erziehung gestanden. Er hasse jede tätliche Auseinandersetzung. Jeder Krieg sei sinnlos, grausam und unmenschlich. Er sehe nur durch einen weltweiten Frieden die Chance für die Weiterexistenz kommender Generationen. Außerdem könnten die Rüstungsausgaben sinnvoller verwendet werden. Der Mensch könnte mit seinem Verstand alle Konflikte lösen. Aus diesen Gründen sei der Wehrdienst mit seinem Gewissen nicht vereinbar. Im Kriegsfall müßte er töten und zerstören, damit unsinnige Taten begehen, deren er sich voll bewußt sei und die er nicht verkraften könnte.

Die Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres, an welche die Eingabe weitergeleitet worden war, führte eine mündliche Verhandlung durch. Bei dieser führte der Bf. aus, er sei gegen Gewalt und könne sich nicht vorstellen, aus imperialistischen oder politischen Gründen jemanden zu töten. Er wäre mehr für soziale Verteidigung, weil hier eher weniger Menschen ums Leben kommen.

Die Zivildienstkommission wies mit Bescheid vom 8. Oktober 1982 den Antrag des Bf. ab. Sie begründete dies im wesentlichen damit, daß er sich mit der Problematik der Landesverteidigung zu wenig auseinandergesetzt habe. Außerdem habe er bisher kein soziales Engagement gezeigt.

b) Die Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres (im folgenden kurz: ZDOK) gab der dagegen vom Bf. erhobenen Berufung mit Bescheid vom 16. Mai 1983 keine Folge.

Sie begründete dies der Sache nach primär damit, daß der Bf. gar nicht schlüssig behauptet habe, bei Leistung des Wehrdienstes in einen schweren Gewissenskonflikt zu geraten.

Hiezu wird im angefochtenen Bescheid im einzelnen - folgendes im Laufe des Berufungsverfahrens erfolgte Parteienvorbringen - zutreffend - wiedergegeben:

"Der Berufungswerber" (das ist der Bf. dieses verfassungsgerichtlichen Verfahrens) "führte in seinem Rechtsmittel aus, es seien Mitgliedschaft bei Amnesty International, sowohl als Privatmann als auch mit seiner Firma von der Zivildienstkommission nicht gewürdigt worden. Seine bisherige Berufsausbildung und die Gründung einer Werbeagentur sowie nebenberufliches Studium der Kunstgeschichte und die Betreuung seiner herzkranken Mutter habe ihm ein zusätzliches soziales Engagement nicht erlaubt.

Die Erhaltung menschlichen Lebens erachte er als höchstes Gut, er lehne es daher aus innerster Überzeugung ab, Waffengewalt gegen Menschen anzuwenden. Es gebe für ihn nur die gewaltfreie Verteidigung, eine Verteidigung, bei der keine Menschen sterben. Da ausschließlich humanitäre Gründe für den Berufungswerber im Vordergrund stünden, glaube er nicht, sich mit der Landesverteidigung und alternativen Verteidigungsstrategien 'wissenschaftlich beschäftigen' zu müssen. Er fühle sich insbesondere durch die Kürze der Befragung durch die Zivildienstkommission in seiner Grundhaltung mißverstanden, da er grundsätzlich jeden Krieg, ganz gleich aus welchen Gründen er geführt werde, verurteile; es gebe für ihn keine Legitimation, menschliches Leben zu vernichten. Weiters wies der Berufungswerber darauf hin, daß er zu den gestellten Fragen seine persönliche Einstellung zur Waffengewalt betreffend, vor der Zivildienstkommission habe 'nicht Rede und Antwort stehen können'. ...

Der Berufungswerber wurde" (von der ZDOK bei der mündlichen Verhandlung) "ersucht, zu schildern, was es für ihn bedeuten würde, im Krieg kämpfen zu müssen. Er beschränkte sich auf Erklärungen, er 'könne dies nicht, da er nicht auf jemanden schießen wolle, der ihm nichts getan hätte'. Dem Berufungswerber wurde vorgehalten, daß er die Frage nicht beantwortet hätte, sondern nur erklärt habe, wie er handeln würde. Er wiederholte hierauf bloß, nicht kämpfen zu können, da für ihn das Leben das höchste Gut sei.

Dem Berufungswerber wurde vorgehalten, daß er im Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht sehr wohl eingeräumt hätte, sich der ethischen Pflicht der Notwehr und Selbstverteidigung nicht entziehen zu wollen, soferne der Vorfall eine überschaubare Handlung darstelle, und 'auch sich der Nothilfe nicht zu entsagen, wenn er einen Mitmenschen vor Verletzung und Tod bei einem Verbrechen bewahren könne'. Auf Vorhalt, daß diese Äußerung im Widerspruch zur Erklärung in der Berufung, 'unter keinen Umständen eine Legitimation zur Zerstörung menschlichen Lebens' sehen zu können, stünde, erklärte der Berufungswerber, er habe in der Berufung nur auf den angefochtenen Bescheid geantwortet und sehe in Notwehr und Nothilfe keine Legitimation zur Gewalt. Er habe die Berufung aus eigenem verfaßt. ...

Nach den Voraussetzungen für die Anerkennung als Zivildienstpflichtiger befragt, erklärte der Berufungswerber, es käme auf die Gewissenseinstellung an; er glaube, daß Denken und Fühlen mit dem Handeln übereinstimmen sollten und sei daher für die 'gewaltlose Verteidigung'. Außerdem wolle er sich beim Zivildienst sozial engagieren. Als Mittel gewaltfreier Verteidigung stelle er sich Generalstreiks und Sabotageakte vor; er selbst könnte mithelfen, Wege zu versperren oder Straßenbezeichnungsschilder vertauschen. Österreich habe zweifellos Werte, die gegen einen Angriff von Außen verteidigt werden sollten, doch könnten diese humanen Werte, wie Menschen und Bevölkerung und kulturelle Werte, insbesondere die österreichische Kultur und Lebensweise, nur gewaltfrei verteidigt werden. Es sei zwar 'selbstverständlich' daß es auch bei der 'sozialen Verteidigung' Menschenopfer geben werde, er selbst würde aber bei einer solchen Aktion, wo dies zu erwarten ist, etwa an der Sprengung einer Brücke, nicht teilnehmen. ..."

2. Gegen den Berufungsbescheid vom 16. Mai 1983 richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher der Bf. eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung geltend macht und die Bescheidaufhebung begehrt.

3. Die ZDOK hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Eine Verletzung des in §2 Abs1 ZDG gewährleisteten Grundrechtes liegt dann vor, wenn die Behörde die im §2 Abs1 ZDG umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt hat, und weiters - da die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebliche Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) in den Schutzumfang des Grundrechtes einbezogen ist - dann, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen sind oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit genommen hat, das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen (vgl. zB VfSlg. 8787/1980, 9549/1982).

2. Die gesamten Ausführungen des Bf. in seinem Antrag wie auch in den beiden mündlichen Verhandlungen tun nur dar, weshalb er Krieg und militärischen Waffengebrauch überhaupt ablehnt. Er beschränkte sich im wesentlichen darauf darzutun, daß seiner Ansicht nach Kriege sinnlos seien. Der Bf. legte für seine Person jedoch - selbst auf diesbezügliche eindringliche Befragung bei der mündlichen Verhandlung vor der ZDOK - nicht dar, weshalb er bei Leistung des Wehrdienstes tatsächlich in schwere Gewissensnot geraten würde. Bei einer solchen Sachlage ist die ZDOK iS der ständigen Rechtsprechung des VfGH schon auf dem Boden der Behauptungen des Antragstellers gehalten, die von ihm begehrte Befreiung von der Wehrpflicht mangels Erfüllung der materiellen Voraussetzungen des §2 Abs1 ZDG zu verweigern. Ist aber die Befreiung von der Wehrpflicht schon in Ansehung des eigenen Standpunktes des Antragstellers wegen des Fehlens der materiellen Voraussetzungen des §2 Abs1 ZDG abzulehnen, so ist es auch unerheblich, ob die belangte ZDOK ihren Bescheid etwa unrichtig begründet hat oder ob ihr irgendwelche Verfahrensfehler unterlaufen sind (vgl. zB VfSlg. 9661/1983 und die dort zitierte weitere Vorjudikatur).

3. Im Beschwerdeverfahren kam schließlich auch keine Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder eine Rechtsverletzung infolge einer rechtswidrigen generellen Rechtsnorm hervor.

Die Beschwerde war sohin abzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Prüfungsmaßstab, Zivildienst

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:B556.1983

Dokumentnummer

JFT_10159382_83B00556_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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